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Mozarts "Don Giovanni" enthält unterhalb des sichtbaren Bühnengeschehens noch eine tiefere, psychologische Sinnebene. Es ist die besondere Qualität der Musik wie auch das bedrohliche Wiederauftauchen des ermordeten Vaters als ein steinerner Geist am Ende der Oper, die erahnen lassen, dass unterhalb ödipaler Anklänge in dieser Oper noch ein früheres, archaischeres Drama zur Darstellung gelangt.

Produktbeschreibung
Mozarts "Don Giovanni" enthält unterhalb des sichtbaren Bühnengeschehens noch eine tiefere, psychologische Sinnebene. Es ist die besondere Qualität der Musik wie auch das bedrohliche Wiederauftauchen des ermordeten Vaters als ein steinerner Geist am Ende der Oper, die erahnen lassen, dass unterhalb ödipaler Anklänge in dieser Oper noch ein früheres, archaischeres Drama zur Darstellung gelangt.
Autorenporträt
Dr. Bernd Oberhoff, Diplom-Psychologe, Gruppenanalytiker, Supervisor, Privat-Dozent an der Universität Kassel für "Soziale Therapie", langjähriger Kammerchor-Leiter (Preisträger). Wichtige Buchveröffentlichungen: Christoph Willibald Glucks präödipale Welt, eine musikalisch-psychoanalytische Studie. 1999; Übertragung und Gegenübertragung in der Supervision. 2000.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.08.2004

Elvira, böse Mutter
His Majesty the Baby: Bernd Oberhoff psychoanalysiert Don Giovannis liebeskranke Seele
Was ist ein Opernführer? Er erzählt die Handlung einer Oper nach. Der „psychoanalytische Opernführer” von Bernd Oberhoff erzählt den psychoanalytischen „Plot” nach. Etwa so: Don Giovanni hat eine tiefe pathologische Störung, er ist nicht bindungsfähig, weil er nie mütterliches Holding erfahren hat, seine sexuelle Unersättlichkeit ist die Suche eben danach, deswegen das Gehetzte, Nervöse in seinem Charakter. Wie ein Baby dringt er in Donna Annas Schlafzimmer als in das Schlafzimmer der Mutter, die ihn kalt zurückweist, und wenn er in die Hand des Komtur einschlägt, ergreift er wieder „die kalte Hand der Mutter”.
Wer diese Sprache nicht kennt, wird sich zunächst darüber kaputtlachen, wie Don Giovanni über den Komtur gelacht hat, und wenn dem Leser dann das Gelächter auch vielleicht nicht direkt im Halse stecken bleibt, wie Don Giovanni und vor allem seinem Diener Leporello, wird er sich vermutlich doch durch Oberhoff verlocken lassen, sich dessen Vorschläge unterbreiten zu lassen. Dass die sozialgeschichtliche Dimension fehlt, sollte ihn nicht befremden. Schließlich hat Oberhoff keinen sozialgeschichtlichen Opernführer versprochen. Das Verrückte ist: dieser Opernführer ist tatsächlich gut, obwohl wir doch alle seit Jahren mit Adorno den Kopf über die „Banausie” der psychoanalytischen Kunstinterpretation schütteln.
Er ist unter anderem deshalb gut, weil er so unprätentiös daherkommt, sich nicht intellektualistisch à la Lacan aufspreizt und sich doch nichts abmarkten lässt von seiner psychoanalytischen Sicht. Oberhoff meint, dass in dieser Oper ein psychotischer Kern steckt. In dieses Szenario mit seinen archaischen frühkindlichen Grauenserfahrungen, Todesängsten und Schreckenserwartungen lässt er uns hineinsehen und entwickelt mittels verschiedener Topoi wie der Rache an der Mutter, camoufliert als Frauenverführung, eine „Psychoästhetik des Paranoid-Psychotischen”. Was ihn vor allem davor rettet, dass sich seine Deutung als Parodie abtun lässt, ist seine musikalische Sensibilität.
So belegt er seine These des „im Inneren von Don Giovanni abgespalten tobenden paranoiden Dramas”, das gegen Ende immer massiver an die Tore des Bewusstseins dränge, durchgängig anhand der Musik. Don Giovanni hat keine Arie außer der „gehetzten, manisch euphorischen” Champagnerarie, die, kaum begonnen, schon wieder abbricht, weil er keinen festgelegten Charakter hat, der sich in einer Auftrittsarie exponieren ließe. Er kann nicht an die Gnade „appellieren”, wie Ivan Nagel in seinem schönen Mozartbuch „Autonomie und Gnade” sagen würde. Es gibt keine Vermittlung zwischen dem brillanten D-Dur der Libertinage und dem tragischen D-Moll, das immer mit Gattungspathos beladen ist. In dem Duett mit Zerlina - „Reich mir die Hand mein Leben” - , in dem er wieder einmal seine Verführungsstrategie einsetzt, spürt Oberhoff „keine Falschheit in der Musik”. Ein „Moment innigen Glücks” scheint auf als das, was Don Giovanni tatsächlich sucht, um die traumatische Ursprungssituation vergessen zu lassen. Sie wird dann allerdings nur reinszeniert, weil er sie nicht als Zweck, sondern als Mittel der Verführung einsetzt.
Huch, das Krokodil
Wie wird Oberhoff mit dem Problem dieser psychoanalytischen Interpretation fertig, die einzelnen Figuren in die Szenerie eines kleinkindlichen Bewusstseins einzusetzen? Eher so, dass er sich gar nicht darum kümmert; er richtet Spots auf einzelne Szenen und nimmt das Ganze wie einen Traum des Don Giovanni, in dem nicht alles aufgehen muss. Das ist ein vernünftiges Vorgehen, denn die Reduktion dieses Kunstwerks auf ein psychologisches Phänomen kann schon deshalb nur punktuell gelingen, weil der Held zwar psychopathologisch sein mag, die Musik aber reif ist und souverän. So ergibt sich die Frage, was in dieser Musik Darstellung, was Ausagieren ist? Da es sich um vorromantische Musik, also um Musik ohne den romantischen Ausdrucksbegriff handelt, ist das schwer zu beantworten. Denn gerade dem Don, für Oberhoff das Paradigma des Pathologischen, wird die spätaristokratische Repräsentationsmusik zugeordnet, die „glatte” Musik, während die dem Komtur zugeordnete Musik sich in schauerlichen chromatischen Skalen auflöst.
Es gibt Partien, da geht es mit Oberhoff durch, da begreifter Don Giovanni so sehr als leibhaftigen Analysanden, dass Urteile entstehen, die unfreiwillig komisch sind. Bezeichnenderweise gebraucht er dann immer das Adjektiv „ärgerlich”: ärgerlich ist dies und das, weil der „Patient” uns etwas zumutet, das der Analytiker nicht gutheißen kann, weil es seine Analyse stört. Wohl wahr, darum kümmert Don Giovanni sich nicht.
Was Oberhoff fehlt, ist der Blick fürs Theater. Es ist doch ein Unterschied, ob man sich die bierernst gemeinte Höllenfahrt von Glucks Orpheus und Eurydike ansieht oder die Abgründe des Don Giovanni, bei dem die Assoziation „Kasperltheater” näher liegt: Huch, das Krokodil, nein, es ist ja gar nicht da, doch, da öffnet es seinen Schlund. Auch Elvira in Don Giovannis, d. h. des Kleinkindes, Perspektive die böse Mutter, das böse verfolgende innere Objekt, kann theatralisch so etwas wie Kaspers Grete sein. Gerade wenn man so stark die frühkindlichen Szenarien in den Blick nimmt, hätte es nahe gelegen, Mozarts Genrebezeichnung Dramma giocoso ernster zu nehmen und an die Formen des Kindertheaters zu denken. Gut, dass Oberhoff Notenbeispiele bringt, so dass man Stellen überprüfen kann, gut, dass er sich nur auf eine einzige Wiedergabe, die des Drottning Holm Court Theatre Orchestra unter Leitung von Arnold Östman, bezieht. Schade, dass er nicht durchgängig italienisch zitiert, denn der italienische Text hat viel mehr Pointen, die der Musik direkt zuarbeiten. - Musiktheoretisch könnte man sagen, dass ein Moment der Wirkung von Musik immer in der Aktualisierung frühkindlicher Gedanken liegt - doch nicht als Regression; die frühkindlichen Gedanken werden vielmehr zu Ideen des Sozialen transformiert. Dafür war Mozart wohl der Meister überhaupt.
Wissen wir nun, was Don Giovanni „eigentlich” gesucht hat? Natürlich nicht. Sonst müssten wir die Oper nicht immer wieder hören. Aber wir können sie nun mit klügeren Ohren hören. Plausibel die Deutung, dass die „Hölle” im 18. Jahrhundert, 100 Jahre vor Freud, noch nicht in einer „ontogenetischen biographischen Frühzeit, sondern im religiösen Jenseits” lag. Die Scena ultima aber vermasselt Oberhoff, indem er meint, das moraltrompetende Sextett schaffe für den Zuhörer Entlastung von bedrohlichen Gefühlen, und wir Zuschauer seien dankbar dafür und könnten uns beruhigt wieder auf den Heimweg begeben: „Erwischt hat es nur den Bösewicht.”
Hier treibt er die Naivität zu weit, wir leben nicht mehr im Wien des 18. Jahrhunderts. Dieser Schluss war ein Zugeständnis an die Zensur. Denn was wollte Don Giovanni „wirklich”? Nicht Frauen ohne Ende, seine Sucht ist nicht zu stillen, er war süchtig nach dem Untergang. Wäre es nicht so, hätte Kierkegaard sich getäuscht, wäre Don Giovanni kaum die Opern aller Opern.
CAROLINE NEUBAUR
BERND OBERHOFF: Wolfgang A. Mozart, Don Giovanni. Ein psychoanalytischer Opernführer. Imago Psychosozial-Verlag, Gießen 2004. 106 Seiten, 10 Euro.
Thomas Hampson als Don Giovanni und Magdalena als Zerlina in Martin Kusejs Salzburger Inszenierung der Mozart-Oper von 2002
Foto: ddp
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dass einem, was Bernd Oberhoff hier treibt, erst mal komisch vorkommen kann, und zwar unfreiwillig komisch, das kann Caroline Neubaur beinahe verstehen. Nicht weniger nämlich hat sich der Autor vorgenommen, als die Psychoanalyse der Figuren von Mozarts Oper "Don Giovanni". Heraus kommt Dabei - so Oberhoff selbst - eine "Psychoästhetik des Paranoid-Psychotischen". Im Grunde aber, damit rückt die Rezensentin bald heraus, findet sie das alles trotz Adornos kritischer Anmerkungen zur Psychoanalyse der Kunst durchaus plausibel. Angenehm scheint ihr schon, dass hier so wenig Lacanscher Jargon ins Spiel kommt und dass Oberhoff sich dem grundsätzlichen Problem des ganzen gewachsen zeigt. Das nämlich liege darin, "dass der Held zwar psychopathologisch sein mag, die Musik aber reif ist und souverän". Oberhoff, das seine größte Stärke, versteht, so Neubaur, etwas von Musik. Er konstruiert also nichts hinein ins Werk, sondern deutet es aus der Musik heraus. Was dagegen fehle, das sei der "Blick fürs Theater". Auch den von der Zensur erzwungenen Schluss der Oper lese der Autor "naiv" - macht aber nichts: angeregt fühlte sich die Rezensentin ganz offensichtlich.

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