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Ob in der Sauna, vor dem Altar, auf dem Tennisplatz oder an der Theke, ein Wort gibt das andere: Kriegstraumata und Kaffeekränzchen, Vertreibungsdramen und Wochenendaffären, Gewalt- und Erlösungsvisionen, das kommt in den besten Familien vor. Thomas Weiss gelingt es mit seinem phantastisch-realistischen Roman, eine ganz eigene Form für das erschreckend Vertraute zu finden. Steigen Sie ein in die tragikomischen Geschichten von Familie Weber aus Kressbronn am Bodensee, in eine rhythmisierte Sprachwelt aus eigensinnigen Assoziationen, schockierenden Tagträumen und stilisierter Mundart. Lassen Sie…mehr

Produktbeschreibung
Ob in der Sauna, vor dem Altar, auf dem Tennisplatz oder an der Theke, ein Wort gibt das andere: Kriegstraumata und Kaffeekränzchen, Vertreibungsdramen und Wochenendaffären, Gewalt- und Erlösungsvisionen, das kommt in den besten Familien vor. Thomas Weiss gelingt es mit seinem phantastisch-realistischen Roman, eine ganz eigene Form für das erschreckend Vertraute zu finden. Steigen Sie ein in die tragikomischen Geschichten von Familie Weber aus Kressbronn am Bodensee, in eine rhythmisierte Sprachwelt aus eigensinnigen Assoziationen, schockierenden Tagträumen und stilisierter Mundart. Lassen Sie sich überraschen von einem Gedanken und Gefühle treibenden, Verdunstungskälte und Gänsehäute provozierenden Kunststück im Zeichen des Allzumenschlichen. Denn alles, was man bereits über schrecklich schöne Familienbande zu wissen glaubt, wird in diesem wahnwitzigen Wortkettenkarussell erfrischend anders, mit Leichtigkeit, Augenzwinkern und Tiefgang erzählt.
Autorenporträt
Thomas Weiss, geb. in Stuttgart, war Stipendiat der Autorenwerkstatt des Literarischen Colloquiums Berlin 2003 und erhielt darüber hinaus diverse Ehrungen und Förderungen wie z. B. Stipendien des Berliner Senats, der Stiftung preußische Seehandlung und der Konrad-Adenauer-Stiftung. Thomas Weiss lebt als freier Schriftsteller in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2006

Solange die Rasenmäher singen
Alles Fleisch, es ist wie Gras: Thomas Weiss schreibt einen unheimlich konsequenten Roman / Von Patrick Bahners

Thomas Weiss, der 1964 in Stuttgart geboren wurde und heute in Berlin lebt, debütierte vor zwei Jahren mit dem Roman "Schmitz". Jetzt heißt die Hauptfigur Herr Weber - so schlicht der Name, so raffiniert ist der Roman.

Der Titel ist, wie auf den ersten Seiten ins Auge fällt, zunächst ironisch zu verstehen. "Folgendes": So heißt der zweite Roman von Thomas Weiss, und so fängt er auch an. "Folgendes. Herr Weber mäht Rasen. Im Hochsommer. Wo vom strahlend blauen Himmel die Sonne herunterbrennt. Gnadenlos herunterbrennt und alles versengt. Staubtrocken die ganze Welt. Als wäre Herr Weber in der Sahara und mittendrin ein Stück Rasen. Da kommt Herr Weber schnell ins Schwitzen und zieht sein Hemd aus. Jetzt mäht er im Unterhemd." Man mag das Schwitzen noch als Folge des Rasenmähens betrachten und das Ausziehen des Unterhemdes als Konsequenz aus dem Schwitzen. In der Folge aber springt die Erzählung heraus aus dem lückenlosen Nacheinander, das dadurch vorgegeben scheint, daß jeder Satz einen Folgesatz hat, von dem ihn bloß ein Punkt trennt. Der gesamte Text besteht aus einem einzigen Absatz. Das Ende ist erreicht, als das Buch wieder am Anfang angekommen scheint. Die letzten beiden Sätze: "Es ist Hochsommer. Und strahlend blauer Himmel."

Im brennenden Licht bleibt nichts verborgen. Für alles Folgende ergibt sich aus dem Wetterbericht der ersten Sätze, daß der gesamte Bericht folgerichtig im Präsens steht. Der Roman kreist um eine Familie, die ihre Vergangenheit und ihre Geheimnisse hat. Der Rasenfleck inmitten der Weltwüste befindet sich in Kressbronn am Bodensee. Im Verlauf der Erzählung kommt alles zum Vorschein und wird nacherzählt, doch immer als etwas, das mit allem anderen gleichzeitig gegenwärtig ist, als geschähe es jetzt erst. Oder jetzt schon. Neben der Rückblendetechnik setzt der Erzähler auch das Verfahren der Vorausschau ein.

Diese Begriffe sind freilich nicht geeignet, das Konsequente der Erzählweise zu charakterisieren. Während die Rückblende gewöhnlich implizit (durch Beschränkung auf das für den Fortgang Nötige) oder sogar explizit (im Kino am einfachsten durch die Rückkehr zum Schwarzweiß) als Einschub gekennzeichnet wird, setzt sich hier die zur Erläuterung einer Handlung in der Gegenwart herangeholte Vorgeschichte an die Stelle des Vorgangs, den sie erläutern soll. Die Geschichte scheint nicht stillzustehen, sondern an einem anderen Punkt in der Zeit weiterzugehen. Verwirrenderweise gelegentlich auch in der Zukunft. Nun gehört die Vorausdeutung zu den elementaren Kunstmitteln des Epos. Hier wird der Vorgriff allerdings in derselben Detailfülle ausgestaltet wie der Rückblick - die Einheit des Tempus läßt keine Abstufung des Abstands zu. So bricht Weiss mit der Konvention des Realismus, wonach in jedem Moment der Erzählung die Zukunft des bis dahin Erzählten noch als offen zu gelten hat.

Schon auf der vierten Seite kommt dieser Trick zur Anwendung. Bevor Herr Weber sich seines Unterhemdes entledigte, hat er vorausgedacht und den Tod ins Auge gefaßt. Er hat seiner Frau eines Abends vor dem Fernseher aufgetragen, im Fall des Falles einen Gärtner anzustellen. Der Erzähler referiert zunächst das Gespräch der Eheleute, geht dann zu den Gedanken von Frau Weber über und erstattet des weiteren Bericht über deren Umsetzung. "Dauernd hin und her zu probieren, das macht sie nicht. Kommt sowieso selten was Besseres nach. Sie entscheidet sich für denjenigen, der den besten Eindruck macht. Nicht nur aufgrund der Unterlagen, auch bei einem Vorstellungsgespräch im Wohnzimmer. Und bei dem bleibt sie. Anton. Aus Schlesien. Den behält sie bis zum Schluß." Sie malt sich nicht etwa aus, daß sie sich einen Handlanger zulegen wird, der es als Mann mit ihrem dann verstorbenen Ehemann aufnehmen kann. Der Erzähler teilt die vollendete Tatsache mit. "Anton ist auch Rentner, aber drahtig und topfit." Das könne er doch noch gar nicht wissen, möchte man dem Erzähler zurufen. Hätte er nicht wenigstens den Namen weglassen können?

Nein, denn in diesem Roman gilt eben nicht, daß nur die Vergangenheit vollkommen bestimmt ist und die Zukunft mehr oder weniger unbestimmt. Auch die Zukunft ist komplett mit Kontingenzen möbliert, die bei näherem Hinsehen gar keine sind, weil es in dieser Geschichte vom ersten bis zum letzten Wort nichts gibt, das auch anders sein könnte. Der Erzähler beschreibt im Präsens sogar die Zukunft, die einträte, wenn die Figuren wüßten, was der Erzähler weiß - daß Herrn Webers Tennispartner, Herr Köhler, auf dem Tennisplatz sterben wird. "Und an dem Tag, als es soweit ist, steht der halbe Club Spalier für Herrn Köhler. Klopft dem schweigend auf die Schulter, wenn er aus der Umkleidekabine kommt und zum Platz schreitet. Mit leichenblasser Miene."

Wie Herr Weber, als er am Ende des Krieges von Italien heim nach Deutschland marschierte, unbeirrt einen Schritt vor den anderen setzte, auch wenn er sich manchmal in die Büsche schlagen mußte, so ist es Tarnung, wenn der Erzähler als Liebhaber der Abschweifung auftritt. Kaum glaubt man, er habe den Faden verloren, da nimmt er ihn genau dort wieder auf, wo er sich unterbrochen hatte.

So baut der Autor ein kompliziertes Gefüge von Rahmungen und Klammern, das den Leser freilich nie verwirrt, weil er immer weiß, wo er sich gerade befindet. Das Gesetz des Epischen, nach dem mit tödlicher Sicherheit eins aufs andere folgt, hält den Leser gepackt. Was man jedem gelungenen Exemplar der Gattung zu bescheinigen pflegt, läßt sich bei diesem Roman nach den Regeln der Physik beweisen: Er entfaltet eine Sogwirkung. Der Leser wird hineingezogen in eine Familie, was nichts anderes ist als ein System verschachtelter Geschichten. Mit wachsendem Schrecken sieht man sich hier um, weil das Schlimmste, daß nämlich Herr Weber an einem Kriegsverbrechen beteiligt war und seine Tochter Friederike sich umgebracht hat, in der kunstvoll arrangierten Welt der Erzählung aus heiterem Himmel geschieht - als ob man nicht hätte gewarnt sein sollen.

Aber wie hätten wir ahnen können, daß es sich bei dem Brief an Herrn Weber, den Frau Weber auf dem Speicher gesucht hat, um den Abschiedsbrief der Tochter an den Vater handelte, wenn wir im selben Atemzug erfuhren, daß Frau Weber lächelte, als sie das von ihrem Mann auf dem Speicher deponierte Aquarium entdeckte? Ein leeres Gefäß, das sie für einen Moment ablenkte, indem es sie an den Tod erinnerte, das Massensterben der dort von Herrn Weber einquartierten Goldfische. Auch in tiefster Verzweiflung funktionieren unsere Assoziationen: Daß das Leben weitergeht, ist Voraussetzung des Erzählens und dessen unheimlichster Stoff.

Im Protokoll über die Entsorgung der Goldfischleichen durch Herrn Weber gestattet sich der Erzähler einen metaphysischen Scherz. "Das Aquarium stellt er auf den Speicher, wo es bis in alle Ewigkeit bleibt. Nicht ganz." Als nach dem Tod der Eltern die andere Tochter das Haus entrümpelt, "taucht es wieder auf". In gleicher Manier ruft sich der Erzähler später zur Räson, als er sich in den Einzelheiten der Berufstätigkeit des Schwiegersohns der Webers als Kundendienstmeister bei Volkswagen zu verlieren droht. "Gut. Zurück zu den Ursprüngen. In sieben Tagen erschuf der Herrgott die Welt. Vielleicht nicht soweit zurück. Zum Bund der jungen Brautleute reicht schon." Durch diese Ironiegesten markiert der Erzähler mitnichten, daß er Herr des Geschehens bleibt. Man wird von olympischem Galgenhumor sprechen. Der Allwissende wird fortgerissen von den Sätzen, die er in perfekter Trauermarschordnung in die Welt schickt.

Alle kleinen Vollkommenheiten dieses Buches, die Echoeffekte der rhythmischen Prosa, die Überblendungen der motivischen Arbeit, sind selbst Sinnbilder des Verhängnisses, dem es Gestalt gibt. Man nimmt den Titel am Ende furchtbar wörtlich. Der Roman bringt die Dinge in der Reihenfolge zur Anschauung, die begreifen läßt, daß ihre Abfolge notwendig ist.

Thomas Weiss: "Folgendes". Roman. Steidl Verlag, Göttingen 2006. 182 S., geb., 18,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Patrick Bahners ist von der unerbittlichen Folgerichtigkeit dieses Romans, die sich nicht nur in allen Teilen der Familiengeschichte der Webers, sondern auch in der Erzählweise niederschlägt, geradezu gebannt. In dieser Familie vom Bodensee ruhen finstere Geheimnisse wie die Beteiligung an Kriegsverbrechen durch das Familienoberhaupt oder der Selbstmord der Tochter. Der Autor Thomas Weiss entfaltet die ganze unselige Geschichte nach dem "Gesetz des Epos" als eine Folge von Unabänderlichkeiten, erklärt der Rezensent. Der ganze Text sei trotz raffinierter Vor- und Rückblenden im Präsens gehalten, Zukünftiges werde als genauso vorherbestimmt und bis ins Detail festgelegt beschrieben wie die Vergangenheit, erläutert Bahners. Er zeigt sich von den Kunstgriffen des Autors beeindruckt und überlässt sich ganz der "Sogwirkung", die Weiss mit seinem literarischen Verfahren erreicht.

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