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Der Film hat in Frankreich - wohl stärker als in anderen Ländern - von Anfang an die Literatur herausgefordert. Die beiden Medien waren bzw. sind sich gegenseitige Inspiration und stehen gleichzeitig in ständiger Konkurrenz um die mediale Hegemonie der (Re-) Präsentation und Interpretation von Welt. In diesem Band geht es darum, diese oftmals widersprüchlichen Bewegungen zwischen Film und Literatur zu rekonstruieren. Hierbei scheint es eine Konstante zu geben: eine Form von Hassliebe zwischen Literatur und Film, bei der indessen ein interessantes Ungleichgewicht zu beobachten ist. Während der…mehr

Produktbeschreibung
Der Film hat in Frankreich - wohl stärker als in anderen Ländern - von Anfang an die Literatur herausgefordert. Die beiden Medien waren bzw. sind sich gegenseitige Inspiration und stehen gleichzeitig in ständiger Konkurrenz um die mediale Hegemonie der (Re-) Präsentation und Interpretation von Welt. In diesem Band geht es darum, diese oftmals widersprüchlichen Bewegungen zwischen Film und Literatur zu rekonstruieren. Hierbei scheint es eine Konstante zu geben: eine Form von Hassliebe zwischen Literatur und Film, bei der indessen ein interessantes Ungleichgewicht zu beobachten ist. Während der Film immer wieder explizite Anleihen bei der Literatur macht (wenn er sie nicht ebenso ausdrücklich verwirft), scheint die Literatur (nicht die Literaten!) vergleichsweise resistent gegenüber dem Film bzw. filmischen Strukturen zu sein. Ein Schwerpunkt stellt dabei das ungebrochene Interesse sowohl der Regisseure als auch der Film- und Literaturwissenschaftler an Literaturverfilmungen dar. Die Vehemenz der kritischen Debatten über die Verfilmungen weist nachdrücklich auf den auch weiterhin bestehenden Klärungsbedarf in der Intermedialitätsforschung hin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2009

Es geht ums Prestige
Texte über Kino und Literatur in Frankreich nach 1945

In Abdellatif Kechiches "L'Esquive" aus dem Jahr 2004 probt eine Gruppe Kids aus einer Pariser Banlieue Marivaux' virtuoses "Spiel von Liebe und Zufall" und entdeckt dabei auch eine Sprache für eigene Gefühle, ja diese Gefühle selbst. Dieser Film repräsentiert idealtypisch wie selbstverständlich, wie in der französischen Bildungstradition das Alltägliche und die Hochkultur immer noch ineinandergreifen und wie modern das Klassische sein kann. Dazu gehört bei den Franzosen neben nüchternem Realismus und Interesse an Zeitgenossenschaft immer auch eine Portion idealistisches Pathos: In "L'Esquive" ist die Kunst ein Befreiungsakt, und die Gruppenidentität der Migrantenkinder wird nie übermächtig. Individualität ist entscheidender.

Das Wechselspiel von Film und Literatur hat in Frankreich lange Tradition. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg, darauf weisen die Herausgeber bereits in der Einleitung zu ihrem Buch über "Film und Literatur in Frankreich nach 1945" hin, erkannte die Politik das Potential des neuen Mediums und förderte die Mitarbeit von Künstlern anderer Kunstgattungen. Das brachte dem Kino Prestige und führte zugleich zu den ersten großen Literaturverfilmungen.

Dieses ambitionierte Verhältnis war noch 1959 präsent, als der Filmkritiker André Bazin zum Auftakt der Nouvelle Vague für ein "unreines Kino" plädierte: In dem historischen Augenblick, in dem eine neue Generation französischer Filmemacher den nunmehr antiquierten Stil des französischen Kriegs- und Nachkriegskinos verabschiedete und sich die Bilder endgültig vom Text, das Kino von Literatur und Theater emanzipierten, begriff Bazin die wechselseitige Herausforderung von Literatur und Film auch nach der vollzogenen Autonomieerklärung des Kinos wieder als Chance. Um mehr oder weniger adäquate Literaturverfilmungen musste es dabei nicht gehen; eher darum, wie die Literatur das Kino dazu provozieren könnte, seine ureigenen Möglichkeiten erst wirklich auszuschöpfen. Etwa in Louis Malles Queneau-Verfilmung "Zazie in der Metro", die aus den Brüchen zwischen Sprache, Ton, Musik Stilmittel eines souveränen Spiels mit den Konventionen des Kinos macht.

Der selten zu akademische, anregende Sammelband untersucht die Konvergenzen von Film und Literatur in einigen Überblickstexten und verschiedensten Fallbeispielen - zum Beispiel Renoirs und Chabrols Flaubert-Verfilmungen - bis hin zur Gegenwart. Eine der interessantesten Figuren in dieser facettenreichen Geschichte ist ohne Frage Alain Robbe-Grillet, ein Grenzgänger zwischen beiden Medien und in beiden erfolgreich. Dessen Idee vom Kino war das bewusste Gegenprogramm zur Nouvelle Vague, der er vorwarf, "die von der Industrie kodifizierte" Filmsprache nie in Frage zu stellen. Marcus Stiglegger beschreibt in seinem Beitrag Robbe-Grillets Arbeiten schlüssig als von Anfang an "intermedial angelegtes Gesamtkunstwerk", das bis heute einzigartig sei und in dem noch die Autobiographien "als nachgereichter Metakommentar" des Autors fungieren. Ein Kino der Konstrukte und Rituale, des Spiels mit Genreelementen, das visuell und erzählerisch immer wieder transgressive Züge trägt und die Literaturgrenzen überschreiten möchte, allerdings dem rein Filmischen nie ganz vertrauen konnte.

Im französischen Gegenwartskino hat sich das Interesse, wie Birgit Wagner konzediert, zwar von formalen Spielen und der Dekonstruktion herkömmlicher Erzählweisen auf ein Interesse an kulturellen und ethnischen Identitäten verlagert. Das Interesse für literarische Stoffe und die Lust an komplexen Zitatspielen, die beim Zuschauer viel Kenntnis voraussetzen, sind aber auch bei jüngeren Filmemachern ungebrochen. Eine Regisseurin wie Claire Denis schließt an Robbe-Grillets Suche nach Darstellungsformen fürs Begehren an. In ihrer sehr freien Melville-Verfilmung "Beau Travail" schreibt sie den klassischen Stoff in die postkoloniale Gegenwart von Djibouti ein. Das tut auf seine Art auch Abdellatif Kechiche in "L'Esquive" - in beiden Fällen wird die scheinbar so ferne Literaturvorlage aktuell, indem man sie plötzlich auf den Boden einer gegenwärtigen Filmerfahrung stellt.

RÜDIGER SUCHSLAND

Dirk Naguschewski, Sabine Schrader (Hrsg.): "Kontakte, Konvergenzen, Konkurrenzen". Film und Literatur in Frankreich nach 1945. Schüren Verlag, Marburg 2008, 234 S., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Positiv äußert sich Rüdiger Suchsland über diesen von Dirk Naguschewski und Sabine Schrader herausgegebenen Band, der Texte über Kino und Literatur in Frankreich nach 1945 versammelt. Die einzelnen Beiträge scheinen ihm meist recht anregend und nur hin und wieder "zu akademisch". Im Mittelpunkt sieht er die Konvergenzen von Film und Literatur, die in Frankreich eine lange Tradition haben. Als Beispiel nennt er Beiträge über Renoirs und Chabrols Flaubert-Verfilmungen. Lobend hebt er besonders Marcus Stigleggers Beitrag über das "intermedial angelegte Gesamtkunstwerk" Alain Robbe-Grillet hervor.

© Perlentaucher Medien GmbH