Marktplatzangebote
6 Angebote ab € 9,99 €
  • Gebundenes Buch

Karl Wilhelm Fricke hat sich über fünfzig Jahre mit der DDR auseinandergesetzt. Dabei lag sein Schwerpunkt auf den Bereichen Staatssicherheit, politische Justiz und Opposition - Themen mit denen er in seinem Leben selbst unmittelbar in Berührung gekommen ist. In über vierzig Beiträgen vermittelt er ein vielschichtiges und zugleich anschauliches Bild von der SED-Herrschaft und des gegen sie gerichteten Widerstandes. Sein eigener Werdegang, seine Haftzeit und die Motive für seine Forschungen sind in einem langen Interview festgehalten.

Produktbeschreibung
Karl Wilhelm Fricke hat sich über fünfzig Jahre mit der DDR auseinandergesetzt. Dabei lag sein Schwerpunkt auf den Bereichen Staatssicherheit, politische Justiz und Opposition - Themen mit denen er in seinem Leben selbst unmittelbar in Berührung gekommen ist. In über vierzig Beiträgen vermittelt er ein vielschichtiges und zugleich anschauliches Bild von der SED-Herrschaft und des gegen sie gerichteten Widerstandes. Sein eigener Werdegang, seine Haftzeit und die Motive für seine Forschungen sind in einem langen Interview festgehalten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2000

Sachlichkeit ist wirksamer
Karl Wilhelm Frickes Beiträge zur Geschichte der DDR in einer gelungenen Auswahl

Karl Wilhelm Fricke: Der Wahrheit verpflichtet. Texte aus fünf Jahrzehnten zur Geschichte der DDR. Herausgegeben von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und vom Deutschlandfunk. Wissenschaftlicher Bearbeiter Ilko-Sascha Kowalczuk. Ch. Links Verlag, Berlin 2000. 636 Seiten, 48,- Mark.

Am 19. Juni 1946 schlug der sechzehnjährige Karl Wilhelm Fricke mit der Faust auf den Tisch des Elternhauses. Er war empört über das opportunistische Verhalten seines Vaters. Der hatte ihm geraten, in seiner Heimatstadt Hoym in Sachsen-Anhalt in den Antifaschistischen Jugendausschuss, die FDJ-Vorläuferorganisation, einzutreten. Am folgenden Tage verhafteten die Russen den Vater. Ein Schlüsselerlebnis für den Sohn, aus dem er in dem einführenden, von Ilko-Sascha Kowalczuk breit angelegten und sorgfältig vorbereiteten Interview kein Hehl macht: "Es war das letzte Mal, dass ich meinen Vater gesprochen und gesehen habe. Es hat mich jahrelang belastet, dass wir im Streit auseinander gegangen sind." Als Vorwand für die Einkerkerung des Vaters diente dessen NSDAP-Mitgliedschaft, ohne dass man ihm jemals bis zu seinem Tod im März 1952 im Zuchthaus Waldheim eine individuelle Schuld nachweisen konnte. Für den Sohn blieb das Schicksal des Vaters noch lange nach seiner Flucht in den Westen eine traumatische Erfahrung. Sie prägte die kämpferische Handschrift des jungen Journalisten - zumindest bis zur eigenen vierjährigen Inhaftierung im Jahre 1955, nachdem ihn gedungene MfS-Schergen aus dem westlichen Teil Berlins entführt hatten.

Fricke vermittelt in einer ungewohnt freimütigen Weise Einblicke in biographisch motivierte Bezüge seines publizistischen Wirkens. Während der Haftzeit habe er über seine künftige Arbeit nachgedacht und sich fest vorgenommen, nach der Rückkehr in die Freiheit viel sachlicher und nüchterner zu informieren, "weil Sachlichkeit politisch wirksamer ist als Polemik oder Propaganda". Hierauf beruht sein Erfolgsgeheimnis als Journalist und Wissenschaftler. Die Disziplin und die Willenskraft, die er in der Untersuchungshaft in Hohenschönhausen und in der Einzelhaft im berüchtigten Zuchthaus Bautzen II gegenüber seinen Stasi-"Betreuern" an den Tag legte, beruhte auf dem Grundsatz, dass Emotionalität und Aggressivität die eigene Argumentations- und Überzeugungskraft schwächen und dem Gegner nützen. Von dieser Maxime ließ er sich insbesondere in seiner langjährigen leitenden Tätigkeit beim Deutschlandfunk (DLF) leiten, von dem er zu Recht sagt, er sei kein Interventions-, sondern vielmehr ein Informationssender für die Hörer in beiden Teilen Deutschlands gewesen.

Die DDR-Führung sah das natürlich anders. Für sie waren die Informationssendungen des "Feindsenders" DLF und der anderen elektronischen West-Medien angesichts der destabilisierenden Wirkung auf das SED-Regime interventionistisch. Doch selbst die MfS-Hauptverwaltung Aufklärung kam nicht umhin, in einem Vermerk vom Mai 1976 Frickes journalistische Sorgfalt anzuerkennen. Er mache keine wüsten Ausfälle, sondern betreibe vielmehr eine hintergründige, auf analytische Arbeit schließende ideologische Einmischung, die vorwiegend an Hörer in der DDR gerichtet sei.

So viel Lob wurde Fricke vor 1989 von der westdeutschen DDR-Forschung nicht zuteil. Obwohl er zu den produktivsten Autoren der renommierten Fachzeitschrift "Deutschland Archiv" zählte, lud man ihn nicht als Referenten zu den jährlichen Tagungen der DDR-Forscher ein. Viele von ihnen ignorierten seine Bücher über den SED-Repressionsapparat. Hatten hier vielleicht auch die zahlreichen inoffiziellen Mitarbeiter Mielkes in den bundesdeutschen Forschungsinstituten ihre Hand im Spiel?

Fricke beteiligt sich nicht an solchen Spekulationen. Demgegenüber äußert er sich dezidiert über das ihm früher nicht immer wohlwollend gesinnte politische Umfeld. Die Leitungsebene des Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen habe in den siebziger Jahren versucht, das Erscheinen seiner Geschichte der politischen Verfolgung in der SBZ/DDR zu torpedieren. Dass ihm die Anerkennung als Wissenschaftler nicht überall zuteil geworden ist, habe ihn jedoch nicht sonderlich verdrossen, weil er sich in erster Linie als Journalist verstanden habe und seine Bücher deshalb "theoretisch nicht so durchdrungen" gewesen seien. Und er fügt hinzu: "Vielleicht, ich will da ganz ehrlich sein, kommt ein gewisser Hochmut zum Ausdruck oder eine gewisse Geringschätzung gegenüber manchen wissenschaftlichen Ansprüchen, von denen ich merkte, dass es so ganz toll mit der Erkenntnis nun auch nicht war." Dass die Freie Universität Berlin ihm 1996 die Ehrendoktorwürde verlieh, hatte sich Fricke lange Zeit nicht vorstellen können.

Aus den sicher mehr als tausend für die Printmedien erstellten Manuskripten Frickes sind 44 Texte aus fünf Jahrzehnten für den vorliegenden Band ausgewählt worden. Sie betreffen die Herrschaftsgeschichte der SBZ/DDR von 1945 bis 1989, die politische Justiz, die Opposition und den Widerstand gegen das SED-Regime, die Geschichte und die Auflösung des MfS sowie die demokratische Revolution von 1989/90. Über deren Verlauf kann man sich auch durch eine dem Buch beigegebene Compact Disc mit Originalbeiträgen Frickes aus dem Programm des Deutschlandfunks anschaulich akustisch informieren. Eine repräsentative Auswahlbibliographie der Veröffentlichungen Frickes beschließt den Band.

Bei der Zusammenstellung der Texte gelang das Kunststück, nur solche aufzunehmen, die noch dem heutigen Erkenntnisstand entsprechen. Das gilt beispielsweise für den bereits 1954 erschienenen Artikel "Erich Mielke - Revolverheld neuen Typus" ebenso wie für die 1980 veröffentlichte "Geschichte und Legende der Waldheimer Prozesse" oder die einfühlsame Darstellung des Leidensweges von Hermann Joseph Flade in Ost- und Westdeutschland. Flade wurde als achtzehnjähriger Schüler 1951 in Dresden zunächst zum Tode verurteilt. Erst auf Druck der Öffentlichkeit des In- und Auslandes erhielt er in der Revisionsverhandlung 15 Jahre Zuchthaus, von denen er fast zehn Jahre verbüßen musste.

In gemeinsamen Vorwort betonen Rainer Eppelmann und Bernd Faulenbach, Frickes Thema "war und ist das Herrschaftssystem der DDR, weniger die ,durchherrschte Gesellschaft', in der die Diktatur an Grenzen stieß und in der sich ,Eigensinn' behauptete". So ist es. Mit methodologischen Spitzfindigkeiten hatte Fricke nie etwas im Sinn.

GUNTER HOLZWEISSIG

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit großer Hochachtung spricht der Rezensent Gunter Holzweißig über den Autor und Interviewpartner dieses Bandes: Karl Wilhelm Fricke, jahrelang leitend beim Deutschlandfunk tätig, erweist sich in dem Buch, wenn man Holzweißig glaubt, als einer der besten Kenner und Analytiker der DDR zu ihren Lebzeiten. Der Rezensent weist dabei besonders auf das von Ilko-Sascha Kowalczuk geführte Interview mit Fricke hin, in dem dieser sehr offen auch über seine persönliche Motivation bei der Auseinandersetzung mit der DDR sprach - er war 1952 geflüchtet und von West-Berlin aus durch die Stasi entführt worden. Vier Jahre musste er in Bautzen zubringen. Frickes Texte über die DDR aus vier Jahrzehnten lobt er vor allem für ihre Einfühlsamkeit und für ihre klare Sicht auf die Repression in der DDR, welche ihn bei den universitären DDR-Forschern in der Bundesrepublik jener Zeit nicht gerade beliebt gemacht habe.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Bei der Zusammenstellung der Texte gelang das Kunststück, nur solche aufzunehmen, die noch dem heutigen Erkenntnisstand entsprechen." (F.A.Z., 12.7.00) "Der Sammelband ist ein Beleg dafür, mit welcher Weitsicht der Autor grundsätzliche Einschätzungen erarbeitete, die auch heute noch Bestand haben." (Deutschland Archiv, 4/2000) "Der SED-gesteuerte Unterdrückungsapparat einschließlich der Justiz bildet zwar einen Schwerpunkt im vorliegenden Band, aber auch die Beiträge zur Geschichte der DDR, zum DDR-Verfassungsrecht und zur nationalen Frage, zu Opposition und Widerstand und zur Wiederherstellung der EinheitDeutschlands sind eine Fundgrube. Sie bieten dicht an dicht Fakten und deren kompetente Bewertung." (SFB, 25.9.00) "Die zwischen 1953 und 1999 geschriebenen Beiträge bieten eine verblüffende Faktenfülle und ein bestechendes Zeugnis deutsch-deutscher Zeitgeschichte, der Aufklärung über Verlogenheit, Konflikte und Krisen, aber auch über Mut und Zivilcourage. Hautnah an unserer jüngsten Geschichte wird der Leser im wahrsten Sinne des Wortes"Der Wahrheit verpflichtet"." (Frankfurter Rundschau, 25.8.00)