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Wie entsteht der Sinn für den anderen in der menschlichen Entwicklungsgeschichte? Wie kommt die uneigennützige Hilfe für den anderen in die Welt? Das Problem quälte schon Charles Darwin, den Urvater aller Evolutionstheorie: In der natürlichen Auslese muss jeder Altruismus zum Störfaktor werden im rücksichtslosen Überlebenskampf der Arten. Das Gute bei Mensch und Tier, diese Achillesverse in Darwins revolutionärer Theorie, hat seitdem die Wissenschaften, aber auch Politik, Philosophie und Religion beunruhigt. Dieses Buch beschreibt die Meilensteine eines der aufregendsten Kapitel unserer…mehr

Produktbeschreibung
Wie entsteht der Sinn für den anderen in der menschlichen Entwicklungsgeschichte? Wie kommt die uneigennützige Hilfe für den anderen in die Welt? Das Problem quälte schon Charles Darwin, den Urvater aller Evolutionstheorie: In der natürlichen Auslese muss jeder Altruismus zum Störfaktor werden im rücksichtslosen Überlebenskampf der Arten. Das Gute bei Mensch und Tier, diese Achillesverse in Darwins revolutionärer Theorie, hat seitdem die Wissenschaften, aber auch Politik, Philosophie und Religion beunruhigt. Dieses Buch beschreibt die Meilensteine eines der aufregendsten Kapitel unserer Wissenschaftsgeschichte und wird dabei selbst zu einem Meilenstein für eine verständliche Beschreibung dieser Theorien, seiner Debatten und Kämpfe.
Autorenporträt
Lee Alan Dugatkin forscht als Professor der Biologie an der University of Louisville USA. Er ist Autor populärer Wissenschaftsbücher über die Gabe der Kooperation von Tier und Mensch: "Wie kommt der Altruismus in die Welt?" ist sein jüngstes Buch.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.06.2008

Haben Sie ein Altruismus-Gen?

Nächstenliebe ist ja schon schwierig genug, die Fernstenliebe aber ist in der menschlichen Natur überhaupt nicht vorgesehen, glaubt der Biologe Lee Alan Dugatkin und begibt sich auf die Spuren berühmter Evolutionsforscher.

Nietzsche hatte es klar erkannt: Fernstenliebe wollte er die Menschen lehren, denn: "Eure Nächstenliebe ist eure schlechte Liebe zu euch selber. Die Ferneren sind es, welche eure Liebe zum Nächsten bezahlen." Der amerikanische Biologe und Autor Lee Alan Dugatkin erklärt in seinem neuen Buch, warum die Nächstenliebe schon schwierig genug, die Fernstenliebe dagegen evolutionär gar nicht vorgesehen ist.

Güte ist ein poetisches Wort für ein Phänomen, das Wissenschaftler Altruismus nennen und das schon Darwin "fast verrückt" machte. Wenn der Sinn des Lebens aus evolutionsbiologischer Sicht darin besteht, sich fortzupflanzen, wie können dann die unfruchtbaren Arbeiterkasten der Bienen, Wespen oder Ameisen entstehen?

Darwin fand keine gute Lösung auf diese Frage, ging aber mit der Vermutung, die "natürliche Zuchtwahl" sei auch auf die Familie, nicht nur auf das Individuum anwendbar, in die richtige Richtung. Blutsverwandtschaft lautet heute das Zauberwort: Wer Familienangehörigen hilft, sich zu reproduzieren, sorgt auch für die eigenen Gene. Bevor dies klar war, tobte ein ebenso weltanschaulich wie wissenschaftlich motivierter Streit um die Güte: Gibt es einen Selektionsdruck, nicht nur innerhalb der eigenen Familie, sondern auch Fremden gegenüber freundlich und großzügig zu sein?

Dugatkin verfolgt die Debatte um Nächsten- und Fernstenliebe in den Arbeiten und Biographien der Evolutionsforscher von Huxley bis Hamilton. In faszinierenden Porträts macht er deutlich, wie eng bei dieser Frage Biographie und Forschung zusammenhängen. Als Fachmann spart er aber auch nicht an subtilen Details, die die komplexen Altruismus-Modelle erst verständlich machen.

Die Welt, in der Thomas Henry Huxley aufwächst, ist durch eine starke Wirtschaftskrise geprägt. Elend bestimmt das Straßenbild, der Kampf ums Dasein den Alltag. Altruismus erlebt Huxley nur zu Hause. Ganz anders Pjotr Kropotkin: Überbevölkerung, Konkurrenzkampf und Malthus' Bevölkerungsgesetz erscheinen in der leeren russischen Weite absurd. In Sibirien findet Kropotkin überall gegenseitige Hilfe: Tiere drängen sich zusammen, um sich zu wärmen, Bauern leben in kleinen autarken Gruppen. Gegenseitige Hilfe, so schließt er, ist ein entscheidender Faktor für die Erhaltung des Lebens einer jeden Spezies, auch des Menschen - und zwar jenseits der Blutsverwandtschaft. Und wenn sich schon Tiere, Wilde und Barbaren gegenseitig helfen, dann können auch zivilisierte Gesellschaften ohne Regierung in Frieden leben.

Warder Clyde Allee, überzeugter Pazifist und Quäker, übernahm in den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts den Stab von Kropotkin. Er versuchte nachzuweisen, dass Kooperation zur Definition des Lebens gehöre, und suchte biologische Argumente gegen den Krieg. Ein brisantes Unterfangen, waren doch die Biologen der University of Chicago, an der Allee arbeitete, damit befasst, die moralischen Gebote der Natur zu entschlüsseln, um wissenschaftliche Grundlagen für die soziale Ordnung der Menschen zu finden. Allee fand kuriose Belege für seine Theorie: eine Gruppe von Asseln braucht länger, um auf Filterpapier zu vertrocknen, als eine einzelne Assel. Schneckenlarven, die man in Wasser gibt, in dem sich schon früher Schnecken befanden, entwickeln sich besser als solche in frischem Wasser.

Die moderne Forschung läutet der Umzug der Evolutionsbiologen von Feld und Labor an den Schreibtisch ein, so Dugatkin. Die Namen Haldane, Fisher und Wright stehen für mathematische Modelle, die es erlauben, die mögliche Verteilung bestimmter Merkmale zu berechnen. Die Anzahl der gemeinsamen Gene ist umso höher, je enger Lebewesen verwandt sind. Wenn es um die Vermehrung der eigenen Gene geht, ist ein Einsatz für andere also dann umso lohnender, je enger der Altruist mit ihnen verwandt ist. Mit seinen Geschwistern teilt man die Hälfte der Gene, mit den Kindern der Halbgeschwister der Großeltern dagegen nur ein Vierundsechzigstel.

Doch trotz ausgefuchster Modelle des "großen Triumvirats" war es William D. Hamilton, der mit der nach ihm benannten Regel das bahnbrechende Modell für Altruismus und Verwandtschaft lieferte: r × b >c. Ein Altruismus-Gen kann sich dann ausbreiten, wenn die Kosten für altruistisches Verhalten durch einen Nutzen kompensiert werden, den die Verwandten des Altruisten haben. Endlich hatten auch die Biologen eine richtige Formel. Spieltheoretische Modelle sollten bald folgen. Die seltsamen Nacktmullen illustrieren die Theorie. Als einzige Säugetiere leben sie wie Ameisen: nur die Königin pflanzt sich fort. Wegen Inzucht teilen die Individuen bis zu achtzig Prozent ihrer Gene und verhalten sich entsprechend kooperativ. Manche Arbeiter fallen allerdings durch Faulheit auf und werden von der Königin immer wieder gestoßen: Es sind genau die Individuen, mit denen die Königin am wenigsten verwandt ist.

Hamiltons Regel ist ein Meilenstein der Biologie und heute vor allem durch die Soziobiologie Edward O. Wilsons und die Theorie des egoistischen Gens von Richard Dawkins weltbekannt. Von einem Selektionsdruck, auch außerhalb der Familie ein netter Mensch zu sein, ward nichts mehr gehört, und über die trotz allem bisweilen vorkommende Fernstenliebe weiß weder Hamiltons Regel noch Autor Dugatkin etwas zu vermelden.

MANUELA LENZEN

Lee Alan Dugatkin: "Wie kommt die Güte in die Welt?" Wissenschaftler erforschen unseren Sinn für den anderen. Aus dem Amerikanischen von Kurt Beginnen. Berlin University Press, Berlin 2008. 184 S., geb., 34,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rezensentin Hilal Sezgin hat ihre Freude an Lee A. Dugatkins Rückschau auf Verhaltensbiologen, die in einer Zeit forschten, als die Gene noch unbekannt waren und die Darwin'sche Evolutionsbiologie den Diskurs bestimmte. Warum sich Tiere für ihre Artgenossen opfern, war ohne die Gen-Theorien, auf die man heute zurückgreife, schwer zu erklären. Dementsprechend hitzig wurde über solche Phänomene gestritten, was der Autor nach Sezgins Meinung recht "spannend" für den Leser aufbereitet. Die Rezensentin findet es bemerkenswert, dass die meisten der in dem Buch vorgestellten Biologen starke, zumeist sehr linke politische Überzeugungen pflegten - was sicher auch die Interpretation ihrer Naturbeobachtungen prägte. Außerdem stellt Sezgin fest, dass damals keine "Konflikte zwischen Evolutionstheorie und christlichem Glauben" ausbrachen - was den "heutigen amerikanischen Kreationisten zu denken geben sollte".

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