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1961 besuchen Bernward Vesper und Henner Voss gemeinsam die Buchhändlerschule in Rodenkirchen bei Köln. Es entwickelt sich eine Freundschaft, die bis Januar 1965 anhält. Beide tauchen in das literarische Milieu ein, schreiben. Bernward Vesper betreibt zusammen mit Gudrun Ensslin einen literarisch ambitionierten Verlag: studio neue literatur, bei dem Henner Voss Berater und Mitarbeiter wird. In einer kleinen Wohnung in Kreuzberg lernt Henner Voss seinen Freund aus nächster Nähe kennen. Neben der Schilderung der nicht nachlassenden Versuche, in der Literaturszene beachtet zu werden, zeichnet…mehr

Produktbeschreibung
1961 besuchen Bernward Vesper und Henner Voss gemeinsam die Buchhändlerschule in Rodenkirchen bei Köln. Es entwickelt sich eine Freundschaft, die bis Januar 1965 anhält.
Beide tauchen in das literarische Milieu ein, schreiben. Bernward Vesper betreibt zusammen mit Gudrun Ensslin einen literarisch ambitionierten Verlag: studio neue literatur, bei dem Henner Voss Berater und Mitarbeiter wird. In einer kleinen Wohnung in Kreuzberg lernt Henner Voss seinen Freund aus nächster Nähe kennen.
Neben der Schilderung der nicht nachlassenden Versuche, in der Literaturszene beachtet zu werden, zeichnet Henner Voss die mentalen Auswirkungen der Nachkriegszeit auf die jungen Intellektuellen nach. Der Vater des Freundes war der Nazidichter Will Vesper, dessen Schatten der Sohn nicht entkommt.
Henner Voss vermittelt das Porträt eines Freundes, der mit Wahnwitz und hochgradig angespannter Energie seinen Weg gesucht hat. Es ist ein sehr persönliches Bild von Bernward Vesper, von seiner Zerrissenheit und Egomanie. Detailaufnahmen aus einer Zeit der Ungeduld und des Aufbruchs.
Autorenporträt
Henner Voss, geboren 1942 in Remscheid, veröffentlichte in Anthologien, Funk, Zeitschriften und Zeitungen (stern, Vorwärts, literatur konkret, tageszeitung, Kölner Stadtanzeiger u.a.) Erzählungen, Reportagen, Autorenportraits. Der Autor in Bergheim an der Erft.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.08.2005

Divination eines Wirrkopfs
Bernward Vespers frühe Jahre, von einem Freund erzählt
Anfang der sechziger Jahre hat es in Westdeutschland junge Männer gegeben, die fast genau so hochmütig, durchgeknallt und demokratiemüde waren wie heute die blasierten Eliteterroristen in Uwe Tellkamps Roman „Eisvogel”. Weil aber den Weg nach rechts schon ihre Väter beschritten hatten, wählten diese junge Männer den Weg nach ganz links, vorbei jedoch an Inspirationen wie Ernst Jünger, Gottfried Benn, Knut Hamsun, Drieu de la Rochelle, Agnes Miegel und Hans Grimm. An einen der führenden Wirrköpfe jener Jahre, aus dem dann aber eine frühvollendete Dichterlegende werden sollte, erinnert Henner Voss in seinem überaus lesenswerten Büchlein „Vor der Reise. Erinnerungen an Bernward Vesper”.
Anfang 1961 lernten sich die beiden in der Buchhändlerschule in Köln-Rodenkirchen kennen. Mit Ulf Miehe und Rolf Dieter Brinkmann gehörten zwei andere wilde, junge und schreibende Männer zur selben Szene. Man hängt zusammen in den Kneipen von Rodenkirchen herum, trinkt und redet ausschweifend über Literatur. Nur einer fällt dabei regelmäßig aus der Rolle. „Wir staunten über die geringen Mengen Alkohol, die Vespers Impulskontrolle exorzierten”, heißt es in Voss’ Diktion, die etwas vom Übermut der frühen Jahre ahnen lässt. Vesper, Sohn des Nazi-Poeten Will Vesper und soeben erst vom väterlichen Gut Triangel in die große Stadt gelangt, war stets auf der Suche nach Skandal, oder besser, er fand ihn, ganz ohne ihn gesucht zu haben. Frauen jedoch waren ihm unheimlich.
„Er mied ihre Augen”. Wenig später allerdings - Ulf Miehe ist soeben mit einer anderen aufstrebenden Literatin, mit Gertrud Höhler zusammengezogen - hat Vesper dann doch eine Freundin. Sie heißt Gudrun Ensslin und ist von ihm schwanger. Sein Freund hilft Vesper dabei, einen Arzt für die Abtreibung zu suchen. Vesper macht sich Sorgen: „Meine Divination sagt mir, das läuft nicht.” „Meine Divination”, das ist eines von vielen bizarren Sprachjuwelen, die Henner Voss aus Vespers Mund kolportiert. Von „Gutsherren-Attitüde” spricht sein Freund, und das könnte noch untertrieben sein.
Nur mit Schluckimpfung
Aus Weltferne, Männerdünkel und Bildungshochmut braut sich in Vesper in diesen Jahren ein für ihn und seine Mitwelt gefährlicher Mix zusammen, dessen Treibstoff weniger die Politik als, in vielerlei Gestalt, die Droge ist. „Alkohol als Schluckimpfung gegen seine Schüchternheit, Selbstzweifel und Dysthymie”, nennt Voss es mit schöner Prägnanz. Mit Alkohol im Blut wird Vesper zum hochfahrenden Fremdwort-Artisten, zu einem Burschenschaftler der reinen Poesie, den seine Umgebung anfangs als Unikum, dann nur als Geißel wahrnimmt. Im engsten Kreis - mit seinem Freund betreibt er nun einen literarischen Kleinstverlag - kann Vesper charmant und entspannt sein. Wehe aber, es reiten ihn die Furien, etwa wenn Gudrun zu Besuch kommt. Dann „wurde Bernward von Ordnungs- und Hygienekollern und einem Hochgefühl befallen, das ihn beim Reinigen der Wohnung summen ließ. Meist unentschuldbaren Schlager-Schund.”
Henner Voss’ Bericht ist nicht, wie etwa Gerd Koenens „Vesper, Ensslin, Baader” auf eine kritische Einordnung von Vespers Persönlichkeit und kurzem Leben in die Frühgeschichte der RAF aus. Dafür schöpft er aus eigener Anschauung und aus Voss’ Geschick, der Anschauung eine Sprache zu verleihen. Es ist die Sprache jener Jahre, eine Frühsechzigersprache, weit entfernt noch von der Kulturrevolution, der Amerikanisierung, der marxistischen Dogmatisierung, die folgen sollten. Gudrun und Bernward, sie sind hier noch in verpuppter, fast kleinbürgerlicher Gestalt zu betrachten; wobei Gudrun ihr Organisationstalent damals noch vorwiegend darauf verwendet, Bernward, das undisziplinierte Schreibgenie, zu managen. Wozu auch gehört, ihn vom Trinken abzuhalten. „Wenn du dir nichts aus Alkohol machst, wie du sagst - wie kommt es dann, dass ich zwei Rotweinflaschen zwischen deiner Wäsche im Kleiderfach gefunden habe?” Fragen, auf die Bernward keine Antwort weiß, Fragen, die Gudrun bald zu lächerlich werden. Im Jahr 1965 endet die Freundschaft zwischen Voss und Vesper, und auch die Verlobung zwischen Gudrun und Bernward geht wenig später in die Brüche. Was folgen sollte, entzieht sich Voss’ persönlicher Kenntnis, ist aber allgemein bekannt. 1971 hat sich Bernward Vesper, der Autor des posthum veröffentlichten Romanessays „Die Reise” in der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf das Leben genommen.
CHRISTOPH BARTMANN
HENNER VOSS: „Vor der Reise. Erinnerungen an Bernward Vesper”. Nautilus Verlag, Hamburg 2005. 78 S., 14 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Friedhelm Rathjen mag es kaum glauben, dass dieser "spätpubertäre Aufschneider" mit seinem "hochnotpeinlichen Getue" zu einem Buch wie "Die Reise" fähig war. Henner Voss hat mit Vesper eine Wohnung geteilt - gemeinsam taten sie groß und hatten doch nicht viel zu bieten. Der Vesper, wie er hier geschildert wird, war ein "intellektuell hoch beschlagener, emotional verkorkster, in etlicher Hinsicht ausgesprochen unreifer junger Mann, der darunter litt, Sohn des Nazi-Hausdichters Will Vesper zu sein", und sich fortan entschieden in die entgegengesetzte Richtung bewegte, einen avantgardistischen Verlag gründete und mit seiner Freundin Gudrun Ensslin ein Buch "gegen die Atombombe" herausgab, während er immer weiter alle beeindrucken wollte - und am Ende alle mit seiner Aufdringlichkeit und Arroganz abschreckte. Doch offensichtlich, so Rathjen, kann so jemand dennoch zu Herausragendem in der Lage sein. Wie genau, das wird in diesem Fall ein Geheimnis bleiben: Die Anekdoten sind zwar zahlreich und interessant, doch Bernward Vesper behält sein Geheimnis.

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