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Produktdetails
  • Verlag: Lettrétage
  • Seitenzahl: 224
  • Erscheinungstermin: 25. April 2013
  • Deutsch
  • Abmessung: 216mm x 137mm x 22mm
  • Gewicht: 374g
  • ISBN-13: 9783981206227
  • ISBN-10: 3981206223
  • Artikelnr.: 26882968
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.07.2010

Das Vorbild aus Montevideo
Von Uruguay lernen: Junge deutschsprachige Autoren verfassen „Coverversionen“ zu Texten von Juan Carlos Onetti
Er vor allem hat Uruguay in den Atlas der literarischen Moderne eingezeichnet: Juan Carlos Onetti, der Anfang Juli 1909 in Montevideo geboren wurde, zweimal nach Buenos Aires ging, in seiner Heimatstadt 1974 während der Militärdiktatur zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, nach der Entlassung 1975 Uruguay verließ und nach Madrid übersiedelte, wo er 1994 starb. Lange sah er aus wie ein etwas südlicherer Sartre, verwandelte sich aber im Alter in eine Art Hemingway.
Doch trotz einiger würdigender Artikel im vergangenen Sommer, als er hundert Jahre alt geworden wäre, hat sich wenig daran geändert, dass dieser bedeutende Autor der lateinamerikanischen Literatur hierzulande nach wie vor ein großer Unbekannter ist. Das liegt auch daran, dass Onetti, sich der landläufigen Marke „südamerikanische Literatur“ kaum subsumieren lässt.
Gabriel García Márquez hat sein Macondo aus „Hundert Jahre Einsamkeit“ zu einem der berühmtesten Schauplätze der Weltliteratur gemacht. Juan Carlos Onettis imaginäre Provinzstadt Santa María, ein Ort, der beinahe allen Werken und vielen Figuren seines Autors einen gemeinsamen Rahmen gibt, wartet noch auf diese Rolle. Wer auf der Suche nach einem lebensprallen, exotischen Südamerika ist, kann leicht an diesem Ort vorbeireisen.
Santa María ist kein Dorf, in dem Wunder leicht vorstellbar sind, sondern eine Stadt, die abgelegen sein mag, aber ihre Autos und Apotheken hat, ihr Konservatorium und ihre Konsumgenossenschaft, und nicht zuletzt ihre Verwaltung und Bürokratie. Onettis Variante des magischen Realismus wirkt eher kalt und unheimlich, ist aber überaus abwechslungsreich und erhellend, ein unerschöpfliches Repertorium menschlichen Verhaltens..
In aller Welt hat darum Onetti seine Bewunderer unter den Schriftstellern. Das zeigt nun für den deutschsprachigen Bereich der Band „Covering Onetti“, in dem sich junge Autorinnen und Autoren mit Erzählungen des uruguayischen Klassikers der Moderne auseinandersetzen, indem sie sich einzelne seiner Texte zum Vorbild nehmen. Die Beiträge bilden zugleich das erste Buch des neuen Verlags lettrétage, der sich aus einem Berliner Literaturtreffpunkt entwickelt hat.
Vier sehr unterschiedliche Erzählungen des mittleren und späten Onetti haben Moritz Malsch und Katharina Deloglu für ihr „Covering Onetti“-Projekt ausgewählt: „Montaigne“, die organisierte Selbstmordfeier eines Exzentrikers, die auch „Petronius“ hätte heißen können; „Die Araukarie“, in der eine sterbende alte Frau sich als Geschwisterinzestpartnerin outet; „Dasein“, die Geschichte eines Mannes, der durch das Verschwinden einer Freundin zu Geld gekommen ist, und „Das so gefürchtete Inferno“, das im Milieu einer Zeitungsredaktion spielt.
Die Reaktionen der jungen Autoren fallen sehr verschieden aus. Vielleicht kann man sagen, dass eine Gruppe sich Thema und Gestus Onettis eher anzuschmiegen versucht, damit in eine ähnliche, möglicherweise aktuellere Richtung vorstoßen möchte. So geschehen etwa bei Jörg Albrecht, der den „öffentlichen“ Selbstmord aus „Montaigne“ in eine Fernsehszenerie verlegt.
Auch Luise Boege geht von „Montaigne“ aus, bewegt sich aber weiter von der Vorlage weg. Ohne sozial-technische Anpassung führt sie ihrer Ich-Erzählung eine obskure Schweizer Hebamme zu, die bei Onetti nichts zu suchen hat, und scheinbar auch nichts in Boeges eigener Erzählung. Trotzdem hat man das Gefühl, die lässige Freiheit dieses vom „Original“ so verschiedenen Texts sei durch das allen Abweichungen offene Konzept von Onettis Schreiben, durch oft surreal anmutende Handlungswendungen und Figurenwandlungen mit hervorgebracht.
Formal sieht es so aus, dass manchmal einzelne, teils kursiv gesetzte Sätze als jene Onettis erkennbar sind. Manchmal werden Motive, manchmal sogar die Figurennamen übernommen. Anderen Autoren geht es um grundlegendere Verwandtschaften oder Distanzen. Sonja A. Petners „Dasein“ wirkt beinahe wie eine Gegenerzählung zum gleichnamigen Text Onettis. Vor allem, weil sie das Thema des Todes, um das Onettis Original kreist, durch medizinische Details im Ton verschärft.
Nora Bossong modifiziert dieselbe Erzählung raffiniert. Bei Onetti geht es darum, dass eine Frau verschwunden ist und ein Geldsegen über den Ich-Erzähler nieder gegangen ist. Dies offenbar auch, weil die Zeitung „Liberal“, die der vierten Erzählung des vorliegenden Bandes das Milieu gibt, in der dritten schon verkauft worden ist, damit aber auch die Freiheit. Das Geld, das auf einmal dem Ich-Erzähler gehören soll, empfindet er als „schmutzig“. Bei Nora Bossong hat der männliche Ich-Erzähler „geerbt“, was ein ähnliches Gefühl auslöst. Das Geld ist nicht richtig schmutzig, aber es „lag auf meinem Konto und wurde von Tag zu Tag schwerer“.
Eine Frau hat sich „totschreiben“ lassen. Der verwirrte, durch das Geld belastete Mann gibt bei einem Detektiv, der auch bei Onetti eine Rolle spielt, eine Suchanzeige nach ihr auf. Bereitwillig findet der Detektiv ein paar Opfer.
Mit den verwinkelten Vorlagen des Uruguayers Onetti ist vieles möglich, gerade dort, wo das Original erkenntlich bleibt. Selbstbewusst bekennen sich die hier versammelten Autorinnen und Autoren zu einer Tradition der Abweichung, lassen sich, natürlich mit unterschiedlichem Geschick, auf die Erzählweise des fernen, großen Vorbildes ein. Dieser lehrt am Ende eigentlich nur eines: den eigenen Weg zu gehen, um wie viele Kurven und Ecken er auch führen mag.
HANS-PETER KUNISCH
MORUTZ MALSCH, KATHARINA DELOGLU (Hrsg.): Covering Onetti. Mit einem Vorwort von Thomas Klupp und elf Beiträgen von Jörg Albrecht bis Gerhild Steinbuch. Verlag Lettrétage, Berlin 2009. 213 Seiten, 19,50 Euro.
Wer auf der Suche nach einem
lebensprallen, exotischen
Südamerika ist, kann an Onettis
Welt leicht vorbeigehen
In aller Welt hat
Juan Carlos Onetti, Erfinder der
imaginären Stadt Santa María,
Bewunderer gefunden
Uruguay als Ort der Literatur: Wo Zwielicht ist, da beginnt die Welt des Juan Carlos Onetti. Markthalle in Montevideo. Foto: Susanna Rescio / Bilderberg
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nicht nur bei uns wird der 1994 gestorbene Schriftsteller Juan Carlos Onetti, der wichtigste uruguayische Vertreter der klassischen Moderne, nicht angemessen beachtet, meint Hans-Peter Kunisch. Deshalb findet er die Auseinandersetzung junger, deutschsprachiger Autoren mit vier Erzählungen Onettis schon mal begrüßenswert. Die Textantworten der Autoren sind alles in allem sehr verschieden und schwanken zwischen enger Anlehnung an Onettis Erzählungen über freies Weiterschreiben bis gar zu einer Art "Gegenerzählung", stellt der Rezensent durchaus gefesselt fest. Da gibt es "raffinierte" Modifizierungen wie im Fall von Nora Bossongs Reaktion auf Onettis "Dasein" oder relativ eng an der Vorlage orientierte, Aktualität suchende  Fortschreibungen wie Jörg Albrechts "Montaigne"-Variation, so Kunisch. Am wichtigsten aber scheint dem Rezensenten zu sein, dass all diese Texte letztlich hervorheben, was für enormes literarisches Potenzial in Onettis Erzählungen steckt.

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