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Ein Buch 'über nichts', wie Flaubert es erträumte, 'nur durch die innere Kraft des Stils zusammengehalten'? Fünfter November ist ein Buch über das Fast-Nichts von kleinen Bewegungen, Gängen und Handgriffen im privaten Raum - wie in dem Titel gebenden Gedicht, in dem fast nichts geschieht, als dass der Tag, die Ziffer, in Wort und Schrift übersetzt wird und dadurch sinnliche Gewissheit erlangt. Und doch tauchen wir mit jedem Gedicht in ein Kalendarium des Lichts und der Schatten, in Jahreszeiten, Gezeiten der Natur, Zeiten der Menschen. 'Ich höre, wie es dauert.'In Borkovec' gestochen scharfer…mehr

Produktbeschreibung
Ein Buch 'über nichts', wie Flaubert es erträumte, 'nur durch die innere Kraft des Stils zusammengehalten'? Fünfter November ist ein Buch über das Fast-Nichts von kleinen Bewegungen, Gängen und Handgriffen im privaten Raum - wie in dem Titel gebenden Gedicht, in dem fast nichts geschieht, als dass der Tag, die Ziffer, in Wort und Schrift übersetzt wird und dadurch sinnliche Gewissheit erlangt. Und doch tauchen wir mit jedem Gedicht in ein Kalendarium des Lichts und der Schatten, in Jahreszeiten, Gezeiten der Natur, Zeiten der Menschen. 'Ich höre, wie es dauert.'In Borkovec' gestochen scharfer Wahrnehmung entfalten Dingwelt und Alltäglichkeit einen metaphysischen Zauber. Die Landschaft: Mittelböhmen. Der Dichter wittert Fährten, wie das Tier. 'Wölfe dampfen zum Himmel. Deutliches / Jagdtreiben.' Durch Naturbilder schimmern Palimpseste des Geworfen- wie des Aufgehobenseins. 'Das Herz ist ein Auge.'Fünfter November und andere Tage enthält eine autorisierte zweisprachige Auswahl aus den vor 'Feldarbeit' entstandenen Gedichtbänden von Petr Borkovec: Gedichte in einem unverkennbaren, innovativen Ton, die auch im deutschsprachigen Raum begeistert aufgenommen wurden, bisher aber nur teilweise, in rasch vergriffenen bibliophilen Drucken, zugänglich waren.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2006

Die Farben der Stimmgabel
Trakl statt Traktoren: Der tschechische Lyriker Petr Borkovec

Die traditionelle Regel sagte, daß tschechische Lyriker, die Großstädte, Neonlichter und den Surrealismus bewunderten, immer links von der Mitte zu finden waren, und die anderen, auf den Dörfern des flachen Landes, gläubig und an der Scholle haftend, immer rechts. Petr Borkovec, der nach der "sanften Revolution" 1989 zu publizieren begann, hält sich nicht mehr an diese traditionellen Einteilungen. Er kommt vom Lande her, ohne "Ruralist" zu sein, und weiß seine imaginative Freiheit zu verteidigen.

Gewiß: Sein Bezirk, zumindest in seinen frühen Gedichten, ist das böhmische Dorf, sind Fluß und Garten mit Apfel und Thuja, Wild und Wolke, aber er drängt uns diese Welt nicht auf wie seine apologetischen Vorfahren, sondern hält sie uns geradezu ferne, selbst die "Dämmerstunde" hat ihre Unwirtlichkeit, "der Garten klirrt, mit kantigen Mustern / umwickelt der Wind das schroffe Gelb ... / aus den schrägen Scharten bricht Kälte hervor. / Ein stechender, leerer Strahlenkranz", und wo der lyrische Spaziergänger noch auf neue Gedanken hoffte, trifft ihn die Monotonie eines Herbsttages, "die Eingebung / die du tagsüber auf durchnäßten Feldern / verspürtest - das braune, fleißige Licht -, / ist weg. Fensterscheiben, Tisch und Bett. / Mehr nicht, nichts Anvertrautes, abermals Regen".

Petr Borkovec ist kein lockerer Rhetoriker oder Wortverschwender, eher ein Lyriker der gedrängten Prägnanz. Er artikuliert lakonisch und fast wider Willen und beginnt das einzelne Gedicht oft, unterhalb des eigentlichen Titels, mit einem einzigen Satz oder einem Wort, das die Tonart oder Schwingungszahl des Ganzen definiert und begrenzt, eine Art Stimmgabel-Effekt - "von den Hochständen kommt Schnee", "Wölfe dampfen zum Himmel", oder noch einfacher: "Ocker die Kirche". Er sieht seine Dorfwelt, in welcher die arbeitenden Bauern und ihre Traktoren schon wieder programmatisch fehlen, wie hinter einer geschliffenen Glasscheibe, hinter der Häuser, Türme und Bäume allein und fremd zum Himmel ragen. Er geht auf Distanz; "verliere dich an eine Landschaft, und schon ist sie dir verloren", sagte er in einem Interview.

Die vorliegende Publikation "Fünfter November und andere Tage" hat allerdings gar nicht die Absicht, die neuere oder ganze Entwicklung ihres Autors vorzustellen, und versteht sich, wie die editorische Notiz verrät, als Anthologie aus drei frühen Gedichtbänden (1991 bis 1996), um die Aufmerksamkeit auf jene Lyrik zu lenken, in welcher er auf die Erfahrung seiner mittelböhmischen Heimat antwortete. Die Publikationsgeschichte ist einigermaßen kompliziert, denn die Mehrzahl dieser frühen Gedichte wurde schon in bibliophilen Drucken der Thanhäuser Buchwerkstatt (einer erprobten Freundin tschechischer Lyrik) publiziert, ehe sie, "nochmals durchgesehen und überarbeitet", in der neuen Edition erschien.

Nichts wäre also abwegiger, als den sechsunddreißigjährigen Borkovec als Poeten zu klassifizieren, der sich dem Schatten seines Dorfkirchturms nicht zu entziehen vermag. Das ist eine poetische Rolle, die er gerne auf sich nahm; er ist zwar im kleinen Lounovice geboren, hat aber in Prag das Gymnasium absolviert, an der Karlsuniversität studiert und mehr als ein Jahrzehnt als Kulturredakteur, auch an einer christlichen Zeitschrift gearbeitet, ehe er sich in Cernosice, einem desolaten Prager Villenvorort (wie er selbst sagt), niederließ, um sich auf seine selbständige literarische Arbeit und seine Übersetzungen, vor allem aus dem Russischen und dem antiken Griechisch, zu konzentrieren.

Er selbst hat sich dazu bekannt, in seinen frühesten Versen den südmährischen Poeten Jan Skácel nachgeahmt zu haben, aber er fügt auch hinzu, wie wesentlich für ihn die deutschen Expressionisten waren, vor allem Trakl, Heym oder auch der Maler Schmidt-Rottluff. Das intensiviert die Farben seiner Landschaftsbilder, anstatt sie zu mildern, in der Nacht "fließt Tusche vom Turm", selbst bei einem Begräbnis setzt "Musik ein, orangen, satt", und ein Weg "schleppt sich fleckig braun, wie trunken / zum Horizont". Deutlich wird die Erinnerung an Trakl gerade im deutschen Wortlaut, "Befremden auf einem nahen / Gesicht, ein Schatten. Kerzen auf den Gräbern, / vorbei am Mauerschimmel ... führt der Zug des verstummten Wildes, / schon nächtliche, niedrige Stuben".

Wir sind also gut darauf vorbereitet, die Arbeiten des späteren Borkovec zu lesen, etwa seine Sammlung "Feldarbeit" (2001) oder sein "Nadelbuch" (2004), beide auch schon (im selben Verlag) ins Deutsche übersetzt, und es wäre hoch an der Zeit, auch jene anderen, noch späteren Gedichte und Prosaskizzen zu publizieren, die aus Dresden, wo er Lyrikvorlesungen hielt, und Berlin, wo er ein Jahr lang als Gast des DAAD zu finden war. Es ist zu hoffen, daß Christa Rothmeier ihn zu übersetzen fortfährt. Er hat Glück, denn sie läßt sich von seiner Handhabung des komplizierten tschechischen Verbsystems und seinen zuzeiten so raren Worten durchaus nicht abschrecken und findet immer das wunderbarste Äquivalent.

PETER DEMETZ

Petr Borkovec: "Fünfter November und andere Tage". Gedichte 1990-1996. Aus dem Tschechischen übersetzt von Christa Rothmeier. Edition Korrespondenzen, Franz Hammerbacher, Wien 2006. 100 S., geb., 18,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Peter Demetz macht dieses aus drei frühen Gedichtbänden des tschechischen Dichters Petr Borkovec zusammengestellte Buch Lust auf Mehr. Zugleich beeilt er sich zu erklären, der Dichter schreibe ganz bestimmt nicht nur über böhmische Dörfer, sei also kein Ruralist, die dem Rezensenten offenbar unsympathisch sind. Jedenfalls braucht der Leser offenbar nicht auf die von Demetz erhoffte Edition von Borkovecs späteren Gedichte zu warten, um beeindruckt zu sein. Prägnanz und Distanz sind für den Rezensenten die Vorzüge des Autors, auch die Anleihen bei Expressionisten wie Trakl und Heym hält er für bereichernd. Gleichfalls als Gewinn erscheint ihm die Arbeit der Übersetzerin Christa Rothmeier. Für jedes noch so seltene Wort, meint er, finde sie das "wunderbarste Äquivalent".

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