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Der Verleger Kurt Wolff warb mit Karl Kraus um einen Schriftsteller, der den Literaturbetrieb verachtete. Er bewunderte den Dichter der »Worte in Versen« und gab - anonym - die einzige Gedichtauswahl zu dessen Lebzeiten heraus. Und er verehrte den polemischen Moralisten, der Weltgericht hielt über die »große Zeit«. Wolff feierte seine Beziehung zu Karl Kraus später als »Begegnung mit dem Absoluten«.Und Karl Kraus? Seine Wertschätzung für den »edlen Jüngling« Wolff überstand verlagsinterne Autorenpolemiken, seine grundsätzliche Abneigung gegen alle, die er »Neutöner« nannte und die großen…mehr

Produktbeschreibung
Der Verleger Kurt Wolff warb mit Karl Kraus um einen Schriftsteller, der den Literaturbetrieb verachtete. Er bewunderte den Dichter der »Worte in Versen« und gab - anonym - die einzige Gedichtauswahl zu dessen Lebzeiten heraus. Und er verehrte den polemischen Moralisten, der Weltgericht hielt über die »große Zeit«. Wolff feierte seine Beziehung zu Karl Kraus später als »Begegnung mit dem Absoluten«.Und Karl Kraus? Seine Wertschätzung für den »edlen Jüngling« Wolff überstand verlagsinterne Autorenpolemiken, seine grundsätzliche Abneigung gegen alle, die er »Neutöner« nannte und die großen Fährnisse bei der Herstellung seiner Bücher.Der Briefwechsel bezieht Äußerungen von Autoren und Mitarbeitern beider Seiten mit ein, die zur Gründung des Ein-Mann-Verlages unter Kurt Wolffs Ägide führten, den »Verlag der Schriften von Karl Kraus«. Doch private Mitteilungen wurden schon bald von öffentlichen Kundgebungen in Zeitungen und Zeitschriften begleitet, in denen sich vor allem eine Polarisierung zwischen Karl Kraus und Franz Werfel abzeichnete. Werfel hatte Wolff zum Verleger von Kraus gemacht - und durch ihn zerbrach die Verbindung, bevor Kraus' Hauptwerk, »Die letzten Tage der Menschheit«, erscheinen konnte.Ergänzt wird der Briefwechsel u.a. durch Briefe von und an Albert Ehrenstein, Kurt Hiller, Siegfried Jacobsohn, Leopold Liegler, Sidonie Nádherny, Berthold Viertel und Franz Werfel sowie die Erinnerungen Kurt Wolffs an Kraus, die zum Schönsten gehören, was je über Karl Kraus geschrieben wurde.
Autorenporträt
Karl Kraus (1874-1936) war als Herausgeber und fast alleiniger Verfasser der »Fackel« einer der meistverehrten und zugleich meistgehassten Kritiker seiner Zeit.

Kurt Wolff (1887-1963) war Verleger und Gründer des Kurt Wolff Verlags. Er veröffentlichte die wichtigsten deutschen Autoren des Expressionismus.

Friedrich Pfäfflin, geb. 1935, hat nach zwanzigjähriger Tätigkeit als Verlagsbuchhändler ein Vierteljahrhundert die Museumsabteilung des Schiller-Nationalmuseums in Marbach geleitet. In den Jahren 1968 bis 1973 erschien der von ihm initiierte, von Heinrich Fischer herausgegebene Reprint der »Fackel« von Karl Kraus in über 35.000 Exemplaren. Veröffentlichungen u. a.: Karl Kraus: Briefe an Sidonie Nádhern? von Borutin 1913-1936 (Hg., 2005); Aus großer Nähe. Karl Kraus in Berichten von Weggefährten und Widersachern (Hg., 2008); Das Werk der Photographin Charlotte Joel (Hg., 2019).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2008

Unter Literarhysterikern

Verlegen ja, aber nicht um jeden Preis, und die Enttäuschung kam dann später auch: Die Beziehung zwischen Karl Kraus und Kurt Wolff konnte nicht gut enden.

Er ist ein wunderschöner etwa fünfundzwanzigjähriger Mensch, dem Gott eine schöne Frau, einige Millionen Mark, Lust zum Verlagsgeschäft und wenig Verlegersinn gegeben hat." Dieses einnehmende Porträt von Kurt Wolff hat Kafka im Frühjahr 1913 in einem Brief an Felice Bauer gezeichnet. Damit hat er wohl die gemischte Persönlichkeit getroffen, die auch Karl Kraus um dieselbe Zeit so betört hat. Besonders der noch angenehm unerfahrene junge Verleger wird es diesem angetan haben. Denn wie Kafka wollte Kraus nicht um jeden Preis verlegt werden. Im Zusammenhang einer späteren Enttäuschung mit Kurt Wolff telegraphierte der sich immer wieder zurückziehende Kraus: "verzichte jederzeit gern da mir gleichgiltig ob und wann buecher erscheinen".

Obwohl fünfundzwanzig Briefe und Telegramme zwischen Wolff und Kraus in das 1966 erschienene Standardwerk "Briefwechsel eines Verlegers 1911-1963" aufgenommen wurden, ergab diese Auswahl erst einen Schattenriss der herzlichen, aber von Anfang an prekären Beziehung zwischen dem Verleger der neuen Literatur und dem Schriftsteller, der 1912 in seiner Zeitschrift "Die Fackel" verkündet hatte, er habe mit "Futuristen, Neopathetikern, Neoklassizisten und sonstigen Inhabern von Titeln ebensowenig zu schaffen wie mit Wiener Kommerzial- oder Sangräten". Kraus-Biographen haben diese immerhin von 1912 bis 1921 dauernde Verlags- und Freundschaftsverbindung bisher nur gestreift und sich dabei ausschließlich auf Wolffs eigene, in den fünfziger und sechziger Jahren verfasste Memoiren gestützt.

"In ungezählten Briefen, Telegrammen, Unterredungen" habe Kurt Wolff "seinen sehnlichen Wunsch bekundet, um meine Schriften in Deutschland bemüht zu sein", berichtete Kraus 1917 mitten in ihrer wechselreichen Beziehung. Friedrich Pfäfflin hat nun alle erhaltenen Briefe und Telegramme gezählt. Aber nicht bloß die mehr als hundertzwanzig Mitteilungen Wolffs sowie die nicht ganz zwanzig Korrespondenzstücke von Kraus hat er mit einem kenntnisreichen Kommentar vollständig veröffentlicht. In weiteren fast zweihundert Verlagskorrespondenzen, Briefen anderer, polemischen Glossen und satirischen Gedichten entsteht die spannende Biographie in Dokumenten einer für das zwanzigste Jahrhundert exemplarischen Autor-Verleger-Beziehung.

Im Kurt Wolff Verlag selbst erschien nur ein Buch von Karl Kraus. Die von Adolf Loos angeregte bibliophile Ausgabe des Essays "Die chinesische Mauer" mit Illustrationen von Oskar Kokoschka (1914) galt aber hauptsächlich als Werk des Malers. Die Stellung des Autors zu solchen Kostbarkeiten kann man dem späteren, von Pfäfflin nachgedruckten Gedicht "Luxusdrucke" entnehmen, in dem "Ruhm ist" mit "Kuhmist" gereimt wird. Obwohl Kraus bereits vorher auf einen Vertrag für das nie erschienene Werk "Kultur und Presse" mit Kurt Wolff sich eingelassen hatte, schreckte die expressionistische Nachbarschaft ihn bald wieder ab. Er wollte in Deutschland lieber gar nicht erscheinen, als mit "Literarhysterikern" zusammen, wie er Kurt Hiller, Max Brod und andere charakterisierte.

Die eigentliche Zusammenarbeit begann erst 1916, nachdem man auf die Lösung gekommen war, unter dem größeren Verlagsdach ein exklusives Imprint-Zimmer einzurichten: "Verlag der Schriften von Karl Kraus (Kurt Wolff)". Hier erschienen in rascher Folge Neuauflagen der früheren Bücher, 1918 die dritte Aphorismensammlung "Nachts", 1919 die zweibändige Ausgabe der "Kriegsaufsätze", "Weltgericht" und, zwischen 1916 und 1920, die ersten fünf Bände der "Worte in Versen". Seiner begeisterten Aufnahme der Lyrik des Satirikers verdankte der Verleger die Überlassung eines letzten, auch 1920 erschienenen Werkes "Ausgewählte Gedichte", dessen Auswahl er selbst treffen durfte. Aber bald danach gingen Verlagsverbindung und Freundschaft in die Brüche, als Franz Werfels Drama "Spiegelmensch" erschien. In dieser "Magischen Trilogie" spricht die Titelfigur einen Monolog, in dem Kraus und seine Zeitschrift aufs unflätigste karikiert werden.

Franz Werfel war es auch, der Kraus und Wolff 1912 zusammengeführt hatte. Frühe Gedichte von Werfel, den ja Rilke und Kafka zunächst als großen Lyriker feierten und den dieser eine Zeitlang als "Führer" ihrer literarischen Generation verehrte, wurden in der "Fackel" gelobt und veröffentlicht. Am Anfang des Zerwürfnisses stand eine Klatschgeschichte, die Werfel nach einer unglücklichen Begegnung mit Rilke und Sidonie Nádherný im Herbst 1913 verbreitete, gerade als Kraus sich in die böhmische Baronesse verliebte. Bald kamen dazu prinzipielle Angriffe in der "Fackel" auf den lyrischen Feuilletonismus, den Kraus bei Werfel und anderen expressionistischen Schriftstellern diagnostizierte. Die bald beiderseitig geführte Polemik gipfelte in der brillanten "Magischen Operette" mit dem Titel "Literatur oder Man wird da doch sehn", mit der Kraus auf Werfels "Spiegelmensch" antwortete. Für Wolff blieb das Stück bloß "eine schwache Arbeit im OEuvre von Kraus", deren Lektüre allerdings bei den Freunden Walter Benjamin und Gershom Scholem Erstickungsanfälle vor Lachen auslöste.

Zu den faszinierendsten Dokumenten in Pfäfflins Edition gehören Kurt Wolffs von Ambivalenz gelähmte Versuche, die Katastrophe abzuwenden, die er mit der Drucklegung von "Spiegelmensch" heraufziehen sieht. Nachdem eine briefliche Intervention bei Werfel gescheitert und ein erster Gegenschlag in der "Fackel" publiziert worden war, schrieb Wolff einen Brief an Kraus, in dem er diesem recht gab: Man könne nicht gleichzeitig "Inhaber des ,Verlags der Schriften von Karl Kraus'" und "Verleger der jungen deutschen Literatur" sein. Er konstatiert die Angriffe von Kraus auf Autoren seines Verlags und, ohne Werfel mit einem Wort zu erwähnen, stellt fest, dass er den "Widerstand gegen Angriffe" auf Kraus aufgegeben habe und bereit sei, die Konsequenzen zu ziehen.

Wie man der Edition des Briefwechsels jetzt entnehmen kann, gab es für diesen knappen, etwas trotzigen Brief einen erheblich längeren Entwurf, den Wolffs Schwager und Mitarbeiter Jesko von Puttkamer formuliert hatte. Darin werden nicht nur die Bemühungen, Werfel umzustimmen, geschildert, sondern es wird auch ziemlich penibel erklärt, warum die Gefährdung des Vertrags mit ihm "aus kaufmännischem Interesse" nicht zu riskieren sei. Sidonie Nádherný gegenüber kommentierte Kraus Wolffs abgeschickten Erklärungsversuch mit einer harten, an den "Goethedieb" Werfel erinnernden Anspielung: "Natürlich: wo ,zwei Seelen', ists zumeist nur eine, wertlose." Das Schreiben selbst und ein bald folgender, um ein persönliches Treffen bittender Brief wurden ignoriert.

Der "Verlag der Schriften von Karl Kraus" war schließlich nur eine wichtige Episode im langen produktiven Berufsleben seines Inhabers, dessen ganzer verlegerischen Tätigkeit das Buch zur Ausstellung "Kurt Wolff. Ein Literat und Gentleman" gewidmet ist. Wolfgang Göbel resümiert seine unübertroffene Verlagsgeschichte, und wichtige Teilaspekte werden in einer Reihe von Aufsätzen und Dokumenten neu beleuchtet. Von großem Interesse sind die leider nur in knapper Auswahl mitgeteilten Tagebuchblätter des Oberleutnants Wolff aus der Zeit zwischen Oktober 1914 und Juni 1915. Eine beeindruckende parataktische Schilderung von Kriegsgreueln entschuldigt er zum Beispiel mit einem den "Fackel"-Leser ehrenden Kommentar: "Man kann aus dem Chaos nicht Sätze bilden mit Subjekt und Praedikat." Die Herausgeberin hat offenbar die ärgsten Zeugnisse einer "zeittypischen" Kriegsbegeisterung ausgespart, aber es bleiben fragwürdige Deutschlandverherrlichung und stramme Untergangshaltung genug. Obwohl Kraus von der früheren Zwiespältigkeit wohl nichts erfuhr, hat er Ende 1918 auch den dringenden telegraphierten Wunsch, das Antikriegsdrama "Die letzten Tage der Menschheit verlegen zu dürfen" - wie man in Wien sagt und in München versteht -, gar net ignoriert.

LEO A. LENSING.

"Zwischen Jüngstem Tag und Weltgericht". Karl Kraus und Kurt Wolff. Briefwechsel 1912-1921. Hrsg. von Friedrich Pfäfflin. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 335 S., 39 Abb., geb., 32,- [Euro].

"Kurt Wolff. Ein Literat und Gentleman". Hrsg. von Barbara Weidle. Weidle Verlag, Bonn 2007. 289 S., zahlr. Abb., geb., 25,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.06.2007

Irrgelichter und Spiegelmenschen
Der Briefwechsel zwischen Karl Kraus und Kurt Wolff
Es schien eine Zeitlang so erfreulich zu verlaufen, aber es nahm dann doch kein gutes Ende. Es gab keinen Verleger, der besser zu Karl Kraus gepasst hätte, als der junge Kurt Wolff. Kraus war der empfindlichste Seismograph seines Zeitalters und Kurt Wolff definierte seinen Beruf in einem Brief an Kraus so: „Ich denke mir den Verleger – wie soll ich sagen – etwa als Seismograph, der bemüht sein soll, Erdbeben sachlich zu registrieren. Ich will Äußerungen der Zeit, die ich vernehme, soweit sie mir irgendwie wertvoll erscheinen, überhaupt gehört zu werden, notieren und für die Öffentlichkeit zur Diskussion stellen. (Seismograph, nicht Seismologe sein).”
Wolff, der sich in Leipzig anschickte, der Verleger der jungen Generation der deutschen Literatur zu werden, hatte eingestandenermaßen noch keine Zeile von Kraus gelesen, als ihn ein ebenfalls junger Lektor, der sich an maßlosem Enthusiasmus für Kraus nicht überbieten ließ, auf diesen aufmerksam machte: das war Franz Werfel. Ohne Werfel keine Verlagsbeziehung Kraus - Wolff, ohne Werfel aber wäre auch kein abruptes Ende dieser Beziehung nach rund zehn Jahren gekommen. Als sich Wolff und Kraus im Herbst 1913 in Wien begegneten, war der Verleger Mitte zwanzig, der Satiriker Ende dreißig.
Der alte Wolff hat über drei seiner Autoren Texte verfasst, über Sternheim, über Kafka und über Kraus. Der Kraus-Essay ist der intensivste; das endgültige Zerwürfnis lag lange zurück, war aber keineswegs vergessen – dennoch zeugt dieser Text von Güte, Wärme und Vertrauen, die Wolff von Kraus über Jahre hinweg empfangen zu haben dankbar bezeugt. Der entspannte, freundschaftlich zugewandte, menschlich teilnehmende Kraus, der der Öffentlichkeit unbekannt blieb, ist hier eindrücklich geschildert.
Kraus war vom jungen Wolff offensichtlich bezaubert. Der sich vom Literaturbetrieb isolierende Einzelgänger willigte ein, mit seinen Buchveröffentlichungen zu ihm zu gehen. Im Verlag Kurt Wolff erschien zunächst jedoch nur ein Band, dann gab es den ersten Ärger, weil Max Brod und Kurt Hiller, beides Wolff-Autoren, sich polemisch an Kraus rieben. Kraus reagierte, wie es jeder, der ihn kannte, erwarten musste: Er wehrte sich dagegen, im gleichen Haus der „Nachbarschaft des schlimmsten Irrgelichters, das der Literaturbetrieb dieser Tage fördert, ausgesetzt zu sein”. Kaum begonnen, schien die Verlagsbeziehung bereits wieder zu Ende, als ein Mitarbeiter Wolffs auf die Idee kam, ein „chambre séparée” zu konzipieren, den „Verlag der Schriften von Karl Kraus, Kurt Wolff‘”, einen Verlag im Verlag, der zu erkennen gab, dass Kraus und die Autoren des „Jüngsten Tag” nicht in der gleichen Dichterkate wohnten.
Kraus schätzte Kurt Wolff menschlich so hoch ein, dass er ihm für dieses Mal seine Autoren verzieh. Alles ging zunächst gut, erstaunlich gut. Neben einigen Neudrucken bereits früher andernorts erschienener Bände, waren die Großtaten Wolffs für Kraus die Publikation der zwei Bände mit den Kriegstexten „Weltgericht” und die Anregung, seine Gedichte als „Worte in Versen” in fünf Bänden zu veröffentlichen (vier weitere erschienen nicht mehr bei Wolff).
Dann aber kam wiederum Franz Werfel. Eine von ihm verbreitete unziemliche Klatschgeschichte, die das Verhältnis zwischen Kraus’ Lebensfrau Sidonie Nádherný von Borutin und Rilke betraf, führte zum Bruch in der persönlichen Beziehung zwischen Kraus und Werfel, noch nicht zwischen Kraus und Wolff. Als aber Werfel im Verlag Wolffs sein Drama „Spiegelmensch” veröffentlichte, in dem Kraus auf ebenso rabiat-aggressive wie unappetitliche Weise karikiert wurde, war es auch damit vorbei.
Fortuna im Schrecken
Die Dokumente des Briefwechsels beweisen, dass Wolff versuchte, die entsprechenden Passagen zu verhindern. Es wird immer ein Rätsel bleiben, warum er seine Bedenken nicht durchgesetzt hat. Er kannte Kraus gut genug, um zu wissen, was folgen würde. Kraus antwortete nicht mehr privat, sondern öffentlich in der Fackel, wo er Klage darüber führte, „daß eine seltene Vielseitigkeit verlegerischer Interessen, deren Träger so oft meiner Kritik seiner Literatur zustimmte, nunmehr die Entehrung meines Charakters toleriert hat. Er nehme auf diesem Wege ... zur Kenntnis, daß der ,Verlag der Schriften von Karl Kraus‘ mit dem nächsten Buch einen neuen Inhaber anzeigen wird.”
Der literarische Wert des Werfelschen Dramas kann es nicht gewesen sein, der Wolff daran hinderte, diesem in den Arm zu fallen, aber durchgreifen und sich auch gegen Freunde durchzusetzen, entsprach nicht seinem Gentleman-Ideal. Sein Credo, dass die Beziehung des Verlegers zum Autor eine Liebesbeziehung zu sein habe, die nichts fordere und schon im Voraus verzeihe, führte in diesem Fall zum Sieg der Nachsichtigkeit und der Jugendfreundschaft über die von immensem Respekt gesättigte Beziehung zu Kraus. Werfel hat es ihm nicht gedankt: Drei Jahre später wechselte er, gelockt durch einen gigantischen Vorschuss, wie ihn der wirtschaftskrisengeschüttelte Wolff nicht bieten konnte, zum Zsolnay-Verlag nach Wien. Es schmerzt, zu lesen, dass Kraus gegenüber Sidonie von den „zwei ziemlich wertlosen Seelen” in der Brust Wolffs sprach und dessen verzweifelte Versuche, zu einem klärenden Gespräch zu gelangen, unbeantwortet ließ. Diese Verachtung hatte Werfel, nicht aber Wolff verdient.
Friedrich Pfäfflin, der getreue Eckart für die Jahrhundertgestalt des Karl Kraus, hat so präzise und liebevoll wie schon in seiner Edition der Kraus-Briefe an Sidonie Nádherný nun auch die Briefe zwischen Kraus und Wolff herausgegeben. Er hat ein Übriges getan und alle Dokumente, die zu diesem Kontext gehören, hinzugefügt, so etwa den Entwurf zu einem Schlüsselroman über Kraus, der erst aus Werfels Nachlass zum Vorschein kam; der Kraus -Essay Wolffs rundet den schönen Band ab.
Abgerundet wird das Bild Kurt Wolffs auch durch den gelungenen Begleitband einer Bonner Ausstellung (SZ vom 16./17. Mai 2007). Von Barbara Weidle herausgegeben, werden darin Person, Aura und verlegerisches Wirken von Wolff in vielen Facetten beleuchtet – einer Verlegerpersönlichkeit, wie es keine zweite in Deutschland gegeben hat. Hannah Arendt schrieb in einem Trostbrief an Helen Wolff, als deren Mann nicht weit vom Marbacher Literaturarchiv, wo so viele seiner Autoren gesammelt werden, zu Besuch aus der amerikanischen Emigration, bei einem Unfall ums Leben kam: „Zurückzugehen woher er kam – das scheint mir das letzte Glied seiner Glückskette, als hätte Fortuna auch im Schrecken noch einmal gelächelt, weil dies Leben in Glück und Unglück doch immer gesegnet blieb und diesen Segen auch ausstrahlte.”
Der nahezu freundschaftlichen Beziehung zwischen Karl Kraus und Kurt Wolff hat Fortuna nicht dauerhaft gelächelt, die gemeinsamen Bücher bleiben. JENS MALTE FISCHER
FRIEDRICH PFÄFFLIN (Hrsg.): Zwischen Jüngstem Tag und Weltgericht. Karl Kraus und Kurt Wolff. Briefwechsel 1912-1921. Wallstein Verlag, Göttingen 2007, 334 S., 24 Euro.
BARBARA WEIDLE (Hrsg.): Kurt Wolff. Ein Literat und Gentleman. Weidle Verlag, Bonn 2007, 289 S., 25 Euro.
Seismographen des Zeitalters: Karl Kraus (1874 – 1936) und der Verleger Kurt Wolff (1887 - 1963). Fotos: bpk
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als "präzise und liebevoll" zusammengestellt, beurteilt Jens Malte Fischer den von Friedrich Pfäfflin herausgegebenen Briefwechsel zwischen Karl Kraus und Kurt Wolff. Der Rezensent gibt dabei vor allem die enge und turbulente Beziehung zwischen dem Literaten und seinem Verleger wieder. Er erinnert, wie es dem noch sehr jungen Verleger gelang, den scheuen (!) Literaten Kraus für seinen Verlag zu gewinnen und beschreibt darüber hinaus, wie die Beziehung erste Schwierigkeiten durchleben musste, als Kraus von anderen Autoren des Verlags, wie Brod und Hiller, polemisch angegriffen wurde. Zum endgültigen Bruch kam es, wie der Rezensent berichtet, durch Franz Werfels Veröffentlichung "Spiegelmensch" im Verlag Kurt Wolff, in der Kraus diffamiert wurde. Der Briefwechsel dokumentiert ebenfalls die vergeblichen Versuche Wolffs, die Situation zu klären. Der Rezensent zeigt sich beeindruckt von der Intensität der Freundschaft und der Vielfältigkeit der beiden Charaktere, die im Briefwechsel auf besondere Weise deutlich werden.

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