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Eine Studie über die Zensur im 18. Jahrhundert und die Korrelationen von Aufklärung und ZensurDer Sammelband ist von grundsätzlicher Bedeutung für die interdisziplinäre Aufklärungsforschung und erhellt erstmals Geschichte, Theorie und Praxis der Zensur im 18. Jahrhundert. Schwerpunkte in den Analysen sind die fortschreitende Institutionalisierung der Zensur, ihre normenkonstituierende Funktion, die öffentliche Debatte über Meinungs- und Pressefreiheit seit etwa 1770, die Akteure des Zensurprozesses, das Verhältnis von Literaturkritik und informeller Zensur, konfessionelle Leitdifferenzen,…mehr

Produktbeschreibung
Eine Studie über die Zensur im 18. Jahrhundert und die Korrelationen von Aufklärung und ZensurDer Sammelband ist von grundsätzlicher Bedeutung für die interdisziplinäre Aufklärungsforschung und erhellt erstmals Geschichte, Theorie und Praxis der Zensur im 18. Jahrhundert. Schwerpunkte in den Analysen sind die fortschreitende Institutionalisierung der Zensur, ihre normenkonstituierende Funktion, die öffentliche Debatte über Meinungs- und Pressefreiheit seit etwa 1770, die Akteure des Zensurprozesses, das Verhältnis von Literaturkritik und informeller Zensur, konfessionelle Leitdifferenzen, regionale Besonderheiten und interkulturelle Wirkungen und schließlich die mittel- und langfristigen Entwicklungen und strukturellen Aspekte der Zensur vom 18. bis zum 20. Jahrhundert.Aus dem Inhalt:Ernst Fischer: »immer schon die vollständigste Preßfreiheit«? Beobachtungen zum Verhältnis von Zensur und Buchhandel im 18. JahrhundertMartin Papenheim: Die katholische kirchliche Zensur im Reich im 18. JahrhundertKlaus Bohnen: Grenzsetzungen. Zensur-Kritik und Selbstzensur bei G. E. LessingHans-Jürgen Lüsebrink: Zensur, Exil und Autoridentität (Diderot, Raynal) Hartmut Reinhardt: »...man weiß nicht, was man schreiben darf...«Die Weimarer Klassik und die Zensur: Zwei Fallstudien zu Schiller und Herder Wolfgang Wüst: Zensur und Konfession in Stadtrepubliken OberdeutschlandsWolfram Siemann: Zensur im Übergang zur Moderne: Die Bedeutung des »langen 19. Jahrhunderts«Zur Zeitschrift:»Das achtzehnte Jahrhundert« wurde 1977 als Mitteilungsblatt der »Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts« (DGEJ 18. J) gegründet und erscheint seit 1987 als wissenschaftliche Zeitschrift. Die Zeitschrift erscheint halbjährlich und ist im Aufsatzteil im Wechsel aktuellen Themen gewidmet oder frei konzipiert. Im Rezensionsteil legt sie Wert auf aktuelle Besprechungen zu einem weit gefächerten Spektrum von thematisch repräsentativen und methodologisch aufschlussreichen Fachpublikationen. Entsprechend der interdisziplinären Ausrichtung der DGEJ enthält sie Beiträge aus allen Fachrichtungen.
Autorenporträt
York-Gothart Mix ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik an der Philipps-Universität Marburg; zahlreiche Veröffentlichungen zur Literatur-, Buch- und Medienwissenschaft.Wilhelm Haefs lehrt Literaturwissenschaft am Germanistischen Institut der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; zahlreiche Veröffentlichungen zur Literatur- und Mediengeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2007

Es wimmelt von Senecas
Erst die Tinte, dann das Blut: Ein Band über Zensur im Alten Reich

Zensur im Jahrhundert der Aufklärung: ein Symbol der Intoleranz. Für Autoren von grottenschlechten Texten zugleich eine Chance, in der Märtyrerpose Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, die sie sonst nie bekommen hätten.

Die Figur des Märtyrers am Schreibpult, der für den Dienst an der Wahrheit zuerst seine Tinte und dann sein Blut vergießt, gehört zum festen Personal der Legende vom Literaten. Kaum je aber ist der literarische Heroismus höher im Kurs gestanden als im Zeitalter der Aufklärung. Schenkt man ihren Repräsentanten Glauben, so wimmelte es von potentiellen Sokrates und Senecas - allein, das vielbeschworene Schicksal der obrigkeitlich verhängten Höchststrafe ereilte die wenigsten. Und doch wirkte die aufklärerische Helden- und Märtyrerpose glaubwürdig. Warum? Fast überall drohten die Gesetze kritischen Autoren mit drakonischen Strafen, fast überall aber übten ihre Vollzieher eine Praxis der Laxheit, sei es aus administrativer Überforderung, aus Nachsicht oder aus volkswirtschaftlichem Kalkül. Was die Autoritäten so an Glaubwürdigkeit verloren, gewannen die Autoren.

Als Sinnbild für die Zensur des Ancien Régime kann eine Beobachtung stehen, die Friedrich Nicolai im Benediktinerkloster Banz machte: Der Berliner Aufklärer fand einen Giftschrank für verbotene Bücher, dessen Türen weit offen und dessen literarische Quecksilberperlen allen Mönchen zur Verfügung standen. Das große Schränkeschließen und Schraubenanziehen setzte erst nach dem Ausbruch der Französischen Revolution ein, und zu den Zensoren gesellten sich bald die Revolutionäre selbst.

Nicolais Klosteranekdote steht in einem facettenreichen Aufsatz von Martin Papenheim über die krummen Wege der katholischen Zensur im Alten Reich, und dieser wiederum steht in einem noch facettenreicheren Band über die "Zensur im Jahrhundert der Aufklärung". Dessen Herausgeber Wilhelm Haefs und York-Gothart Mix verknüpfen Stränge französischer, angelsächsischer und deutscher Zensurtheorien für eine umfassende Betrachtung der erst bruchstückhaft erforschten Zensurgeschichte des Alten Reichs. Der thematische Aufbau des Bandes ist das Resultat eines geglückten Spagats: Um eine trennscharfe Terminologie bemüht, plädieren die Herausgeber für einen engen, auf juristische Kriterien gestützten Zensurbegriff; gleichzeitig stecken sie einen inhaltlichen Rahmen ab, in dem auch Anhänger eines weiten Zensurbegriffs ihren Platz finden. Damit werden differenzierte Gegenüberstellungen von obrigkeitlichen Zensurmaßnahmen und literarischen Praktiken des Verschweigens und Mundtotmachens möglich, ohne dass die beiden Phänomene in einem Topf landen.

Unter den zwanzig überwiegend gelungenen Beiträgen stechen einige durch besonders aufschlussreiche Betrachtungen hervor: Hans-Edwin Friedrich interpretiert das 1772 mit feuchtfröhlichem Schwulst zelebrierte Autodafé von Wielands Büchern im Kreis des Göttinger Hainbunds als ästhetischen Akt der Zensur, der veraltete Rituale der obrigkeitlichen "Bücherhinrichtung" nachgebildet habe, um einen symbolischen Transfer der Zensurgewalt ins Reich der Literatur zu vollziehen. Edgar Mass legt eine bestechende Analyse der Sisyphusarbeit staatlicher und kirchlicher Zensurbehörden in Frankreich vor, deren Ergebnissen zufolge nicht einmal die Hälfte der Neuerscheinungen zwischen 1740 und 1758 von der staatlichen Vorzensur erfasst, geschweige denn geprüft wurde - trotz Aufblähung des Behördenapparats und Rationalisierung des Arbeitsablaufs.

Ein weiteres Konfliktmuster, jenes zwischen fürstlicher Zensur- und Wirtschaftspolitik, wird von Ernst Fischer ausgeleuchtet: Wo immer eine Publikation untersagt wurde, konnte damit gerechnet werden, dass der Titel in benachbarten Territorien gedruckt, schwarz eingeschleust und als verbotene Frucht umso besser verkauft wurde. Diese unfreiwillige Strategie des "Outsourcing", die in der deutschen Kleinstaaterei besonders gut funktionierte, stand im Widerstreit zur merkantilistischen Doktrin, das eigene Gewerbe auf Kosten des fremden zu fördern. Daher gingen die Zensoren allenthalben zur Selbstzensur über und drückten auf der Suche nach "schädlichen" Schriften öfter ein Auge zu. Buchhändler und Autoren spielten dieses Spiel mit, solange es ihnen nützte, und stellten es bloß, sobald es ihnen schadete. In Frankreich gehörte es schon unter Ludwig XV. zum guten Ton, die Kontrollorgane der Zensur zu verspotten. Diderot leuchtete darin als Vorbild.

Während mehrere Autoren die Verhältnisse im Reich durch Vergleiche mit Frankreich plastischer machen, werfen erstaunlich wenige einen Blick über den Ärmelkanal. Dabei könnte gerade die englische Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts zu einem vertieften Verständnis der kulturhistorischen Tragweite von Zensur beitragen. Auch in England war die Literatur ein Kraftwerk für politische Energie. Die Art des staatlichen Eingreifens in die Literatur unterschied sich aber markant von kontinentalen Leitmustern. Schon 1695 wurde die staatliche Vorzensur der Presse abgeschafft. Dahinter steckte keine liberale Doktrin, sondern eine Kapitulation: In den Wirren des siebzehnten Jahrhunderts hatte die politische Publizistik eine Intensität erreicht, die den staatlichen Repressionsapparat heillos überforderte. Die Einsicht in die eigenen Schwächen setzte Kräfte für andere Interventionsformen frei.

Die politischen Fronten im Feld der kulturellen Produktion verliefen in England eher zwischen den parlamentarischen Lagern als zwischen Machtträgern und Gelehrten. Der politische Diskurs war deswegen im Ton nicht gemäßigter, im Gegenteil: Das Fehlen einer harten Zensur machte weiche Methoden, missliebige Stimmen zum Schweigen zu bringen, umso wertvoller, und das trug in England zur Hochkonjunktur von Schmutzkampagnen bei. Was sich dort kaum entwickeln konnte, war die Ideologie einer staatlich garantierten und alimentierten Autonomie der Literatur, die sich die Narrenfreiheit nehmen dürfe, jederzeit die Hand zu beißen, die sie fütterte. Stattdessen entwickelte sich ein Literatentum mit offen unternehmerischen Zügen, das vom Staat weder Peitsche noch Zuckerbrot erwartete, sondern an eine Liaison von Kultur und Kommerz glaubte.

Eine vergleichende Zensurgeschichte des Ancien Régime kann also den Blick für Spannungsfelder schärfen, die noch heute die Gelehrtenkultur latent prägen. Der Band von Haefs und Mix bietet dafür, trotz der Ausblendung Englands, eindrückliche Belege.

CASPAR HIRSCHI

Wilhelm Haefs und York-Gothart Mix (Hrsg.): "Zensur im Jahrhundert der Aufklärung". Geschichte - Theorie - Praxis. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 400 S., br., 39,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr aufschlussreich findet der Rezensent Caspar Hirschi diesen zwanzig Beiträge umfassenden Sammelband. Dem Plädoyer der Herausgeber für einen juristisch engen Zensurbegriff schließt er sich an, lobt zugleich aber die inhaltliche Offenheit, die dann auch den Blick auf subtilere Verschweige- und Unterdrückungsmaßnahmen gestattet. Hirschi erwähnt unter anderem Texte von Martin Papenheim über die "katholische Zensur im Alten Reich" und Ernst Fischers Studie, die aufzeigt, wie Zensurmaßnahmen erst durch Schmuggel, dann durch stillschweigende Toleranz der Zensoren aufgeweicht wurden. Erstaunlich scheint dem Rezensenten allerdings, dass England in den versammelten Aufsätzen kaum vorkommt. Gerade hier, meint er, wäre ein Pragmatismus zu entdecken gewesen, der zu einer im Rest Europas so nicht zu beobachtenden "Liaison von Kultur und Kommerz" führte. 

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