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Borchmeyer untersucht in dieser groß angelegten Studie literarische Werke von Kolumbus' erstem Bordbuch (1492) bis hin zum Werk des Chronisten Guama Poma (bis ca. 1616) und zeigt ihren Rang als literarische Zeugnisse, aber auch ihre Bedeutung für das europäische Denken: Aus philosophischen, kosmographischen aber auch theologischen Gründen hätte Amerika gar nicht existieren dürfen. Eine sprachgeschichtliche Analyse verdeutlicht den Kampf um ein neues Selbstverständnis. Borchmeyer skizziert hierzu eine Poetik der "inventio". Mehr als eine historische und ethnologische Untersuchung stellt Die…mehr

Produktbeschreibung
Borchmeyer untersucht in dieser groß angelegten Studie literarische Werke von Kolumbus' erstem Bordbuch (1492) bis hin zum Werk des Chronisten Guama Poma (bis ca. 1616) und zeigt ihren Rang als literarische Zeugnisse, aber auch ihre Bedeutung für das europäische Denken: Aus philosophischen,
kosmographischen aber auch theologischen Gründen hätte Amerika gar nicht existieren dürfen. Eine
sprachgeschichtliche Analyse verdeutlicht den Kampf um ein neues Selbstverständnis. Borchmeyer skizziert hierzu eine Poetik der "inventio". Mehr als eine historische und ethnologische Untersuchung stellt Die Ordnung des Unbekannten eine philologische Reflexion über die Bedeutung der Chroniken, Briefe, Erzählungen und Epen des hispanoamerikanischen Cinquecento dar, die sich nicht auf die
traditionellen oder heute gültigen Textkategorien und Wissenschaftsdisziplinen reduzieren lassen.
Autorenporträt
Borchmeyer, Florian
Florian Borchmeyer, geboren 1974 in Wasserburg am Inn, studierte Literaturwissenschaft in Berlin, Havanna und an der Université de la Sorbonne Nouvelle. Der Filmregisseur und Fernsehautor wurde 2006 für seinen Dokumentarfilm Havanna - Die neue Kunst, Ruinen zu bauen mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet. Er ist auch als Literaturkritiker für die Frankfurter Allgemeinen Zeitung tätig sowie für die Auswahl des Internationalen Programms beim Filmfest München verantwortlich und lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2010

Achtung, Sprachfalle!

Ein Abenteurer verändert die Welt: Florian Borchmeyer erforscht in einer ausgefeilten Studie die vielen Veränderungen, die Amerikas Entdeckung im Denken und Handeln bewirkt hat.

Dass Amerika nach Amerigo Vespucci benannt wurde, weiß jeder. Nicht aber, dass die Namensgebung von Freiburg ausging. Es war Martin Waldseemüller, der dort studiert hat, der den Namen "America" in seine berühmte Weltkarte von 1507 eingetragen hat. Die weibliche Form rechtfertigte er durch die weiblichen Namen der anderen Kontinente: Europa, Africa und Asia. Zwar war es Columbus, der den Kontinent entdeckt und dadurch die Welt verändert hatte. Doch meinte er bis zuletzt, es handle sich um die andere Seite von Asien. Erst Vespucci, der zumindest an zwei Reisen als wissenschaftlicher Begleiter teilnahm, erkannte den Irrtum und sprach erstmals von der "Neuen Welt". Urs Bitterli sprach 1991 in seinem Buch "Die Entdeckung Amerikas" von "entdecken, erobern, erkunden". In Florian Borchmeyers eindrucksvollem Buch kommt ein viertes Verb hinzu, "erfinden": "Von der Erfindung der Neuen Welt" lautet der Untertitel.

Schon Kant sagte, was Borchmeyer zitiert: "Etwas erfinden ist etwas ganz anderes als etwas entdecken. Denn die Sache, die man entdeckt, wird als schon existierend angenommen, nur dass sie noch nicht bekannt war, z. B. Amerika vor dem Kolumbus." Trotzdem hat "Erfindung" im Blick auf Amerika einen unleugbaren Sinn, zumindest metaphorisch. Dies macht Borchmeyer klar. Denn die Entdeckung war nicht vorgesehen. Amerika hätte tatsächlich, so Borchmeyer, aus kosmographischen, theologischen und also auch philosophischen Gründen überhaupt nicht existieren dürfen. Vielleicht war man unmittelbar vor der Entdeckung in diesem Punkt schon nicht mehr so sicher wie hundert Jahre früher. Einige hatten da vielleicht doch etwas, draußen im Meer nach Westen hin liegend, "als schon existierend angenommen". Trotzdem: Die Entdeckung der "Neuen Welt" war etwas schockartig verwirrend Neues. Sie war und bleibt die Entdeckung schlechthin. Und also muss man hier gewiss eine kräftige Dosis von Konstruktion, Fiktion und eben "Erfindung" voraussetzen. Das "Unbekannte" musste in der Tat, wie Borchmeyers Titel sagt, "geordnet", irgendwie ins Bekannte eingeordnet werden.

Francisco López de Gómara schrieb 1554, die Entdeckung Amerikas sei "das größte Ereignis seit der Erschaffung der Welt und der Geburt und dem Tod Jesu Christi". Weiter konnte niemand gehen in jener Zeit. Der Satz zeigt die Größe dessen, was da zu bewältigen war, und auch, dass das Religiöse, der Gedanke an Missionierung, an "Gewinnung von Seelen", wie es damals hieß, doch nicht bloß "vorgeschoben" war. Und zunächst stellte sich, gerade theologisch, die Frage: Sind die "indios" Menschen? Sie wurde einigermaßen rasch positiv beantwortet.

Und dann ist da das lateinische Verb "invenire", das im Deutschen sowohl "finden" als auch "erfinden" heißt, dann aber meint "invenire" tatsächlich auch "entdecken". Auch das davon abgeleitete Substantiv "inventio" vereinigt die drei Bedeutungen. Nur der "inventor" ist dann bloß noch der "Erfinder" - so ist Archimedes der "inventor" von Kriegsmaschinen. Für Florian Borchmeyer ist dies wichtig und mit Recht, denn viele dieser Texte sind entweder lateinisch geschrieben oder vom Lateinischen her gedacht. So schrieb Hernán Pérez de Oliva um 1527 eine "Historia de la invención de las Indias". Im Spanischen wurde damals stets von "den Indien", also im Plural geredet, und "invención" steht hier zwar für "Entdeckung", als Wort für sich selbst betrachtet, steht es aber ebenso für "Erfindung". Aber tut sich hier nicht eine Sprachfalle auf? Denn dass die Lateiner nur ein Wort für zwei Vorgänge hatten, die sich in der Tat stark unterscheiden, heißt ja nicht, dass sie nicht imstande waren, sie auseinanderzuhalten. Dafür gibt es viele Beispiele. So können die Franzosen ja doch auch zwischen Blumen und Blüten unterscheiden, obwohl ihre Sprache für beides nur ein Wort hat - "fleurs". Es ist eben ein Wort mit zwei Bedeutungen.

Und nun legt Florian Borchmeyer, Jahrgang 1974, eindrucksvoll los. Was er hier erarbeitet, basiert auf seiner Dissertation an der FU Berlin. Aber er war auch in Paris und in Havanna. Sein Buch, das allein als Arbeitsleistung beeindruckt, bezieht sich auf Schriften "aus mehreren Jahrtausenden". Das geht von den Vorsokratikern über Aristoteles, Augustin, Descartes, Francis Bacon, dann vor allem die Chronisten der Entdeckung, angefangen mit Columbus und Vespucci, natürlich auch Las Casas, bis hin zu Saussure, Heidegger, Foucault und Derrida. Und dann ist das Buch ja keines primär über die Entdeckungen, sondern ein philologisches Buch, das viele und verschiedene klug gewählte Texte sorgfältig wie auch subtil, dabei immer etwas postmodern, aber unverspielt analysiert. Der Eindruck, dass da etwas im Grunde Einfacheres scharfsinnig kompliziert gemacht wird, drängt sich zwar auf, doch das täuscht. Die Studie erforscht die andauernden Veränderungen im Denken, in den Vorstellungen und Bildern, die die "Neue Welt" ausgelöst hat, zum Beispiel ihre, um mit Heidegger zu reden, "Entbergung" aus dem "asiatischen Sein" ins amerikanische; da bezieht Borchmeyer sich auf den Mexikaner Edmund O'Gorman. Borchmeyer konzentriert sich auf das, was er treffend das "hispanoamerikanische Cinquecento" nennt. Im Übrigen nimmt er mit dem Begriff "Erfindung" in seiner Anwendung auf Amerika einen Diskurs auf, den er eingehend diskutiert. Und natürlich: Mit der "Erfindung Amerikas" korrespondiert die "Erfindung des Eigenen". Dass sich mit der Erfindungsentdeckung oder Entdeckungserfindung der "Neuen Welt" in der Tat sehr vieles sehr verändert hat, macht Florian Borchmeyer auf mehr als sechshundert Seiten sehr deutlich. Freud sagte einmal skeptisch amüsiert im Blick auf sein eigenes Werk: "Wer hat die Welt am meisten verändert? Columbus. Und was war er? Ein Abenteurer."

HANS-MARTIN GAUGER

Florian Borchmeyer: "Die Ordnung des Unbekannten". Von der Erfindung der Neuen Welt. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2009. 637 S., geb., 49,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hans-Martin Gauger preist diese aus der Dissertation entstandenen Studie über die ersten sprachlichen Zeugnisse der Entdeckung von Lateinamerika als überaus gehaltvolle philologische und zudem beeindruckend fleißige Arbeit. Der Autor Florian Borchmeyer, neben seiner Tätigkeit als Dokumentarfilmer auch FAZ-Autor, hat seinen Kritikerkollegen nicht nur durch seine scharfsinnige Durchleuchtung der sprachlichen Unterscheidung von Entdeckung und Erfindung fasziniert. Borchmeyer habe eine eindrucksvolle Fülle aus Texten von der Antike bis ins 16. Jahrhundert ausgewählt und subtil, auch "immer etwas postmodern", aber stets mit dem nötigen Ernst untersucht, lobt Gauger. Der Autor nimmt die Veränderungen in Vorstellung und Denken unter die Lupe, die mit der Entdeckung der Neuen Welt einhergingen und kann eindrucksvoll zeigen, wie viel sich damit für die ganze Welt gewandelt hat, so Gauger begeistert.

© Perlentaucher Medien GmbH