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Jochen Schimmang erzählt vom Leben an sich auflösenden Grenzen, ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Bonner Republik.»Wer an der Grenze steht, kommt schnell mal einen Schritt vom Wege ab und gerät auf die andere Seite des Schlagbaums.«Der geschasste Bonner Politikberater Gregor Korff hat sich abgefunden mit den Umwälzungen in seinem Leben, und er profitiert sogar davon: Eine Episode aus seiner Vergangenheit hat ihm in Form eines Bestsellerromans ein recht beachtliches Vermögen eingebracht, und so ist er heute, in den 2010er Jahren, Besitzer eines ehemaligen Zollhauses an der…mehr

Produktbeschreibung
Jochen Schimmang erzählt vom Leben an sich auflösenden Grenzen, ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Bonner Republik.»Wer an der Grenze steht, kommt schnell mal einen Schritt vom Wege ab und gerät auf die andere Seite des Schlagbaums.«Der geschasste Bonner Politikberater Gregor Korff hat sich abgefunden mit den Umwälzungen in seinem Leben, und er profitiert sogar davon: Eine Episode aus seiner Vergangenheit hat ihm in Form eines Bestsellerromans ein recht beachtliches Vermögen eingebracht, und so ist er heute, in den 2010er Jahren, Besitzer eines ehemaligen Zollhauses an der niederländischen Grenze, wo er zurückgezogen lebt. Lange Zeit ist ein pensionierter Zöllner sein einziger Kontakt, dann aber kommt frischer Wind in sein Leben: Er lernt einen enttarnten 'Landesverräter' kennen; zwei serbische Kinder besuchen ihn auf der Durchreise; übers Kino tritt er in Kontakt mit zwei jungen Leuten aus der nahen niederrheinischen Kleinstadt, und ein Freund aus Gregors aktiven Tagen stattet ihm einen Besuch ab. Der »alte Spinner vom Zollhaus« wird nach und nach wieder vergesellschaftet. Gregor Korff ist definitiv nicht auf der Höhe der Zeit, und eben dieser Abstand schärft seinen Blick.»Altes Zollhaus, Staatsgrenze West« ist ein kluger, subtil komischer Roman über die Freundschaft, das Alter und das Verschwimmen von Zeiten und Grenzen.
Autorenporträt
Jochen Schimmang, geboren 1948, studierte Politische Wissenschaften und Philosophie an der FU Berlin und lehrte an Universitäten und in der Erwachsenenbildung. Er ist freier Schriftsteller und Übersetzer und lebt in Oldenburg. 2010 erhielt er für seinen Roman »Das Beste, was wir hatten« den Rheingau Literatur Preis und 2012 den Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar für »Neue Mitte« sowie die Künstlerstipendien der Villa Concordia in Bamberg und des Künstlerhauses Edenkoben. 2017 erschien sein Roman »Altes Zollhaus, Staatsgrenze West« und 2019 der Erzählungenband »Adorno wohnt hier nicht mehr«. 2019 wurde Jochen Schimmang mit dem Walter Kempowski Preis für biografische Literatur des Landes Niedersachsen ausgezeichnet, 2021 erhält er den Italo-Svevo-Preis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.03.2017

Ästhetik
des Verrats
Jochen Schimmangs neuer Roman
setzt sich über Grenzen hinweg
Die Grenzen kehren wieder, wer wüsste es nicht. Schon das letzte Buch des 1948 geborenen Jochen Schimmang hatte geheißen „Grenzen, Ränder, Niemandsländer“; nun legt er nach mit „Altes Zollhaus, Staatsgrenze West“.
Staatsgrenze West, das hatte einmal die schwerbefestigte Anlage gemeint, mit der die DDR sich gegen ihren innigen Todfeind, die Bundesrepublik, wappnete. Gregor Korff, der Protagonist von Schimmangs neuem schmalen Roman, hatte der alten Bonner Republik als politischer Berater gedient und zu spät bemerkt, dass seine große Liebe Sonja in Wahrheit von der Stasi auf ihn angesetzt worden war. Dieses sogenannte Sonja-Komplott (es klingt wie eine Nachspeise) beendete seine Karriere; aber da er mithilfe eines Ghostwriters einen Bestseller daraus destillierte, sogar mehrteilig fürs Fernsehen verfilmt, bot es ihm doch auch die Gelegenheit, einen wohlversorgten Ruhestand anzutreten. Gregor zog sich zurück und kaufte die alte und nunmehr überflüssige Zollstation von Granderath am Niederrhein. Das Wort von der Staatsgrenze West hat sich entdramatisiert: es meint nunmehr die zu Holland im Zeichen von Schengen und Maastricht.
Gregor freundet sich mit dem neunzigjährigen Martin an, der früher in diesem Haus als Zöllner Dienst tat und nun immer wieder zu Besuch kommt, um über die „klassischen“ Zeiten von Zoll und Grenze zu plaudern, als man hier noch die kleinen Kaffeeschmuggler fing oder später auf vermeintliche RAF-Terroristen schoss. (Was musste die Frau auch so hastig ihre Brieftasche zücken!) Gregor, seinem Wesen nach ein ruhiger Einzelgänger, schließt im Verlauf des Buchs noch andere Freundschaften: mit dem auch schon hoch in den Achtzigern stehenden Piet Groeneveld, der ein paar Meter weiter auf niederländischem Boden lebt und erst kürzlich durch fleißige investigative Journalisten als früherer Doppelagent zwischen Ost und West enttarnt worden ist (alles verjährt); und mit dem jungen Paar Uma und Hanno. Hanno promoviert über Carl Schmitt, Uma über die Ästhetik des Verrats. Alle haben sie, sei es theoretisch, sei es praktisch, irgendwie mit Grenzen und deren mehr oder weniger illegaler Überwindung zu tun. In die Berichte von Gregors spärlichen Tagesaktivitäten sind regelmäßig seine Träume eingestreut, denn für einen alten Menschen sind Träume so wirklich wie die Tageswelt und nicht minder der Erinnerung wert. Da tritt ihm zum Beispiel ein Alb entgegen, worin Mannschaften in gepanzerten Fahrzeugen die alte Grenze wieder hochziehen und ihn aus seiner gemütlichen Zollstation vertreiben, denn die würde jetzt wieder für ernste Zwecke gebraucht …
In der Tageswelt lädt Gregor die neuen Freunde, obwohl oder weil sie einander nicht kennen, alle zu seinem Geburtstag ein. Man plaudert über Literatur, zu der jeder seine speziellen Beziehungen unterhält (der Leser fühlt sich bei solch anspielungsreichem Geplänkel nicht selten ausgeschlossen), am meisten aber zu Arno Schmidt. Arno ist in Ordnung, bei Carl gelten Vorbehalte. Eine besondere Rolle spielen zwei zehn- oder zwölfjährige Kinder aus Serbien, die Gregor eines Nachts auf ihrem Weg durch Europa beherbergt, welchen sie Hand in Hand zurücklegen, als wäre es bloß ein Spaziergang. Zwar klauen sie ihm sein Bargeld, das sie für die Wegzehrung brauchen; aber als sie endlich in Amsterdam ankommen, entschuldigt und bedankt sich ihr Onkel brieflich bei Gregor und lädt ihn ein. Der letzte Satz des Buchs zeigt Gregor, wie er in Amsterdam auf die Hausklingel drückt, in Erwartung der Dinge, die nun geschehen werden. Ein Siebzigjähriger, damit endet das Buch, bricht trotz seiner tiefen, von alten Grenzen herrührenden Narben noch einmal auf zu neuen europäischen Ufern.
Schimmang seinerseits ist nicht mehr weit vom Siebzigsten entfernt. Sein Buch atmet die Leichtigkeit und Gelassenheit eines Alterswerks, das sich nicht mehr so wichtig nimmt. Das gibt ihm einen angenehmen, heiteren Ton. Wenn man Menschen als sie selbst wahrnimmt und nicht mehr primär als Mittel oder Hindernisse der eigenen Pläne, öffnen sie sich auf überraschende Weise.
Auf Schimmangs Buch lauern indessen zwei Gefahren. Das scheinbar Absichtslose all dieser Begegnungen lässt doch sehr die bemühte Absicht erkennen, die Grenzüberschreitung verhärteter Herzen ins Werk zu setzen. Und die Rührung, dass ihm dies gelingt (wie sollte es nicht gelingen, da der Autor es so will), kann es zuweilen nur schwer verbergen. „,Ich liebe alle Schafe‘, sagte Manuel in diesem Moment, ‚das habe ich noch nie jemandem erzählt.‘ Er stand jetzt hinterm Schuppen und starrte auf die Herde, und ich sah, wie ein paar stille Tränen langsam seine Wangen hinabflossen.“ Manuel (er taucht beim Geburtstag eher zufällig auf) ist ein Frankfurter Banker. Einen Roman, der Banker über Schafe weinen und solche Ergriffenheit kommentarlos im Raum stehen lässt, trennt nur Haaresbreite vom Kitsch.
BURKHARD MÜLLER
Jochen Schimmang: Altes Zollhaus, Staatsgrenze West. Roman. Nautilus Verlag, Hamburg 2017. 189 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 14,99 Euro.
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