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Jedes geschichtliche Thema kann mit dem gleichen Recht aus unendlich vielen Perspektiven betrachtet werden. Götz Aly liebt den Wechsel des Blickwinkels auf das 20. Jahrhundert: Warum haben die Deutschen die jahrzehntelange Menschenrechtspolitik des Wilhelminischen Deutschland zugunsten der rumänischen Juden vergessen? Da sie nicht in die angeblich geradlinige Entwicklung des deutschen Antisemitismus zu passen? War der Begriff "Sozialismus" im Namen der NSDAP eine reine Propagandaformel oder versprachen sich tatsächlich viele Deutsche ein Mehr an Gerechtigkeit?
Götz Aly gibt Antworten, die
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Produktbeschreibung
Jedes geschichtliche Thema kann mit dem gleichen Recht aus unendlich vielen Perspektiven betrachtet werden. Götz Aly liebt den Wechsel des Blickwinkels auf das 20. Jahrhundert: Warum haben die Deutschen die jahrzehntelange Menschenrechtspolitik des Wilhelminischen Deutschland zugunsten der rumänischen Juden vergessen? Da sie nicht in die angeblich geradlinige Entwicklung des deutschen Antisemitismus zu passen? War der Begriff "Sozialismus" im Namen der NSDAP eine reine Propagandaformel oder versprachen sich tatsächlich viele Deutsche ein Mehr an Gerechtigkeit?
Götz Aly gibt Antworten, die für diejenigen ungemütlich sind, die sich gerne auf der besseren Seite der Geschichte sehen.

Pressestimmen:
»Mit der ihm eigenen Lust an der Zuspitzung stellt Aly den Nationalsozialismus bewusst in einen Zusammenhang der egalitären Bewegungen und Utopien im 20. Jahrhundert. Aber Vorsicht: Wer in Aly nur den Provokateur sieht, verkennt in ihm den Moralisten. Es gibt in diesem Buch einen Satz, der hinter dem Sarkasmus die Empfindsamkeit zu erkennen gibt: 'Geschichte erfordert Demut und hält nur die eine Lehre bereit: Niemand steht auf der sicheren Seite.'«
Michael Wildt, Die Zeit, 20.3.2003

»Immer aber ist Aly für scharfsinnige Beobachtungen, pointierte Urteile und überraschende Wendungen gut.«
Andreas Eckert, Literaturen, 4/03

»Aber auch im Dritten Reich erwiesen sich die Verhältnisse zwischen Nazis und Kapitalisten als nicht so eindeutig, wie heute viele glauben. Das zeigt der Berliner Historiker Götz Aly in seiner atemberaubenden Aufsatzsammlung 'Rasse und Klasse'. Sie ist geeignet, bisherige Gewissheiten über den Nationalsozialismus über den Haufen zu werfen und Aufregung zu erzeugen, wie es Aly schon mit seiner fulminanten Studie über den Judenmord ('Endlösung') gelang.«
Christian von Ditfurth, Die Welt, 3.5.2003
Autorenporträt
Götz Aly, geboren 1947, besuchte die Deutsche Journalistenschule in München, studierte Geschichte und Politische Wissenschaften (Dr. rer. pol.) in Berlin. Er hat wichtige Veröffentlichungen zur Sozialpolitik und zur Geschichte des Nationalsozialismus vorgelegt. Ausgezeichnet wurde er mit dem "Heinrich-Mann-Preis" der Akademie der Künste zu Berlin, dem "Marion-Samuel-Preis" der Stiftung Erinnern und 2012 mit dem "Börne-Preis".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2003

Miniaturen des Grauens
Götz Aly auf den Spuren von Henrik Ibsen: Ordnungsmenschen erster Rasse und Klasse sehen uns an / Von Stefan Breuer

Götz Aly ist im vergangenen Jahr mit dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet worden. In seinem neuen Buch - einer Sammlung von siebenundzwanzig kleineren, meist aus tagespolitischem Anlaß entstandenen Texten - bewegt er sich freilich in Bahnen, die eher eine Nähe zu einem anderen Autor erkennen lassen, dessen lebenslange Obsession die Enthüllung der Verbrechen war, auf denen die sogenannte Normalität ruht: Henrik Ibsen.

Immer wieder hakt sich Aly an Geschichten fest, die die Verwurzelung der Gegenwart im Abgründigen belegen und die Distanzierungsmechanismen untergraben, mit denen ein selbstgerechter Antifaschismus sich auf die sichere Seite zu bringen pflegt. Ob es um den Jenenser Kinderarzt geht, dessen Beteiligung am Euthanasieprogramm von der Stasi zugedeckt wurde, um einen Nationalpreisträger der DDR nicht zu beschädigen; ob um den Rügener Großgrundbesitzer, dessen Enteignung vom Bundesverwaltungsgericht für Rechtens erklärt wurde, obwohl es sich um ein Opfer des NS-Regimes handelte; ob um die Planer des Völkermordes, die später eine Banker-Karriere machten, oder um die Hunderttausende von Schnäppchenjägern, die aus der Arisierung ihren Vorteil zogen - stets sind es nicht irgendwelche Monster oder Dämonen, die hier agieren, sondern höchst gewöhnliche Durchschnittsexistenzen, Typen vom Schlage jenes rechtschaffenen Schaffners, von dem Ernst Jünger träumte, er könne einem ebensogut ein Loch in den Kopf knipsen wie in die Fahrkarte.

Aly führt sie nicht vor, er zeigt nicht mit dem Finger auf sie, aber er macht klar, welches Potential in dem steckt, was Max Weber einst den Ordnungsmenschen nannte. Eine kleine Veränderung der Rahmenbedingungen, und schon mutieren Koryphäen der Kinderheilkunde zu Zuhältern einer Mordmaschinerie, ohne doch deshalb aufzuhören, Gutes zu tun, nehmen Familien die Entsorgung ihrer für geisteskrank erklärten Mitglieder protestlos hin und lassen es deswegen doch den übrigen gegenüber nicht an Sorge und Liebe fehlen.

Das Buch besteht indes nicht nur aus solchen Miniaturen des Grauens. Im letzten Text, "Hitlers Volksstaat" überschrieben, unternimmt Aly den Versuch, das Geschehen zwischen 1933 und 1945 in einen größeren Zusammenhang einzubetten. Der Nationalsozialismus, so seine These, sei in Deutschland bis zuletzt immer wieder mehrheitsfähig gewesen, weil er in die erstarrte und verkrustete Gesellschaft eine spezifische Form von Modernität hineinbrachte - Modernität auf technischem und organisatorischem Gebiet, Modernität aber auch und vor allem im Sinne einer "massenhaften sozialen Aufwärtsmobilisierung", die sich als "konkrete Utopie für einfache Deutsche" darbot. Daß dieser soziale Aufstieg über die Leichen der Juden erfolgte, erwies sich dabei zu keinem Zeitpunkt als Hinderungsgrund, nicht in den Vorkriegsjahren, als nur erst die deutschen Juden entrechtet und ausgeplündert wurden, und auch nicht im Krieg, als dieser Kreis auf die Juden der besetzten Länder ausgedehnt wurde.

Unter dem Nationalsozialismus wurde Deutschland eine gigantische Zugewinngemeinschaft - und zwar nicht bloß, wie Aly eindringlich vor Augen führt, in seinen Spitzen, sondern in seiner ganzen Breite, quer durch alle Schichten hindurch. Anhand der Steuerpolitik vermag Aly zu belegen, daß die unteren und mittleren Einkommen bis Kriegsende von jeder direkten Kriegssteuer verschont blieben und auch die indirekten Steuern höchst moderat ausfielen, sehr im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg. Finanziert wurde der Krieg zum einen durch eine relativ höhere Besteuerung der oberen Einkommensgruppen - vier Fünftel des Steueraufkommens wurden von rund dreizehn Prozent der Steuerzahler aufgebracht - und durch Umlagen auf die eroberten Staaten, die sich ihrerseits an ihren Juden schadlos hielten - eine Tatsache, die Aly zu dem Fazit verdichtet, Hitler-Deutschland sei im Krieg zum "Umverteilungsstaat par excellence" geworden. Der bekannte Satz Max Horkheimers, daß, wer vom Kapitalismus nicht reden wolle, vom Faschismus schweigen sollte, erscheint von daher gesehen revisionsbedürftig. Die von Aly angebotene Fassung lautet: "Wer von den vielen Vorteilen für die Millionen einfacher Deutscher nicht reden will, der sollte vom Nationalsozialismus und vom Holocaust schweigen."

Vor diesem Satz gibt es kein Ausweichen. Er ist richtig. Folgt daraus aber, was Aly gleich im Anschluß hinzufügt: daß der Nationalsozialismus, einschließlich seiner ungeheuerlichen Verbrechen, "im größeren Zusammenhang der egalitären Bewegungen und Utopien im zwanzigsten Jahrhundert" steht, daß die Ermordung der europäischen Juden als Teil einer Politik zu begreifen ist, "die ihre Kraft aus der Gleichheitsidee bezog"? Das ist abwegig. Dem Nationalsozialismus, der Teil der politischen Rechten war, galten die Französische Revolution und damit auch das Gleichheitsprinzip als Chiffren für alles, was man haßte und verachtete. Sowohl die Nationalisten als auch die Rassendoktrinäre in der Partei ließen niemals einen Zweifel daran, daß ihre primäre Präferenz dem galt, was die Menschen ungleich macht.

Allerdings, darin liegt das Wahrheitsmoment von Alys These, gab es im Nationalsozialismus Strömungen, die bereit waren, unter der genannten Prämisse ein erhebliches Maß an Egalitarismus nicht nur zuzulassen, sondern zu fördern, sei es in der Steuer-, der Familien- oder der Sozialpolitik. Der Kampf um die Vorherrschaft in Europa und in der Welt - also der Kampf für eine Ordnung der Ungleichheit -, das wußten diese Kreise genau, war nur zu gewinnen mittels einer im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg nun wirklich totalen Mobilmachung; totale Mobilmachung aber verlangte ein Maß von Einsatz- und Opferbereitschaft, wie es niemals mit bloßen Zwangsmitteln zu bewirken war. Das Füllhorn von materiellen und ideellen Gratifikationen, wie es über den arischen Volksgenossen und -genossinnen ausgeschüttet wurde, war deshalb Mittel zum Zweck, und dieser Zweck war keineswegs die Erreichung größerer Gleichheit, sondern größerer Ungleichheit zwischen den Großkollektiven, sei es der Nation oder der Rasse. Man kann von Aly viel lernen, aber in diesem Punkt überzieht er seine Sache.

Götz Aly: "Rasse und Klasse". Nachforschungen zum deutschen Wesen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003. 254 S., geb., 18,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Texte von Götz Aly sind meistens eine Zumutung im positiven Sinn, behauptet Christoph Jahr und spricht dem Berliner Historiker und Publizisten ein Kompliment aus, weil er seinen Lesern auch "ungewohnte Perspektiven und verstörende Komplimente" zumute. Aly hat sich vor allem mit der Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust beschäftigt; seine Kernthese steckt bereits im Titel dieser Aufsatzsammlung, behauptet Jahr: "Rasse und Klasse". Das sozialpolitische Programm der Nationalsozialisten sei es gewesen, dass ihr Regime nach Aly bis fast zum Schluss zu einer "Zustimmungs"-Diktatur gemacht habe, weil viele der gewöhnlichen Deutschen davon profitiert hätten und es den Anpassungsbereiten soziale Aufstiegschancen einräumte. Trotz einer großen Umverteilung erscheint es Jahr etwas gewagt, wie Aly den Nationalsozialismus mit anderen egalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts gleichzusetzen. Macht nichts, sagt Jahr, man müsse Aly ja nicht in allen Konsequenzen folgen und auch seinen sarkastischen und gelegentlich etwas eitlen Stil nicht immer mögen, überlegenswert seien seine provokanten Thesen immer.

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