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Produktdetails
  • East meets West
  • Verlag: Glaré Verlag
  • Seitenzahl: 192
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 298g
  • ISBN-13: 9783930761173
  • ISBN-10: 3930761173
  • Artikelnr.: 25323659
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2000

Wo Deutschland an Beirut grenzt
Aus dem Delta: Hussain Al-Mozanys Roman "Der Marschländer"

Ein Fluß ohne Ufer: So weit das Auge reicht, nur lehmiges Wasser, Schilf und Sandbänke. Aber dort stehen große, tonnenförmige Hütten aus Schilf, man sieht Menschen, und dann auch Kanus und Stakende. So, wie die Szene vor viertausend Jahren in Ton geritzt wurde, kann man sie heute noch sehen, auf Fotos. Für Touristen ist das Marschland im Südirak mittlerweile unzugänglich. Als ebenso fruchtbare wie unwirtliche Gegend ist es seit Urzeiten Zufluchtsort für Schmuggler und Regimegegner. Seit langem versucht Saddam Hussein, das Sumpfgebiet im Delta von Euphrat und Tigris trockenzulegen.

Aus dieser Heimat der ersten Hochkulturen kommt Alwan, der Marschländer. Er nimmt seine Herkunft auf kalauerhafte Art wörtlich und marschiert durch die Länder. Wie Tausende junge Iraker seiner Generation flieht er Ende der siebziger Jahre, als Saddam Jagd auf die Kommunisten machte. Die erste Station dieser Flucht heißt Beirut, wo die jungen Iraker auf die für jeden Mitstreiter dankbaren palästinensischen Milizen verteilt werden. Der libanesische Bürgerkrieg erscheint als Farce, die sich dem dank seiner Naivität äußerst sprachempfindlichen Helden schon an den Namen der Milizenchefs offenbart. Da erhält Alwan vom "Mörder der Mordenden" ein geheimnisvolles Empfehlungsschreiben an den "Vater der Dunkelheit", und alsbald verlieren die Namen ihre Anführungszeichen und werden zu Attributen und Wahrheiten.

Ob das Unverständnis im Objekt oder in der naiven Subjektivität des Protagonisten zu verorten wäre, ist in diesem feinsinnigen Text nicht mehr zu erkennen. Die Aufhebung der Selbstverständlichkeiten, die der Verlust der Heimat mit sich bringt, erreicht an den gelungensten Stellen eine Intensität, die geradewegs aus einer anderen Auswanderergeschichte zu uns gekommen scheint, Kafkas "Verschollenem". Das Deutschland, in das es den Marschländer dann verschlägt, unterscheidet sich wenig von Beirut. Es erscheint in der Brechung der konsequent aus Alwans Sicht erzählten Geschichte so fremd wie Kafkas Amerika.

Darin liegt der Reiz und die Irritationskraft des Buches gerade für deutsche Leser: Was auf der Textebene so befremdlich daherkommt, ist für uns Alltag. Und so ist der Schamhaarfriseur, dessen Existenzberechtigung sich Alwan von seiner Freundin erklären lassen will, für ihn ein nicht minder irritierendes Phänomen als die Kämpfe in Beirut. Das schärfste Urteil, das der Held über seine Umwelt fällen kann, ist das der Verständnislosigkeit. Wenn Alwan zürnt, dann deshalb, weil er etwas nicht versteht. Immer wieder befragt er den Verständnishorizont, den ihm sein Herkommen bereitstellt. So werden Szenen aus uralten mesopotamischen Mythen eingeflochten, arabische Märchen und Legenden aus der Frühzeit des Islams, besonders der Schiiten, der Bevölkerungsmehrheit im Marschland.

Alwan bleibt seiner Herkunft eingedenk. Zog er als Kommunist, der die Welt verbessern wollte, aus Bagdad fort, so sind die Kategorien, auf die er immer wieder zurückkommt, alles andere als kommunistisch. Die Reise des Helden nach Deutschland ist ein unermüdliches Schürfen nach den eigenen Wurzeln. Gegen die kulturhistorische und geographische Tiefe, in die die Existenz dieses Menschen hinabreicht, nimmt sich das letzte Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts, in dem das Buch spielt, wie ein Treppenwitz aus. Fast ist das Exil des aus Mesopotamien stammenden Marschländers kein geographisches, sondern ein historisches, als wäre er nicht der Welt auf den Fotos, sondern derjenigen der Tontafeln entsprungen.

Nach etlichen Erzählungen, einem umfangreichen Roman auf arabisch und zahlreichen Übersetzungen aus dem Deutschen - Al-Mozany ist unter anderem der arabische Übersetzer der "Blechtrommel" - schreibt der 1954 geborene Iraker, der in Münster Islamwissenschaften und Germanistik studierte, nun auf deutsch. Das Buch ist sprachlich makellos und kokettiert nicht mit seinem Gästedasein im Deutschen, wie es bei so vielen Autoren ausländischer Herkunft derzeit Mode ist. Indem Al-Mozany sprachlich-stilistisch, in der fast linearen Konstruktion und der Erzählperspektive einen - legt man den Maßstab vergleichbarer deutscher Literatur an - nur geringen Einsatz wagt, bleibt freilich auch der Ertrag im eng abgesteckten Rahmen. Die Erzählung drängt sich nicht auf. Doch laute Stimmen, die wenig zu sagen haben, gibt es genug. Hier begegnet man einer leisen, die um so mehr zu erzählen hat. Man nähert sich ihr gerne.

STEFAN WEIDNER

Hussain Al-Mozany: "Der Marschländer". Roman. Glaré-Verlag, Frankfurt am Main 1999. 190 S., br., 36,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Stefan Weidner ist sehr angetan von dem ersten auf deutsch geschriebenen Roman des irakischen Autors. Es ist ein "feinsinniger Text", lobt er, der durch die Reisebeobachtungen des naiven Helden Deutschland so fremd erscheinen lasse wie das zuvor besuchte Beirut. Der Roman sei "sprachlich makellos" und in seinem Aufbau fast streng linear, wage also erzählerisch nur "geringen Einsatz", womit der Autor jedes lärmende Heischen um Aufmerksamkeit vermeide. Trotz der stillen Art, mit der Al-Mozany seine Geschichte entfaltet, hat er doch viel zu erzählen, schwärmt der Rezensent, der sich an Kafkas "Der Verschollene" erinnert fühlt.

© Perlentaucher Medien GmbH