Tragisch? Komisch? Tragikomisch? Samuel Beckett ist alles, sein Werk ist geprägt von den unterschiedlichsten Farben und Facetten. Die Werkauswahl Wir sind Zauberer spürt diesen nach, zeigt Überraschendes und Bedeutendes, Clowneskes und Zartes, Tragisches und Komisches.
Eine Sammlung mit den Stimmen von Heinz Rühmann, Billie Whitelaw, Peter Fitz, Martin Wuttke und vielen anderen. Samuel Beckett selbst ist in der Originalaufnahme zur Produktion von "What where" zu hören.
Inhalt: Warten auf Godot, All that fall, Pochade radiophonique, Erste Liebe, Um abermals zu enden und anderes Durchgefallenes, Flötentöne/Trötentöne, A stain upon the silence.
Eine Sammlung mit den Stimmen von Heinz Rühmann, Billie Whitelaw, Peter Fitz, Martin Wuttke und vielen anderen. Samuel Beckett selbst ist in der Originalaufnahme zur Produktion von "What where" zu hören.
Inhalt: Warten auf Godot, All that fall, Pochade radiophonique, Erste Liebe, Um abermals zu enden und anderes Durchgefallenes, Flötentöne/Trötentöne, A stain upon the silence.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.04.2006 DAS HÖRBUCH
Formel und Geräusch
Da führt kein Wort hinaus: Samuel Beckett hören
Schafe blöken, Vögel zwitschern, eine Kuh schreit Muh, ein Hahn kräht. Dann sind Schafe, Kuh, Vögel und Hahn gemeinsam zu hören, gefolgt von Schritten, Keuchen, Ächzen. Die siebzigjährige Maddy Rooney, zweihundert Pfund ungesunden Fettes, hat sich auf den Weg gemacht. Sie will zum Bahnhof, um ihren blinden Gatten an dessen Geburtstag zu treffen. Dass es Selbstmord sei, draußen zu sein, wird sie bald schon sagen. Aber was ist es, daheim zu sein?
So konventionell, naturalistisch nachbildend, beginnt das Hörspiel „All that fall”. Samuel Beckett hat es, vom späten Erfolg bereits heimgesucht, 1956 verfasst. Der Titel überhöht, wie es in der Literatur seit langem üblich ist, das alltägliche Geschehen. „Der Herr stützt alle, die fallen, / Und richtet alle Gebeugten auf”, weiß Psalm 145.
So weit, so hergebracht. Aufregend mag die Beckett-Box des Hörverlages sein, weil hier kurz die Stimme des Autors zu hören ist, weil man Heinz Rühmann in „Warten auf Godot” lauschen kann, weil „Pochade Radiophonique” in einer sehr aktuell klingenden, geschwinden Inszenierung vorliegt, weil Martin Wuttke den Gestus der Hilflosigkeit trifft, in dem die „Erste Liebe” als Text wie als Geschehen uns ereilt. Zum Geschenk werden die sechs CDs, weil sie Anlass bieten, das modernistische Vorurteil zu bedenken, das Becketts Werk seit dem Durchbruch in den fünfziger Jahren umstellt. Gewiss, es hat viel für sich, man wird nicht lange über Beckett sprechen können, ohne von Trostlosigkeit, Formwillen, Reduktion, Verzweiflung, auch von Absurdität, Clownerie und Slapstick zu reden. Und doch wirkt dies vor den Texten immer etwas vorschnell und altklug. Sie sind keine Illustration von These und Weltgefühl, wollen als sinnliches Ereignis wahrgenommen werden, bevor Analytiker und Philosoph zu Wort kommen dürfen. Die Situation des Menschen, mal eines einzelnen, bestimmten, mal eines ganz ortlosen, unpersönlichen, wird hier vorgeführt, nicht erläutert.
Möglicherweise kann man dies nirgends besser erleben, als beim Hören von „All that fall” in der Regie von Everett C. Frost, mit der maßvoll übertreibenden, nie überschlauen Billie Whitelaw, die als Maddy Rooney den Weg zum Bahnhof entlang keucht und plappert. Ihre Sätze zeigen, dass sie alles weiß, aber doch nie die Sache ganz trifft. Die Lage ist die des „undsoweiter”. Da führt kein Wort hinaus, auch nicht, wenn man siebzig und fett und auf dem Weg ist.
Der Clown und der Metaphysiker leiden am nämlichen Gebrechen. So bald sie ihr Geschäft begonnen haben, finden sie kein Ende mehr. Jeder Versuch, herauszukommen, einen absoluten Punkt zu erreichen, führt nur umso tiefer hinein: den einen ins Missgeschick, den anderen in die Welt der Begründungen und Grübeleien. Dass dies nicht notwendig trübsinnig stimmt, sondern vor allem Anlass zum heiter staunenden Betrachten bietet, kann man hier hören. Die Suche nach Halt und Klarheit führt nur immer tiefer ins Dickicht der Geräusche. JENS BISKY
SAMUEL BECKETT: Wir sind Zauberer. Godot und die anderen. Drama, Hörspiele, Prosa, Gedichte und Originalton-Aufnahmen. Hörverlag, München 2006. 6 CD, 385 Minuten, 49,95 Euro.
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Formel und Geräusch
Da führt kein Wort hinaus: Samuel Beckett hören
Schafe blöken, Vögel zwitschern, eine Kuh schreit Muh, ein Hahn kräht. Dann sind Schafe, Kuh, Vögel und Hahn gemeinsam zu hören, gefolgt von Schritten, Keuchen, Ächzen. Die siebzigjährige Maddy Rooney, zweihundert Pfund ungesunden Fettes, hat sich auf den Weg gemacht. Sie will zum Bahnhof, um ihren blinden Gatten an dessen Geburtstag zu treffen. Dass es Selbstmord sei, draußen zu sein, wird sie bald schon sagen. Aber was ist es, daheim zu sein?
So konventionell, naturalistisch nachbildend, beginnt das Hörspiel „All that fall”. Samuel Beckett hat es, vom späten Erfolg bereits heimgesucht, 1956 verfasst. Der Titel überhöht, wie es in der Literatur seit langem üblich ist, das alltägliche Geschehen. „Der Herr stützt alle, die fallen, / Und richtet alle Gebeugten auf”, weiß Psalm 145.
So weit, so hergebracht. Aufregend mag die Beckett-Box des Hörverlages sein, weil hier kurz die Stimme des Autors zu hören ist, weil man Heinz Rühmann in „Warten auf Godot” lauschen kann, weil „Pochade Radiophonique” in einer sehr aktuell klingenden, geschwinden Inszenierung vorliegt, weil Martin Wuttke den Gestus der Hilflosigkeit trifft, in dem die „Erste Liebe” als Text wie als Geschehen uns ereilt. Zum Geschenk werden die sechs CDs, weil sie Anlass bieten, das modernistische Vorurteil zu bedenken, das Becketts Werk seit dem Durchbruch in den fünfziger Jahren umstellt. Gewiss, es hat viel für sich, man wird nicht lange über Beckett sprechen können, ohne von Trostlosigkeit, Formwillen, Reduktion, Verzweiflung, auch von Absurdität, Clownerie und Slapstick zu reden. Und doch wirkt dies vor den Texten immer etwas vorschnell und altklug. Sie sind keine Illustration von These und Weltgefühl, wollen als sinnliches Ereignis wahrgenommen werden, bevor Analytiker und Philosoph zu Wort kommen dürfen. Die Situation des Menschen, mal eines einzelnen, bestimmten, mal eines ganz ortlosen, unpersönlichen, wird hier vorgeführt, nicht erläutert.
Möglicherweise kann man dies nirgends besser erleben, als beim Hören von „All that fall” in der Regie von Everett C. Frost, mit der maßvoll übertreibenden, nie überschlauen Billie Whitelaw, die als Maddy Rooney den Weg zum Bahnhof entlang keucht und plappert. Ihre Sätze zeigen, dass sie alles weiß, aber doch nie die Sache ganz trifft. Die Lage ist die des „undsoweiter”. Da führt kein Wort hinaus, auch nicht, wenn man siebzig und fett und auf dem Weg ist.
Der Clown und der Metaphysiker leiden am nämlichen Gebrechen. So bald sie ihr Geschäft begonnen haben, finden sie kein Ende mehr. Jeder Versuch, herauszukommen, einen absoluten Punkt zu erreichen, führt nur umso tiefer hinein: den einen ins Missgeschick, den anderen in die Welt der Begründungen und Grübeleien. Dass dies nicht notwendig trübsinnig stimmt, sondern vor allem Anlass zum heiter staunenden Betrachten bietet, kann man hier hören. Die Suche nach Halt und Klarheit führt nur immer tiefer ins Dickicht der Geräusche. JENS BISKY
SAMUEL BECKETT: Wir sind Zauberer. Godot und die anderen. Drama, Hörspiele, Prosa, Gedichte und Originalton-Aufnahmen. Hörverlag, München 2006. 6 CD, 385 Minuten, 49,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein großer Schatz wird dem hörenden Publikum hier ausgebreitet - so könnte man Thomas Wagners Rezension der sechs CDs umfassenden Ausgabe des hörbaren Werks von Samuel Beckett zusammenfassen. Es finden sich darunter Lesungen, vor allem aber Hörspielbearbeitungen von Becketts Texten beziehungsweise auch Einspielungen der fürs Radio entstandene Texte des Autors. Daneben aber gibt es Lyrik Becketts und Tondokumente wie Gespräche mit Mitarbeitern wie der Schauspielerin Billie Whitelaw oder dem Autor Raymond Federman. In einem anderen Gespräch bedauert der Literaturwissenschaftler Martin Esslin, Beckett so umstandslos ins "Theater des Absurden" eingeordnet zu haben, auch manche andere Legende - etwa die von der Sekretärsarbeit für Joyce - wird hier geradegerückt. Kritische Anmerkungen bringt der Rezensent kaum vor. Einzig Martin Wuttke hätte seiner Meinung nach die "Mirlitonnades" vielleicht etwas flotter lesen können. Und Beckett selbst ist nur einmal kurz zu hören - aber mehr veröffentlichte Tonzeugnisse gibt es laut Wagner nicht. Und überhaupt wird man offenbar auch so reich beschenkt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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