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Das Buch »und andere« (das slowenische Original erschien 2001) umfasst fünf Erzählungen, fünf Fragmente ein und derselben Geschichte. Sie handelt von der Gewalt gegen Kinder, ihrer systematischen Misshandlung und Entpersönlichung innerhalb der repressiven Strukturen der staatlichen Obhut. Man sperrt sie weg, fixiert sie mit Gurten, lässt sie zugrunde gehen, weil sie anders sind. Sie haben keinen Platz in einer Gesellschaft, die übereingekommen ist, den größtmöglichen Wohlstand anzustreben. Indessen laufen die Täter, die wirklich Irren, draußen frei herum.Franjo Francic begibt sich in die Haut…mehr

Produktbeschreibung
Das Buch »und andere« (das slowenische Original erschien 2001) umfasst fünf Erzählungen, fünf Fragmente ein und derselben Geschichte. Sie handelt von der Gewalt gegen Kinder, ihrer systematischen Misshandlung und Entpersönlichung innerhalb der repressiven Strukturen der staatlichen Obhut. Man sperrt sie weg, fixiert sie mit Gurten, lässt sie zugrunde gehen, weil sie anders sind. Sie haben keinen Platz in einer Gesellschaft, die übereingekommen ist, den größtmöglichen Wohlstand anzustreben. Indessen laufen die Täter, die wirklich Irren, draußen frei herum.Franjo Francic begibt sich in die Haut dieser Kinder, verleiht den Geschundenen und Misshandelten seine einzigartige, menschliche Stimme. Sprache und Form seiner teils skizzenhaften, teils episch breiten Erzählungen evozieren Ivan Cankar und seine Bilder der sterbenden Mädchen im »Haus der Barmherzigkeit«. In der slowenischen Gegenwartsliteratur nimmt Francic eine Randposition ein. Zu offensichtlich trifft auf ihn Cankars Definition des großen Schriftstellers zu, »der nur das erzählt und beschreibt, was er selbst erlebt, empfunden und gesehen hat - und sei es in einem versperrten Zimmer und nur mit dem Auge des Geistes«.
Autorenporträt
Franjo Francic, geboren 1958 in Ljubljana, Prosaist, Lyriker, Dramatiker, Autor von Hörspielen und Drehbüchern, von Kinder- und Jugendliteratur, lebt in Parecag nahe Secovlje im slowenischen Teil Istriens. Er zählt aktuell zu den meistübersetzten slowenischen Autoren. Als Jugendbuchautor wurde er im Ausland mehrfach ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2004

Die Ermordung des Teddybären
Der Slowene Franjo Francic erzählt von Kinderheimatlosigkeit

Das Originellste an diesem Buch ist wohl der Titel: "und andere". Erzählungen. Er suggeriert eine Leerstelle, indem er die obligate Titelerzählung verweigert. Dennoch läßt sich die erste der fünf Geschichten, die die Hälfte des gesamten Umfangs beansprucht, als heimliches Hauptstück auffassen. Sie heißt "Ein Kind töten" und hätte dem Band genausogut seinen Titel geben können: Franjo Francic' Erzählungen handeln von nichts anderem als davon, wie man Kinder umbringt, buchstäblich und im übertragenen Sinn, im Affekt und durch Gleichgültigkeit, auf Raten, bis sie irgendwann so weit sind, daß sie ihr Leben wegwerfen.

Es ist die Welt der Erziehungsheime und Besserungsanstalten, die der Autor ohne Beschönigung ausleuchtet: verrohte Halbwüchsige, die die Heim-Neulinge terrorisieren, sadistische Erzieher mit sexuellen Ambitionen, Korrekturzellen, die man vor der Inspektion versteckt, naive Psychologinnen, die noch an das Gute im Menschen glauben und dafür von ihren Schützlingen mit obszönen Flüchen traktiert oder gleich aus dem Fenster geworfen werden - ein Milieu, das sich den Protagonisten im neuen Slowenien um nichts freundlicher darbietet als in Titos Jugoslawien.

Geschildert werden die klassischen Karrieren von Kindern aus zerrütteten, alkoholdurchtränkten Familien. In "Ein Kind töten" wird der kleine Jani schon als Baby mißhandelt, vom Freund seiner Mutter, aber auch von ihr selbst. Der Erzähler wechselt zwischen der ersten, zweiten und dritten Person, bisweilen nimmt er Zuflucht zu geradezu expressionistischem Pathos: "Er konnte nicht begreifen, konnte nicht ausweichen, als sie ihn auf die Holzbank knallte, daß sein Kopf auf die Kante schlug. Er verbog sich in zuckenden Stößen und biß sich vorn die Lippe auf. Die Augendeckel vibrierten, das Herz begann dröhnend zu stampfen. Am Tisch saß der andre, schrecklich wie die Finsternis."

Es ist ein schwer erträgliches Buch, in dem der Sozialarbeiter Franjo Francic immer wieder und oft vergebens um die ästhetische Distanz ringt, die einen Erlebnisbericht zur Literatur macht. Dennoch vermögen das Rohe und Ungekünstelte seines Erzählens auch zu beeindrucken, vor allem, wenn er sich der Sprachmaske des abgebrühten Jugendlichen bedient: "Hie und da hat sich einer aufgehängt, sich die Adern aufgeschnitten, wie zum Beispiel Teddys Mama, die er in der Wanne, die voll mit Blut war, gefunden hat. Das hat alles dazugehört und keinen übermäßig aufgeregt, außer den alten Hennen vom Sozialdienst". Der Underdog-Jargon führt vor, wie Gewalt sich in der Sprache nicht nur spiegelt, sondern potenziert. Wenn es ganz arg zugeht, behilft sich der wackere Übersetzer mit einer kruden Mischung aus Englisch, Norddeutsch und Kärntnerisch.

Im Gedächtnis bleibt der kleine Lieblingshase, den der Bub erwürgt, weil er irgendwo hin muß mit seiner Wut, weil er Zuneigung nicht mehr anders auszudrücken weiß als durch Machtausübung. Kein Wunder, daß die Pflegemutter Jani wieder in die Anstalt schickt. "und andere" - der Titel verweist darauf, daß die Opfer überforderter Erwachsener Legion sind. Der Autor läßt keinen Zweifel daran, daß das Monströse in den Verhältnissen zu suchen ist, nicht in ihren Opfern: Man tötet Kinder, indem man sie um ihre Kindheit bringt. Manchmal sogar dann, wenn man nur das Beste will. In der letzten, sprachlich kompaktesten Geschichte spricht der psychisch auffällige Sohn, der von seiner Mutter in die geschlossene Abteilung eingeliefert wird: "Wenn wir nur ein Museum besuchen, sage ich, brauch ich nicht so viel Gewand, und keine Zahnbürste, und nicht den Bären."

DANIELA STRIGL

Franjo Francic: "und andere". Erzählungen. Aus dem Slowenischen übersetzt von Erwin Köstler. Drava Verlag, Klagenfurt 2003. 143 S., geb., 19,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Daniela Strigl ist nach der Lektüre der Erzählungen des slowenischen Autors Franjo Francis recht beklommen zumute, denn es geht in allen darum, wie "man Kinder umbringt", sei es im buchstäblichen oder im übertragenen Sinne. Der Autor - von Beruf Sozialarbeiter - bemüht sich in seinen Erzählungen, die von zerrütteten Familien und vom gewaltbestimmten Leben in Heimen und geschlossenen Anstalten berichtet, "immer wieder und oft vergebens um die ästhetische Distanz", die überhaupt erst Literatur ermöglichen, kritisiert die Rezensentin. Trotzdem überzeugt sie das "Rohe und Ungekünstelte" der Geschichten und sie zeigt sich vor allem von dem darin zu findenden Sprachjargon der "abgebrühten Jugendlichen", der die erfahrene Gewalt nicht nur widerspiegelt, sondern auch noch "potenziert", ziemlich beeindruckt.

© Perlentaucher Medien GmbH