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Produktdetails
  • Verlag: Rohn
  • ISBN-13: 9783939486787
  • ISBN-10: 3939486787
  • Artikelnr.: 39283459
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Den klügsten Stadtdenker nennt Michael Mönninger Dieter Hoffmann-Axthelm. Dass sich der Autor mit seinen Polemiken und Ideen zur Reform der Berliner Stadtplanung und zur Abschaffung von Klientelismus, Ressourcenverschleiß und Blockadepolitik in den "Katastrophen-Ressorts" des Berliner Senats in der Hauptstadt-Politik keine Freunde macht, ist dem Rezensenten allerdings auch klar. Das Buch findet Mönninger umso lesenswerter, zieht es doch eine Bilanz aus Hoffmann-Axthelms Arbeit. Die neun versammelten und zum Teil unveröffentlichten Aufsätze sind laut Mönninger wohltuend frei von Lokalpatriotismus und durchaus über Berlin hinaus anwendbar. Etwa betreffend des Autors Begriff von Urbanisierung, der mit Herstellung von Zugänglichkeit und Stadtzusammenhang zu tun hat, wie Mönninger erklärt. Dass der Autor Albert Speer als modernen Stadtplaner beschreibt, gehört für den Rezensenten zu den streitbaren Seiten des Buches.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2014

Volle Breitseite auf Berlin

Sie ist die europäische Stadt mit der geringsten Verdichtung und der größten Dehnung: Dieter Hoffmann-Axthelm erklärt, was in Politik und Planung der Hauptstadt alles schiefläuft.

Im pechschwarzen Trauer-Umschlag legt Dieter Hoffmann-Axthelm sein "Berlin-Testament" vor, das wie ein Nachlass zu Lebzeiten eine Bilanz seiner Arbeiten zur Geschichte, Planung und Politik Berlins zieht. Vom Typus her ein Intellektueller, ist der Autor und Stadtplaner seit langem unter die Praktiker gefallen und hat nicht nur das Nachwende-Berlin, sondern die deutsche Planungsdebatte entscheidend geprägt. Gleichwohl wirkt seine Sammlung von neun komprimierten, teils unveröffentlichten Aufsätzen und Gutachten wie ein Massengrab guter Intentionen und gescheiterter Hoffnungen.

Durchweg auf die Hauptstadt bezogen und dennoch frei von Lokalpatriotismus, beschreibt Hoffmann-Axthelm die Irrtümer und Lebenslügen heutiger Stadtpolitik nicht nur in Berlin. Gegen die Inszenierung austauschbarer Leuchtturmprojekte und Kompetenzzentren setzt er seine Agenda: Auf den urbanistischen Schlachtfeldern des zwanzigsten Jahrhunderts liegen so viele materielle und räumliche Ressourcen herum, dass ernsthafte Modernisierung beim Recyceln der vorhandenen Stadt ansetzen muss.

Dass das keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt der Autor am verheerenden "Insel-Denken" aktueller Planungen. So wird das Berliner Zentrum zwischen Schloss und Alexanderplatz weiterhin sechsspurig durchfahren; statt an das räumliche Gedächtnis des Stadtgrundrisses anzuknüpfen, veranstaltet die Baupolitik ersatzweise dort archäologische Springprozessionen zwischen Grabungsinseln. Ähnlich einäugig wurden nach der Wende alle öffentlichen Mittel in die Ostberliner Großsiedlungen gesteckt, aber bei der Rettung der Altbauquartiere die Privatinvestoren alleingelassen; deshalb sieht Hoffmann-Axthelm den Prenzlauer Berg längst wie eine Zitrone ausgequetscht, während in der Großplatte gleich hinter dem Alexanderplatz denkmalgeschützte Windstille herrscht.

Nördlich des Hauptbahnhofes stellen Immobilienentwickler ehemalige Gewerbebrachen mit schlüsselfertigen Instant-Planungen voll, aber lassen die lebenswichtigen Verbindungen zwischen den angrenzenden Problemquartieren weiterhin blockiert.

Ebenfalls radikale Öffnung fordert der Autor für die unbestreitbare Schönheit des Tempelhofer Flugfeldes, das er "einen der größten Unfälle der Stadtentwicklung seit 1860" nennt: Der ursprünglich vom Militärfiskus okkupierte Exerzierplatz zwingt die Berliner seitdem, sich mit erheblichem Transport-, Zeit- und Energieaufwand um dieses Loch im Stadtgefüge herumzudrücken - was es als ersehntes "Wiesenmeer" ohne Besiedlung und Durchquerung weiter tun wird.

Urbanisierung dagegen heißt für Hoffmann-Axthelm "Herstellung von Zugänglichkeit und Stadtzusammenhang". Berlin vergleicht er mit einer Maschine, in der zwei Motoren gegeneinander arbeiten: das junge zukunftsträchtige Graswurzel-Berlin und die west-östlich sklerotisierte Stadtpolitik. Den Schlüssel zu den heutigen Verwerfungen erkennt er im legendären Planungswettbewerb 1910 für Groß-Berlin: Die verführerischen Vogelperspektiven der damaligen Entwürfe mit ihren Achsen und zu Großbauwerken verschmolzenen Blöcken waren der Schlussstrich unter die wirtschaftsliberalen Stadterweiterungen des Bürgertums im neunzehnten Jahrhundert, das sogar die Brücken, Bahnen und Straßen selbst finanziert hatte. Die fortan von privaten Zugriffsrechten und individuellen Bauherren gereinigte Stadt enthielt den totalitären Keim, der dann in Albert Speers Generalbebauungsplan aufging; ihn beschreibt der Autor quer zur gängigen Historiographie als Blaupause für die auf maximale Mobilität ausgerichtete Stadt des zwanzigsten Jahrhunderts.

Mit seinem "Kontraktionsplan" treibt Hoffmann-Axthelm die Provokation weiter: Berlin sei die europäische Stadt mit der geringsten Verdichtung und der größten infrastrukturellen Dehnung; sie könne aber den Luxus kilometerlanger Erschließung von Laubenkolonien mit U-Bahnen und die Betriebskosten für die herbeiphantasierten Verkehrsströme nicht mehr bezahlen. Deshalb entwirft er einen Plan zum "Abschmelzen der Peripherie" und zeigt, wie sich der Sperrgürtel aus Brachen und Barrieren direkt am S-Bahnring in stadtnahe Erweiterungsflächen verwandeln lässt.

Das Traktat wird zu einer kleinen publizistischen Bombe, wo es die politische Verfassung der Hauptstadt attackiert. Berlins Aufstieg zum Stadtstaat sei eine Verlegenheitslösung aus dem Besatzungsstatus des Kalten Krieges, die dauerhaft verhindere, dass das Land Berlin zwischen dem regierenden Ministerpräsidenten-Kabinett oben und der Kiez-Mentalität der zwölf Bezirke unten eine leistungsfähige kommunale Instanz ausbildet. Eine Staatsidentität wie Hamburg und Bremen habe Berlin ohnehin nie gehabt.

An der Spitze benennt der Autor exemplarische "Katastrophen-Ressorts" wie die Senatsverwaltungen für Bildung und für Stadtentwicklung: Die eine habe das Schulwesen mit falschen Lehrer-Schüler-Zahlen an die Wand gefahren, die andere ruiniere Großprojekte von der Staatsoper bis zum BER-Flughafen. Derweil hätten sich die Bezirke organisatorisch und personell zu reinen Doubletten der Landeszentrale gemausert, was Ressourcenverschleiß, redundante Entscheidungen und Blockaden anheize. Weil die Bezirke obendrein fiskalisch unmündig sind und ihr Geld nicht erarbeiten, sondern zugeteilt bekommen, würden sie Klientelismus und Binnenoptimierung bei ansonsten totalem gesamtstädtischem Desinteresse betreiben.

Damit die Bezirksbürgermeister wieder in einem klassischen Magistrat im Roten Rathaus zusammenkommen und auch die Senatoren ordentlich gewählt statt ernannt werden, braucht es zwei Revolutionen, die selbst der Autor für unwahrscheinlich hält: den Abstieg Berlins zu einer Kommune in Brandenburg und den territorialen Neuzuschnitt der Bezirke nicht nach Quantitäten, sondern nach Aufgaben und Fähigkeiten. Angesichts dieser unkomfortablen Radikalvorschläge versteht man freilich, warum die Berliner Politik sich Deutschlands klügsten Stadt-Denker seit Jahren nach Kräften vom Leibe hält.

MICHAEL MÖNNINGER.

Dieter Hoffmann-Axthelm: "Berlin-Testament". Beiträge zum Berlin des 21. Jahrhunderts.

Verlag Dorothea Rohn, Detmold 2013. 118 S., br., 14,- [Euro].

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