Produktdetails
  • Verlag: Philo
  • ISBN-13: 9783825701413
  • ISBN-10: 3825701417
  • Artikelnr.: 24794991
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2001

Gnade des Zweifels und Sorge um die Erinnerung
Salomon Korns Essays, Reden und Interviews zum deutsch-jüdischen Verhältnis

Salomon Korn: Geteilte Erinnerung. Beiträge zur "deutsch-jüdischen" Gegenwart. Erweiterte und aktualisierte Auflage. Philo Verlagsgesellschaft, Berlin 2001. 280 Seiten, 38,- Mark.

Salomon Korn, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main und Präsidiumsmitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland, zählt zu den geistigen Repräsentanten der Republik, die - ohne populär sein zu wollen - bekannt sind. Als Publizist äußert er sich regelmäßig in den Blättern der "quality press" auf die ihm eigene gebildete Art und Weise, die dem breiten Medienpublikum eher fremd bleibt. Denn seine Sache ist nicht der effektheischende oder gar schrille Auftritt, sondern vielmehr die gedankenreiche und scharfsinnige Argumentation. Wenn er sich zu Wort meldet, nehmen seine Leser das, was er niedergeschrieben hat, mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis. Selbst dann, wenn sein Text zum Widerspruch reizt, ja nicht selten gerade deshalb, gereicht die Lektüre doch zum Gewinn.

Kein Wunder also, daß die Publikation der erweiterten Auflage einer Anthologie seiner Essays, Reden und Interviews begrüßt wird: "Geteilte Erinnerung" lautet der mit feiner Zweideutigkeit gewählte Titel des Buches, dessen Beiträge allesamt ein zentrales Thema Korns umkreisen. Ihm geht es um die intellektuelle Auseinandersetzung mit "einem historischen Prozeß", den er in einem Interview 1999 näher charakterisiert hat und "der vom Juden in Deutschland über den deutschen Juden hin zum jüdischen Deutschen führen wird". Darin aufgehoben ist die zentrale Frage danach, wann sich im langen Schatten von Auschwitz für das deutsch-jüdische Verhältnis Normalität einstellen werde. Korn, der die so oft beschworene deutsch-jüdische Symbiose mit ausgeprägter Skepsis betrachtet, rechnet dabei offensichtlich mit langen Zeiträumen - zumindest dann, wenn man den Maßstab eines Menschenlebens oder auch den mehrerer Generationen anlegt, freilich nicht den der Geschichte.

In dieser Perspektive begegnet Korn allem Verkrampften und Übertriebenen mit unverhohlener Ablehnung: "Geteilte Erinnerung" bedeutet daher, das Trennende und Verbindende in der gemeinsamen Geschichte von Juden und Deutschen als eins anzusehen, "die Fragilität deutsch-jüdischer Geschichte" zu erkennen, die gespaltene Gemeinsamkeit der Täter- und Opfernachfahren zu akzeptieren. Die Einsicht, nur durch historische Erkenntnis zu geläuterter Existenz gelangen zu können, durchzieht die verschiedenen Teile des Buches, in denen unter anderem über "Architektur und Judentum", "Gedenkorte - Gedenktage", "Jüdisches Leben in Deutschland", "Das ,Holocaust-Mahnmal' in Berlin" und die "Bubis-Walser-Kontroverse" nachgedacht wird.

Hoffnung auf Sicherheit

Daß "die gesellschaftliche Situation der Juden" meist einen ablesbaren Reflex in der Bauweise und "dem Schicksal ihrer Gotteshäuser" gefunden hat, läßt der Architekt und Soziologe Korn, der das 1986 eingeweihte Jüdische Gemeindehaus in Frankfurt am Main entworfen hat, bei seinem Gang durch die Geschichte der jüdischen Baukultur in Deutschland deutlich werden: "Erinnerung an Zerstörung - und Hoffnung auf Zukunft: Zwischen diesen Polen bewegt sich heute jüdisches Dasein in Deutschland", stellt er fest. Er beklagt, daß diese Tatsache - beispielsweise in der Synagogenarchitektur nach 1945 - nur allzu selten Ausdruck gefunden habe. Seine Forderung, den "Bruch als Architekturmetapher" über einer Bauform "der scheinbaren Neutralität und des Schweigens" nicht zu vernachlässigen, geht freilich mit seinem immer wieder zitierten Bekenntnis einher: "Wer ein Haus baut, will bleiben, und wer bleiben will, erhofft sich Sicherheit."

Die Schwierigkeit dieses Versuchs demonstriert der Autor nicht zuletzt in seiner Auseinandersetzung mit dem "Fall Jenninger": Korns Einschätzung nach hat dessen Verlauf unmißverständlich gezeigt, "daß Gedenken im öffentlichen Raum vorrangig nicht nach den Erkenntnissen historischer Forschung, sondern nach dem jeweiligen Interesse am eigenen, öffentlich präsentierten Geschichtsbild ausgerichtet ist". Der "Verstoß" des damaligen Bundestagspräsidenten "gegen das opferzentrierte Betroffenheitskartell der professionellen Gutmenschen und den Versuch, staatliche Einheit im Gedenken auf Kosten der Opfer zu erlangen", so urteilt er im Gegensatz zur vorwaltenden Meinung, "hat bis heute die längst fällige öffentliche Revision der Verurteilung Jenningers verhindert".

Und ebenso tritt die deutsch-jüdische Schwierigkeit in der von Korn kommentierten Debatte über die Errichtung eines "Denkmals für die ermordeten Juden Europas" zutage, das in der Öffentlichkeit unter dem Etikett "Holocaust-Mahnmal" bekannt geworden und "nach bestem Bürokratendeutsch" inzwischen umständlich-korrekt in "Denkmal für die ermordeten Jüdinnen und Juden Europas" umgetauft worden ist. Die künstlerische Umsetzung eines solchen Mahnmals, das "quer zur deutschen Geschichte stehen und gleichzeitig in sie integriert sein" müsse, "erfordert weder Monumentalismus noch Inszenierung". Damit kritisiert Korn das, was geplant ist, und plädiert statt dessen für "Bescheidenheit und Aufrichtigkeit". Ja, im Grunde spricht er sich ganz unverkennbar "gegen ein gemeinsames nationales Opfer-Täter-Denkmal und für eine Trennung von Denkmal für die Opfer und Mahnmal gegen Tat und Täter" aus.

Und schließlich wird die deutsch-jüdische Schwierigkeit in Korns Stellungnahmen zur "Walser-Bubis-Kontroverse", im Streit also um "Erinnerung als Legitimität", mehr als deutlich. Daß er in dieser Debatte eindeutig auf seiten des inzwischen verstorbenen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland gestanden hat, hindert ihn nicht daran, festzustellen, daß in dem teilweise erbittert geführten Streit "doch eine vielversprechende Gemeinsamkeit" nicht zu übersehen ist: "Letztlich verbindet beide in ihrer Sorge um angemessene kollektive Erinnerung mehr, als sie trennt."

Ungeachtet seines tiefsitzenden Argwohns gegenüber allen offiziellen Ritualen und rhetorischen Floskeln, ja, gerade weil er anders als manche seiner Kritiker von der "Gnade des Zweifels" so dankbar profitiert, helfen seine Beiträge zur "geteilten Erinnerung" mit, die erforderlichen Erkenntnisse publik zu machen, die sich in Einsichten verwandeln können und als Grundlage deutsch-jüdischer Existenz auf jeden Fall unverzichtbar sind.             

KLAUS HILDEBRAND

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In einführenden Worten zur Person Salomon Korns lobt Klaus Hildebrand dessen öffentliche Präsenz, die er in der "quality press" durch "gedankenreiche und scharfsinnige Argumentation", also nicht im breiten Medienrummel, erlangt habe. Daher begrüßt er die Publikation der erweiterten Auflage einer Sammlung seiner Essays. Hildebrand nennt darauf den Grundgedanken der Anthologie: "Geteilte Erinnerung" bedeute, das Verbindende und Trennende der deutsch-jüdischen Geschichte als eins anzusehen. Daran schließe sich der Optimismus Korns an, dass man durch historische Einsicht zu einer geläuterten Existenz kommen könne. Dann geht der Rezensent auf einige bemerkenswerten Überlegungen Korns ein, etwa die Auseinandersetzung mit dem "Fall Jenninger", in der er die "längst fällige Revision der Verurteilung Jenningers" anmerkt. Auch auf die Gedanken des Autors zum Holocaust-Mahnmal und zur "Walser-Bubis-Kontroverse" geht der Rezensent kurz ein. Zu Walser und Bubis wisse Korn zu sagen, dass im Grunde auch hier Gemeinsamkeiten vorlagen, den letztlich verband beide die Sorge um eine angemessene kollektive Erinnerung. Abschließend bemerkt Hildebrand, dass die Lektüre dieses Bandes zu Einsichten führen könnte, die als Grundlage für die deutsch-jüdische Existenz unverzichtbar seien.

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