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André Kubiczeks bemerkenswertes Debüt beschwört die Atmosphäre der DDR- Endzeit herauf, eine Atmosphäre wie vor einem Sommergewitter, träge und zugleich von einer ungeheuren Spannung aufgeladen. Die jungen Talente, die diesen eigentümlichen Kosmos bevölkern, sind allesamt Exzentriker und Träumer, die sich auf unterschiedliche Weise der staatlichen Bevormundung entziehen - und so ganz unbeabsichtigt zum Zusammenbruch des Systems beitragen.

Produktbeschreibung
André Kubiczeks bemerkenswertes Debüt beschwört die Atmosphäre der DDR- Endzeit herauf, eine Atmosphäre wie vor einem Sommergewitter, träge und zugleich von einer ungeheuren Spannung aufgeladen. Die jungen Talente, die diesen eigentümlichen Kosmos bevölkern, sind allesamt Exzentriker und Träumer, die sich auf unterschiedliche Weise der staatlichen Bevormundung entziehen - und so ganz unbeabsichtigt zum Zusammenbruch des Systems beitragen.
Autorenporträt
Andre Kubiczek, geb. 1969 in Potsdam, lebt er heute nach seinem Studium der Germanistik in Leipzig und Bonn als freier Autor in Berlin. 1997 erhielt er das Arbeitsstipendium Brandenburg, 1998 das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.04.2002

Die Besäufnisse des Zöglings Less
Im Rückspiegel die Raststätte: Ein Gespräch der Hauptverwaltung Literatur über das Buch des Jugendfreundes André Kubiczek
Der Arbeitsgruppe zur „Förderung realistischer Tendenzen” gehören heute noch drei Mitglieder an, denen das Verlagswesen der DDR einst ein bemessenes Auskommen sicherte. Es sind: Frau Dr. Scherlein, prinzipienfest und offenherzig, der bärtige Professor Tör, ein Kenner, und Kotte, Mitte dreißig, der noch immer dort wohnt, wo der Untergang des Sozialismus ihn überraschte. Ohnmächtig gegenüber der Flut neuer Bücher nennen sie sich dennoch verkniffen, stolz und nostalgisch „Hauptverwaltung Literatur”. Auf ihrer diesjährigen Frühjahrssitzung strahlten die Gesichter heller als sonst – und das lange bevor die erste Flasche Rotkäppchen ausgetrunken war. Vor ihnen lag ein Buch im blauen Umschlag, leuchtend wie ein FDJ-Hemd: „Junge Talente”. Der Zufall spielte uns das Protokoll des Arbeitsgruppentreffens in die Hände, das wir hier mitteilen.
Scherlein: Ich habe es immer gesagt: Man muss nur warten können. Neue Bücher von Wolf, Braun, Hacks, Kant und auch die Jungen, die wir schon aufgeben wollten, schreiben über den Sozialismus. Nach einer Phase der Irritation wenden sie sich wieder den Schwierigkeiten des gesellschaftlichen Lebens zu, erkunden die Möglichkeit menschlichen Glücks, erweitern die Freiräume. André Kubiczek, in Potsdam geboren, erzählt die Geschichte des jungen Mannes Less...
Tör: Da fängt der Ärger doch an. Wie Signalflaggen tragen die Figuren ihre Namen vor sich her. Der Onkel des Helden heißt „Mahner” – und wird auf einer Liebknecht-Luxemburg-Demo verhaftet, der schwule Anarchist regt sich über Kurt Hager auf und heißt: „Nathanael Held”! Wie subtil. Da wird man fast dankbar für den Dichter „Schnabel”, den Bier trinkenden Punker „Beck”, die verlockende Cousine „Radost” – wie das russische Wort für „Freude”. Soll man „Less” nun russisch als „Wald” lesen oder englisch als „weniger”?
Scherlein: Der Geschichte soll man folgen, auf die Stimme der Jugend hören. Less wächst im Harz auf. Das Kind zweier Ingenieure, sozialistische Intelligenz, leidet am Mief und an der Hässlichkeit seiner Heimat, erstarrt „zwischen touristischer Wurstbude und Schwerindustrie”. Da besucht ihn Radost und reizt ihn. Er zieht nach Berlin. Die Cousine findet er dort zwar nicht, aber er trifft Menschen aus unterschiedlichsten Schichten: seine Kolleginnen bei der Post, oppositionelle Literaten, Punker, ein alten Trinker. Er besucht Wohnungslesungen, Imbisse, Feten, eine Musterung, eine Vereidigung, ein Konzert, dessen Besucher von Skinheads drangsaliert werden. Kubiczek zeigt typische Charaktere in typischen Umständen, entfaltet den Widerspruch zwischen individuellem Anspruch und gesellschaftlicher Wirklichkeit. So entsteht ein eindrucksvolles Panorama der späten DDR.
Kotte: Alle trinken. Und so war’s ja auch.
Tör: Und alle machen die Gesellschaft für ihr bisschen Unglück, ja für jede Beschränkung überhaupt verantwortlich. Der Autor kommt zu spät, der uns heute erzählen will, dass ein Land untergehen musste, in dem nur Alkohol und Alltagssorgen Gemeinsamkeit stifteten.
Kotte: Ihr schaut wie immer aufs große Ganze. Hier aber dreht sich alles um die Liebe, um die Frauen: Delia aus der Provinz, Radost und Irenchen, sechzehn Jahre alt, in die sich der Held verliebt.
Tör: Was mir ewig unverständlich bleiben wird: „Ihre Haut schmeckte nach Bier, Havanna Club und Zigaretten, nach Seife und Salz und ein bisschen nach Kotze.” Noch bevor es zur Sache geht, schläft sie auf ihm ein. Da braucht der Autor dann natürlich noch die Dani und ihren gewaltigen Busen, damit sein Held endlich das erste Mal erlebt.
Scherlein: Du tust so, als wäre das bloß eine Pubertätsgeschichte. Aber privates und politisches Schicksal sind ineinander verwoben. Nicht umsonst bewundert der Held Majakowski und macht sich nach dessen Bilde zurecht. Irenchen ist in den Westen gegangen, nach München. Das ist ein herber Schlag. Wird Less ihr folgen? Treffen sie sich in Prag? Am Ende stehen er und Nathanael auf einem Aussichtspunkt, beobachten den Sonnenuntergang, symbolische Vorwegnahme einst kommenden Geschehens.
Kotte: Die letzten Seiten sind groß. Abendlicht liegt über allem, einige Freunde passen sich an. In die Provinz zurückgekehrt sieht Less Staub auf dem Inventar, „etwas, das sich mit keinem Wedel der Welt wieder entfernen ließe, das jede Schicht frischer Farbe schlucken würde”.
Scherlein: Meisterhaft, wie der Autor Beobachtungen, Geschmacksurteile zu einer Aussage über die gesellschaftlichen Zustände verdichtet. Vom Furor der Abrechnung ist wenig geblieben, hier erlebt ein sensibler junger Mann, dem Literatur zur Lebenshilfe wird.
Tör: Ja, ja. Da Buch besteht vor allem aus Kurzrezensionen, bissigen Kritiken, Schimpfreden. Das kann der Autor. Less sieht ein paar Gestalten, sucht ein Wort, um sie alle zu treffen: „hängend”. „Alles hing an ihnen, die Kleidung am Körper, die Haare vom Kopf, die Tränensäcke, die Lebensmittel in den Einkaufsnetzen.” Der Mann vermisst Vitalität, Leben, Kraft. Erschlaffung ringsum, auch die „kritischen Geister” sind müde und leben nur noch „zwischen den Zeilen”.
So bekommt jede Erscheinung der Wirklichkeit ihre vorhersagbare Diagnose zugeteilt. Auf die Komposition ist nicht viel Mühe verwendet worden. Man nehme einen jungen Mann, der trifft den und trifft die, und so folgt Szene auf Szene. Die meisten kennt man irgendwie, es sind Standardszenen. Das ist manchmal witzig, im ganzen aber Konfektion, von der Stange. Und der angeblich stilbewusste Less, der durcheinander trinkt und an Frauen rummacht, die nach Kotze riechen, ist mir zu altklug.
Wie der Roman schon beginnt: „Südwestlich von Berlin, wo sich der Harz erhebt, an schroffe Berge gesetzt, ... in einem Kessel, in den zwei Gleise führten aus der offenen Ebene, der vierten, utopischen Richtung .. .” Den besseren Anfang bekommt man später: „Genau genommen war Less an einer Raststätte groß geworden.” Es gibt zu viel utopische Richtung und Bescheidwisserei, zu wenig Raststätte und Ungesehenes in diesem Buch.
Kotte: Zugegeben, die ersten sechzig Seiten muss man aushalten, aber dann, in Berlin, gewinnt die Geschichte doch an Fahrt, wird farbig, lebensnah. Man amüsiert sich.
Scherlein: Solche bürgerlichen Urteile, die Romane wie Konsumgüter bewerten, hatte ich unter uns nicht erwartet. Aber auch nicht so viel Griesgrämigkeit. Der Autor hat gewiss viel über die DDR gelesen. Wollen wir ihm das vorwerfen? Nach dem Ernst des Erlebens, nach Witz und Qual des Erinnerns schreibt er als dritten Abschied eine kritische Revue. Und der Leser kann doch ahnen, dass es Less in Hamm, Westfalen, nicht anders ergangen wäre. Die hatten einen Golf für jeden, wir ein Haus der Jungen Talente, das Punkbands Gelegenheit gab, sich einstufen zu lassen.
JENS BISKY
ANDRÉ KUBICZEK: Junge Talente. Roman. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2002. 223 Seiten, 16,90 Euro.
Wenn hinter Trabis Trabis fahren, fahren Trabis Trabis nach: spurtreu durch Berlin, hier an der Schönhauser Allee.
Foto: Regina
Schmeken
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.2002

Pogo und Klassenkampf
Das Prenzlauer-Berg-Phänomen: André Kubiczeks listiges Debüt

Den Helden dieses Romans als unpolitischen Menschen zu bezeichnen wäre noch untertrieben. Der junge Mann aus der DDR-Provinz, Less mit Namen, hat für die Höhlen der Prenzlauer-Berg-Opposition in den späten achtziger Jahren bloß denselben, zwischen Desinteresse und Verachtung changierenden Gleichmut übrig wie für die staatsnahen Institutionen, die er durchstreift, ob FDJ-Gruppen oder NVA-Kasernen. Das Wort "Sozialismus" kommt kein einziges Mal vor, aber auch "Bürgerrechtler" nur nebenbei, wie aus Versehen und gesperrt gedruckt.

Die einzigen Unterscheidungen, die Less anerkennt, sind stilistischer Art. Als Junge hört er, wie die Arbeiter in der Werkskantine über die "Helmlosen und Sauberen" herziehen, zu denen auch seine Eltern zählen, die als Ingenieure im selben Werk arbeiten. Er hofft insgeheim, daß die Eltern die Attacken mitbekommen. Aber noch bevor der Leser diese Regung als inhaltliche Position, als Parteinahme etwa für die Untersten der Gesellschaft deuten kann, versichert er: "Wichtiger war der erstmalige Eindruck, Verbündete haben zu können, mit denen sich eine Front aufbauen ließ gegen eine andere Partei. In der Schule hieß es, daß so etwas in der Wirklichkeit oft passiere, ja daß sie so erst entstünde."

Was André Kubiczek in den "Jungen Talenten" vorführt, ist nichts Geringeres als eine solche Rekonstruktion von Wirklichkeit aus dem Geist des Ressentiments - und dies auf höchst selbstironische, ja humoristische Weise. Indem er seinem Helden eine kräftige Abneigung gegen das dumpfe Milieu seiner Heimatstadt im Harz mitgibt und damit ein feines Gespür für die Möglichkeiten der Abgrenzung durch Kleidung, Rede und musikalische Vorlieben, erschafft er sich ein präziseres Medium zur Erfassung jener Endzeit der DDR, als es den üblichen politischen Etiketten möglich ist. Seit dem Tag, da Less sich entschließt, im etwas zu großen Anzug seines Großvaters wie ein Dandy durch die Welt zu gehen, gewissermaßen eine Jugendbewegung für sich allein, entgehen ihm nicht einmal die winzigsten Schattierungen im Habitus, im Tonfall, in der modischen Ausstaffierung seiner Umgebung - einfach weil er im Zweifel alles als Angriff auf sich selbst verstehen muß. So setzen sich im Blick dieses außerordentlich teilnehmenden Beobachters die Mosaiksteine des Prenzlauer-Berg-Phänomens, die man einzeln und als Teil einer Legende ja schon zur Genüge kannte, ganz neu zusammen. Übrig bleibt keine Legende, sondern ein Gewusel von Gestalten, die sich mit unterschiedlichem Erfolg und Desillusionierungsgrad durchs Leben schlagen. Gerade in dem Moment, da der Prenzlauer Berg einmal nicht als Literatur-Ort stilisiert wird, ist er endlich für die Literatur gewonnen.

Bei aller Genauigkeit ist diese Geschichte weit entfernt vom abstrakten Hochmut einer ethnologischen Untersuchung; davor bewahrt sie nicht zuletzt das komische Getriebensein des Helden, der von seiner selbstauferlegten Pflicht zur Distanz nur im Fall von Mädchen hin und wieder eine Ausnahme macht: "Er konnte sich", heißt es einmal bei der Schilderung eines Dorftanzes ziemlich zu Beginn, "nicht unters Publikum mischen, zu dessen weiblichem Teil es ihn trotz der stilistischen Widersprüche hinzog." So ist es der weibliche Teil des Publikums, der den Helden dann doch immer wieder aus seinem Phlegma reißt und die Handlung vorantreibt. Delia, das graue Entlein vom Lande, das sich am Ende der Poesie hingibt, bestärkt ihn in seiner Überzeugung von der Perspektivlosigkeit seines Heimatorts; Radost, der Irrwisch aus der Großstadt, zieht ihn nach Berlin; die Erinnerung an Irenchen, das jungenhafte Mädchen, das ihn verführt und dann verschwindet, hält ihn im Prenzlauer Berg; und Dani, die Bassistin mit den großen Brüsten, erschließt ihm das Innere der Punk-Bewegung.

Nie will Less Teil einer "Szene" sein (auch dieses Wort kommt übrigens nicht vor). Aber unversehens tut er alles mögliche, was später als szenetypisch kategorisiert werden sollte. Er besetzt eine leerstehende Wohnung. Er geht zu privaten Lesungen, wo bärtige Dichter Lieder singen. Er treibt sich in dunklen Kneipen herum, wo er mit einem verdächtig nach Adolf Endler ausschauenden Werner in wortlosem Einverständnis Bier trinkt. Er geht in die Kirche zum Konzert einer West-Berliner, verdächtig nach "Element of Crime" ausschauenden Band und wird dort von Neonazis überfallen. Es ist schon der Bewunderung wert, wie Kubiczek es schafft, all diese sattsam bekannten Klischees sich so zwanglos aus den Irrwegen und Ideosynkrasien seines Helden entwickeln zu lassen, daß sie einem erst im nachhinein auffallen.

Und bei keiner der geschilderten Zusammenkünfte läßt sich der Erzähler die Unbestechlichkeit der Beobachtung durch den insgeheimen Stolz, dabeigewesen zu sein, abkaufen; nie trübt der verlogene Ernst des "Anderen" das Urteil. So erfährt man verläßlich, wie es auf einer Soiree von dickbäuchigen Bartträgern mit angeschlossener Dichterlesung zuging ("aus den Boxen quoll seit einer Weile eine endlose Dümpelei auf dem Klavier, zu der manchmal jemand aufschrie, als sei ihm während des Spiels der Deckel auf die Finger geklappt"), wie bei einer Punker-Fete ("unter der Flurgarderobe lag ein Paar und wälzte sich selbstvergessen in zertretenen Erdnußflips") und wie beim Pogo-Tanz im Haus der Jungen Talente ("es wogte in gefährlichen Wellen gegen die Ränder dieses Wogens").

Dabei strebt Kubiczek offensichtlich keine Vollständigkeit an; insbesondere politische Gruppierungen und Untergruppierungen läßt er souverän links liegen. Mit um so mehr Liebe zeichnet er einzelne Typen, die man sich in diesen Gruppierungen gut vorstellen kann, den schwulen Anarchisten Nathanael, Robert Schnabel, den eingebildeten Dichter mit der Fistelstimme, den resignierten Romantiker Wanja. Und dazwischen richtet Less sein höchst privates Traditionszimmer ein; er legt sich eine Frisur wie Majakowski auf dem Rodtschenko-Foto zu und bastelt unverdrossen "an seinem trunkenen Schiff, um demnächst und wie einer der Letzten seiner Art durch die Straßen der Stadt zu segeln". Sein größtes Problem ist, was ihn ja übrigens in nächste Nähe zur distinktionsmüden Gegenwartsjugend rückt: wo man die geeigneten Feinde für die rebellische Pose herbekommt - "Langeweile galt offiziell noch nicht als Grund für den Klassenkampf".

So fällt der Kosmos, der da wieder ersteht, nicht durch besondere Exotik, sondern eher durch eine frappierende Selbstverständlichkeit auf. Nichts an den Zeitläuften, die Less durchlebt und stets leicht nörgelnd beobachtet, deutet darauf hin, daß sie nicht ewig währen könnten. Gewiß, Irenchen schreibt plötzlich aus München, sie ist geflohen, und Wanja wird bei der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration verhaftet: Aber das sind alles Ereignisse, die erst das nachträgliche Wissen als Vorzeichen des großen Umbruchs erkennt. Die Erzählung reicht bis in das Jahr 1989 hinein, doch die Wende wird mit keinem Wort erwähnt. Die Pointe des Textes ist, daß der Leser den unausgesprochen Fluchtpunkt des Erzählten kennt und die ganze Zeit mitdenkt: den Untergang der DDR. Man weiß, daß das Schicksal der Helden schon im nächsten Augenblick, der dem Romanende folgt, eine Wendung nehmen wird, die den erzählten Kosmos über den Haufen werfen wird.

Ob diese Prenzlauer-Berg-Bewohner mit ihrem unsteten Lebenswandel tatsächlich "unbeabsichtigt zum Zusammenbruch des Systems" beigetragen haben, wie es der Klappentext sagt, kann bezweifelt werden; wenigstens findet sich im Roman kein Hinweis darauf. Seine Botschaft ist viel listiger: Ohne daß er irgendwelche Vanitas-Signale bemühen müßte, legt er allein durch seinen so detailliert ausgestatteten, nie aber abstrakt benannten historischen Ort eine gewisse Vergeblichkeit über alles, was er erzählt, und, mehr noch, über die Gegenwart des Lesers und deren Stilbemühungen auch. Less kehrt am Ende der aufregenden Stadt den Rücken und erlebt - "was für ein elender Kitsch" - inmitten der Berge des Harzes einen dramatischen Sonnenuntergang.

André Kubiczek: "Junge Talente". Roman. Rowohlt Berlin, Berlin 2002. 223 S., geb., 16,90 .

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Darf´s ein bisschen rebellisch sein?
Langeweile herrscht in dem Provinznest im Harz, in das es die Familie des jungen Less verschlagen hat. Dann hat Less eines Tages genug, er gönnt sich eine neue Frisur und trägt Szene-Klamotten. Doch Vorsicht - seine Verwandlung zum Rebellen geschieht allmählich, fast unbemerkt - Ähnliches gilt auch für das übrige Roman-Personal in André Kubiczeks Roman-Erstling Junge Talente.
Zwischen den Zeilen steht die Kritik
Less hat keine Lust mehr zu bleiben. Zum Glück gibt es Onkel Werner, genannt Wanja, einen slawophilen Intellektuellen, der den Alternativen mimt, und seine Tochter Radost. Sie lädt Less zu sich nach Berlin ein. Dort angekommen, ist Radost längst über alle Berge, besser gesagt, in den Bergen von Thüringen, wo sie mit Freunden in einer WG lebt.
Less zieht bei Wanja ein. Seine Wohnung ist eine Anlaufstelle und für die intellektuelle Elite, hier finden Dichterlesungen statt, bei denen der Alkohol in Strömen fließt. Für Less wird Wanjas Wohnung zum Ausgangspunkt seiner Berliner Zeit, in der er eine ganze Reihe von Typen, den skurrilen Dichter Mahner, den Punk Beck, Arbeiterinnen von der Post, mit denen er eine Zeitlang zusammenarbeitet, Nathanael, einen Anarchisten, und auch einigen Mädchen begegent. Schließlich kehrt er in seinen Heimatort zurück.
Helden und Opfer - Fehlanzeige!
In Junge Talente zeichnet André Kubiczek ein nüchternes Bild vom Lebensgefühl der Menschen in der Endzeit der DDR. Damit unterscheidet er sich von seinem etwa gleichaltrigen Schriftsteller-Kollegen Thomas Brussig, der in seinen Romanen Am kürzeren Ende der Sonnenallee und Helden wie wir die DDR mit den Mitteln der Ironie und Satire dem Spott der Nachwelt ausliefert und zugleich verklärt. André Kubiczeks Blick ist unmittelbarer, schärfer. Kritik und Rebellion ja - aber bitte keinen Ärger, kein Risiko - das ist die Devise, die auch für die Szene vom Prenzlauer Berg gilt, für die der Wanja-Kreis steht.
Sprachlich wirkt der Roman an manchen Stellen angestrengt und überfrachtet. Schade, schließlich ist Junge Talente eine einfache, klar strukturierte Geschichte über einen Durchschnittstypen, einem "Helden wie wir", der nicht nur bei jungen Lesern aus dem Osten gut ankommen wird. (Birgit Kuhn)
Provinz Dandy und andere schräge Gestalten
Less kommt in einer Kleinstadt im Harz zur Welt. Großstädte sind fern, also wird er zum Provinz-Dandy. Eines Sommers aber weckt seine Cousine Radost aus dem nahen Ostberlin seine Gelüste. Less folgt ihr in die Hauptstadt und landet in der aufgeregten Prenzlberg-Szene der letzten DDR Jahre: Begegnungen mit exzentrischen Lyrikern, aufmüpfigen Punks und der hübschen Dani lassen Less zum Anarchisten reifen. Doch die Geschichte hat Überraschendes in petto...Das Romandebut des Podsdamer Autors André Kubiczek lebt von knapper Sprache und autentischer Erfahrung. Geistreiche Plauderei über die Befindlichkeitzen der Vorwende-Zeit. (Hörzu)

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Junge Talente" setzt sich von den üblichen Romanen, die vom Leben in der DDR erzählen, durch die Tatsache ab, dass er eine Gegenwelt erschaffen will, die "wahrhaftig" und "offen für Visionen und für Schönheit" ist, lobt Rezensent Andreas Nentwich in seiner ausführlichen Besprechung. Es handelt sich hier um den "Bildungsroman eines Empfindlichen". Nentwich ist froh, dass der Autor nicht in dem für dieses Genre üblichen Desillusionierungston erstarrt. Überhaupt weckt der 1969 in Potsdam geborene Autor in ihm die "Hoffnung auf künftige poetische Epiphanien". Nentwich lobt Kubiczeks Fähigkeit, mit wenigen Worten genaue Bilder entstehen zu lassen. Leider, schränkt er ein, fehlt dem Roman eine einheitliche Tonlage. Auch gebe es in diesem Buch auch zu viele "Brillanzbeweise", die sich negativ auf die Imaginationslust des Lesers auswirkten. Nentwich ist jedoch überzeugt, dass Kubiczek es zu "literarischen Meisterleistungen" bringen wird, wenn er sich in Zukunft in "Beschränkung" übt

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