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Der unter dem Titel "Gedachtes" stehende Band 81 der Gesamtausgabe vereinigt in sich vier Teile. Es sind: Der Erste Teil "Frühe Gedichte - Briefe - Gedachtes"; der Zweite Teil "Aus der Erfahrung des Denkens", ein von Heidegger Ende der dreißiger und in den vierziger Jahren eingerichtetes und in 16 Abschnitte untergliedertes umfangreiches Manuskript von Textstücken im Stile des Gedachten. Der Dritte Teil "Gedachtes für das Vermächtnis eines Denkens" ist eine Sammlung von Texten, die Heidegger seiner Ehefrau zu deren 80. Geburtstag am 3. Juli 1973 übereignet hat und die in den anschließenden…mehr

Produktbeschreibung
Der unter dem Titel "Gedachtes" stehende Band 81 der Gesamtausgabe vereinigt in sich vier Teile. Es sind: Der Erste Teil "Frühe Gedichte - Briefe - Gedachtes"; der Zweite Teil "Aus der Erfahrung des Denkens", ein von Heidegger Ende der dreißiger und in den vierziger Jahren eingerichtetes und in 16 Abschnitte untergliedertes umfangreiches Manuskript von Textstücken im Stile des Gedachten. Der Dritte Teil "Gedachtes für das Vermächtnis eines Denkens" ist eine Sammlung von Texten, die Heidegger seiner Ehefrau zu deren 80. Geburtstag am 3. Juli 1973 übereignet hat und die in den anschließenden Jahren noch erweitert wurde. Im Vierten Teil "Vereinzeltes" sind einzelne Textstücke aus der Zeit der Zweiten Hälfte der dreißiger Jahre bis in die letzten Lebensjahre Heideggers zusammengetragen. Die Textform des Gedachten ist eine besondere Gestalt des Denkens, die sich sowohl vom philosophischen Werk im strengen Sinne wie auch - und vor allem - vom Gedicht unterscheidet: "Dem äußeren Anschein 'Verse' und Reime - sehen die Texte aus wie 'Gedichte', sind es jedoch nicht." "Gedachte" Texte stellen in ihrem eigenen Selbstverständnis eine eigentümliche Möglichkeit des Denkens dar, die ihre eigene "seinsgeschichtliche" Notwendigkeit hat: sie sind "verwandt [.] dem Spruch der frühen Denker [.]. Verwandt vielleicht den Frühen des Denkens und doch eines anderen Geschicks des Seyns".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2007

Und Gedanken aus der Stille steigen
Die Entdeckung eines unbekannten Lyrikers: Der Philosoph Martin Heidegger hat für seine Frau Gedichte geschrieben, und sie sind gar nicht schlecht
In künftige Anthologien deutscher Lyrik gehören Verse, die bereits zwischen 1910 und 1975 entstanden sind, aber jetzt erst veröffentlicht wurden, Verse über lyrische Imagination: „Und Gedanken aus der Stille steigen, / wie aus dem bergverborgnen Dorfe / her der Stundenschlag . . .”, oder über den „Wiesenwind”: „Wenn im nirgend angehaltnen Stehen / eines Sommermittags / unversehen / herkunftlose Winde / durch die einverstandnen Gräser gehen, / hinbesänftigt Wellenspiel, / ein Gleiten, fast zu wenig, / ein Gedränge, schon zu viel . . .”, oder über das „Tagwerk des Denkens”: „Fügsamkeit der Füger / einer Sage aus dem Seyn. / Langsamkeit der Pflüger / für die Saat aus Sternenschein. / Einsamkeit der Hirten / einer unverjährten Pein . . .”
Der bislang unbekannte Lyriker heißt Martin Heidegger. Das Tagwerk des Denkens schloss er manchmal mit einem Feierabend des Dichtens ab. Er nannte die Gedichte und Sprüche, die wie Gelegenheitsverse zustande kamen, „Gedachtes”, damit sie an seine Hauptaufgabe als Philosoph erinnerten. Deshalb übergab er sie auch nicht dem Druck, der sie zu Poesie, zu Literatur gemacht hätte, sondern seiner Frau. Sie nehmen nun, aus dem Nachlass zusammengestellt, einen ganzen Band der „Gesamtausgabe” ein. Obwohl ursprünglich als private Aufzeichnungen nicht für eine Publikation bestimmt, setzt diese Edition Heideggers Gedichte dem literarischen Urteil aus. Sie bestehen die Prüfung: der Philosoph war kein schlechter Dichter.
Diese „gedachten” Gedichte verleugnen ihre Vorbilder nicht: Hölderlins späte Hymnen und Rilkes „Sonette an Orpheus” – Werke, um deren Auslegung, die Heidegger „Zwiesprache” nannte, er sich in Vorträgen und Aufsätzen bemüht hatte („Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung”, „Wozu Dichter?”). Mehr als in irgendeinem anderen Philosophen der Neuzeit sah Heidegger in den beiden Dichtern Hölderlin und Rilke ihm verwandte „Denker”, nicht weil sie etwa Gedankenlyrik von der Art Schillers verfasst hätten, sondern weil sie den Vorgang des Denkens im Gedicht sichtbar machten: misstrauend den hergebrachten Formulierungen, schwierig durch unvertrauten Satzbau, auf der Suche nach den verschütteten Bedeutungen uralter Wörter, zu kühnen Neubildungen bereit, wenn der unerhörte Gedanke es erforderte. In „dichtendem Gedenken” setzt Martin Heidegger Hölderlins und Rilkes „denkende Dichtung” fort.
Viele von Heideggers Gedichten sind nicht weniger dunkel als die seiner Vorbilder. „Dann sind wir bedacht mit Denken, / das wie Saat ein Säen / alles unsre überschenkt, / daß Geirre, dessen Schränken / mild bejaht, im Jähen / aus dem Seyn gelenkt” – hier fehlen „Erläuterungen zu Heideggers Dichtung”.
Ärgerlich ist es, wenn man philosophische Sätze nicht versteht, sind sie doch geschrieben, um verstanden zu werden. Der Leser eines dunklen Gedichts jedoch, mag es auch einen philosophischen Anspruch stellen, darf sich dem Klang der Wörter, dem Spiel der Reime, dem Rätsel der Bedeutung überlassen, als wäre es ein Zauberspruch. Auch wer mit Heideggers Denken nicht zurechtkommt, könnte sich an dieser poetischen Fassung des von ihm „Gedachten” erfreuen. Man darf seine Gedichte als Erholung von seiner Philosophie lesen.
Heidegger selbst freilich wäre mit einer solch bequemen Aneignung seiner gedachten Gedichte als gelungenen (nicht selten auch misslungenen) Exemplaren von Lyrik nicht einverstanden gewesen. „‚Gedachtes‘ dankt dem Dichter”, weil dieser dem Philosophen den Weg zu einer ursprünglichen Sprache weist, in der „Wörter wieder Wort” sind. Diese philosophisch-poetische Ursprache stehe, so postuliert Heidegger, dem von ihm unablässig umkreisten „Seyn” näher als alle Anstrengungen der Metaphysik, die Einheit der Welt zu erfassen und die Wahrheit ihrer Erkenntnis zu sichern. Heideggers Gedichte wollen „Gedachtes” heißen und eben nicht „Gedichte”, damit sie sich „abseits gängiger Straßen” halten und nicht ästhetisch konsumiert werden können. Sie sollten „verwandt vielleicht den Frühen des Denkens” sein, der dichterischen, häufig in Versen gefassten Philosophie der Vorsokratiker, besonders der des Parmenides.
Als wären es Zaubersprüche
Dieser griechische Philosoph des fünften Jahrhunderts vor Christus trug seine Lehre, dass es nichts als das Sein gebe und dieses – gegen den Anschein von Verschiedenheit und Wechsel – immer ein und dasselbe sei, als mythische Erzählung vor: Göttinnen hätten ihn auf einer Himmelsreise zum Tor des Lichts und zum Haus des Seins gebracht, weshalb er nun unfehlbar im Besitz der Wahrheit sei. Auf solch einen „Weg” zur „Lichtung” sollte auch Heideggers „Kehre” führen. Da seine philosophischen Schriften diese Kehre zwar ankündigten, nicht aber herbeizuführen vermochten, hoffte er, durch die Auslegung anderer Dichter und durch den Versuch eigener Gedichte bei der Irrfahrt zur Wahrheit des Seins ihr ein Stück näherzukommen.
Kein Wort kehrt in den Gedichten so obstinat wieder wie das „Seyn”, das alte, volle, ganze, tiefe „Seyn”, wie er es schreibt, im Unterschied zum alltäglich gebrauchten „Sein”. Erfinderisch reichert Heidegger das Hauptwort seiner Ontologie mit kühnen Metaphern an: „Verborgenheit des Seyns”, „Geäst des Seyns”, „Ring des Seyns”, „Gedicht des Seyns”. Metaphern eröffnen trügerische Zugänge zum Unerreichbaren. Um zu erreichen, was der menschlichen Erkenntnis zu begreifen versagt ist, überfordert Heidegger die Möglichkeiten der Sprache. „Weg ist Weg im Unterwegs, / das führt und lichtet, / bringt und dichtet.” Dem Uneingeweihten – und wer außer Heidegger wäre eingeweiht? – ist es unmöglich, in diesen Versen den Tiefsinn vom Nonsens zu scheiden: „Erstehe die Jähe, / denn sie ist die Nähe. / Wahre die Wahrnis, / denn sie ist die Sparnis.” Wie in Heideggers philosophischen Schriften gehen auch in einigen Gedichten gewollte Bezauberung und ungewollte Komik der Wörter ineinander über.
Selbst die eigenwilligste Behandlung der Sprache bringt Heidegger dem Ziel nicht näher, dem Ort, wo das Sein sich endlich lichtet. Daher erwägt er, ob es nicht besser wäre, auf die Sprache überhaupt zu verzichten und zu schweigen. „Geh ins Gebirg / verschenk das Gedicht.” Er hat es, woran er nicht dachte, der Nachwelt geschenkt. HEINZ SCHLAFFER
MARTIN HEIDEGGER: Gedachtes. Gesamtausgabe, Band 81. Herausgegeben von Paola-Ludovika Coriando. Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2007. 360 Seiten, Leinen 59 Euro, kartoniert 52 Euro.
Jetzt aus dem Nachlass veröffentlicht: Die Poesie von Martin Heidegger (hier in den zwanziger Jahren), die er „Gedachtes” nannte. SV-Bilderdienst
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Diese Gedichte, die der Philosoph Martin Heidegger nicht als Gedichte, sondern als "Gedachtes" verstanden wissen wollte, waren nicht der Öffentlichkeit, in die sie nun treten, sondern einzig seiner Ehefrau zugedacht. In der Öffentlichkeit aber, auch als Gedichte, machen sie sich, wie der hier rezensierende Literaturwissenschaftler Heinz Schlaffer fast schon staunt, gar nicht schlecht. Das Vorbild Hölderlin, dem sich Heidegger als Philosoph so obsessiv widmete, klinge zwar aus des Philosophen gedachten Gedichten durchaus heraus; aber beinah behaupten sie sich gegen Hölderlins Werk. Manche jedenfalls. Gerade die Verächter der Heidegger'schen Philosophie dürften mit ihnen sogar mehr anfangen können, mutmaßt Schlaffer, als mit dem philosophischen Werk, schließlich sei in der Lyrik, anders als im Denken, das Hermetische nicht Zumutung, sondern eventuell sogar Tugend. Andererseits finde sich auch im lyrisch Gedachten jene für den Philosophen typische Zone der Ununterscheidbarkeit zwischen tiefem Ernst und unfreiwilliger Komik. Als Beispiel zitiert Schlaffer diese Zeilen: ""Erstehe die Jähe, / denn sie ist die Nähe. / Wahre die Wahrnis, / denn sie ist die Sparnis."

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