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Produktdetails
  • Verlag: Achilla Presse
  • Originaltitel: The Stillwater Tragedy
  • Seitenzahl: 291
  • Erscheinungstermin: 30. September 2006
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 440g
  • ISBN-13: 9783928398916
  • ISBN-10: 3928398911
  • Artikelnr.: 20791188
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2007

Wer erschlug die Stinkratte?
Der Krimi-Pionier Thomas Bailey Aldrich in einer Neuausgabe

Die "Tragödie von Stillwater" beginnt im Morgengrauen. Ein Hahn kräht, die ersten Lichter werden angezündet, und der Wagen des Bäckermeisters zieht seine Runden durch die kleine Stadt in New England. Mit einer Milchkanne in der Hand macht sich ein Dienstmädchen auf den Weg. Sie ist spät dran und wappnet sich bereits gegen die Vorwürfe ihres mürrischen Arbeitgebers, als sie in der Küche des Hauses den dünnen, blutroten Streifen sieht, der sich über den Fußboden zieht. Sie wirft einen Blick in das Nebenzimmer, lässt entsetzt ihre Kanne fallen, und "zwanzig Minuten später wusste jeder Mann, jede Frau und jedes Kind in Stillwater, dass der alte Mr. Lemuel Shakford in seinem Bett ermordet worden war".

Das ist kein schlechter Anfang. Und überhaupt kein schlechtes Buch. Trotzdem ist sein Autor so gut wie vergessen. Thomas Bailey Aldrich heißt er, geboren wurde er 1836 in Portsmouth, New Hampshire. Nur zögerlich erinnert sich die Literaturgeschichte an einige seiner romantischen Gedichte und an die 1870 erschienene autobiographische Erzählung "The Story of a Bad Boy", die Mark Twain angeblich als Inspiration für "Tom Sawyer" und "Huckleberry Finn" gedient haben soll. Eine deutsche Ausgabe der "Geschichte eines bösen Buben" ist schon lange nicht mehr greifbar. Warum wird also ausgerechnet "Die Tragödie von Stillwater" neu aufgelegt?

Die literarischen Vorlieben des Verlegers dürften eine Rolle gespielt haben. Mirko Schädel von der Achilla Presse ist ein ausgewiesener Kenner des frühen Kriminalromans, und Aldrichs Geschichte über den rätselhaften Mord in einer amerikanischen Kleinstadt fügt sich zunächst recht gut in die Konventionen des jungen Genres. Das Motiv für die grausame Tat ist eine eisenbeschlagene Kiste mit Goldmünzen, die der geizige und allseits unbeliebte Shakford in seinem Schlafzimmer aufbewahrt hatte. Ein aus der Hauptstadt angereister "sicherheitsbehördlicher Fachmann" stößt auf eine Spur, die in "Slocum's Marmorschneiderei" führt. Schon wenige Tage und dreißig Seiten später bittet der "Detektivpolizist" um ein Gespräch mit dem Besitzer der Steinmetzerei. Der Leser erfährt den Namen des Verdächtigen an dieser Stelle noch nicht und muss sich mit der Reaktion des Unternehmers begnügen: "Leichblässe überflog Mr. Slocums Züge."

Dieser Cliffhanger gleich zu Beginn des Romans hätte auch Dan Brown alle Ehre gemacht. Thomas Bailey Aldrich nimmt allerdings das Tempo wieder heraus und macht sich auf den nächsten hundertfünfzig Seiten mit dem langen Atem eines Erzählers des neunzehnten Jahrhunderts an die Geschichte von Richard Shakford, dem Neffen und einzigen Hinterbliebenen des Mordopfers. Er ist einige Jahre zur See gefahren, und als er schließlich ohne einen einzigen Cent in der Tasche nach Stillwater kommt, will sein Onkel nichts von ihm wissen. Richard nimmt Arbeit in "Slocum's Marmorschneiderei" an. Er ist geschäftstüchtig und wird zum engen Vertrauten des Besitzers. Sein Onkel, "die alte Stinkratte", ist darüber mehr als verärgert, denn Slocum und ihn verbindet eine lange Feindschaft. Wenige Tage vor dem Mord kommt es deswegen zu einem heftigen "Krakeel" zwischen dem alten Shakford und seinem Neffen und Alleinerben. Sollte Richard seinen Onkel erschlagen haben?

So einfach macht Aldrich es sich nicht. Anstatt die Aufklärung des Falles in den Mittelpunkt zu stellen, wie sein älterer Kollege und Landsmann Edgar Allan Poe es in seinen Detektivgeschichten exemplarisch vorgemacht hatte, erlaubt er sich eine ausführliche Abschweifung. In den Wochen vor dem Verbrechen war es in Stillwater zu einer Welle von Streiks gekommen. Richard rät dem Unternehmer, sich auf eine Kraftprobe mit der allmächtigen "Marmorarbeiter-Assoziation" einzulassen. Slocum solle das Werktor verriegeln und warten, bis die Streikkassen sich geleert hätten. Anschließend, erklärt Richard, könne er sich dann unter seinen Arbeitern "das gute und frische Material aussuchen und das dürre Holz zur Seite werfen". Heute mag das zynisch klingen. Damals lagen Aldrichs Sympathien selbstverständlich auf der Seite des Kapitals. Das ist Amerika, feiert Richard seinen Sieg, nachdem er die aufmüpfigen Arbeiter auf ihren Platz verwiesen hat, das Land, in dem "ein jeder das Privileg hat, seine Lage zu verbessern, wenn er Gehirn und Fleiß genug besitzt, es zu tun".

Und der Mord an Lemuel Shakford? Aldrich gelingt tatsächlich, die Streik-Episode mit einer zarten Romanze zwischen Richard und der Tochter des Fabrikbesitzers zu verbinden und beide Handlungsstränge in der Lösung des Falls aufgehen zu lassen. Dramaturgisch ist das eine kleine Meisterleistung. Weniger elegant wirkt dagegen die umständliche und überladene Sprache, die gleich aus dem ersten Hahnenschrei des Romans die Fanfare eines "scharlachroten Stabstrompeters" macht. Als Stilist war Thomas Bailey Aldrich etwas zu ambitioniert, und das kann auch die etwas zu phantasievolle deutsche Übersetzung von Udo Brachvogel nicht korrigieren. Sie ist ebenfalls vor über hundert Jahren entstanden und erschien in gleicher Fassung bereits 1884 in Reclams Universal-Bibliothek, vier Jahre nachdem Thomas Bailey Aldrich seinen Roman in den Vereinigten Staaten veröffentlicht hatte: "Die Tragödie von Stillwater" ist ein altes Buch.

Das Selbstbewusstsein, mit dem ein Schriftsteller hier die Ideologie des American way of life vertritt, ist uns heute allerdings nur zu vertraut. Im zwanzigsten Jahrhundert hat es die Vereinigten Staaten nicht nur zu einer literarischen Supermacht gemacht. Auch das ist, neben anderem, ein guter Grund, diesen Roman zu lesen.

KOLJA MENSING

Thomas Bailey Aldrich: "Die Tragödie von Stillwater". Aus dem Englischen übersetzt von Udo Brachvogel. Achilla Presse, Butjadingen 2007. 291 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gründe, dieses "alte" Buch eines fast vergessenen Autors zu lesen, gibt es genug, meint Kolja Mensing. Zum Beispiel hat ihn der Anfang dieses im Geist des American way of life verfassten frühen Kriminalromans den Atem anhalten lassen. Aber auch die weitläufigen Abschweifungen, die Thomas Bailey Aldrich sich gestattet, haben Mensing nicht abgeschreckt. Im Gegenteil, die Zusammenführung der Handlungsstränge findet er elegant gelungen. Der Stil des Autors allerdings bereitet dem Rezensenten Kopfschmerzen. "Umständlich" sei die Sprache und durch eine überambitionierte Übertragung alles andere als korrigiert, meint er.

© Perlentaucher Medien GmbH