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Die vorliegende Studie widmet sich drei zentralen autobiographischen Texten des 19. Jahrhunderts, Carl Gustav Carus' "Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten", Wilhelm von Kügelgens "Jungenderinnerungen eines alten Mannes" und Ludwig Richters "Lebenserinnerungen eines deutschen Malers". In einer kulturanthropologisch und literaturwissenschaftlich argumentierenden Analyse werden zwischen den Memoiren der bedeutenden Dresdner Künstler - so unterschiedlich sie in ihrer ästhetischen Anlage sind - erstaunliche Parallelen aufgezeigt, die Rückschlüsse auf spezifische Ich-Konstitutionen schreibender…mehr

Produktbeschreibung
Die vorliegende Studie widmet sich drei zentralen autobiographischen Texten des 19. Jahrhunderts, Carl Gustav Carus' "Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten", Wilhelm von Kügelgens "Jungenderinnerungen eines alten Mannes" und Ludwig Richters "Lebenserinnerungen eines deutschen Malers". In einer kulturanthropologisch und literaturwissenschaftlich argumentierenden Analyse werden zwischen den Memoiren der bedeutenden Dresdner Künstler - so unterschiedlich sie in ihrer ästhetischen Anlage sind - erstaunliche Parallelen aufgezeigt, die Rückschlüsse auf spezifische Ich-Konstitutionen schreibender und malender Künstler erlauben. Der Autor verbindet dies mit der Frage, auf welche Weise die Krisenphänomene der Zeit durchlebt bzw. tabuisiert werden, in welchen Diskursen sich die entsprechenden Tabus etablieren, wie sie gesellschaftlich, wissenschaftlich, bildkünstlerisch wirken und von welchen Strukturen bzw. Subtexten diese Tabus unterlaufen werden.
Autorenporträt
rAnton Philipp Knittel, geb. 1961, von 1991-1993 Assistent am Deutschen Seminar, danach am Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut der Universität Tübingen. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kleist-Archiv Sembdner der Stadt Heilbronn war er Mitherausgeber mehrerer Publikationen zu Heinrich von Kleist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.2003

Kassiber für die gebildete Nation
Anton P. Knittel über die Autobiographen Carus, Richter, Kügelgen

Die Unfreundlichkeiten zuerst, anderes wird gleich folgen. Daß es sich bei Knittels Buch um eine literaturwissenschaftliche Arbeit handelt, muß natürlich nicht schon an sich eine unfreundliche Feststellung sein, wohl aber dann, wenn Literaturwissenschaft heißen sollte, daß "intendiert" und "fokussiert" wird, daß man "differente Lebensentwicklungen" kennt, daß man etwas "unter einer Perspektivierung situiert", daß man statt des schlichten "weil" "vor dem Hintergrund der Tatsache, daß" sagt oder daß man zu folgender Erkenntnis kommt: "Gerade durch ihren defizitären Zustand unterstreichen die phallisch konnotierten Symbole ihre Differenz vom Signifikat." Haben das die drei Dresdner Autobiographen Carus, Kügelgen und Richter verdient, deren plastisch und in schönem Deutsch geschriebene Lebenserinnerungen hier untersucht werden? Vielleicht trösten sie sich mit dem Wort eines anderen, aus Stavenhagen stammenden Autobiographen des neunzehnten Jahrhunderts, der seine "Läuschen un Rimels" so einleitete: "Wer't mag, de mag't; un wer't nich mag, de mag't jo woll nich mägen."

Nun, interessant genug ist es, was Kittel vorlegt. Zunächst hat er gewiß recht, wenn er meint, die drei Autoren erst einmal vorstellen zu müssen, weil man ihre Kenntnis nicht mehr voraussetzen darf, und schon dadurch führt er in ein großes Panorama der deutschen Geistesgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts ein. Carl Gustav Carus, bedeutender Mediziner und glänzender Arzt - auch Kügelgen nahm ihn gelegentlich mit Erfolg in Anspruch -, Leibarzt sächsischer Könige, war ein von Goethe geschätzter Naturforscher und eben auch Maler: Sein "Tannenwald" hängt am Frauenplan im "Großen Sammlungszimmer", seine "Klosterruine Eldena" und sein "Brockenhaus" hängen im "Kleinen Eßzimmer". So genau wie hier sagt es Knittel übrigens nicht, was er ja auch nicht muß, aber anders als Knittel meint, wäre festzustellen, daß Carus der Revolution von 1848 und auch der von 1830 keinesfalls generell ablehnend gegenüberstand, sondern - als Königlich Sächsischer Leibarzt! - meinte, notwendige Veränderungen gingen eben mit einem gewissen Ausmaß an Gewaltsamkeit einher.

Das klassizistische Deutsch von Carus ist gelegentlich reichlich steifleinen, sehr anders das Wilhelm von Kügelgens. Dessen "Jugenderinnerungen eines alten Mannes" waren fast hundert Jahre lang das, was man ein Hausbuch nennt: Das deutsche Bürgertum hat es gewiß auch wegen seines schönen, gerundeten Stils und seines zurückhaltenden, gelegentlich auch selbstironischen - entschieden nicht kitschig-"goldenen" - Humors generationenlang gelesen; aber auch wegen der lebensvollen Schilderung des Dresdner Lebens in den ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts. Wenn man bedauern mag, daß das Buch schon mit dem zwanzigsten Lebensjahr Kügelgens endet, dann hat Knittel durch die Herausgabe weiterer Erinnerungen und Briefe Kügelgens dafür gesorgt, daß auch die übrige Lebenszeit lebendig vor einem erscheint - ein Leben, das Kügelgen, Maler wie sein Vater, im weiteren Verlauf als Kammerherr am Hofe des Herzogs von Anhalt-Bernburg verbrachte und abschloß.

Anhalt-Bernburg? Ja, wenn es ein winziges Städtlein in Deutschland gab, dann war es dieses, und doch hatte es alle Attribute einer richtigen Monarchie, einschließlich eines geistesschwachen Herzogs und eines Schlosses in Ballenstedt, welches für Bernburg das bedeutete, was Versailles für Paris oder wenigstens Potsdam für Berlin war.

Der Dresdner Professor Carus stammte aus Leipzig, Kügelgen, in Dresden aufgewachsen, war aus einer rheinisch-baltischen Familie, nur Ludwig Richter war auch gebürtiger Dresdner. Seine Autobiographie schildert seine Herkunft aus dem Dresdner Kleinbürgertum, das immerhin in seinem Vater bereits einen anerkannten, eher handwerklich arbeitenden Maler hervorgebracht hatte. Natürlich schreibt er gemütvoll, aber durchaus mit ruhig-überlegener Distanz. Insbesondere spricht er von seiner künstlerischen Entwicklung, die in einem mäzenatisch geförderten langen Rom-Aufenthalt ihren Höhepunkt hatte: Der spätere Schöpfer deutsch-ländlich-kleinstädtischer Idyllen war ja ursprünglich Deutschrömer, zusammen etwa mit Julius Schnorr von Carolsfeld oder Joseph Anton Koch. Die lebendige Beschreibung dieser Lebensetappe nimmt den Hauptteil der Erinnerungen ein, die bald nach einer Rückkehr - die langen Reisen macht er fast alle zu Fuß - nach Dresden abbrechen.

Richter und Kügelgen waren gläubige Menschen, die ihr Christentum ernst nahmen und ihrem Ringen um den rechten Glauben großen Raum in ihren Büchern einräumen. Wer weiß, vielleicht ist es doch symbolisch, daß das sogar noch zu DDR-Zeiten als wunderbares Museum der Dresdner Romantik restaurierte Kügelgen-Haus in Dresden-Neustadt die Inschrift trägt "An Gottes Segen ist alles gelegen". Über allem Hingerissensein von diesen Lebenswelten sei nicht vergessen, daß man die erneute Begegnung mit ihnen dem Buch von Anton Knittel zu verdanken hat. Ihm fiel auf, daß alle drei Autoren in verschiedener Intensität von inneren Kämpfen zu berichten haben. Bei Carus fällt es deutlich aus dem Rahmen des sonst so kühl dahinfließenden Lebens- und vor allem Erfolgsberichtes. Hier scheint alles leicht, und wenn innerhalb des etwas gravitätischen Textes ab und zu die Worte "Depression" oder "Schwermut" auftauchen, verschwinden sie sofort wieder. Bei Kügelgen und Richter mögen das Schwernehmen der Glaubensfrage und andere Belastungen eine ähnliche Rolle spielen, und die Frage für Knittel ist, ob diese Phänomene für alle drei etwas Gemeinsames haben.

Er sieht es darin, daß in allen drei Fällen das Autobiographische therapeutische Funktion habe, sei es subjektiv, sei es als Bewältigung der Krise der damaligen Zeit (welcher eigentlich genau?), also mittels der Idylle Tabus umgangen werden. Knittel geht dabei immanent vor, indem er etwa bei Carus dessen Goethe-Imitatio hervorhebt, bei Kügelgen allerlei Freudianismen entdeckt und bei Richter unter anderem auf die unmittelbare Funktion der Erinnerungen - seelische Hilfe für den gefährdeten Sohn - eingeht.

Das ist im Ganzen plausibel und schon deshalb positiv anzusehen, weil die drei Autoren nicht über einen Kamm geschoren werden. Dabei geht Knittel manchmal noch milde mit seinen Autobiographen um. Weil er keine Abbildungen bringt, kann man zum Beispiel gar nicht ermessen, wie sehr in Carus' pathetischer Goethe-Apotheose, die in der Hamburger Kunsthalle hängt, Goethe in fast schon erschütternder Weise verfehlt wird, und es hat etwas Gnädig-Verzeihendes, daß Knittel das schon ins Frömmelnde Übergehende der Religiosität Kügelgens und Richters kaum hervorhebt. Auf der anderen Seite sind insbesondere die Landschaftsschilderungen von Carus, die Personenzeichnungen Kügelgens oder die Darstellung des italienischen Lebens durch Ludwig Richter wunderbare Texte - aber genug hiervon. Jedenfalls: Wenn es in Deutschland ein Bildungsbürgertum oder gar eine gebildete Nation gäbe, könnte man sagen, die drei Autoren seien für die Nation wiederzuentdecken, und dazu hätte dann Anton Knittel in wenn auch einigermaßen gebrochener Weise beigetragen.

WOLFGANG SCHULLER

Anton Philipp Knittel: "Zwischen Idylle und Tabu". Die Autobiographien von Carl Gustav Carus, Wilhelm von Kügelgen und Ludwig Richter. Thelem bei w.e.b. Universitätsverlag, Dresden 2002. 255 S., br., 35,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wolfgang Schuller ist nicht gänzlich zufrieden mit dieser Studie, die die Autobiografien der Maler Carl Gustav Carus, Wilhelm von Kügelgen und Ludwig Richter untersucht. Das liegt zu einem nicht geringen Teil am arg "literaturwissenschaftlichen" Stil des Autors, den der Rezensent als zu hochtrabend empfindet, was seiner Ansicht nach nicht der Klarheit entgegenkommt. Trotzdem findet er es lobenswert, dass es Anton Philipp Knittel unternommen hat, diese Künstler des 19. Jahrhundert einer Betrachtung zu unterziehen, weil dadurch, wie er lobend hervorhebt, in das "große Panorama der deutschen Geistesgeschichte" dieser Zeit eingeführt wird. Als recht "plausibel" bezeichnet der Rezensent die Argumente, mit denen der Autor die Lebenserinnerungen als ein "therapeutisches" Schreiben charakterisiert und als "positiv" lobt er, dass die Maler dabei nicht "über einen Kamm geschoren" werden. Und so bescheinigt er dem Autor am Ende, dazu "beigetragen" zu haben, dass die Künstler, die etwas in Vergessenheit geraten sind, neu entdeckt werden können, wenn auch auf Knittels "gebrochene Weise".

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