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Das Leben von Enid Roach steht Kopf. Der London Blitz treibt sie in die Provinz, wo sie Dinge unternimmt, die sie unter normalen Umständen niemals auch nur in Betracht ziehen würde. Sie verabredet sich in Pubs, hat eine Affäre mit einem amerikanischen Offizier und wohnt in einer Pension, in der die unterschiedlichsten Menschen ein bizarres Dasein fristen. Dominiert wird dieser ganz alltägliche Wahnsinn im Rosamund-Tearoom von Mr. Thwaites, einem Tyrannen mit nervtötenden Affektiertheiten und seiner Verbündeten Vicki Kugelmann, die Miss Roach durch ihre grausamen Intrigen und sadistischen…mehr

Produktbeschreibung
Das Leben von Enid Roach steht Kopf. Der London Blitz treibt sie in die Provinz, wo sie Dinge unternimmt, die sie unter normalen Umständen niemals auch nur in Betracht ziehen würde. Sie verabredet sich in Pubs, hat eine Affäre mit einem amerikanischen Offizier und wohnt in einer Pension, in der die unterschiedlichsten Menschen ein bizarres Dasein fristen. Dominiert wird dieser ganz alltägliche Wahnsinn im Rosamund-Tearoom von Mr. Thwaites, einem Tyrannen mit nervtötenden Affektiertheiten und seiner Verbündeten Vicki Kugelmann, die Miss Roach durch ihre grausamen Intrigen und sadistischen Sticheleien in einen leidenschaftlichen Ausbruch abgrundtiefen Hasses treiben, der sie fast um den Verstand bringt.

Der hochkomische Roman Hamiltons über diese kleine Welt, in der sich die große spiegelt, ist eine eindringliche psychologische Studie zwischenmenschlicher Grausamkeit.
Autorenporträt
Patrick Hamilton, geb. 1904 in Sussex, war einer der talentiertesten Schriftsteller seiner Generation. Berühmt wurde er bei uns vor allem mit seinen Theaterstücken 'Gaslicht' (Gaslight) und 'Cocktail für eine Leiche' (Rope), die beide verfilmt wurden, letzteres 1948 von Alfred Hitchcock mit James Stewart in der Hauptrolle. 'Hangover Square', 1941 erschienen, ist in England Kult und Liebhaber bezahlen für die Erstausgabe exorbitante Preise. In seinen letzten Lebensjahren brauchte Patrick Hamilton 'den Whisky wie ein Auto das Benzin'. Er starb 1962.

Miriam Mandelkow, 1963 in Amsterdam geboren, arbeitet als Lektorin und Übersetzerin. Sie lebt in Hamburg und in Arkadien, Griechenland.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2006

Frau Kugelmann und der Blitz
Patrick Hamiltons gespenstische Komödie aus der Kriegszeit

Hitchcock zählte ihn zu seinen Lieblingsautoren. Er verfilmte eines seiner erfolgreichen Theaterstücke: "Rope", zu deutsch "Cocktail für eine Leiche". Wer den Roman "Sklaven der Einsamkeit" liest, ahnt bald, was dem Meister an Patrick Hamiltons Werken gefiel: die klaustrophobe Energie, der skurrile Witz und eine manchmal verblüffende Psychologie.

Hamilton, 1904 geboren, war bereits in jungen Jahren ein erfolgreicher Autor. Dann wurde er von einem Auto überfahren, überlebte schwer verletzt und mit dauerhaften Entstellungen, was seine Neigung zum Alkohol wohl befördert hat. Noch keine sechzig, starb er an einer Leberzirrhose. Sein Roman "Hangover Square", wie Malcolm Lowrys "Unter dem Vulkan" eines der großen, kanonischen Trinker-Bücher, wurde in jüngster Zeit wiederentdeckt - der Anfang einer Hamilton-Renaissance. Im vergangenen Jahr fand der Roman auch in der deutschen Übersetzung Miriam Mandelkows einige Beachtung.

"Sklaven der Einsamkeit" setzt ein im Dezember 1943. Viele Londoner haben sich in die Provinz zurückgezogen, um dem Terror des "Blitzes" zu entgehen - den deutschen Bomben und Raketenangriffen. Der Schauplatz Thames Lockdon ist "eine Kleinstadt unter Tausenden dieser Art, die sich vor dem Weltkrieg versteckten". Dort leben die Menschen nun zusammengedrängt in Pensionen, bilden skurrile Wohngemeinschaften. Es blühen die Idiosynkrasien, es schwelen die Konflikte. Theatralische Ausbrüche sind vorprogrammiert.

So auch im "Rosamund Tea-Room". Sartres Formel "Die Hölle, das sind die anderen" scheint ganz auf diese kleine Pension gemünzt. Auch an die erstickende Atmosphäre in Julien Greens frühem Meisterwerk "Leviathan" darf man sich erinnert fühlen. Bei den Mahlzeiten würde beklemmendes Schweigen herrschen, wäre da nicht der alte Mr. Thwaites, der Tyrann des Speisesaals, ein selbstzufrieden schwadronierender Hausgenosse, der sich in dümmlich-witzigen Kommentaren zur Weltlage und unerwünschten Einmischungen in die Belange der anderen gefällt. Sein Lieblingssport: die Stichelei. Und er mag geschwollene Wendungen wie "meiner Treu" oder "holde Maid". Ein Arzt ist ihm ein "Mann vieler Medizinen", das Kino das "Domizil flackernder Visionen".

Enid Roach, die Hauptfigur, hat ihn zu fürchten gelernt. Seit sie in Kensington "ausgebombt" wurde, lebt die Londoner Verlagsangestellte in der melancholischen Pension. Sie ist eine etwas gouvernantenhafte Frau von Ende Dreißig, ein viktorianischer Charakter. Ihre Hoffnung auf Liebesglück hat sie bereits begraben. Früher war sie einmal Lehrerin an einer Jungenschule und hatte dort bald den Spitznamen "alte Schabe" weg - Roach liegt eben einfach zu nah bei "cockroach".

In Thames Lockdon gibt es amerikanische Soldaten und Offiziere, die im Wartezustand leben: Irgendwann im Lauf des nächsten Jahres soll die zweite Front in Europa eröffnet werden. Einer von ihnen ist Lieutenant Dayton Pike, der die überraschte Miss Roach zu umwerben beginnt. Es ergibt sich die Perspektive auf eine unvermutete Ehe; für die Verlagsfrau scheint sich ein Triumph über die Verhältnisse im "Rosamund Tea-Room" abzuzeichnen. Was die Nachkriegszeit betrifft, hat Mr. Pike bereits unternehmerische Pläne. "Sie wußte nicht recht warum, doch seine Begeisterung für die Wäschereibranche fand sie ein wenig ernüchternd." Noch mehr wird sie bald seine Leichtfertigkeit ernüchtern. Kein Abend, an dem er nicht betrunken wäre. Und der Leser ahnt: Keine Frau unter sechzig, die vor seinen Küssen und Heiratsversprechen sicher sein darf.

Und dann ist da noch Vicki Kugelmann, die deutsche Freundin der Miss Roach, die zwar seit langem in England lebt, aber von manchen für eine Spionin gehalten wird. Als sie in die Pension einzieht, erweist sich bald die Unvereinbarkeit der Charaktere. Schmollmund, Bubikopf, Rauchen mit Zigarettenspitze: die Tierarztsekretärin ist noch ganz der Typ von 1925, der sich in Posen der Laszivität gefällt und nicht merkt, daß die Mode längst weitergegangen ist. So erklärt es sich jedenfalls Miss Roach. Hier zerfällt - auch in der Rivalität um den Lieutenant - eine Freundschaft, und in den detailreichen, ironisch schillernden Beschreibungen dieses Vorgangs entwickelt der Roman seine stärksten Passagen: "Zwischen diesen beiden Frauen herrschte eine Fehde, die geradezu beispiellos war in der Geschichte des Pensionslebens, ja, in der Geschichte der Frauen ..." Dank ihrer "Ribbentrop-Masche" und ihrer "teutonischen" Überheblichkeit erscheint Vicky nun wie eine "Femme fatale aus dem Land der Konzentrationslager".

Zu den Reizen des Romans gehört die psychologische Darstellungskunst. Enid Roach, diese äußerlich unscheinbare Person, verfügt über ein aufgeregtes Seelenleben. Vom Leben gedemütigt, wittert sie jederzeit Verletzungsabsichten. Bemerkungen der anderen zeichnet sie innerlich auf und läßt sie im stillen Kämmerlein noch einmal ablaufen, um den gegen sie gerichteten Gemeinheitsgehalt exakt zu ermitteln. Ihr Innenleben ähnelt einem Hitchcockhelden auf der Flucht.

Wir erleben die Kontrahenten, den präpotenten Alten und das deutsche Luder, aus der Figurenperspektive, so, wie Miss Roach sie erleidet. Und man fragt sich deshalb lange, ob die Fürchterlichkeit der beiden Mitbewohner sich nicht zum guten Teil dem leicht paranoiden Blickwinkel der "alten Schabe" verdankt, etwa ihrer Empfindlichkeit gegenüber allem, was mit demonstrativer Lebenslust zu tun hat. Diese Ungewißheit ist ein Spannungsfaktor des Buches und tariert die Überdeutlichkeit und Chargenhaftigkeit einiger Charaktere sowie die manchmal etwas dick aufgetragene Philisterschelte aus.

Es ist eine gespenstische Komödie: diese allzumenschlichen, tragikomischen Streitigkeiten unter dem Dach einer mediokren Pension, über die in den Abendstunden die Bombergeschwader mit ihrer todbringenden Last dröhnend hinwegfliegen, Richtung Deutschland. "Sklaven der Einsamkeit" ist ein Roman, in dem kein Schuß fällt, der aber von der Kriegsatmosphäre geprägt ist. Das betrifft neben den beengten Wohnverhältnissen vor allem die Aufgekratztheit der Menschen, ihre Neigung zu Rausch und kleiner Ausschweifung, wo sie sich nur bieten. Die Geschäfte sind leer, die Waren rationiert, aber die Pubs sind voller Leben.

Man liest das Buch, wie man einen alten Schwarzweißfilm von Hitchcock anschaut: gefesselt und amüsiert. Es ist gediegene Qualitätsarbeit, konventionell und doch abgründig; beste Unterhaltung, wenn auch mit einem nicht ganz überzeugenden Finale.

WOLFGANG SCHNEIDER.

Patrick Hamilton: "Sklaven der Einsamkeit". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Miriam Mandelkow. Dörlemann Verlag, Zürich 2006. 335 S., geb., 22,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Eine Schlusspointe, ein Knalleffekt am Ende hält dieser Roman ebensowenig bereit wie eine identifikationsstarke Hauptfigur, glaubt Helmuth Krausser. Aber darauf kommt es auch gar nicht an. Hierzulande kennt man Patrick Hamilton vor allem als Drehbuchschreiber von Hitchcock-Klassikern und als alkoholkranken Autor: Aber nicht das Assoziations-Stakkato oder gar die schlichte Wortwahl eines Trinkers kennzeichnen diese Prosa. Ein "stilistisches Meisterwerk" sei dieser Roman, "elegant", "zart" und sprachmächtig, zuweilen gar "schnörklig-preziös" in ironischer Absicht, begeistert sich der Rezensent. Ob andere diese Begeisterung teilen, bleibt indes selbst für ihn fraglich. Denn ebenso wie der Roman sich nicht zwischen Katastrophe und Karthasis als dramaturgischem Fluchtpunkt entscheiden will, könnte es dem Leser mit der Hauptfigur Miss Enid Roach ergehen, die sich während des Zweiten Weltkriegs aus London in eine vermeintlich ländliche Idylle zurückzieht. Dem Autor gelingt es, diese Figur zwischen kleinbürgerlicher Verspanntheit und Geisteskrankheit "flimmern und schillern zu lassen bis zu letzten Seite". Das mag dem eingängigen Verständnis, gar einer Identifikation abträglich sein, zeugt aber vom großen dramaturgischen Geschick des Autors, so Krausser.

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