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Die erste komplette Ausgabe der Briefe Hugo Balls, soweit sie bekannt sind oder ermittelt werden konnten, - nicht nur ein Meilenstein der Ball-Forschung, sondern ein äußerst wichtiges Dokument für die deutsche Literatur-, Geistes- und Kulturgeschichte im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts, das neue Impulse und Aufschlüsse verspricht.Hugo Ball (1886-1927) - Dada-Begründer in Zürich und erster Hermann-Hesse-Biograph - stellte 1926 erstaunt und selbstbewußt fest, er sei »überall in den Brennpunkt der Interessen« gelangt, »am Theater, in der Kunst, in der Philosophie, in der Politik«. Die Briefe…mehr

Produktbeschreibung
Die erste komplette Ausgabe der Briefe Hugo Balls, soweit sie bekannt sind oder ermittelt werden konnten, - nicht nur ein Meilenstein der Ball-Forschung, sondern ein äußerst wichtiges Dokument für die deutsche Literatur-, Geistes- und Kulturgeschichte im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts, das neue Impulse und Aufschlüsse verspricht.Hugo Ball (1886-1927) - Dada-Begründer in Zürich und erster Hermann-Hesse-Biograph - stellte 1926 erstaunt und selbstbewußt fest, er sei »überall in den Brennpunkt der Interessen« gelangt, »am Theater, in der Kunst, in der Philosophie, in der Politik«. Die Briefe Balls belegen dies eindrucksvoll; sie akzentuieren seinen durch Brüche gekennzeichneten Lebensweg, der ihn vom expressionistischen Theaterreformer, temporären Dadaisten und Ästhetiker, über den Politiker und Journalisten, den scharfen Kritiker der deutschen, protestantisch-idealistisch geprägten Philosophie, bis hin zum Hagiographen und Laientheologen führte.Darüber hinaus werfen die Briefe Schlaglichter auf die historischen Avantgardebewegungen Expressionismus und Dada, auf die literarische und politische Opposition gegen den Krieg im Schweizer Exil und auf die Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik. Briefpartner wie Wassily Kandinsky, Kurt Wolff, René Schickele, Tristan Tzara, Hans Arp, Hermann Hesse, C. G. Jung und Carl Schmitt stecken das weite künstlerisch-intellektuelle Umfeld ab, in dem sich Ball bewegte.Die Edition ist die erste kritische, philologisch zuverlässige und vollständige Ausgabe des Ballschen Briefwerks. Sie umfaßt knapp 800 Briefe aus den Jahren 1904 bis 1927, die ausführlich kommentiert sind. Erstmals konnten dabei zahlreiche Gegenbriefe von Adressaten berücksichtigt und - eine kleine Sensation - die bisher unzugänglichen, unveröffentlichten Tagebücher aus den Jahren 1921 bis 1927 ausgewertet werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Hugo Ball, geb. 1886 in Pirmasens, war während des Ersten Weltkrieges Mitbegründer der Dada-Bewegung in Zürich, überzeugter Pazifist und scharfer Zeitkritiker. Der enge Freund Hermann Hesses war dessen erster Biograph. Hugo Ball starb 1927 in Montagnola/Schweiz.

Gerhard Schaub, geb. 1938, promovierte 1970 und habilitierte 1980. Von 1970 bis 2003 lehrte er Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Trier. Er veröffentlichte Monographien und Aufsätze über Clemens Brentano, Georg Büchner und Kurt Schwitters, kommentierte Ausgaben von Texten Brentanos und Büchners sowie Abhandlungen und Artikel über Hugo Ball. Im Jahr 2017 verstarb er.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.12.2003

Auf der Suche nach Sinn
Der Katholik, Dadaist und deutsche Denker Hugo Ball in seinen Briefen
„Der Begriff deutsch steht selbst unter Deutschen keineswegs fest. Hervorragende Führer haben sich vergebens bemüht zu definieren, was eigentlich deutsch sei. Sie widersprachen einander alle. Fichte kam dem Problem am nächsten. Deutsch sein heißt originell sein, fand er. Und da er Lutheraner war, bedeutete das, die Originalität bestehe im Bruch mit der Tradition, in jenem stets neu und von vorn Beginnen, das den Kanon verneint statt ihn auszubauen, das den Gedanken bekämpft, kaum dass er gefunden ist. Deutsch sein heißt quer zu der Menschheit stehen; deutsch sein heißt alle Begriffe verwirren, umwerfen, beugen , um sich die ,Freiheit‘ zu wahren. Deutsch sein heißt babylonische Türme errichten, auf denen in zehntausend Zungen der Eigensinn Anspruch auf Neuheit macht; deutsch sein heißt renitente Systeme voller Sophistik ersinnen, aus einfacher Furcht vor Wahrheit und Güte.”
Das fand auch Carl Schmitt einmal prachtvoll und treffend – im Jahr 1924, als er mit dem Autor dieser Zeilen, Hugo Ball, freundschaftlich Briefe wechselte – zwei Katholiken mit Distanz zum preußisch-deutschen Establishment. Ball befürchtete allerdings damals schon, Deutschland werde von einem zweiten Attentat auf die Menschheit nicht abzuhalten sein. Als es soweit war, hatte Schmitt längst die Seiten gewechselt.
Eine monumentale Brief-Edition stellt Hugo Ball jetzt noch einmal vor. Ihr Volumen übertrifft das der 1957 erschienenen, viel gelobten Briefauswahl von Annemarie Hennings-Schütt bei weitem. Und damit nicht genug: Um eine „wirklich komplette Ball-Chronik” erstellen zu können, heißt es im Nachwort, müsse man warten, bis die Tagebücher des Autors aus den Jahren 1921 bis 1927 und die Gegenbriefe von Emmy Hennings, seiner Frau, im Druck vorliegen.
Lohnt solcher Aufwand? Wer ist Hugo Ball? Ball ist der Verfasser der „Kritik der deutschen Intelligenz” (1918/19), dem Buch, aus dem die eingangs zitierten Zeilen stammen. Auch Ball war ein deutscher Intellektueller, der seinen eigenen Weg ging, aber er war kein Einzelgänger. In Pirmasens aufgewachsen, wurde er katholisch erzogen, er studierte Philosophie, begeisterte sich für Nietzsche, ging dann aber doch zum Theater. Mit Erfolg. Bei Max Reinhardt in Berlin ausgebildet, brachte ihn seine kurze Karriere nach München, wo er an den Kammerspielen Dramaturg und Regisseur wurde. Er begann schon, auf sich aufmerksam zu machen, als der Erste Weltkrieg seiner Arbeit ein Ende setzte. Zusammen mit der Chansonsängerin Emmy Hennings ging Ball nach Zürich, wo beide Kabarett-Nummern vortrugen. Sein Roman „Flametti” gibt ein schönes Bild davon. Dann aber, für einige Monate, machte er Literaturgeschichte. Im Cabarett Voltaire wurde der Dadaismus erfunden. Ball, ein Verehrer Kandinskys, war Präzeptor und Organisator des Unternehmens zugleich. Und zog sich als erster davon zurück, als er begann, es für vergeblich zu halten. Von ihm blieben ein paar Lautgedichte für die Anthologien, wo andere die Basis für lebenslangen Ruhm sich schufen. Ball schien das alles nicht mehr sinnvoll zu sein. Ein Weg vom Futurismus zum Surrealismus hatte über die Kreuzung geführt, auf der er stand und nach Besserem Ausschau hielt.
Er wurde Redakteur der linksgerichteten Freien Zeitung in Bern. Er schrieb vehement gegen die deutschen Kriegsillusionen, analysierte die Ursachen des deutschen Verhängnisses und mahnte die Deutschen, ihre Schuld am Krieg anzuerkennen, anders könnten sie nicht mit sich ins Reine und zu einer besseren Zukunft kommen.
Ein Freund, ein guter Freund
Bei dieser Tätigkeit lernte Ball auch Ernst Bloch kennen – „Ernst Bloch ist merkwürdigerweise ganz besessen von mir”, schreibt er im November 1917 an Emmy. Wenig später erschien ihm das weniger merkwürdig, als er nämlich bemerkte, dass Bloch sich für seine Artikel der ihm überlassenen Entwürfe von Balls im Entstehen begriffener „Kritik der deutschen Intelligenz” bediente. Ball diagnostizierte die deutsche Fehlentwicklung als Folgen der Reformation. Er schalt Luther und pries Thomas Münzer. Kurz nach Balls „Kritik” erschien Blochs „Münzer”, den manche für sein bestes Buch halten und in dem die Spuren der Lektüre des einstigen Freundes überdeutlich sind.
Aber nicht deshalb waren sie jetzt entzweit. Bloch hatte sich entschieden – „Ubi Lenin, ibi Jerusalem”. Ball hatte sich, nachdem er zuvor einige Hoffnungen auf die Münchner Räterepublik gesetzt hatte, auch entschieden. Er kehrte zum Katholizismus zurück. Er schrieb ein Buch über „Byzantinisches Christentum”, das die katholischen Intellektuellenpriester lieber unter Aufbietung aller möglichen Distanz bewunderten, als dass sie es niedergemacht hätten, und bearbeitete noch einmal seine Lieblingsidee „Die Folgen der Reformation”. Inzwischen hatte er jenen anderen prominenten Freund gewonnen, den er bald wieder verlieren sollte: Carl Schmitt. Über die ersten Bücher des Staatsrechtlers schrieb er einen fulminanten Aufsatz in der katholischen Monatszeitschrift Das Hochland. Man traf sich im Tessin. Dann wollte Schmitt Ball die Neuherausgabe der „Folgen” ausreden, ja, dafür sorgen, dass der bettelarme Mann finanziell entschädigt würde. Der ließ sich nicht darauf ein. Wenig später schrieb Schmitts Schüler Waldemar Gurian eine vernichtende Kritik des Buchs. Ball erkannte darin Gedanken wieder, die er im Gespräch mit Schmitt erörtert hatte.
Die Unvereinbarkeit ihrer Standpunkte lag indes tiefer. Schmitt gehörte zu jenen Katholiken, die bei den preußisch-protestantischen Eliten ankommen wollten. Ball hatte diesen Ehrgeiz nicht – nicht mehr. Er mochte, wie er im März 1926 schrieb, nicht „nur für meine private Person Katholik” sein. Also „,Ganz Deutschlands muss wieder katholisch werden‘: so schreibe ich an die Leute, die meine Bücher beachten.” Mit einem so radikalen Autor wollte Schmitt nicht Arm in Arm angetroffen werden.
Andererseits stieß Ball sich an dem Extremismus Schmitts. Dessen Diktaturideen, notiert er 1924 in sein Tagebuch, kämen der „preußischen Restauration und der Revanchepolitik zugute”. Dasselbe gelte von seinem Abscheu gegen die Ideen von 1789. „Seine Beurteilung der Menschenrechte ist ungerecht und unsachlich”, fügt Ball an. Eine „katholische Diktatur in Deutschland” werde Schmitt in den „nächsten Jahrzehnten vergebens erwarten und durch seine Doktrin zunächst auch nicht befördern.” Da passte nichts zusammen.
Eine Freundschaft aber hielt. Es war die zu Hermann Hesse, dessen Nachbar Ball im Tessin geworden war. Hesse half der Familie, die so gröbste Not vermeiden konnte. Und Ball wurde zum kompetenten Freund eines schwieriger werdenden Schriftstellers. Als zu Hesses 50. Geburtstag der S. Fischer Verlag eine Biographie seines Autors herausbringen wollte, sorgte dieser dafür, dass Ball den Auftrag bekam. Nach dem Abschluss schrieb der Biograph an den Verleger: „Was mir selbst vorschwebte, war der Versuch, Hesses Gedicht in seinem Leben zu zeigen. Bei dem seltsam verborgenen Wesen des Dichters konnte ich meinem Vorhaben nur in einer Art ,analytischer Biographie‘ gerecht werden.” Es ist Balls schönstes Buch geworden. Man kann es auch als eine Art Testament des Autors lesen, das beglaubigt, dass das Bissige und Heftige nur ein Teil, der ungewollte Teil seines Wesens war.
JÜRGEN BUSCHE
HUGO BALL: Briefe 1904 bis 1927. Herausgegeben und kommentiert von Gerhard Schaub und Ernst Teubner. Wallstein Verlag, Göttingen 2003. 2 Bände (514 und 482 Seiten) und ein Kommentarband (805 Seiten), zusammen 124 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2004

Zähneklappern im Tessin
Aus der Klosterzelle: Der Schriftsteller Hugo Ball in seinen Briefen

Hugo Ball starb 1927 im Tessin an Magenkrebs, einundvierzig Jahre alt. An ihn erinnert bis Anfang nächsten Jahres eine kleine Ausstellung im Hesse-Museum in Montagnola. An ihn erinnert eine dreibändige Brief-Ausgabe. An ihn erinnert ein Band, in dem der Briefwechsel zwischen ihm, Emmy Ball-Hennings und Hermann Hesse dokumentiert ist. Die Erinnerung wird wahrscheinlich verwehen. Die Ausstellung liegt im Abseits, die Brief-Ausgabe dient Philologen - und der Briefwechsel mit Hesse, so lesenswert er ist und so glücklich er von der Herausgeberin komponiert und kommentiert wurde: Er gleicht einem Bund frischer Blumen auf einem Grab.

Diese Blumen aber - sie gemahnen an eine kleine wundersame Lebensgemeinschaft im Tessin, die unter dem grauen Schatten der Alltagssorgen und dem blauen Himmel des gegenseitigen Verstehens für wenige Jahre zusammenrückte. Hugo Ball hatte Emmy Hennings 1914 kennengelernt, sie heirateten 1920. Sie, Schauspielerin, Schriftstellerin und Gelegenheitsprostituierte, brachte eine neunjährige Tochter mit in die Beziehung, die selber eine kinderlose Ehe blieb. Er, Dramaturg, Mitbegründer der Dada-Bewegung und Schriftsteller, war ein Jahr jünger als seine Frau. Die beiden führten ein unstetes Schriftstellerleben, geplagt vom drastischen Geldmangel. Seit 1915 wohnten sie in der Schweiz, kurze Zeit in München, dann im Tessin, wo ihnen Hesse, der einen Fußmarsch entfernt sein Domizil hatte und die Balls gern um sich hatte, unter die Arme griff: Er bat einmal sogar seinen Mäzen, diesen beiden besonderen Menschen finanziell zu helfen.

Emmy Ball-Hennings reist umher, allein oder mit ihrer Tochter. Hugo Ball sitzt im Winter bibbernd vor der Schreibmaschine oder liegt dick angezogen und bibbernd im Bett, weil er die Heizkosten sparen möchte. Er ernährt sich manchmal tagelang nur von Milch, Birnen und Brot. Von Freunden, aus Verlagen oder aus fernen Klosterbibliotheken läßt er sich die für seine Arbeiten dringend benötigten Bücher schicken, die er nächtelang exzerpiert, weil er sie wieder zurückgeben muß. Fast täglich schreibt er seiner Frau, wenn sie unterwegs ist, lange Briefe, in denen er nach ihrem Befinden fragt, ihr Vorschläge zum besseren Überleben unterbreitet, von den fast immer zähen Verhandlungen mit Verlagen und Zeitschriftenredaktionen berichtet und den sinnvollen Einsatz des wenigen Geldes plant.

Und er kämpft immer wieder um Zeit: um Zeit für sich, um Zeit, seine Bücher zu schreiben. Als Emmy Ball-Hennings einmal ihre Tochter aus Italien, wo die beiden sich den Winter über aufhalten, vorab nach Hause ins Tessin zu ihm schicken möchte, sieht Ball seine eiskalte fragile Gelehrteneinsamkeit, der wegen den finanziellen Nöten nie lange Dauer beschieden ist, einstürzen: Die Wohnung sei doch klein, er müßte wegen dem Kind heizen, sich um das Essen kümmern und habe dabei seine "Kritik der deutschen Intelligenz" für eine Neuauflage umzuarbeiten und in Kürze beim Verlag einzureichen - ein verzweifelter Bittbrief um den eigenen Raum. Doch Ball, der oft am Rande seiner Kräfte ist, von Schwindeln befallen, schnurrt zusammen, zieht sich mit seinen Wünschen zurück, gibt nach, empfängt Emmy Hennings' Tochter, heizt ein und macht unter dem Druck der Manuskriptabgabe die Nacht zum Tage.

Hugo Ball litt. Er litt an Deutschland, das in seinen Augen schuld hatte am Ausbruch des Ersten Weltkriegs, er litt am deutschen Geist, der in die Katastrophe geführt habe. Er war ein strenger und hellwacher Beobachter der akuten intellektuellen Strömungen und ein akribischer Deuter der intellektuellen Traditionen, ein Deuter, der seine Ansichten anhand der Quellen beweisen und nicht nur behaupten wollte. Aus dem Leiden an Deutschland entstand seine "Kritik der deutschen Intelligenz". Äußerst lesenswert sind neben seinem Tagebuch "Flucht aus der Zeit" vor allem drei umfangreiche weitsichtige Aufsätze, die alle in den zwanziger Jahren entstanden: "Der Künstler und die Zeitkrankheit", "Carl Schmitts Politische Theologie" und "Die religiöse Konversion". Mit dem Bonner Professor Carl Schmitt wird Ball sich überwerfen, nachdem ein Schmitt-Schüler eine Rezension der überarbeiteten Fassung der "Kritik der deutschen Intelligenz" (erschienen unter dem Titel "Die Folgen der Reformation") veröffentlicht hat - eine Rezension, in der Ball Gedanken wiederfindet, die er in vertraulichem Gespräch mit Schmitt ausgetauscht hatte. Ball schreibt Schmitt einen engelsgeduldkalten Brief, der den Graben zwischen ihnen aussticht - und schnurrt zusammen, zieht sich mit seiner Wut zurück und schickt den Brief nicht ab.

Hugo Ball war ein einsamer, in die Notstände seines Lebens sich ergebender und seines geistigen Ranges bewußter Mensch, der seine durch die Begriffsarbeit geschliffene intellektuelle Kraft, Distanz zu schaffen und zu wahren, auch zur Behebung menschlicher Mißstände einzusetzen wußte: Als seine Frau einem Verhältnis mit einem Spanier erliegt, beendet Ball diese Beziehung mit einem kurzen Brief, der dem Sendschreiben eines Abtes gleicht, dessen Sinn nicht danach steht, an den Regeln eines Liebes- und Lebensordens rütteln zu lassen. In der Brief-Ausgabe findet sich nur ein Brief, in dem Ball ins Trudeln und Turteln gerät - der Brief an die Braut, der er ein fürsorglicher geistiger Vater gewesen zu sein scheint, mit offenen Armen die einst gefallene, immer getriebene und dichtende Emmy, die gerne die Augen zur Mutter Gottes aufschlägt, empfangend.

Das Ehepaar ist auf dem Weg zu Gott: Sie schwärmt poetisch in die Vielfalt der Lebenswunder aus, er kapselt sich begrifflich in die erlösende Einheit der Kirche ein. In einem Brief an Hermann Hesse aus Hugo Balls letzten Tagen erzählt sie, daß Ball sich liebend gerne zum Schreiben in ein Zimmer ohne Fenster zurückzog: der Verfasser des "Byzantinischen Christentums" im Gehäuse. Das Bild eines Asketen - der Mund ein geistreicher Strich, der nach innen schauende und daseinsdemütige Blick von einnehmender Verlorenheit.

Die Briefe Hugo Balls kommen aus der Klosterzelle eines sich immer enger um sehr wenige Menschen ziehenden Lebenskreises. Sie geben kaum Auskunft über den sich stetig ausdehnenden Gedankenkreis Balls. Das intellektuelle Terrain, auf dem er sich bewegt, taucht in den Briefen hier und da einmal auf, aber nicht in der Fülle einer blühenden Landschaft, sondern in der Kargheit einer kleinen Landkarte. Der Kenner der psychoanalytischen Theorien, der sogar als autodidaktischer Analytiker einmal einer leidenden Frau seine Hilfe anbot, muß ein guter Zuhörer gewesen sein. Auch Hesse fühlte sich von keinem anderen Menschen so verstanden wie von Ball.

Der sachliche und geschmeidige Stil seiner wissenschaftlichen Prosastücke, Kupferstiche in der Zeit der Plakate, mag sich aus diesem Vorrang der verstehenden Zuneigung vor der theoretischen Selbstgefälligkeit entwickelt haben. Als er sich in seinen letzten Jahren mit dem Zusammenhang von Psychoanalyse und Exorzismus beschäftigte, begegnete er in der christlichen Literatur immer wieder herausragenden Kirchenmännern, die allein durch ihr geistig festes Auftreten bei den psychisch Kranken heilend wirkten. Diese geistige Festigkeit, fern der intellektuellen Schnörkel, scheint schon seit der Dada-Zeit ein Urbild seines prosaischen Stilwollens gewesen zu sein - so wie ihm der Schritt in die katholische Kirche immer schon näher lag, als das von seinen intellektuellen Erregungen gesehen den Anschein hatte (man erinnere sich nur an das Bild von ihm im Dada-Bischofskostüm). Der heilende Auftritt des Heiligen: Das Urbild des wissenschaftlichen Schreibens wird auch zum Vorbild für ein Leben in Einsamkeit. Der verhaltene und schlichte, dem Hilfesuchenden zuvorkommende, in Not und Gefahr aber bestimmte Stil der Briefe gleicht dem Gestus eines Hirten, der sich verantwortlich weiß für die ihm anvertrauten Seelen und das eigene Heil.

Auf die Dauer und unter den aufreibenden Lebensumständen war das wahrscheinlich schwer durchzustehen: Hugo Ball welkte dahin. Er war ein kompromißloser und erfolgloser Schriftsteller, dessen Bücher sich nur mit Mühe unter die Leute bringen ließen. Hermann Hesse - Ball schrieb im Auftrag des S. Fischer Verlages und auf den Wunsch Hesses hin zu dessen fünfzigstem Geburtstag die erste umfassende Darstellung über Leben und Werk des Schriftstellers - zählte Balls Bücher zu den wichtigsten seiner Zeit. Wahrscheinlich sah Ball von den Tessiner Bergen aus zu weit ins Land: Seine Einsicht, daß die Psychoanalyse fatalerweise keine Antwort auf den auch von ihr selber leergeräumten leeren Himmel findet und das Augenmerk des Menschen immer tiefer auf den Boden des Leibes drängt - das war in den Zwanzigern zuviel des Guten. Vom unerledigten Heiligen auf Erden mochten damals die wenigsten etwas wissen wollen. Hugo Ball ertrug das Leben mit Zähneklappern, aber ohne Jammer, mit Zähigkeit, aber ohne Starrsinn. Er war ein einsamer Intellektueller im Weinberg des Herrn.

EBERHARD RATHGEB.

Hugo Ball: "Briefe". 1904-1927. Herausgegeben und kommentiert von Gerhard Schaub und Ernst Teubner. Band 1 und 2: "Briefe". 514 und 482 S. Band 3: "Kommentar". 804 S. Wallstein Verlag, Göttingen 2003. Alle geb., im Schuber, 124,- [Euro].

Hermann Hesse: "Briefwechsel mit Hugo Ball und Emmy Ball-Hennings". Herausgegeben und kommentiert von Bärbel Reetz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 612 S., geb., 34,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Hugo Ball schreibt man die Erfindung des Namen DADA zu, auch wenn die anderen Mitglieder des Cabaret Voltaire diese ebenso für sich beanspruchten. Rezensentin Hannelore Schlaffer findet jedenfalls Hugo Balls Erklärung des kindlichen Gestammels am einleuchtendsten. Seine Briefe liegen nun in einer vollständigen Edition vor, die nach Schlaffer vor allem den Literaten als gewitzten Taktiker und Verkaufsstrategen zeigen. Das ist doppelt desillusionierend, gesteht Schlaffer, weil sie zum einen den nüchternen beziehungsweise harten Schriftstelleralltag zeigten und zum anderen bewiesen, dass Schreiben alles andere als ein einträglicher Beruf sei. So mancher Brief war ein Bettelbrief, fügt Schlaffer hinzu. Die Briefe geben ihrer Meinung nach das bewegte Leben dieses radikalen Schriftstellers nur ansatzweise wieder; um so mehr sei der Leser darauf angewiesen, zwischen dem Kommentarband, der etwa die Hälfte der Edition einnimmt, und den Briefen hin- und herzuspringen, meint Schlaffer. Und um so bedauerlicher findet sie, dass sich Herausgeber Schaub zu schade gewesen sei, in seinem Nachwort unerlässliche Informationen zum Autor zu liefern und sich stattdessen mit der Prüfung von Briefstilen hervortue, was ihrer Meinung nach eher in einen literaturwissenschaftliches Seminar passen würde. Zur Einführung in eine Edition schlicht "untauglich", schreibt Schlaffer.

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