Dieser erste Lyrikband von Esther Kinsky, die seit ihrem Roman »Sommerfrische« einhellig als »zu entdeckende « (Hans-Peter Kunisch) Autorin gilt, enthält 47 Gedichte, in denen sie an den Ort ihres Romans zurückkehrt. In ihren lakonischen, knappen Versen entfaltet sich eine auratische Welt, die den Leser mit derMelancholie von Vergänglichkeit und Einsamkeit verzaubert und ihn mit der darin aufblitzenden Ahnung von Ganzheit und Vertrauen in den Sinn der Dinge beglückt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2011Vom Glück der gefrorenen Sprache
Esther Kinsky überzeugt auch mit Poesie
Schmal, beinahe karg mutet das Schriftbild der Gedichte an, auf das Nötigste reduziert, wie der weiße Einband des Buches, den nichts ziert außer einer kleinen schwarzen Federzeichnung, die ein Gesträuch erahnen lässt. Ansonsten: kein Klappentext, keine Angaben zur Autorin. Ebenfalls karg ist die Sprache von Esther Kinskys Lyrikdebüt "Die ungerührte Schrift des Jahrs", in dem von Landschaften und von einem Leben die Rede ist, denen das Ausschweifende fremd zu sein scheint. Mit Gleichmut folgen die Menschen dem Zyklus der Jahreszeiten, und ebenso folgt eine Generation der nächsten: "In meinem feld / sind scherben gesät, / scharfkantig / zerbrochenes, grün / und rostrot, an manchen / stellen auch blau, / das ganze in scherben / gegangene leben / der alten, die vor mir / mein feld bestellte".
Die Natur, von der Kinsky schreibt, hat selten etwas Anschmiegsames, Sanftes. Im Sommer sind die Blätter vertrocknet, die Erde ist zerfurcht durch die Hitze, im Winter ist der Boden scharfkantig und vereist. "die vögel / fielen aus den aprikosenbäumen, die kleinen / körper klangen wie spielzeug, / wenn sie die harsche / kruste des schnees / durchschlugen." Die Frauen, während sie Asche vor das Hoftor oder unter die Fenster streuen, rufen sich kurz zu, dass dieser Winter groß sei. Von den Männern sieht man nur die nickenden Mützen: "großer winter, in dem / die Sprache gefror."
Aber auch dann, wenn die Kälte die Münder nicht verschließt, herrscht weitgehend Stille in Kinskys Versen. Die Menschen sind wortkarg, einsilbig, "halbstumm", wie der Titel eines Gedichts lautet. "Ein mann / richtet mein haus", beginnt es, "holz, / sagt er, kalk / schnur / schaufel / gestein, dazwischen / sind seine hände am werk / schroff / zwischen dem rauhen."
Kinsky schreibt über die Natur und das dörfliche Leben, ohne sie als Ursprüngliches zu mystifizieren oder zu romantisieren. Vielmehr sind ihre knappen Verse ein ungerührtes Registrieren der Dinge und Vorgänge. Nur hin und wieder, wie in dem Zyklus "Als Kinder", blitzt ein Hauch von Aberglauben auf, der sich in diese Dinge eingeschrieben hat und sie ein wenig herausrückt aus ihrem Mit-sich-selbst-identisch-Sein: "Schlaf nicht, hieß es, / schlaf nicht / unter dem holunder, / sonst / träumst du den tod". An anderer Stelle liest die Sonne, was auf den Blättern der Bäume steht - "schreie / hatten das laub bitter beschriftet, / nachts, wenn die pfauen / um ihr leben baltzen."
Kinsky, geboren 1956, die sich als Übersetzerin der polnischen Autorin Olga Tokarczuk einen Namen gemacht hat, kann vermutlich deshalb so unmittelbar über die Landschaften Osteuropas schreiben, weil sie es mit dem Blick der Fremden tut. "Banat" ist der erste Gedichtzyklus überschrieben, ein Landstrich in der ungarisch-rumänisch-serbischen Grenzregion, in den Kinsky 2004 für einige Zeit zog, ohne der Sprache mächtig zu sein. Wie schon ihr Debütroman "Sommerfrische", der ebenfalls über das Leben im Banat erzählt, entbehren Kinskys Gedichte vordergründig jeder Virtuosität. Aber in ihrer Einfachheit sind sie von einer herben Schönheit, die den Dingen und den Menschen eine stille Würde verleiht.
Unsagbar beglückend ist, wie in der unprätentiösen Sprache, die mitunter so harsch ist wie der vereiste Boden im Winter, plötzlich eine pralle Sinnlichkeit gedeiht.
WIEBKE POROMBKA
Esther Kinsky: "Die ungerührte Schrift des Jahrs". Gedichte.
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2010. 72 S., br., 14,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Esther Kinsky überzeugt auch mit Poesie
Schmal, beinahe karg mutet das Schriftbild der Gedichte an, auf das Nötigste reduziert, wie der weiße Einband des Buches, den nichts ziert außer einer kleinen schwarzen Federzeichnung, die ein Gesträuch erahnen lässt. Ansonsten: kein Klappentext, keine Angaben zur Autorin. Ebenfalls karg ist die Sprache von Esther Kinskys Lyrikdebüt "Die ungerührte Schrift des Jahrs", in dem von Landschaften und von einem Leben die Rede ist, denen das Ausschweifende fremd zu sein scheint. Mit Gleichmut folgen die Menschen dem Zyklus der Jahreszeiten, und ebenso folgt eine Generation der nächsten: "In meinem feld / sind scherben gesät, / scharfkantig / zerbrochenes, grün / und rostrot, an manchen / stellen auch blau, / das ganze in scherben / gegangene leben / der alten, die vor mir / mein feld bestellte".
Die Natur, von der Kinsky schreibt, hat selten etwas Anschmiegsames, Sanftes. Im Sommer sind die Blätter vertrocknet, die Erde ist zerfurcht durch die Hitze, im Winter ist der Boden scharfkantig und vereist. "die vögel / fielen aus den aprikosenbäumen, die kleinen / körper klangen wie spielzeug, / wenn sie die harsche / kruste des schnees / durchschlugen." Die Frauen, während sie Asche vor das Hoftor oder unter die Fenster streuen, rufen sich kurz zu, dass dieser Winter groß sei. Von den Männern sieht man nur die nickenden Mützen: "großer winter, in dem / die Sprache gefror."
Aber auch dann, wenn die Kälte die Münder nicht verschließt, herrscht weitgehend Stille in Kinskys Versen. Die Menschen sind wortkarg, einsilbig, "halbstumm", wie der Titel eines Gedichts lautet. "Ein mann / richtet mein haus", beginnt es, "holz, / sagt er, kalk / schnur / schaufel / gestein, dazwischen / sind seine hände am werk / schroff / zwischen dem rauhen."
Kinsky schreibt über die Natur und das dörfliche Leben, ohne sie als Ursprüngliches zu mystifizieren oder zu romantisieren. Vielmehr sind ihre knappen Verse ein ungerührtes Registrieren der Dinge und Vorgänge. Nur hin und wieder, wie in dem Zyklus "Als Kinder", blitzt ein Hauch von Aberglauben auf, der sich in diese Dinge eingeschrieben hat und sie ein wenig herausrückt aus ihrem Mit-sich-selbst-identisch-Sein: "Schlaf nicht, hieß es, / schlaf nicht / unter dem holunder, / sonst / träumst du den tod". An anderer Stelle liest die Sonne, was auf den Blättern der Bäume steht - "schreie / hatten das laub bitter beschriftet, / nachts, wenn die pfauen / um ihr leben baltzen."
Kinsky, geboren 1956, die sich als Übersetzerin der polnischen Autorin Olga Tokarczuk einen Namen gemacht hat, kann vermutlich deshalb so unmittelbar über die Landschaften Osteuropas schreiben, weil sie es mit dem Blick der Fremden tut. "Banat" ist der erste Gedichtzyklus überschrieben, ein Landstrich in der ungarisch-rumänisch-serbischen Grenzregion, in den Kinsky 2004 für einige Zeit zog, ohne der Sprache mächtig zu sein. Wie schon ihr Debütroman "Sommerfrische", der ebenfalls über das Leben im Banat erzählt, entbehren Kinskys Gedichte vordergründig jeder Virtuosität. Aber in ihrer Einfachheit sind sie von einer herben Schönheit, die den Dingen und den Menschen eine stille Würde verleiht.
Unsagbar beglückend ist, wie in der unprätentiösen Sprache, die mitunter so harsch ist wie der vereiste Boden im Winter, plötzlich eine pralle Sinnlichkeit gedeiht.
WIEBKE POROMBKA
Esther Kinsky: "Die ungerührte Schrift des Jahrs". Gedichte.
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2010. 72 S., br., 14,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Esther Kinskys Lyrikdebüt "Die ungerührte Schrift des Jahrs" hat es Wiebke Porombka angetan. Die Gedichte über die Natur und das ländliche Leben in den Landschaften Osteuropas sind für sie gekennzeichnet durch Unmittelbarkeit, ihre Einfachheit, ja Kargheit. Auf den ersten Blick wirken diese Gedichte auf Porombka scheinbar unvirtuos, entfalten dann aber eine geradezu beglückende "herbe Schönheit", wie die Rezensentin in ihrer kurzen Besprechung schwärmt, die "den Dingen und den Menschen eine stille Würde verleiht".
© Perlentaucher Medien GmbH
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