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Das Unternehmen Krupp habe früh den Rahmen der bloßen Wirtschaftsgeschichte gesprengt und sei zu einem Politikum geworden, so Theodor Heuss bei der 150-Jahr-Feier von Krupp 1961 in Essen. Wirtschaftsgeschichte und politische Geschichte lassen sich im Blick auf Krupp nicht trennen. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs ging es dem Konzern so gut wie nie zuvor und nie danach in seiner Geschichte: Finanziell bequem ausgestattet, mit modernen Fabrikanlagen und vorzüglichen politischen Verbindungen, glaubte man sich für jeden kommenden Krieg gewappnet. Das schien nach 1914 zunächst auch zuzutreffen, aus…mehr

Produktbeschreibung
Das Unternehmen Krupp habe früh den Rahmen der bloßen Wirtschaftsgeschichte gesprengt und sei zu einem Politikum geworden, so Theodor Heuss bei der 150-Jahr-Feier von Krupp 1961 in Essen. Wirtschaftsgeschichte und politische Geschichte lassen sich im Blick auf Krupp nicht trennen. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs ging es dem Konzern so gut wie nie zuvor und nie danach in seiner Geschichte: Finanziell bequem ausgestattet, mit modernen Fabrikanlagen und vorzüglichen politischen Verbindungen, glaubte man sich für jeden kommenden Krieg gewappnet. Das schien nach 1914 zunächst auch zuzutreffen, aus eigener Kraft wuchsen Belegschaft und Produktion. Klaus Tenfelde zeigt, wie schwer sich der Konzern vom Ende der Rüstungsproduktion erholte, Toni Pierenkemper schildert die inneren und äußeren Verwerfungen durch Inflation und Wirtschaftskrisen während der zwanziger Jahre.Die ausgeprägte Staatsloyalität des preußischen Diplomaten Gustav Krupp von Bohlen und Halbach erleichterte der Eigentümerfamilie 1919 die Anpassung an die neue Demokratie, ebenso aber nach 1933 die Hinwendung zur nationalsozialistischen Diktatur. Werner Abelshauser stellt die Ära des Dritten Reiches dar. Der schon begonnene Umbau zum modernen Mischkonzern wurde wieder abgebrochen, Krupp ordnete sich nach anfänglichem Zögern voll den Interessen des Staates und damit auch dessen neuen Krieges unter. Es wurde zur "Waffenschmiede des Reiches". Nicht nur in Deutschland hatte man Krupp als Symbol der Rüstungsindustrie verstanden; in Nürnberg hielten die Alliierten einen eigenen "Krupp-Prozess" ab, das Unternehmen wurde beschlagnahmt. Die mit den Siegermächten erst 1951 vereinbarte Neuordnung sollte den Abschied von Kohle und Staat bedeuten. Diese Neuordnung und ein anderes, friedliches Image der Firma waren zentrale Unternehmensziele des letzten Alleininhabers Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, wie Lothar Gall eindrucksvoll zeigt. Mit der von ihm 1967 ins Leben gerufenen Neuordnung und der Stiftungsgrung, die endgültig Abschied nimmt vom Familienunternehmen, schließt der Band.
Autorenporträt
Lothar Gall, geboren 1936, ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Frankfurt am Main. Er ist u. a. Träger des Leibniz-Preises und des Balzan-Preises.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2002

Der Appetit kommt in Essen
Ein Konzern für jede Jahreszeit: Im 20. Jahrhundert hat Krupp noch von allen Weltlagen profitiert
Unstreitig gibt es seit einigen Jahren einen auffälligen Aufschwung der deutschen Unternehmensgeschichte. Nachdem diese Disziplin der allgemeinen Geschichtswissenschaft, speziell der Wirtschaftsgeschichte, jahrzehntelang im Fahrwasser einer hagiographischen Verklärung unternehmerischer Leistungen selbstgenügsam dahingedümpelt war, ist sie nunmehr endlich auf gleiche Höhe mit der hochentwickelten Unternehmensgeschichte in den Vereinigten Staaten, England und Frankreich gezogen. Zum einen lockte, je länger, desto deutlicher, der Sog dieser Vorbilder zur Nachahmung. Zum anderen ging von der akuten Herausforderung, die Geschichte großer Unternehmen unter dem NS-Regime nach der Öffnung der Werksarchive endlich analysieren zu können, ein kraftvoller Impuls aus. Die neuen, kühl reflektierten, empirisch solide fundierten deutschen Unternehmensgeschichten können jeden Vergleich mit den westeuropäischen und amerikanischen Modelluntersuchungen aufnehmen.
Womit lässt sich dieser Aufschwung erklären? Methodisch ist es leichter, eine Unternehmensgeschichte zu schreiben, als etwa Wachstums- oder Depressionsphasen eines Wirtschaftssystems zu analysieren. Man hat es innerhalb einer bestimmbaren Zeitspanne mit einer klar abgegrenzten Institution zu tun, die den Quellenbestand einer eigenen Aktenüberlieferung hinterlassen hat.
Eine Unternehmensgeschichte auf der Höhe des gegenwärtigen Reflexionsniveaus erfordert die Fusion von Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftswissenschaft, von Sozialgeschichte und Betriebssoziologie. Geglückte Unternehmensgeschichte gestattet es, allgemeine Behauptungen über Dynamik und Niedergang, über Entwicklungsregeln des kapitalistischen Wirtschaftslebens und dessen Zukunftsaussichten konkret zu überprüfen. Je mehr solche anspruchsvollen Kriterien genügenden Unternehmensgeschichten vorliegen, umso stärker wirkt sich der Zugzwang aus, in neuen Anläufen ihr Niveau zu erreichen, so dass eine Art von „selbstgeregeltem Wachstum” dieser Disziplin einsetzt.
Als einen Bestandteil dieser neuen Strömung hatte unlängst der Frankfurter Historiker Lothar Gall, der bereits an dem Werk über die „Deutsche Bank” zwischen 1870 und 1995 mitgearbeitet hatte, den ersten Band einer Geschichte der Firma Krupp unter dem Titel „Der Aufstieg eines Industrieimperiums” im langen 19. Jahrhundert bis 1914 beigesteuert. Daran schließt sich jetzt ein zweiter Band an, der „Krupp im 20. Jahrhundert”, genauer gesagt: vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs bis hin zur Gründung der Krupp-Stiftung im Jahre 1967 behandelt. Gall fungiert zwar als Autor der Darstellung der wichtigen Zeitspanne von 1951 bis 1967, hat sich aber als Herausgeber der Mitwirkung dreier profilierter Wirtschafts- und Sozialhistoriker versichert: Klaus Tenfeldes (für die Jahre 1914 bis 1924), Toni Pierenkempers (1924 bis 1933) und Werner Abelshausers (1933 bis 1951). Die Sachkunde, die diese Historiker für sozialökonomische Probleme mitbringen, kommt dem Projekt sehr zugute. Ihnen allen stand das reichhaltige Krupp-Archiv uneingeschränkt zur Verfügung. Worum geht es?
Kruppianer im Krieg
Vor 1914 hatte der Anteil der militärischen Krupp-Produktion entgegen allen Legenden nicht mehr als ein Drittel des Gesamtausstoßes ausgemacht. In den Kriegsjahren stieg er dann schnell auf achtzig Prozent, und statt 83 000 Beschäftigter zählte 1918 die Belegschaft des Großkonzerns 170 000 Männer und Frauen. Diesen Hochrüstungsprozess in der Essener „Waffenschmiede” verfolgt Tenfelde im einzelnen. Deshalb kommen außer den betriebswirtschaftlichen Abläufen auch die Erfahrungen der legendären „Kruppianer”: ihr Kriegsalltag, ihre Konflikte, ihre Stellung zu den Streiks seit 1916, zur Geltung. Die strittige Frage der exorbitanten, viel zu spät und dann auch nur minimal besteuerten Kriegsgewinne kann der Autor freilich am Beispiel Krupp auch nicht abschließend klären. Und wenn er bei der Beschreibung von Stimmungslagen in der Belegschaft und bei der Unternehmensleitung mehrfach von „vaterländischer” oder „patriotischer” Gesinnung spricht, folgt er der zeitgenössischen Quellensprache, die man heutzutage doch durch die Terminologie der modernen Nationalismusforschung ersetzen sollte.
Relativ milde scheint während der Novemberrevolution von 1918 die Aufregung in den Krupp-Werken gewesen zu sein, und erstaunlich gelassen wurde auch die rapide Reduzierung der Belegschaft – bis zum Januar 1920 um immerhin 64000 Arbeitskräfte – hingenommen. Selbst der März-Aufstand von 1920 hat die an ein hohes Maß von paternalistischer Betriebsfürsorge gewöhnte und insofern wohl partiell immunisierte Stammbelegschaft offenbar nicht in den blutigen „Ruhrkrieg” geführt – nicht nur die größte Erhebung seit dem Bauernkrieg von 1524, sondern die umfassendste proletarische Protestbewegung in der deutschen Geschichte überhaupt. Die Umstellung auf die Friedensproduktion ist dem Mammutunternehmen erstaunlich flexibel gelungen.
Mit dem Stabilisierungsjahr 1924 setzt Pierenkemper ein, der die Finanzkrise bis 1925, die Reorganisationsaufgaben und die Kartellbildung exakt herausarbeitet. Denn in der „Deutschen Rohstahlgemeinschaft”, die 1924 an die Stelle des 1920 aufgelösten ominösen „Stahlwerksverbandes” trat, wirkte Krupp aktiv mit, hielt sich aber wohlweislich von der Elefantenhochzeit fern, die zum Zusammenschluss großer Montankonzerne in den „Vereinigten Stahlwerken” – im Nu das zweitgrößte deutsche Unternehmen – führte. Nach schwierigen Konsolidierungsjahren konnte Krupp allerdings erst 1934 wieder schwarze Zahlen schreiben, so dass 1935/36, erstmals seit vierzehn Jahren, eine Dividende ausgeschüttet wurde.
Den furiosen Aufschwung aufgrund der nationalsozialistischen Rüstungspolitik schildert dann Abelshauser. Bereits 1937 produzierte Krupp 750 schwere Panzer pro Jahr. Die schleichende Umwandlung der Friedens- in eine Kriegswirtschaft trug den Konzern auf einer steilen Prosperitätswelle empor. Ihrer Kraft konnte und wollte sich niemand in der Leitung entgegenstellen. Eindeutig galt aber auch hier der Primat der Politik, der alle vulgärmarxistischen Behauptungen vom Primat des Finanzkapitals und der Großwirtschaft, die Hitler als ihren Büttel eingespannt hätten, dementiert. Als Folge der von Hitler gebilligten Lex Krupp wurde Alfried Krupp 1943 alleiniger Inhaber des Familienunternehmens und rückte als Vorstandvorsitzender in die Spitzenposition. In diesen neuen Kriegsjahren beschäftigte sein Betrieb 220000 Arbeitskräfte, darunter schließlich 75 000 Zwangsarbeiter.
Abseits der Ruhrclique
Durch den Bombenkrieg und die Demontage sind rund siebzig Prozent der Kruppschen Werksanlagen zerstört oder abgebaut worden. 1948 wurde Alfried Krupp überdies von einem Nürnberger Tribunal als symbolischer Repräsentant der deutschen Kriegsindustrie zu zwölf Jahren Haft verurteilt, sein gesamtes Vermögen konfisziert. Mit dieser düsteren Nachkriegsbilanz setzt Gall ein. Freilich wurde Krupp im Februar 1951 schon wieder entlassen und sein Vermögen unter bestimmten Auflagen, welche die „Entflechtung” des Konzerns betrafen, zurückerstattet. Doch seit den Haftjahren stand sein Entschluss fest, nie wieder Kriegsmaterial zu produzieren. Unter diesen Bedingungen ernannte er im November 1953, ein überraschender Coup, den damals gerade vierzigjährigen Versicherungsexperten Berthold Beitz zum Generalbevollmächtigten, mithin einen Mann ohne den Stallgeruch der montanindustriellen Ruhrclique. Bis Alfrieds Tod 1967 handelte Beitz als sein Alter Ego. Seither hat er in einer seltenen, an einen feudalrechtlich verpflichteten Majordomus erinnernden Identifikation mit Krupp-Interessen seine Aufgaben wahrgenommen.
Dem Kampf um die Entflechtung folgte 1954 eine Reorganisation des Konzerns mit dem ehrgeizigen Fernziel der Wiederherstellung alter Größe. Dank der riskanten, aber erfolgreichen Einführung ganz neuer Produktionslinien, vor allem aber aufgrund eines glänzenden Exportgeschäfts (für das Krupp selber weltweit auf Reisen warb) und eines rasch expandierenden „Osthandels” (den Beitz aufgrund seines im Krieg in Polen erworbenen Vertrauensvorschusses selber ankurbelte) gelang ein fabulöses Comeback.
Die Überwindung der Stahl- und Finanzkrise führte dazu, dass sich der Iran Reza Schah Palewis mit 25 Prozent des Firmenkapitals beteiligte – eine Entscheidung, die das Regime der Mullahs stillschweigend übernahm. Und bis 1967 gelang es Beitz, das Krupp-Vermögen in den Besitz einer Stiftung zu überführen, die als alleiniger Inhaber des Konzerns fungiert und, selbstredend, Beitz als ihren Vorsitzenden an der Spitze sieht.
Der zweite Band der Krupp-Geschichte führt bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Fraglos lernt man eine Unmenge über die Stahl- und Rüstungswirtschaft, über Unternehmenspolitik und korporatistische Allianzen, auch über die Bedeutung der unternehmerischen Persönlichkeit bis hin zu Beitz. Aber wegen seiner prominenten Stellung in der Rüstungswirtschaft und des abrupten Kurswechsels nach 1945 steht der Krupp-Konzern doch als ein faszinierendes Unikat der deutschen Industriegeschichte da.
HANS–ULRICH
WEHLER
LOTHAR GALL (Hrsg.): Krupp im zwanzigsten Jahrhundert (1914-1967). Siedler Verlag, Berlin 2002. 576 S., 29,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Erzwungene Abrüstung
Krupp, das war im 19. und 20. Jahrhundert eine glänzende Adresse der deutschen Wirtschaft. Mit Kohle und Stahl begann der Aufstieg, die beiden Weltkriege machten aus dem Essener Konzern eine Rüstungs- und Waffenschmiede. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, der letzte Firmenchef, wurde dafür und für die Ausbeutung von 75.000 Fremd- und Gastarbeitern in einem der Nürnberger Nachfolgeprozesse verurteilt, aber bereits 1951 freigelassen. Rüstungsgüter stellte Krupp seitdem nicht mehr her. Dafür Krane, Lkw, Lokomotiven, Seeschiffe und Hüttenwerke, Anlagen zur Kunstfasererzeugung und komplette Chemiefabriken.
Bundesbürgschaft
Wirtschaftlich glänzend ging es dem Unternehmen vor allem bis zum Beginn des 1. Weltkrieges. Danach kriselte es mehr oder minder schwer, die Aufrüstung der Nazis brachte einen Aufschwung, die Neuorientierung nach 1951 barg durch das breite Produktionsfeld Risiken. Hinzu kamen riskante Auslandsgeschäfte, die Stahlkrise und Fehler des Managements. Das Familienunternehmen stand 1967 am Rand des Zusammenbruchs. Nur der Bund, das Land Nordrhein-Westfalen und Banken sorgten mit einer Bürgschaft für das Überleben.
Ende einer Dynastie
Die Friedr. Krupp AG wurde im gleichen Jahr in eine gemeinnützige Stiftung überführt, die derzeit noch beteiligt ist an der ThyssenKrupp AG (Zusammenschluss der einstigen Stahlriesen Hoesch, Thyssen, Krupp). Lothar Gall, der 2000 die Krupp-Geschichte des 19. Jahrhunderts veröffentlichte, hat als Herausgeber der vorliegenden Publikation die gründlichen Recherchen von vier Autoren gebündelt und damit Aufstieg und Fall einer Familien-Dynastie deutlich gemacht, an die das Leben von einigen hunderttausend Menschen gebunden war und die Wirtschaftsgeschichte schrieb.
(Mathias Voigt, literaturtest.de)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Durch dick und dünn mit Bertha
Die Geschichte der Fried. Krupp AG vom Kriegsbeginn 1914 bis zur Stiftungsgründung 1967/68 / Von Günther Schulz

Das Erstaunlichste an Krupp ist wohl, daß es überlebt hat. Das Unternehmen überstand eine existentielle Finanzkrise in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts und den Umbruch 1918/19, als es in kürzester Zeit von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft übergehen mußte. Es überlebte eine schwere Finanzkrise 1924/25 sowie den katastrophalen Einbruch der Weltwirtschaftskrise. Damals schrumpfte die Zahl der Beschäftigten auf weniger als die Hälfte, 1932 etwa auf den Stand von 1897. Von Adolf Hitler seit den dreißiger Jahren zur Rüstungsschmiede von nie gekannten Ausmaßen gemacht und ideologisch in besonderem Maße vereinnahmt ("hart wie Kruppstahl"), überstand Krupp das Kriegsende 1945 und die Schleifung. 1967/68 wurde es, wiederum in einer Krise, in eine Stiftung umgewandelt.

Die Fried. Krupp AG war eine Ausnahmeerscheinung unter den deutschen Unternehmen. Über die Ursachen mag man spekulieren. Die Faszination ging wohl weniger davon aus, daß die Essener Gußstahlfabrik lange unzeitgemäß war, ein Fossil. Hier hielt eine Familie gewaltige unternehmerische Macht in Händen und lehnte es ab, sich dem Kredit und damit dem Einfluß der Banken zu öffnen. Und lange stemmte sich diese Familie mit einer patriarchalischen, antigewerkschaftlichen Unternehmenskultur der Modernität des Kapitalismus entgegen. Krupp galt als Erzkapitalist, doch es war bis zur Krise von 1924/25 eigentlich noch "kein kapitalistisches Unternehmen", so Klaus Tenfelde.

Die Faszination ging wohl eher vom Mythos aus, die "Rüstungsschmiede des Reiches" zu sein, und von dem Eindruck, den "deutsche Wertarbeit", Spitzentechnik - nicht nur - der Geschütze, vermittelte, ebenso wie die schiere Größe des Unternehmens und vieler seiner Erzeugnisse. Faszination übte auch die Nähe aus, die die Unternehmerfamilie - geliebt oder ungeliebt - stets zu den Spitzen von Politik und Militär hatte. Freilich brachte die prominente Stellung Gustav Krupp von Bohlen und Halbach nach der Ruhrbesetzung durch die Franzosen sowie seinen Sohn und Nachfolger (seit 1943) Alfried nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Amerikaner ins Gefängnis.

Berthold Beitz, seit 1953 Generalbevollmächtigter des Unternehmens und nach dem Tod von Alfried Krupp 1967 Vorsitzender der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, gab die Anregung, die Geschichte Krupps schreiben zu lassen. Im Jahr 2000 legte Lothar Gall eine Geschichte des Unternehmens bis zum Ersten Weltkrieg vor ("Krupp. Der Aufstieg eines Industrieimperiums"). Daran knüpfte sich in der Fachwelt eine Diskussion an über das Verhältnis von Unternehmensgeschichte und allgemeiner Geschichte. Die Unternehmensgeschichte habe, so die einen, immer auch eine politische Dimension; sie habe aber auch ein fachliches proprium, so die anderen. Sollten künftig Wirtschafts- und Sozialhistoriker beispielsweise über Bismarcks Außenpolitik schreiben? Für den Fortsetzungsband hat Gall nun drei dezidiert unternehmenshistorisch ausgewiesene Historiker gewonnen.

Klaus Tenfelde stellt die Jahre von 1914 bis 1924/25 dar. Unternehmenschef von 1909 bis 1943 war Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, nicht Eigentümer, sondern eine Art Handlungsbevollmächtigter der Familie, insbesondere seiner Frau Bertha, die Hauptaktionärin war. Er war ehemaliger Diplomat, paßte sich rasch ein, pflegte die Tradition der "Kruppianer", zeigte Führungsgeschick, kurz: ein Glücksfall für das Unternehmen und für den Familienbetrieb, der Krupp auch als Aktiengesellschaft war. Das Unternehmen expandierte seit 1914 gewaltig, es dürfte in den Kriegsjahren Aufträge von mehr als zwei Prozent aller Kriegsausgaben des Reichs erhalten haben: "Das Gigantische war in Essen zu Hause." Es gab Zwangsarbeit, vor allem von Arbeitskräften aus dem feindlichen Ausland und von Kriegsgefangenen, doch die Firma stand ihr "wegen unzureichender Leistungen" eher ablehnend gegenüber.

Schwerpunkte der Darstellung sind die Alltags-, Lebens- und Arbeitswelt, Belegschaftsverhältnisse und Konflikte, doch kommen organisatorische und strukturelle Aspekte nicht zu kurz. Es gab erste Streiks im Sommer 1916, vornehmlich wegen Problemen bei der Nahrungsversorgung. Die Revolution 1918 verlief in Essen moderat, auch die Rote Ruhrarmee verschonte Krupp weitgehend, wenngleich der Weinkeller der Villa Hügel stets auf alle durchziehenden Truppen magnetische Wirkung hatte. Der Übergang zur Friedenswirtschaft war schwierig, doch er gelang, denn die Rohstoffvorräte waren groß, die Wiederaufbaukonjunktur war günstig, und die Inflation wirkte wie ein Gleitmittel.

Ab Ende 1918 trat neben die klassischen Bereiche - die Erzeugung von Eisen, Stahl und von Halbfabrikaten - zunehmend die Produktion von Fertigprodukten: von Lokomotiven und Güterwaggons, chirurgischen Instrumenten und Nirosta-Bestecken, Maschinen, Land-, Textilmaschinen, Lastkraftwagen, Registrierkassen, Edelstahl für Zahnersatz und anderes. Doch es gab nach dem Weltkrieg auch weiter rüstungswirtschaftliche Aktivitäten - verschleiert natürlich an Ausweichstandorten in Schweden und in den Niederlanden und durch die geheime Zusammenarbeit mit der Reichswehr. Doch insgesamt wurde die Produktion nun grundzivil. Gustav Krupp hielt, trotz größter finanzieller Not, in der Hochinflation unbedingt daran fest, die Handlungsfähigkeit im Familienunternehmen auch gegenüber den Banken zu behalten. Er schlug Kooperationen aus, wie sie sich 1919/20 mit dem Elektro-Konzern AEG und 1920 mit dem französischen Rüstungskonzern Schneider-Creusot sowie der Daimler-Motorengesellschaft anboten.

Die Entwicklung von 1924 bis 1933 zeichnet Toni Pierenkemper nach. In dem Beitrag manifestiert sich sein Credo, daß Unternehmensgeschichte vor allem die ökonomische Ratio herausarbeiten müsse. Insofern wechselt mit dem Autor auch das Paradigma der Forschung. Er erläutert detailliert die Bilanzen nach der Währungsreform von 1923, erhellt die Finanzkrise von 1925 und die Bemühungen um Rationalisierung und Restrukturierung und stellt die Kartell- und Konzentrationsbewegungen der nachfolgenden Zeit sowie die existentiellen Schwierigkeiten während der Weltwirtschaftskrise dar.

Werner Abelshauser stellt die Geschichte Krupps im "Dritten Reich" und der Nachkriegszeit bis 1951 unter die Frage "Rüstungsschmiede der Nation?". Die historische Zäsur so zu legen macht stutzig - nicht, weil die Zäsur des Jahres 1945 damit "überspielt" wird, denn sie ist vielfältig im Fluß. Derartige Zäsuren markieren Sinnabschnitte, trennen Epochen voneinander. Wenn die Geschichte Krupps, wie in der Einleitung argumentiert wird, ein Spiegelbild der Geschichte von Wirtschaft und Politik ist - was davon spiegelt dann das Jahr 1951? Es war für das Unternehmen selbst wichtig, weil der 1945 verhaftete und 1948 in Nürnberg zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilte Alfried Krupp von Bohlen und Halbach amnestiert wurde und erst jetzt auch bei Krupp die Phase der Reparationen endete.

Hitlers Ernennung zum Reichskanzler 1933 löste in der Villa Hügel keine Euphorie aus, weil das Verhältnis der Familie Krupp zur NSDAP distanziert war. Gustav Krupp gehörte der bürgerlich-demokratischen Deutschen Volkspartei an, einer politischen Stütze der Weimarer Republik. Die Krupps hatten Hitler - anders als dieser 1931 verbreitete - vor der "Machtergreifung" nicht mit Spenden unterstützt. Gustav Krupp strebte 1936/37 an, den durch lokale Querelen mit der NSDAP schließlich zum Rücktritt veranlaßten Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler in das Direktorium des Unternehmens zu rufen. Als Hitler dies verhinderte, förderte Krupp den Regimekritiker und späteren Regimegegner Goerdeler finanziell.

Natürlich profitierte Krupp von der Aufrüstungspolitik, doch seit Mitte der dreißiger Jahre erodierte der unternehmerische Einfluß der Familie, beschleunigt seit Kriegsbeginn im September 1939. Nun erklärte das Oberkommando der Wehrmacht das Essener Unternehmen zum Wehrmachtsbetrieb, was die Verfügungsgewalt der Familie endgültig massiv einschränkte.

Die Fried. Krupp AG hatte sich in der Weimarer Zeit fast ausschließlich der zivilen Produktion zugewandt, damit Erfolge erzielt, allerdings war die Kieler Germania-Werft seit den zwanziger Jahren "praktisch pleite". Seit 1935 erhielt Krupp wieder größere Rüstungsaufträge. Sie waren anfangs, so Abelshauser, zur Rettung der Germania-Werft und zur Auslastung der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten der Gußstahlfabrik zwar willkommen, aber nicht lebensnotwendig. Das Unternehmen wurde nationalsozialistischer Musterbetrieb, 1940 erhielt die Gußstahlfabrik das Ehrenzeichen des "Leistungskampfes der deutschen Betriebe". Doch die Beziehungen waren kompliziert. Einerseits grenzte sich Krupp, wo möglich, von der "Deutschen Arbeitsfront" (DAF) und ihren Instituten ab und vertraute eher auf die eigenen Methoden sozialpatriarchalischer Betriebsführung. Andererseits nahmen sich die Nationalsozialisten auf manchen Gebieten die Kruppsche Sozialtradition zum Vorbild. Ausführlich geht Abelshauser auf die Fremd- und Zwangsarbeiter aus ganz Europa ein, deren Zahl bis auf 75 000 stieg, bei 220 000 Beschäftigten insgesamt, auf ihre Ernährung und Behandlung, vor allem aus betriebswirtschaftlicher Sicht.

Bei Kriegsende war Großbritannien entschlossen, Krupp den Garaus zu machen. Demontagen und Abrüstung durch planvolle Zerstörungen, Reparationen, Treuhandverwaltung, Umstrukturierung, der Verlust der mittel- und ostdeutschen Unternehmensteile, die Folgen der Währungsreform, der sogenannte Krupp-Prozeß in Nürnberg (Fall 10 der amerikanischen Nachfolgeprozesse des Internationalen Militärtribunals) gegen Alfried Krupp als Symbol der Nutznießer des nationalsozialistischen Regimes und gegen alle noch lebenden Mitglieder des Krupp-Direktoriums, schließlich der Beginn des Wiederaufbaus werden auf insgesamt 25 Seiten beschrieben. Das ist wenig. 1945 kam hinter der rüstungswirtschaftlichen Prägung rasch wieder "das Warenhaus der Friedensindustrie" zum Vorschein, das Krupp vor 1935 gewesen war und das, so Abelshauser, bei den Zukunftsplanungen auch seither stets die Hauptrolle gespielt hatte.

Die entschiedene Ausrichtung auf zivile Produktion ist das Thema von Lothar Gall. Er stellt die Entflechtung und das Bemühen um Wiederherstellung des Unternehmens dar, Wiederaufstieg und Expansion, weltwirtschaftliche Ausdehnung und Osthandel, schließlich die Krise der sechziger Jahre und die Umwandlung in die Stiftung. Ein eigenes Kapitel ist der Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter durch das Unternehmen gewidmet. Gall konzentriert sich stark auf die unternehmerischen Persönlichkeiten, vor allem auf Krupp und Beitz - auch dies, nach dem strukturgeschichtlichen Ansatz des Wirtschaftshistorikers, ein Paradigmawechsel.

Das Buch räumt mit einer Reihe von Klischees auf - beispielsweise mit dem von der "Rüstungsschmiede". Dies war Krupp im Ersten Weltkrieg und wieder ab den späten dreißiger Jahren, nicht aber vor 1914, nicht in der Zwischenkriegszeit und nicht seit 1945. Auch zeigen die Autoren eindringlich, wie stark das Unternehmen in seiner Geschichte immer wieder gefährdet war. Auch die Vorstellung, Alfred Hugenberg sei ein typischer KruppManager gewesen, wird widerlegt, ebenso wie Pauschalvorurteile über die Affinität der Schwerindustriellen zum Nationalsozialismus. Gustav Krupp schützte jüdische Firmenangehörige und Forscher, wenn er konnte. Aber er arrangierte sich auch mit den Nationalsozialisten und profitierte davon. Andererseits zeigen sich Konstanten: die Privilegierung Krupps von den deutschen Regierungen in allen Phasen, die Nähe zur Macht, überhaupt die Wirkungen von Größe.

Den Band runden zahlreiche Tabellen und ein Literaturverzeichnis ab, dessen Umfang eindrucksvoll vor Augen führt, wieviel in den vergangenen Jahren über Krupp geforscht wurde. Trotz bekannter Grundentwicklungen bringen die Autoren viel Neues dank der umfangreichen Auswertung von Akten aus dem Krupp-Archiv, nicht nur im Detail, sondern beispielsweise auch über die Planung, Errichtung und Produktion des Kruppschen "Berthawerks" in Markstädt bei Breslau, (1942 als Rüstungsbetrieb und als Verlagerungsstandort für die mehrfach bombardierte Essener Gußstahlfabrik gegründet), über das man bisher wenig wußte.

Über einen solch gewaltigen Konzern läßt sich auf 500 Textseiten vieles nur anreißen. Gelegentlich gibt es Wiederholungen und trockene Passagen, doch das ist eher die Ausnahme. Hier ist eine souveräne, von vorzüglichem Überblick wie großer Detailkenntnis geprägte dichte, interessante und gut lesbare Darstellung gelungen, die der Forschung viele Anregungen bietet. Sie verbindet die Ergebnisse akribischen Archivstudiums mit Skizzen der großen Linien der deutschen Wirtschaftsgeschichte - und sie zeigt, wie interessant Unternehmensgeschichte geschrieben werden kann.

Lothar Gall (Herausgeber): Krupp im 20. Jahrhundert. Die Geschichte des Unternehmens vom Ersten Weltkrieg bis zur Gründung der Stiftung. Siedler Verlag, Berlin 2002. 720 Seiten, 84 Abbildungen, 34,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Den ersten Band, der die Geschichte des Unternehmens bis zum Ersten Weltkrieg schilderte, hat der Historiker Lothar Gall noch im Alleingang verfasst, für die Fortsetzung hat er sich als Herausgeber - nach Kritik in der Fachwelt - ausgewiesene Unternehmenshistoriker als Co-Autoren gesucht. Die einzelnen Kapitel, die so entstanden sind, fallen, merkt der Rezensent Günther Schulz an, unterschiedlich aus: Klaus Tenfelde, der für die Jahre 1914 bis 1924/5 zuständig ist, beschäftigt sich - ohne andere Aspekte auszublenden - vor allem mit der "Alltags-, Lebens- und Arbeitswelt" bei Krupp. Er beschreibe den Wandel von der Kriegs- zur Friedensproduktion: die Produktion wird "grundzivil". Den nächsten Abschnitt (1924 bis 1933) hat Toni Pierenkemper mit dem Focus auf die ökonomischen Tatsachen verfasst und Werner Abelshauser (bis 1951) stellt die Frage, ob Krupp tatsächlich die "Rüstungsschmiede der Nation" war, berichtet der Rezensent. Das Verhältnis zwischen Krupp und dem Nazi-Regime erweise sich dabei als weitaus komplizierter als vermutet. Lothar Gall beschäftige sich im abschließenden Teil mit der Neuausrichtung auf die "zivile Produktion". Günther Schulz lobt das Buch - trotz gelegentlicher "trockener Passagen" - als "souveränen" Überblick, "gut lesbar" und anregend: ein Vorbild für die Unternehmensgeschichtsschreibung.

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