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Das theoretische Ungenügen an der tradierten Ideengeschichte führte in der deutschen, anglo-amerikanischen und französischen Geschichtswissenschaft zu einem deutlichen Interesse an Sprach- und Diskursanalysen.Sie erwarteten von der Erforschung von Wortinhalten und Bedeutungsschichten Aufschlüsse über die Kultur, in der sie auftauchten und gebraucht wurden. Sprache wurde nicht nur als das wichtigste Medium, sondern auch als Hauptfaktor sowohl der Verarbeitung von Erfahrung als auch der (Re)Konstruktion geschichtlicher »Wirklichkeiten« verstanden.Die drei akademischen Kulturen entwickelten…mehr

Produktbeschreibung
Das theoretische Ungenügen an der tradierten Ideengeschichte führte in der deutschen, anglo-amerikanischen und französischen Geschichtswissenschaft zu einem deutlichen Interesse an Sprach- und Diskursanalysen.Sie erwarteten von der Erforschung von Wortinhalten und Bedeutungsschichten Aufschlüsse über die Kultur, in der sie auftauchten und gebraucht wurden. Sprache wurde nicht nur als das wichtigste Medium, sondern auch als Hauptfaktor sowohl der Verarbeitung von Erfahrung als auch der (Re)Konstruktion geschichtlicher »Wirklichkeiten« verstanden.Die drei akademischen Kulturen entwickelten unterschiedliche Zugriffsweisen. In der deutschen Geschichtswissenschaft formte sich der begriffsgeschichtliche Ansatz aus. Im anglo-amerikanischen Bereich dagegen etablierte sich eine »conceptual history«, die die Texte im ursprünglichen Sinne des Wortes kontextualisierte. In Frankreich setzte sich die »analyse du discours« durch, die auch die diskursiven Formationen hinter den Diskursen in ihreUntersuchung einbezieht. Durch diese Neuansätze hat die traditionelle Ideengeschichte inhaltlich und methodisch ein ganz neues Gesicht bekommen. Die ungleichzeitig einsetzenden methodischen Initiativen der verschiedenen Forschungstraditionen haben bislang kaum voneinander Notiz genommen. Ähnliche, oftmals sogar konvergierende Orientierungen, lohnten, auch wenn sie sich nicht ohne weiteres verbinden lassen, einen Austausch über gemeinsame Interessen. Zugleich sollten diese Forschungen um die Metapherngeschichte, die in jüngster Zeit Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte, ergänzt werden.Inhalt:Hans Erich BödekerAusprägung der historischen Semantik in den historischen Kulturwissenschaften. Ein ÜberblickI. BegriffsgeschichteReinhart KoselleckHinweise auf die temporalen Strukturen begriffsgeschichtlichen WandelsUlrich RickenZum Verhältnis vergleichender Begriffsgeschichte und vergleichender Lexikographie?Hans Erich BödekerReflexionen über Begriffsgeschichte als MethodeII. DiskursgeschichteJacques GuilhaumouL'histoire linguistique des usages conceptuels à l'épreuve des événements linguistiquesMark BevirThe role of contexts in understanding and explorationIII. MetapherngeschichteRüdiger Zill»Substrukturen des Denkens«. Grenzen und Perspektiven einer Metapherngeschichte nach Hans BlumenbergLutz DannebergSinn und Unsinn einer MetapherngeschichteLink: Max-Planck-Institut für Geschichte, Göttingen
Autorenporträt
Hans Erich Bödeker forscht am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen; Gastprofessuren an der Georg-Mason University (Fairfax, VA), an der UCLA und an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales; Fellow des Netherlands Institute for Advanced Studies (NIAS), Professor für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit an der Europäischen Universität in Florenz. Zahlreiche Publikationen zur Kultur-, Wissenschafts-, Buch- und Lesergeschichte sowie der politischen Theoriegeschichte der Frühen Neuzeit.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.02.2003

Rumor im Labor
Schwer von Begriff: Ein Sammelband liefert den Zustands- und Zukunftsbericht der Geistesgeschichte
1999 war ein gutes Jahr für Historikertagungen. Am Göttinger Max-PlanckInstitut etwa trafen sich Vertreter deutscher Begriffsgeschichte, angelsächsischer intellectual history und französischer Diskursanalyse, um zu erörtern, was sie scheidet und was sie eint. Ein schöner Band ist daraus hervorgegangen. Hans Erich Bödeker hält das Unternehmen mit methodischen Überblicken zusammen, Jacques Guilhaumou prä sentiert seine Forschungsprojekte, Mark Bevir analysiert klar und scharfsinnig die geistesgeschichtliche Schule von Cambridge, deren beide Häupter John Pocock und Quentin Skinner zwar die Vorliebe für Kontexte verbindet, aber ansonsten Welten trennen. Rüdiger Zill und Lutz Dannenberg wiederum erkunden im Gefolge Hans Blumenbergs Nutzen und Nachteil der Metapherngeschichte. Für jeden also findet sich etwas in diesem Zustands- und Zukunftsbericht der Geistesgeschichte.
Alle Beiträge durchzieht – einmal deutlich und einmal wortreich verborgen – deren grundlegendes Problem. Am leichtesten kommt man ihm auf die Spur, wenn man die Bemerkungen von Mark Bevir und von Reinhart Koselleck parallel liest. Der Reihe nach: Begriffs- oder Geistesgeschichte, wie wir zuerst noch getrennt sagen müssen, ist keine starre Methode. Die Angst vor der Deutung großer Begriffe und Texte, so lautet die zweite Lektion, ist unbegründet. Nur auf diesem Feld, nicht beim seriellen Erbsenzählen, kann sie ihre Eigenständigkeit und Unersetzlichkeit unter Beweis stellen. Drittens ist der Verweis auf den diskursiven und historischen Kontext als Voraussetzung für ein Verständnis unabdingbar, jedoch alles andere als eine ausreichende Erklärung. Eine Unbekannte (Text) einfach durch eine andere (Kontext) zu ersetzen, ist eine nicht zulässige Operation.
Der Kern des Problems liegt in der komplexen Art, wie sich Text und Kontext gegenseitig durchdringen. Beiden wohnen die unterschiedlichsten Schichten inne. Auch der Kontext ist ein Text – voller dominanter Tendenzen und unterschwelliger Widersprüche. Um es für den Begriff in den Worten Kosellecks zu sagen: Der Begriff hat „verschiedene Zeitschichten, und deren Bedeutungen haben verschiedene Dauer” – die von der Einzigartigkeit bis zur Wiederholbarkeit reichen und auch die übergeschichtlichen Dimensionen der ganz großen Texte nicht leugnen. Schlüsselbegriffe haben eine „vielschichtige temporale Binnenstruktur und weisen über die so genannte zeitgenössische Realität voraus oder zurück”, was heißen soll: über den Kontext hinaus und sogar in die Zukunft voraus.
Es ist das Gedankenbild des Palimpsestes, in dem sich Begriffs- und Geistesgeschichte zur Textgeschichte vereinigen. Unter ihrem Dach können alle Erkenntnisinteressen miteinander in Frieden leben: Interpretation und Intention, close reading und Kontexte, Strukturen und Diskurse, Rezeption und Umformungen. Sie ist, weil auch die Wirklichkeit wie ein Text strukturiert ist, das heimliche Experimentallabor der Geschichtswissenschaft.
TIM B. MÜLLER
HANS ERICH BÖDEKER (Hrsg.): Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte. Wallstein Verlag, Göttingen 2002. 424 Seiten, 19 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der von Hans Erich Bödeker Sammelband "Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte Metapherngeschichte" liefert nach Ansicht von Rezensent Tim B. Müller den "Zustands- und Zukunftsbericht" der Geistesgeschichte. Hervorgegangen aus einer Historikertagung am Göttinger Max-Planck-Institut, wo Vertreter deutscher Begriffsgeschichte, angelsächsischer Intellectual history und französischer Diskursanalyse über Unterschiede und Gemeinsamkeiten diskutierten, hat der Band für jeden etwas zu bieten, freut sich Müller: Jacques Guilhaumou präsentiere seine Forschungsprojekte, Mark Bevir analysiere klar und scharfsinnig die geistesgeschichtliche Schule von Cambridge, Rüdiger Zill und Lutz Dannenberg erkundeten im Gefolge Hans Blumenbergs Nutzen und Nachteil der Metapherngeschichte. Als zugrunde liegende gemeinsame Fragestellung aller Beiträge nennt Müller die komplexe Art, wie sich Text und Kontext gegenseitig durchdringen. "Beiden wohnen die unterschiedlichsten Schichten inne", erklärt Müller, "auch der Kontext ist ein Text - voller dominanter Tendenzen und unterschwelliger Widersprüche." Nichtsdestoweniger zeige sich, dass Schlüsselbegriffe über den Kontext hinaus und sogar in die Zukunft vorausweisen.

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