Poesie und Intellekt, zwischen diesen zwei Polen bewegt sich Ingeborg Bachmanns lyrisches und erzählendes Schreiben auf originelle und immer wieder neue Weise. Die politische und philosophische Tiefendimension aber, die sich dahinter verbirgt, zeigt sich am deutlichsten in ihren kritischen Schriften, die alle Phasen ihrer Arbeit begleiteten. Unnachsichtig, klar und in ihrem ganz eigenen Duktus formuliert sie Gedanken zur Literatur, Philosophie und Psychologie ihrer Zeit ebenso wie über Musik und Sprache. Zum ersten Mal versammelt der vorliegende Band in historisch-kritischer Neuedition neben bereits veröffentlichten Texten verschollene, nachgelassene und neu rekonstruierte Schriften; enthalten sind unter anderen Ingeborg Bachmanns Essays, Reden, autobiographische Texte und die berühmten Frankfurter Vorlesungen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.06.2005Das Papier und die Stimmen
Neu ediert: Ingeborg Bachmanns „Kritische Schriften”
Ein Anfang ist immer eine Chance. Ingeborg Bachmann hat sie genutzt in der ersten deutschen Poetik-Vorlesung, die 1959 der Anglist Helmut Viebrock an der Universität Frankfurt einrichtete, um „Fragen und Scheinfragen” zu beantworten, wie sie gemeinhin an literarische Werke herangetragen werden. Die Suche nach Wesen, Sinn, Tiefsinn der Dichtung ironisiert sie durch eine Stapelung aller einmal erhobenen Sinnfragen und gefundenen Antworten und entlarvt den Atheismus der Literatur hinter der Vielgötterei ihrer Programme: „Die Kunst ist schon viele Male umgezogen, vom Gotteshaus in das Haus der Ideale, vom House beautiful auf das bateau ivre, und dann in die Gossen, in die nackte Wirklichkeit, wie man sagte, und dann wieder in das Haus Traum und in die Tempel mit hängenden Gärten, und wieder fort in die pseudomystische Stickluft von Blut und Boden, und weiter in das Haus Humanität und in das Haus Politik.”
Figuren in Trauerkleidung
In den beiden letzten Häusern hat Bachmann sich, trotz aller Skepsis gegen zuviel Absicht und Theorie, selbst eingemietet, denn „nur die durchgehende Manifestation einer Problemkonstante” sei imstande, uns zu veranlassen, „einen Dichter als unausweichlich zu sehen." Wie ein Engel der Verkündigung erhob sie denn auch, wenn sie schrieb, immer den Zeigefinger und wies auf die Höhen einer idealen Humanität. Dort waren die Subjekte ihrer Poesie zwar noch nicht angekommen, doch trugen sie das Wissen davon unabweislich mit sich herum und litten daran. Bachmanns Figuren sind Allegorien, die stets in Trauerkleidern auftreten. Die chronische Melancholie dieser Gestalten und der literarische Erfolg ihrer Schöpferin haben diese zum Idol einer historisch lange missachteten und der Zukunft entgegenhoffenden Weiblichkeit werden lassen. Generationen von Studentinnen sogen aus Bachmanns Werk Lösungen für die „Fragen und Scheinfragen” ihrer Existenz.
Ganz anders als in den Gedichten, die die Schwermütigen anzogen, und in den Romanen, die die Unzufriedenen aufrührten, zeigt sich Bachmann in ihren Gelegenheitsschriften, die sie an den literarischen Betrieb banden, in den Rundfunkessays, Vorträgen, Rezensionen, Reden zu Preisverleihungen, Zeitschriftenbeiträgen. Ihr Pragmatismus unterwirft sich der Situation und dem Medium mühelos, bietet ihm kluge Beobachtungen in einer verständlichen, anschaulichen Sprache. Ließe sich mehr Heiterkeit wünschen als die, mit der Bachmann über „wunderliche Musik” in der Zeitschrift Melos schreibt? Solche Texte waren eine bekömmliche Bildungslektüre, haben aber, anders als die poetischen Werke, den Puls der Zeit kaum beschleunigt.
Werkausgaben versammeln deshalb solch beiläufige, für den Autor lebenserhaltende Texte als „Vermischte Schriften” im letzten Band der Edition ihrer Werke; so auch die vierbändige Ausgabe von Bachmanns Schriften 1978. Außer einigen Rezensionen und den frühen Versuchen der studierten und promovierten Philosophin über „Heidegger”, den „Wiener Kreis”, die „Philosophie der Gegenwart”, enthält diese erste Ausgabe von Bachmann alles, was an Essays und Vorträgen gedruckt auffindbar war. Die neue „kritische” Edition kann das Konvolut dieser Ausgabe nur unwesentlich erweitern. Ihre editorische Methode orientiert sich an den vier Bänden der „Kritischen Ausgabe” von Bachmanns „Todesartenprojekt”. Durch die Erschließung des Nachlasses ist eine genauere Datierung der Entstehung der Werke möglich, ihr Zusammenhang mit anderen Projekten kann hergestellt, mit Hilfe der Briefe die Diskussion mit Kollegen während der Arbeit nachgewiesen werden. Der Kommentarteil ist, wie heutzutage üblich, über die Maßen umfangreich. Da die Sprache Ingeborg Bachmanns der Mitwelt nicht allzu fremd ist und also nicht erklärt werden muss, ergeht er sich in seitenlangen Aufzählungen von Büchern (etwa von Marx oder Brecht), die in der Bibliothek Ingeborg Bachmanns zu finden sind und möglicherweise einen Text wie die „Frankfurter Vorlesung” beeinflusst haben könnten.
Die frühen philosophischen Schriften, die in die Ausgabe eingegangen sind, zeigen, wie bestimmend für den literarischen Stil die Schule des abstrakten Denkens war, die Bachmann durchlaufen hat. Auf eine ganz andere Fähigkeit als die der allegorisierenden Darstellung von Sinnfragen verweisen zudem bislang unveröffentlichte Notizen und Entwürfe, Zettelchen, auf denen die Schriftstellerin Klärung zu gewinnen suchte vor dem Chaos der Beobachtungen. In den „Entwürfen zur politischen Sprachkritik” etwa zeigt sich die Schwierigkeit Bachmanns, eine Figur aus und auf Papier sprechen zu lassen: dies „ist schwer, ohne sich Stimmen vorzustellen, die Worte werden plötzlich ein wenig verrückt”, denn „sie werden unterirdisch genährt Müssen wird müssen, Tür Tür” auf dem Papier, und so erzwingt die Reduktion auf den tonlosen Buchstaben eine „Bedeutungsverschiebung”. In aller Kürze notiert hier die Autorin ein grundsätzliches Problem ihrer Arbeit: die Bedeutung stiftenden Nuancen der Stimme in Schrift übersetzen zu müssen.
Auch wenn der Band den nachdenklichen Charakter einer mitten in der Arbeit befindlichen Schriftstellerin und ihre sprachkritische Modernität betont, sind viele Lebensbeschreibungen darin zu finden, wie etwa die der Stadt Rom in einer „Entwurfsschrift” für einen von Walter Höllerer geplanten Band über das „Profil” dieser Metropole. Hingegen wurde die Rede zur Verleihung des Büchner-Preises im Jahre 1964, eine nicht weniger sinnbelastete Beschreibung des geteilten Berlin, in die „Kritischen Ausgabe” des „Todesartenprojekts” verwiesen, obwohl sie doch unter den hier präsentierten „Kritischen Schriften” zu erwarten gewesen wäre.
Entschärfter Zündstoff
In der ersten Frankfurter Vorlesung fragt sich Ingeborg Bachmann, wie es in der Literatur der Gegenwart noch „neue Zündungen geben könnte?” und findet keine Antwort, denn „die Spezialisten, die Experten mehren sich. Die Denker bleiben aus”. Damit hat sie ahnungsvoll die Problematik ihrer eigenen Rezeptionsgeschichte angesprochen. Der Zündstoff, den ihre Dichtung legte, wird durch die historisch-kritische Ausgabe entschärft. Fast sollte man meinen, schon die Haltung, in der diese zu lesen ist, bringt eine andere Autorin hervor. Die früheren Ausgaben, leicht in der Hand zu halten und von Frauen vor allem gelesen, wirkten wie im Traum auf die Seele. Eine historisch-kritische Ausgabe in voluminösen, schweren Bänden erfordert einen Schreibtisch, Haltung und Distanz. Man mag die eifrige Dichterin bewundern, die von einem Werk Fassung um Fassung schafft; ihre Wirkung wird dadurch nicht größer. Die philologische Kritik ehrt den Dichter und entrückt ihn ins Archiv.
HANNELORE SCHLAFFER
INGEBORG BACHMANN: Kritische Schriften. Hrsg. von Monika Albrecht und Dirk Göttsche. Piper Verlag, München 2005. 842 Seiten, 49,90 Euro.
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Neu ediert: Ingeborg Bachmanns „Kritische Schriften”
Ein Anfang ist immer eine Chance. Ingeborg Bachmann hat sie genutzt in der ersten deutschen Poetik-Vorlesung, die 1959 der Anglist Helmut Viebrock an der Universität Frankfurt einrichtete, um „Fragen und Scheinfragen” zu beantworten, wie sie gemeinhin an literarische Werke herangetragen werden. Die Suche nach Wesen, Sinn, Tiefsinn der Dichtung ironisiert sie durch eine Stapelung aller einmal erhobenen Sinnfragen und gefundenen Antworten und entlarvt den Atheismus der Literatur hinter der Vielgötterei ihrer Programme: „Die Kunst ist schon viele Male umgezogen, vom Gotteshaus in das Haus der Ideale, vom House beautiful auf das bateau ivre, und dann in die Gossen, in die nackte Wirklichkeit, wie man sagte, und dann wieder in das Haus Traum und in die Tempel mit hängenden Gärten, und wieder fort in die pseudomystische Stickluft von Blut und Boden, und weiter in das Haus Humanität und in das Haus Politik.”
Figuren in Trauerkleidung
In den beiden letzten Häusern hat Bachmann sich, trotz aller Skepsis gegen zuviel Absicht und Theorie, selbst eingemietet, denn „nur die durchgehende Manifestation einer Problemkonstante” sei imstande, uns zu veranlassen, „einen Dichter als unausweichlich zu sehen." Wie ein Engel der Verkündigung erhob sie denn auch, wenn sie schrieb, immer den Zeigefinger und wies auf die Höhen einer idealen Humanität. Dort waren die Subjekte ihrer Poesie zwar noch nicht angekommen, doch trugen sie das Wissen davon unabweislich mit sich herum und litten daran. Bachmanns Figuren sind Allegorien, die stets in Trauerkleidern auftreten. Die chronische Melancholie dieser Gestalten und der literarische Erfolg ihrer Schöpferin haben diese zum Idol einer historisch lange missachteten und der Zukunft entgegenhoffenden Weiblichkeit werden lassen. Generationen von Studentinnen sogen aus Bachmanns Werk Lösungen für die „Fragen und Scheinfragen” ihrer Existenz.
Ganz anders als in den Gedichten, die die Schwermütigen anzogen, und in den Romanen, die die Unzufriedenen aufrührten, zeigt sich Bachmann in ihren Gelegenheitsschriften, die sie an den literarischen Betrieb banden, in den Rundfunkessays, Vorträgen, Rezensionen, Reden zu Preisverleihungen, Zeitschriftenbeiträgen. Ihr Pragmatismus unterwirft sich der Situation und dem Medium mühelos, bietet ihm kluge Beobachtungen in einer verständlichen, anschaulichen Sprache. Ließe sich mehr Heiterkeit wünschen als die, mit der Bachmann über „wunderliche Musik” in der Zeitschrift Melos schreibt? Solche Texte waren eine bekömmliche Bildungslektüre, haben aber, anders als die poetischen Werke, den Puls der Zeit kaum beschleunigt.
Werkausgaben versammeln deshalb solch beiläufige, für den Autor lebenserhaltende Texte als „Vermischte Schriften” im letzten Band der Edition ihrer Werke; so auch die vierbändige Ausgabe von Bachmanns Schriften 1978. Außer einigen Rezensionen und den frühen Versuchen der studierten und promovierten Philosophin über „Heidegger”, den „Wiener Kreis”, die „Philosophie der Gegenwart”, enthält diese erste Ausgabe von Bachmann alles, was an Essays und Vorträgen gedruckt auffindbar war. Die neue „kritische” Edition kann das Konvolut dieser Ausgabe nur unwesentlich erweitern. Ihre editorische Methode orientiert sich an den vier Bänden der „Kritischen Ausgabe” von Bachmanns „Todesartenprojekt”. Durch die Erschließung des Nachlasses ist eine genauere Datierung der Entstehung der Werke möglich, ihr Zusammenhang mit anderen Projekten kann hergestellt, mit Hilfe der Briefe die Diskussion mit Kollegen während der Arbeit nachgewiesen werden. Der Kommentarteil ist, wie heutzutage üblich, über die Maßen umfangreich. Da die Sprache Ingeborg Bachmanns der Mitwelt nicht allzu fremd ist und also nicht erklärt werden muss, ergeht er sich in seitenlangen Aufzählungen von Büchern (etwa von Marx oder Brecht), die in der Bibliothek Ingeborg Bachmanns zu finden sind und möglicherweise einen Text wie die „Frankfurter Vorlesung” beeinflusst haben könnten.
Die frühen philosophischen Schriften, die in die Ausgabe eingegangen sind, zeigen, wie bestimmend für den literarischen Stil die Schule des abstrakten Denkens war, die Bachmann durchlaufen hat. Auf eine ganz andere Fähigkeit als die der allegorisierenden Darstellung von Sinnfragen verweisen zudem bislang unveröffentlichte Notizen und Entwürfe, Zettelchen, auf denen die Schriftstellerin Klärung zu gewinnen suchte vor dem Chaos der Beobachtungen. In den „Entwürfen zur politischen Sprachkritik” etwa zeigt sich die Schwierigkeit Bachmanns, eine Figur aus und auf Papier sprechen zu lassen: dies „ist schwer, ohne sich Stimmen vorzustellen, die Worte werden plötzlich ein wenig verrückt”, denn „sie werden unterirdisch genährt Müssen wird müssen, Tür Tür” auf dem Papier, und so erzwingt die Reduktion auf den tonlosen Buchstaben eine „Bedeutungsverschiebung”. In aller Kürze notiert hier die Autorin ein grundsätzliches Problem ihrer Arbeit: die Bedeutung stiftenden Nuancen der Stimme in Schrift übersetzen zu müssen.
Auch wenn der Band den nachdenklichen Charakter einer mitten in der Arbeit befindlichen Schriftstellerin und ihre sprachkritische Modernität betont, sind viele Lebensbeschreibungen darin zu finden, wie etwa die der Stadt Rom in einer „Entwurfsschrift” für einen von Walter Höllerer geplanten Band über das „Profil” dieser Metropole. Hingegen wurde die Rede zur Verleihung des Büchner-Preises im Jahre 1964, eine nicht weniger sinnbelastete Beschreibung des geteilten Berlin, in die „Kritischen Ausgabe” des „Todesartenprojekts” verwiesen, obwohl sie doch unter den hier präsentierten „Kritischen Schriften” zu erwarten gewesen wäre.
Entschärfter Zündstoff
In der ersten Frankfurter Vorlesung fragt sich Ingeborg Bachmann, wie es in der Literatur der Gegenwart noch „neue Zündungen geben könnte?” und findet keine Antwort, denn „die Spezialisten, die Experten mehren sich. Die Denker bleiben aus”. Damit hat sie ahnungsvoll die Problematik ihrer eigenen Rezeptionsgeschichte angesprochen. Der Zündstoff, den ihre Dichtung legte, wird durch die historisch-kritische Ausgabe entschärft. Fast sollte man meinen, schon die Haltung, in der diese zu lesen ist, bringt eine andere Autorin hervor. Die früheren Ausgaben, leicht in der Hand zu halten und von Frauen vor allem gelesen, wirkten wie im Traum auf die Seele. Eine historisch-kritische Ausgabe in voluminösen, schweren Bänden erfordert einen Schreibtisch, Haltung und Distanz. Man mag die eifrige Dichterin bewundern, die von einem Werk Fassung um Fassung schafft; ihre Wirkung wird dadurch nicht größer. Die philologische Kritik ehrt den Dichter und entrückt ihn ins Archiv.
HANNELORE SCHLAFFER
INGEBORG BACHMANN: Kritische Schriften. Hrsg. von Monika Albrecht und Dirk Göttsche. Piper Verlag, München 2005. 842 Seiten, 49,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wenig begeistert zeigt sich Hannelore Schlaffer von der Neuedition der "Kritischen Schriften" von Ingeborg Bachmann. Der Band versammelt Vorträge, Texte für den Rundfunk, Preisreden, Vorlesungen und dergleichen. Hier lässt sich neben der schwermütigen auch noch eine andere Seite Bachmanns entdecken, die der Schriftstellerin, die "kluge Beobachtungen" verständlich formuliert, wie die Rezensentin einräumt. Den Text über "wunderliche Musik" für die Zeitschrift "Melos" hebt sie eigens hervor, der, wie sie feststellt, an "Heiterkeit" nichts zu "wünschen" übrig lässt. Trotzdem lässt Schlaffer durchblicken, dass es sich bei dieser Sammlung der publizistischen Arbeit Bachmanns nicht um poetische Texte handelt, die den "Puls der Zeit" so wie ihr poetisches und lyrisches Werk "beschleunigt" hätten. Die neue "Kritische Ausgabe" enthalte kaum Texte, die nicht bereits in der Werkausgabe von 1978 enthalten gewesen sind, verfügt aber über einen Kommentar, der laut Rezensentin "über die Maßen umfangreich" sei und der vor allem "seitenlang" die von Bachmann verwendeten Bücher auflistet und deren Einfluss auf ihr Schreiben untersucht, was die Rezensentin nicht besonders zu inspireren vermag. Vor allem aber stört Schlaffer, dass die "philologische" Ehrung, die mit einer so "voluminösen" Ausgabe einhergeht, grundsätzlich die Schriftstellerin "ins Archiv entrückt" und damit "entschärft".
© Perlentaucher Medien GmbH
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