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Der Erste Weltkrieg stellte für Ostpreußen einen Wendepunkt seiner Geschichte dar - die russische Invasion und Besatzung zu Beginn des Krieges, die Plebiszite von 1920 und schließlich die räumliche Trennung vom Deutschen Reich nach der Wiedererrichtung Polens. Vor diesem Hintergrund beschreibt und analysiert die Studie den Prozess der Herausbildung einer regionalen und nationalen Identität dieser preußischen Provinz in den Jahren zwischen 1914 und 1933, in denen Ostpreußen zum "Bollwerk des deutschen Ostens" stilisiert wurde. Auf einer breiten Quellengrundlage geht der Autor den Ausprägungen…mehr

Produktbeschreibung
Der Erste Weltkrieg stellte für Ostpreußen einen Wendepunkt seiner Geschichte dar - die russische Invasion und Besatzung zu Beginn des Krieges, die Plebiszite von 1920 und schließlich die räumliche Trennung vom Deutschen Reich nach der Wiedererrichtung Polens. Vor diesem Hintergrund beschreibt und analysiert die Studie den Prozess der Herausbildung einer regionalen und nationalen Identität dieser preußischen Provinz in den Jahren zwischen 1914 und 1933, in denen Ostpreußen zum "Bollwerk des deutschen Ostens" stilisiert wurde. Auf einer breiten Quellengrundlage geht der Autor den Ausprägungen einer kollektiven Identität in politischen und gesellschaftlichen Organisationen, in Presse und Literatur sowie in der Symbolik politischer Feiern, Denkmäler und von Gedenkveranstaltungen nach. Diese Konstruktion eines "Ostpreußenstums" wird in ihren Auswirkungen auf die ostpreußische Gesellschaft und die politische Kultur Deutschlands am Vorabend des "Dritten Reiches" untersucht wie auch im Hinblick auf die nationalen Minderheiten und die besondere Lage der Provinz im deutsch-polnischen Grenzgebiet.
Autorenporträt
Robert Traba (geb. 1958), Prof. Dr., Historiker, Politologe und Kulturwissenschaftler, war 1995-2003 am Deutschen Historischen Institut Warschau tätig und ist seit 2006 Direktor des Zentrums für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Einer seiner Forschungsschwerpunkte - auch als Gründer und langjähriger Vorsitzender der Kulturgemeinschaft "Borussia" in Allenstein/Olsztyn und Herausgeber der gleichnamigen Zeitschrift - sind die kulturellen Veränderungsprozesse im deutsch-polnischen Grenzgebiet im 19. und 20. Jahrhundert, speziell in Ostpreußen. Die vorliegende Studie ist im polnischen Original im Jahre 2005 (3. Auflage 2007) unter dem Titel "Wschodniopruskosc. Tozsamosc regionalna i narodowa w kulturze politycznej Niemiec" erschienen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.09.2010

Königsberger Klopse und komischer Dialekt
Das Ostpreußentum soll erst mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs als historisches Phänomen entstanden sein

Ostpreußen ist heute weitgehend aus dem kulturellen Gedächtnis der Deutschen verschwunden. Wenn überhaupt, verbindet man mit der ehemals östlichsten deutschen Provinz einen typischen Dialekt, den Elch und eventuell noch die Masurischen Seen mit den beiden Schlachten von Tannenberg (1410 und 1914). Insofern ist es verdienstvoll, danach zu fragen, unter welchen historischen Umständen eine kollektive Vorstellung von Ostpreußen entstehen konnte. Robert Traba lässt sich von der Prämisse leiten, dass kollektive Identitäten keine unwandelbaren historischen Gegebenheiten sind, sondern das Ergebnis eines Konstruktionsprozesses, in den eine Vielzahl oft kontingenter Faktoren einfließen. Dabei sind drei Kardinalfragen zu berücksichtigen: Welche Akteure sind an diesem Konstruktionsprozess beteiligt? Welche inhaltlichen Konzepte werden auf die zu bildende kulturelle Formation übertragen? In welchen auch ästhetischen Formen werden solche Inhalte ausgedrückt und damit visibel gemacht?

Trabas zentrale These lautet, dass das, was er selbst als "Ostpreußentum" bezeichnet, erst ab 1914 als historisches Phänomen zu fassen ist. Das Ostpreußen, wie es vor allem seit den dreißiger Jahren imaginiert wurde, könne als Ergebnis eines durch den Einfall russischer Truppen in Ostpreußen im Jahre 1914/15 in Gang gesetzten Prozesses gelten. Aber auch wenn man diesem Hauptbefund eine gewisse Plausibilität nicht absprechen möchte, wird man die Studie nach dem Ende der Lektüre mit einer Vielzahl offener Fragen aus der Hand legen. Dies liegt zum einen daran, dass sich der Autor häufig im Deskriptiven verliert: So breitet er zum Beispiel langatmig die regionalen Feiern zur Erinnerung an den Sieg von Tannenberg von 1914 aus, ohne dass eine eindeutige Verbindung zur leitenden Fragestellung ersichtlich wäre. Zweitens vermag Traba ein zentrales Dilemma seines Ansatzes nicht zu lösen, das an diesem Beispiel zum Ausdruck kommt, nämlich das Spannungsverhältnis zwischen nationaler und regionalkultureller Identitätsstiftung. Die nationale Vereinnahmung des Paul von Hindenburg (1847-1934) zugeschriebenen Sieges in Masuren im August 1914 ging keineswegs bruchlos mit Versuchen einher, diesen militärischen Erfolg für die Herausbildung eines eigenständigen ostpreußischen Regionalbewusstseins zu nutzen, das nach Trabas These erst durch die Weltkriegserfahrung entstanden ist. Zudem problematisiert er zu wenig den Umstand, dass sich zwischen dem regionalen Identifikationsangebot Ostpreußen und dem über allem thronenden nationalen Referenzsystem als dritter Faktor noch eine Revitalisierung teilregionaler Identitäten schieben konnte, nämlich in diesem Falle der masurischen Identität.

Traba selbst führt nicht wenige Zeugnisse an, welche dieses Spannungsverhältnis zur Sprache bringen, ohne diese Aussagen jedoch systematisch in seine Argumentation einzubeziehen. Er legt implizit durchaus den Befund nahe, dass es weniger die ostpreußische denn die Amalgamierung masurischer mit deutsch-nationaler Identitätskonstruktion war, die insbesondere in der gemischtsprachigen Gegend des südlichen Masuren den Ausschlag dafür gab, dass sich die slawisch sprechende Bevölkerung bei der Volksabstimmung über die Zukunft des südlichen Ostpreußens am 11. Juli 1920 nahezu einmütig für Deutschland und gegen Polen entschied.

Wenn der protestantische Pfarrer des masurischen Städtchens Lyck am ersten Jahrestag der siegreichen Abstimmung eben nicht Ostpreußen hochleben ließ, sondern seine engere Heimat Masuren, und Deutschland als untrennbare Zwillinge anführte ("Unser deutsches Vaterland und unsere Heimat Masuren - sie leben hoch!"), wird man dies dahingehend deuten können, dass die ostpreußische Ebene übersprungen und ein direkter Zugang von der engeren Heimatregion zur Nation ohne die Zwischenstufe eines "Ostpreußentums" gefunden werden konnte. Es hätte daher nahegelegen, die Leistungsfähigkeit des "Heimat"-Begriffs stärker zu nutzen, als dies der Verfasser unternimmt. Zwar geht er ausführlich darauf ein, wie sehr der "Heimat"-Begriff im Ostpreußendiskurs seit 1914 an Fahrt gewann. Doch fehlt es an einer systematischen Übertragung des in diesem Kontext ausschlaggebenden Befundes, dass es gerade die Vorstellung einer regional definierten "Heimat" war, die es nicht nur den Masuren, sondern auch den katholischen Ermländern und den Bewohnern von "Preußisch-Litauen" erlaubte, ihre engere regionale Identität zu pflegen, ohne auf das zusätzliche Identifikationsangebot eines "Ostpreußentums" wirklich angewiesen zu sein.

Das stärkste Argument für die These von einer überwölbenden ostpreußischen Identität hätte man dann erhalten, wenn man die Frage gestellt hätte, ob die ehemals westpreußischen Kreise Elbing, Marienburg, Stuhm, Marienwerder und Rosenberg (dort lag mit Neudeck das Gut Hindenburgs), die erst seit 1920 zur neuformierten Provinz Ostpreußen zählten, in der Selbstzuschreibung ein klares Bekenntnis zu dem vom Autor postulierten neuen Ostpreußentum abgelegt hätten. Da diese Frage jedoch nicht gestellt wird und es überhaupt an aussagekräftigen Ego-Dokumenten mangelt, welche valide Aussagen über regionalkulturelle Selbstdeutungen erlaubt hätten, wird man die Kernthese des Autors mit einem großen Fragezeichen versehen müssen.

Künftige Forscher werden bei der faszinierenden Frage nach den Konstruktionsbedingungen regionaler Identität stärker diejenigen Faktoren zu berücksichtigen haben, die im "Heimat"-Diskurs eine zentrale Rolle spielen: die geographischen Realien wie die Masurischen Seen und die Kurische Nehrung sowie jene lebensweltlich verankerten Ausdrucksformen, die der ostpreußische Oberpräsident Adolf von Batocki im Jahre 1915 als landsmannschaftliche Erkennungszeichen Ostpreußens bezeichnete: "der Königsberger Klops, der ostpreußische Maitrank, der komische Dialekt".

WOLFRAM PYTA

Robert Traba: Ostpreußen - die Konstruktion einer deutschen Provinz. Aus dem Polnischen von Peter Oliver Loew. Fibre Verlag, Osnabrück 2010. 518 S., 39,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Wolfram Pyta ist der Königsberger Klops ein identitätsstiftendendes ostpreußisches Merkmal. Leider kommt der Klops in Robert Trabas Studie zur Entstehung von kollektiven Identitäten am Beispiel Ostpreußens nicht vor. Und so stellt der Autor zwar eine spannende Frage, kann den Rezensenten jedoch bezüglich These und Argumentation nicht überzeugen. Etwa erfährt der Rezensent über die Reibung zwischen nationaler und regionaler Identitätsstiftung (Masuren!) zu wenig und kann die von Traba angeführte Kontingenz in der Konstruktion ostpreußischer Identität nicht wirklich nachvollziehen. Welche Rolle dabei die Masurischen Seen spielen oder jene Klopse, muss sich der Rezensent leider selber ausmalen.

© Perlentaucher Medien GmbH