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Zwischen Trümmern und Träumen. Eine Kindheit in den fünfziger Jahren
1945 ist Agnes sieben Jahre alt. Bomben, die wie Christbäume vom Himmel fallen, Stunden banger Langeweile im Luftschutzkeller und vor allem dauernder Hunger sind die prägenden Erfahrungen ihrer Kindheit. Dann ist der Krieg zu Ende, plötzlich ist es still und langsam fängt das Leben wieder an in dem kleinen Städtchen Attenberg im Bergischen Land. Agnes kennt jeden in diesem verschlafenen Ort: Die Schwestern Loni und Leni Wippermann, die nicht mehr miteinander sprechen, seit Loni die Hauskatze Schnurri geschlachtet und Leni…mehr

Produktbeschreibung
Zwischen Trümmern und Träumen. Eine Kindheit in den fünfziger Jahren
1945 ist Agnes sieben Jahre alt. Bomben, die wie Christbäume vom Himmel fallen, Stunden banger Langeweile im Luftschutzkeller und vor allem dauernder Hunger sind die prägenden Erfahrungen ihrer Kindheit. Dann ist der Krieg zu Ende, plötzlich ist es still und langsam fängt das Leben wieder an in dem kleinen Städtchen Attenberg im Bergischen Land. Agnes kennt jeden in diesem verschlafenen Ort: Die Schwestern Loni und Leni Wippermann, die nicht mehr miteinander sprechen, seit Loni die Hauskatze Schnurri geschlachtet und Leni als Kaninchenbraten vorgesetzt hat; Otto den Seltsamen, der seine Frau und die Söhne solange verdrischt, bis sie ihn eines Tages die Treppe hinunterwerfen; Mutter Kamp, die allwöchentlich ihren Mann und den ältesten Sohn in der Kur besucht, obwohl jeder weiß, daß sie wegen fortgesetzten Diebstahls einsitzen. Und die rätselhafte Ines Simon, die allein in einer prächtigen Villa lebt und nach deren Schicksal Agnes nicht fragen darf. So unterschiedlich die Menschen in Attenberg sind, eines haben sie alle gemeinsam: Das Bemühen, die Nazizeit zu verdrängen, und erst recht den Holocaust. Attenberg, wo man die Fünfziger Jahre erfunden haben könnte, wird bei Asta Scheib zum Mikrokosmos der deutschen Nachkriegsjahre: Eine Bühne, auf der immer neue Stücke inszeniert werden, Tragödien und Komödien von Liebe und Obsession, von Lüge und Intrigen. Stück für Stück hebt sich der Schleier der Halbwahrheiten und Illusionen. Agnes lernt, Schein von Sein zu unterscheiden und wird erwachsen - wie das Land, in dem sie lebt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2001

Pippi Langstrumpf vom Land
Wachstumsschmerzen: Asta Scheib erzählt aus Sicht einer Göre

In ihrem Roman "Sei froh, daß du lebst!" taucht die Autorin Asta Scheib tief in die Vergangenheit ein, ihre und unsere. Es geht um die letzten Jahre des Zweiten Weltkrieges und die ersten anderthalb Jahrzehnte des neuen Friedens, nach der Angst unterm Bombenhagel die Nöte des Hungers, nach der alliierten Besatzung die Neugeburt deutscher Selbständigkeit. Alles, was uns erzählt wird, liegt vierzig, fünfzig, sechzig Jahre zurück. Die älteren Deutschen haben es selbst erlebt, den jüngeren ist es oft genug in den verschiedensten Formen übermittelt worden. Kann ein Buch mit solchem Thema heute noch interessierte Leser finden?

Und ob. Denn Asta Scheib langweilt uns nicht mit der Wiederholung abgegriffener Botschaften. Vielmehr verknüpft sie auf gleichermaßen ernste wie heitere Weise ein Bündel Menschenleben mit den historischen Konditionen und erreicht, daß ihre Geschichte sowohl belehrt wie amüsiert. Dies dadurch, daß sie die Berichterstattung einer kindlichen Zeitzeugin anvertraut; genauer gesagt: einer Frau mit äußerst gutem Gedächtnis, die sich ihrer Kinderzeit exakt erinnert und bei der Wiedergabe alter Erlebnisse auf kluge Erwachsenendistanz verzichtet. Solch ein Kunstgriff ist nicht ungefährlich, denn wenn alles Geschehen durch ein unreifes Hirn gefiltert wird, kann eine fatale Mischung von Verkehrtem und Banalem dabei herauskommen. Asta Scheib vermeidet diese Falle. Sie läßt ihre kleine Agnes munter schwatzen, dabei jedoch die Erwachsene, die Agnes heute sein müßte, die Auswahl der Themen kontrollieren.

Den Erzählstoff hat die Autorin offenkundig ihrer eigenen Vita entnommen. Ihr Geburtsort ist Bergneustadt im Bergischen Land, für die Herkunft ihrer Agnes erfand sie ein bergisches Städtchen namens Attenberg. Sie entstammt, wie ihre kleine Heldin, dem Jahrgang 1939, teilt also mit Agnes die historischen Daten der Kindheit. Ob Asta und Agnes auch familiäre und private Erlebnisse gemeinsam haben, können wir dem Buch nicht entnehmen. Es ist auch nicht wichtig. Wichtig allein ist, daß das, was die Autorin Agnes erzählen läßt, sich genau so abgespielt haben kann, in wessen Leben auch immer.

Agnes ist also ein Kind erst der Angstjahre, dann der Hungerjahre. Sie macht uns deutlich genug, wie stark solche Nöte auf einen werdenden Menschen einwirken. Dennoch beschäftigt dies nicht vorrangig ihren kleinen Kopf. Mindestens ebenso wichtig ist das Tun und Lassen der Leute um sie herum. Etwa das der Mutter, im Grunde eine liebe Frau, die fürsorgende Glucke ist für ihre drei Küken, zuweilen aber auch hart durch blinde Kirchenfrömmigkeit sein kann. Am meisten verstört die Tochter, daß die Mama den Papa nicht zurückhaben will, der lange in russischer Gefangenschaft darbt und den Agnes innigst herbeisehnt. Statt dessen läßt Mama sich mit Friedrich ein, einem großschnauzigen Mitläufer der Nationalsozialisten, der die alten Sprüche klopft und die Kinder seiner Geliebten kujoniert. Er ist ein schlimmes, doch nicht das einzige Überbleibsel der Vergangenheit. Attenberg ist voll von Leuten, die Hitler zwar nicht zurückwünschen, in ihrem Denken und Handeln ihm aber noch lange nicht entkommen sind. Sowohl in der Not der vierziger wie im langsamen Aufstieg der fünfziger Jahre verdeutlicht manch kleinstädtisches Minidrama, warum die braven Bürger überhaupt einmal den braunen Verbrechern anheimfallen konnten.

Natürlich durchschaut die kleine Agnes das alles nicht. Aber so, wie sie es erzählt, hilft sie uns, alles zu verstehen, und zwar dadurch, daß sie mit den Verkörperungen des Unerhörten alltäglichen Umgang pflegt, sowohl mit Tätern wie mit Opfern. Wichtigster Gegenpol Friedrichs ist die von Agnes bewunderte Ines, gebürtige Portugiesin, Witwe und Erbin eines Attenberger jüdischen Industriellen, sehr schön und sehr reich und voller Verachtung für die Gefolgsleute der einstigen Mörder. Durch solche menschlichen Medien ersteht Geschichte, die uns längst zur Bücherweisheit geronnen war, in eindringlicher Lebendigkeit ganz neu, und dank der Unbefangenheit der Erzählerin können wir das sattsam Bekannte noch immer spannend finden.

Aber Agnes ist beileibe keine Geschichtslehrerin. Oder sie ist es nur so weit, wie im Zusammenhang mit ihren Mitteilungen unvermeidlich. Im Vordergrund steht immer sie selbst, stehen tausend kleine Begebenheiten auf ihrem Weg ins Leben, viele erheiternd, manche rührend, manche auch bedenklich stimmend. Weder dieses Kind noch ein anderes ist von engelsgleicher Reinheit. Die Brut kann ihren Erziehern ganz schön störrisch kommen, oder sie verletzt beispielsweise alle Kirchenregeln, wenn es um die Entdeckung geht, daß man ein geschlechtliches Wesen ist. Agnes lebt, soweit Mutter, Friedrich und die Großeltern es zulassen, ihre Nücken und Tücken aus, versucht, Wünsche durchzusetzen und Niederlagen durch neue Streiche zu kompensieren. Eine Art provinzdeutsche Pippi Langstrumpf, wenn auch ohne Pippis märchenhafte Erfolgsgarantien.

Man kann sich dem Charme des kleinen Fratzes schlecht entziehen. Ihre Backfischzeit dagegen, zugleich die Aufstiegsphase der jungen Bundesrepublik, mutet nicht ganz so attraktiv an. Schwer zu sagen, woran das liegt. Entweder daran, daß die veränderte Agnes anderes im Kopf hat, als wirkungsvoll die Sprech- und Denkblasen der Alten zum Platzen zu bringen. Oder daran, daß die Sicht- und Ausdrucksweise einer Göre sich nicht so gut eignet, auch die Probleme einer fast Erwachsenen überzeugend darzustellen. Ein Glück, daß es die kleine Agnes ist, die die meisten Seiten des Buches beherrscht.

SABINE BRANDT

Asta Scheib: "Sei froh, daß du lebst!" Roman. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2001. 318 S., geb., 44,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.05.2001

Der Schrei von ’54
In ihrem neuen Roman erzählt
Asta Scheib endlich ihre Jugend
Oft liefert die eigene Kindheit Anreiz und Stoff für das erste Buch. Dann wird das zweite zum Prüfstein: Steckte im Debütanten ein Autor? In vielen Fällen wirkt das Weiterschreiben erzwungen, die Wahl des jenseits des Autobiografischen liegenden Themas zufällig. Die 1939 geborene Asta Scheib ist den umgekehrten Weg gegangen. Ihr erster Roman „ Langsame Tage” erschien vor zwanzig Jahren und beschrieb ein fremdes Schicksal: das in Angst und Sprachnot immer mehr sich einschnürende Dasein einer jungen Frau, die zum klinischen Fall wird und schließlich ihren Zustand überwindet. Hier bewies die erfahrene Journalistin, wie perfekt sie ihr Handwerk beherrschte.
Zur Kunst des Recherchierens kam freilich ein hohes Maß an Empathie. Der Sprachlosigkeit ihrer Heldin verhalf die Autorin zur Sprache, die schwierigste Aufgabe eines Schriftstellers, die Asta Scheib auf bewundernswerte Weise löste: Kein Wort wirkte aufgesetzt. Es folgten sieben weitere Romane, zuletzt die bestsellerhafte Auflagen erreichende Geschichte der Ottilie Faber-Castell. Immer wieder bewährte die Verfasserin ihre außergewöhnliche Fähigkeit der Darstellung fremden Lebens, am eindrucksvollsten in dem Roman „Beschütz mein Herz vor Liebe” (1992), der das Überleben einer keineswegs fiktiven jüdischen Ärztin im Dritten Reich erzählt, einer für immer Gezeichneten.
Nun erst, verhältnismäßig spät, die Wendung von außen nach innen, von den anderen zum eigenen Ich. Der Blick der Autorin fällt auf das Mädchen, das sie war, aus einer gewissen Distanz, die ihr erlaubt, der Figur einen klaren Umriss zu geben, sie einzufügen in ein Ensemble von Personen und Ereignissen, aus denen sich ein Zeit-Tableau zusammensetzt. Andererseits ist sie dieser sechs-, schließlich fünfzehnjährigen Agnes so nahe, dass sich alles Erzählte in der Ichfigur spiegelt, in dem Erlebniszentrum, das sie bildet, zusammenfällt. Das Autobiografische geht auf in der Sprache des Romans, der Roman bezieht seine Authentizität aus der Erfahrung der Autorin.
Mit den Wölfen geheult
Das ist für das Gelingen des Unternehmens ausschlaggebend; denn es geht nicht nur um das Porträt des Kindes, sondern ebenso um das Porträt der Nachkriegszeit. Schauplatz ist Attenberg, ein Städtchen im Oberbergischen, hinter dem sich Asta Scheibs Herkunftsort Bergneustadt weniger verbirgt als verrät. Der Ort und seine Menschen werden ohne Ressentiment gezeichnet, aber auch keineswegs verklärt. Man hat seinerzeit mit den Wölfen geheult, ohne sich die Hände wirklich schmutzig gemacht zu haben – von Ausnahmen abgesehen. Zum schlechten Gewissen reicht es nicht, also auch nicht zu Reue und Umkehr. Man passt sich den neuen Verhältnissen an, die Väter, die nicht zurückkommen, sind bald durch neue Männer ersetzt, ein Negerkind gilt zwar als Schandfleck, aber die Leute gewöhnen sich daran. Ein paar unbelehrbare, unbekehrbare ehemalige Nazis treiben weiterhin ihr Unwesen, aber sie singen das Deutschlandlied zum hochgereckten Arm nur noch im stillen Kämmerlein.
Die reiche Jüdin Ines Simon ist in ihre Villa zurückgekehrt und beschäftigt wie ehedem in ihren Firmen zahlreiche Attenberger. Sie aber hat nicht vergessen. Plötzlich verkauft sie ihren Besitz an die Konkurrenz. „So, wie mein Leben in Attenberg zerstört worden ist, zahle ich es euch jetzt zurück. Ihr sollt arbeitslos sein und eure Chefs kleine Rentner, die nirgends mehr neu anfangen können. Deshalb habe ich zehn Jahre vergehen lassen.” Der schleichende Normalisierungsprozess ist trotzdem nicht aufzuhalten. Die 650- Jahrfeier des Städtchens vereint alle Bürger im großen Festzug. Und die Fußballweltmeisterschaft von 1954 kompensiert die Niederlage neun Jahre zuvor. Die (West-)Deutschen dürfen wieder stolz sein auf ihr Vaterland. „Ein Schrei, ein Erlösungsschrei versammelte alle Attenberger wie zu einem Gottesdienst. Als wären sie frei geworden von den Fäden, die sie an schlimme Zeiten banden, als Mörder unter ihnen waren, Folterer, Verbrecher.”
Die Familienkonstellation ist exemplarisch, ohne unglaubwürdig zu wirken. Der Vater ist aus Russland zurück, aber die Mutter lässt sich scheiden. Als Agnes wegen Kinderlähmung monatelang im Krankenhaus ist, zieht der Stiefvater ein, der Nazi-Mitläufer, „nun lief er bei uns mit”. Das Kind möchte die Mutter um Erlaubnis bitten, sie nicht mehr lieb haben zu müssen. Die Gegenposition zum Nazi-Stiefvater ist mit dem Großvater besetzt, der für Schumacher und gegen Adenauer votiert und die von der Großmama verordnete Lektüre, Ernst Wiecherts „Majorin”, als Nazi-Schwulst bezeichnet. Dass der Autor vorübergehend in Buchenwald interniert war, ändert für ihn nichts daran, dass er Blut- und Boden-Literatur produziert hat.
Im Radio hört Agnes die „Träume” von Günter Eich, und die Schlusszeilen des Gedichts, mit dem das Hörspiel endet – „Tut das Unnütze ...” – werden für sie zum Lebensmotto. „Ich wollte unnütz sein, o ja, das gefiel mir, es war wie ein Geschenk für mich. Günter Eich . .. schenkte mir Ausweg und Versteck.” Die Herrschaft der Erwachsenen ist gebrochen; die Parole „Sei froh, dass du lebst!” ändert ihren Sinn. Am Ende des Buches wird sie zum Ausdruck einer nicht mehr unterdrückbaren Lebensfreude.
ALBERT VON SCHIRNDING
ASTA SCHEIB: Sei froh, dass du lebst! Roman. Verlag Rowohlt Berlin 2001. 318 Seiten, 44,90 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Anja Maier kann sich für dieses Buch nicht wirklich begeistern. Dies liegt vor allem daran, dass sich Scheib hier ihrer Ansicht nach zu sehr auf das "Revival-Prinzip" verlassen hat und jede Erinnerung an ihre Kindheit - und sei es nur der Duft einer Tasse Kakao - festhalten wollte. Darüber hinaus scheint sich die Rezensentin an einem Übermaß an Stereotypen zu stören, mit denen die Nachkriegswelt ausgestattet wird: Perlonstrümpfe, Amihuren, Knef nackig. Das alles wäre nicht wirklich schlimm, deutet Maier an. Doch der "dunkle Plot", den die Autorin hinzugefügt habe, führt nach Maiers Ansicht dazu, dass die Gefühle des Kindes dabei nur vage vermittelt werden. Maier gibt zu, dass es nicht leicht ist, die Gefühlswelt eines Kindes, ohne dass "es denunziert wird oder Niedlichkeit bedient wird". Dass es dennoch geht, habe Erwin Strittmatter in seinem Roman "Laden" bewiesen. Doch Strittmatters Balance zwischen Kinderwürde und übergeordneter Dramaturgie hat Scheib nach Ansicht Maiers nicht erreicht, was - wie die Rezensentin vermutet - möglicherweise an mangelnder Distanz der Autorin beim Erzählen liegt.

© Perlentaucher Medien GmbH
So dicht, so authentisch und süffisant sind diese Menschen und ihre Zeit bisher nicht beschrieben worden. Stern