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Produktdetails
  • Verlag: Argon Verlag
  • Originaltitel: Moore le Maure
  • Seitenzahl: 168
  • Deutsch
  • Abmessung: 195mm
  • Gewicht: 252g
  • ISBN-13: 9783870245733
  • ISBN-10: 3870245735
  • Artikelnr.: 11792425
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2003

Er kann mit Reizen nur noch geizen
So klappt das nie: Percy Kemps hypochondrischer Agentenroman

Jeder Agentenroman oder -film ist es sich schuldig, seinen Helden einmal in Ruhestellung zu präsentieren: eine Totale seines Körpers, dieses wunderbaren Instruments, das prachtvoll den Bildraum füllt. Der animalische Part des Gentlemans zeigt sich in der ihm eigenen klassischen Perfektion, die jedes überflüssige Gramm Fett, jedes Zeichen der Behäbigkeit ausschließt. Glatt, sinnlich, kühl, ein Mechanismus, der es seinem Funktionieren verdankt, auch einmal ganz in der Oberfläche aufgehen zu können.

Genau dort setzt Percy Kemps Roman "Die Obsession des Leslie Moore" ein. Der britische Agent ruht auf einem pastellfarbenen Sofa "und stellt diese zufriedene Miene zur Schau, die mehr als alle Worte zum Ausdruck bringt, was für gewöhnlich mit einer derartigen Haltung einhergeht - vollkommen eins mit sich zu sein". Statt nach dieser gelassenen Präsentation in den Strom einer Intrige im Dienste Ihrer Majestät zu springen, entdeckt Moore jedoch einen Makel: Die Haut seiner Fußknöchel ist taub, der gewohnte Sinnesreiz durch Reibung will sich nicht einstellen. Die unangezweifelte Einheit mit sich selbst bricht auf, das bisher an Sorgen arme Leben Moores hat eine faule Stelle - der Körper wird durch Funktionsverweigerung auffällig. Und dort, wo in einem normalen Roman des Genres längst die Erzählung eingesetzt hätte, beschreibt Kemp noch die Zipperlein seines Helden.

Zunächst jedoch ohne Konsequenzen. Die Aktion kommt ins Rollen: Gemeinsam mit den amerikanischen "Cousins" überwacht Moore Nikolaï, einen russischen Mafioso, der in einem Atomhandel den Köder spielen soll, sich aber als suspekt erweist. Moore, normalerweise technisch uninteressiert, optimiert gar den Lauschangriff und erobert die kühle amerikanische Kollegin Angela. Soweit läuft sein Leben nach Plan. Um eine glatte Karriere ist Moore zwecks Integration und Aufstieg bemüht: Als Immigrantenkind dritter Generation hofft er, das Blut seiner dunkelhäutigen Vorfahren durch rassisch geschickte Heirat weiter zu verdünnen, ohne durch einen radikalen Schritt die Herren der exklusiven Londoner Clubs zu verschrecken. So ist die Heirat mit Penny, einer blonden Dame von Adel, ausgeschlossen; Moore glaubt sich seinem fernen Ahnherrn Othello überlegen.

Die Hautfarbe, im Lauf der Generationen im Verblassen begriffen, kehrt jedoch transformiert in der unheimlichen Entwicklung wieder, die Moores Körper durchläuft. Denn von der Hülle her beginnt die Verwandlung: Die Unempfindlichkeit der Haut führt den Durst nach neuen Reizen mit sich. Moore, der routinierte Verführer, wird zum Aufreißer und gibt sich abstrusen Praktiken hin. Von fetischistischen Friseurbesuchen über reibungsfreudige U-Bahn-Fahrten bis hin zum Nirwana-Erlebnis im öffentlichen Schwimmbad - nichts ist ihm fremd. Die Kontrolle über seinen Körper entgleitet ihm zusehends, er wird zum sozialen Ärgernis, ohne sich dessen wirklich bewußt zu sein; anfängliche Schamgefühle verlieren sich rasch.

Percy Kemp benutzt geschickt den Rahmen des Agentengenres, dem er einen kafkaesken Versuchsaufbau implantiert. Er erzielt ein umgekehrtes Resultat: Wo die klassische Spionagegeschichte die Gestaltbarkeit und Manipulierbarkeit von Welt zum Thema hat, ist sich Agent Moore selbst das Problem. Allerdings nicht als moralisch zwiespältige Figur wie im film noir, sondern weil er schlicht zum Autisten wird. In einem letzten Schritt macht ihn Kemp zum simplen Modul in den Kreisläufen der Cyberwelt. Willenlos sitzt er vor dem Überwachungsbildschirm, registriert Informationen und reagiert nur mehr auf Schlüsselreize: "Sein Körper war, alles in allem, nur noch ein lebenserhaltendes System für seine Augen, seine Ohren, seine Finger und sein Glied, die nunmehr einzigen sensorischen Rezeptoren seines Organismus." Fortan überwacht er nicht den Feind, sondern verharrt in einem neuen Gleichgewicht, das er durch Ausschluß jedes Fremdeinflusses erhält.

Die Entfremdung von der Außenwelt, die Verdinglichung des Körpers, die Virtualisierung der Erfahrung, all das erinnert an eine philosophische Etüde über den postmodernen Menschen. Tatsächlich hat der Roman etwas von einer logischen Beweisführung. Im Detail sind die Beschreibungen zwar meist plastisch und konzise: Kemp, als Unternehmensberater selbst in besseren Kreisen beheimatet, schildert überzeugend Milieu und Sitten. Der Ton ist ironisch distanziert und präzise, die Übersetzung gelungen.

Die Gesamtwirkung aber wird eingeschränkt durch die ausschließliche Konzentration auf Moore und den Parforceritt seiner Verwandlung. Manch Kapitelschluß wirkt wie die Schlußfolgerung nach gelungener Deduktion: "Die Objektivität ergriff von ihm Besitz." Kemp hätte den Roman entweder zur philosophischen Fabel abmagern oder aber üppig mästen müssen. So ist er amüsant und intelligent, teilt jedoch die Schwäche seines Helden im Endstadium: Er wirkt blutleer.

NIKLAS BENDER

Percy Kemp: "Die Obsession des Leslie Moore". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Veronika Cordes. Argon Verlag, Berlin 2003. 172 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Niklas Bender beschreibt dieses Buch als eine Mischung aus Agentenroman und philosophischer Versuchsanordnung, und genau hier sieht er auch das grundsätzliche Problem des Romans. Der britische Agent Leslie Moore observiert einen russischen Mafiosi, der in verbrecherische Atomgeschäfte verwickelt ist, wobei Moore währenddessen zunehmend zum "Autisten" wird. Nachdem der Agent zunächst nur gewisse Missempfindungen an seinem Körpers erlebt, endet er in fast völliger Empfindungslosigkeit und Entfremdung zur Außenwelt, umreißt Bender die Handlung des Buches. Er findet, dass Percy Kemp durchaus "plastisch und konzise" beschreiben kann. Ihm gefällt eigentlich auch der "ironisch distanzierte" Tonfall und die "überzeugende" Milieubeschreibung. Doch um zu funktionieren, hätte der Autor sein Buch entweder "zur philosophischen Fabel abmagern oder aber üppig mästen müssen", kritisiert der enttäuschte Rezensent. So aber wirkt es streckenweise eher wie ein "philosophische Etüde" als wie ein Roman, moniert Bender. "Amüsant" und durchaus "intelligent", aber leider "blutleer", so lautet deshalb das abschließende Urteil des Rezensenten.

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