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Lieblich reihen sich die Hügel, Störche sitzen auf den Dächern, die Kinder spielen Ringelreihe oder tragen frische Backwaren durchs Dorf, hübsch herausgeputzte Menschen in lokaler Tracht ziehen zur Kirche, fröhliche Jahrmarktszenen, muntere Touristen - und nachts zieht der Nachtwächter durchs Dorf und ruft die Stunden aus. Diese Postkartenidylle des einstigen Elsass ist nur oberflächlich schön; dahinter verbergen sich Gebrochenheit, Leid, Repressalien - das ernste Schicksal einer immer wieder okkupierten Kernregion Europas. Der Karikaturist und Illustrator Hansi war zutiefst mit seiner Heimat…mehr

Produktbeschreibung
Lieblich reihen sich die Hügel, Störche sitzen auf den Dächern, die Kinder spielen Ringelreihe oder tragen frische Backwaren durchs Dorf, hübsch herausgeputzte Menschen in lokaler Tracht ziehen zur Kirche, fröhliche Jahrmarktszenen, muntere Touristen - und nachts zieht der Nachtwächter durchs Dorf und ruft die Stunden aus. Diese Postkartenidylle des einstigen Elsass ist nur oberflächlich schön; dahinter verbergen sich Gebrochenheit, Leid, Repressalien - das ernste Schicksal einer immer wieder okkupierten Kernregion Europas. Der Karikaturist und Illustrator Hansi war zutiefst mit seiner Heimat und ihrem Los in den Wirren des 20. Jahrhunderts verbunden. Er hielt 1913, am Vorabend des Ersten Weltkriegs, die Schönheit einer untergehenden Welt in bezaubernden Bildern fest. Dabei entstand ein mit Herzblut geschriebenes Buch, das auf mehreren Ebenen gelesen werden kann: als folkloristisches Bilderbuch, als politisches Manifest und als mahnendes Anschauungsmaterial für den Geschichtsunterricht an Grundschulen.Diese erste deutschsprachige Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit mit dem Straßburger Verlag La Nuée Bleue.'Le talent de Hansi est indiscutable, d'imagiste, de paysagiste et surtout de satiriste.' (Tomi Ungerer)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2009

Blick zurück im Zorn

Der Elsässer Zeichner Hansi schuf 1913 ein Bilderbuch über seine Heimat: niedlich auf den ersten Blick, voller Ressentiment auf den zweiten. Jetzt erscheint es auf Deutsch.

In nostalgischen Kinderbüchern ist die Welt noch in Ordnung, ob es nun um Wichtel, Häschen, Wurzelkinder oder "Hänschen im Blaubeerwald" geht. Diese Bücher feiern seit Jahren ihre Wiederauferstehung in den Buchhandlungen, und auch der Stuttgarter Verlag Urachhaus hat nun nachgelegt - mit einem Buch, das zumindest auf den ersten Blick wunderbar in diese Reihe passt.

"Mein Dorf. Das Elsass, wie es einstmals war" von dem Colmarer Jean-Jacques Waltz alias Hansi erscheint hiermit erstmals auf Deutsch. Das 1913 entstandene Buch beschreibt das Dorfleben im Elsass des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Hansis Vignetten und Postkarten von Kindern in Elsässer Nationaltracht und andere folkloristische Motive sind es, die nicht zuletzt von der örtlichen Touristikbranche mit Erfolg eingesetzt werden. Auch dieses Bilderbuch ist voll von anheimelnden Motiven. Niedliche Kinder, die aussehen wie kleine Trachtenpuppen, bevölkern Wiesen und Flure, die Dorfszenen sind kunstvoll gezeichnet und koloriert.

Wer jedoch genauer hinsieht, merkt schnell, dass etwas nicht stimmt. Ein Blick auf den Text lässt keinen Zweifel. Es geht nur oberflächlich um die Darstellung elsässischen Dorflebens, das eigentliche Thema ist die ungeliebte deutsche Besatzung: der grausame deutsche Lehrer, der dummdreiste deutsche Gendarm, die hässlichen deutschen Touristen. Idealisiert wird dagegen alles, was französisch ist. Der Kontrast zwischen rein dekorativer Bildgestaltung und ätzenden Karikaturen ist auffallend, aber charakteristisch für Waltz. Sein Ziel war ein Elsass unter französischer Herrschaft.

Die tatsächliche traurige Geschichte des Elsass ist jedoch nicht Thema dieses Buches. Es klärt nicht auf, es erzählt nicht - es klagt an. Dieses Verfahren mag im Elsass auf informierte Betrachter treffen, für Deutschland ist das keineswegs sicher. Ein ausführliches Vorwort zur Historie fehlt in dieser Ausgabe schmerzlich. Der Verlag empfiehlt das Buch stattdessen als "folkloristisches Bilderbuch und politisches Manifest" und als "mahnendes Anschauungsmaterial für den Geschichtsunterricht an Grundschulen".

Geschichte an Grundschulen? Und woran genau sollen die Kinder eigentlich gemahnt werden? Die satirische Stoßrichtung des Buches ist unversöhnlich und humorlos. Immerhin wird man aus Hansis Dorfbildern auch ohne Erklärungen lernen, dass Idylle trügerisch sein kann. Denn auch die noch so beschaulichen Szenen haben hier etwas Beunruhigendes, selbst die niedlichsten Kinder haben etwas Maskenhaftes, ihre Augen gehen immer ins Leere, kein Blick ist wirklich fokussiert, die meisten schauen zur Seite oder gar auf den Boden.

Die dargestellten Elsässer wirken zudem geradezu entindividualisiert, besonders auffällig ist die Darstellung der drei Kriegsveteranen der französischen Armee, die sämtlich die Züge Napoleons tragen. Und so haben die allgegenwärtigen Trachtenkostüme auf beklemmende Weise etwas geradezu Uniformiertes an sich. Was aber sagt diese Gleichförmigkeit der Trachtenfiguren über den Seelenzustand des Zeichners aus? Wie ferngesteuert bewegen sich die schwarzgewandeten Elsässer durch die hübschen Gassen, so scheintot wie das hier entworfene Elsass, dem der 1873 geborene Hansi nachtrauerte und das es schon in seiner Kindheit nicht mehr gab.

SILJA VON RAUCHHAUPT

Hansi (Jean-Jacques Waltz): "Mein Dorf. Das Elsass, wie es einstmals war". Aus dem Französischen von Corinna Tramm. Verlag Urachhaus, Stuttgart 2008. 40 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Geradezu bösartig findet die Rezensentin Silja von Rauchhaupt dieses 1913 veröffentlichte und nun erstmals in deutscher Sprache erhältliche Kinder-Bilderbuch. Nur auf den ersten Blick handle es sich dabei um eine Liebeserklärung des Autors an seine Heimat, das Elsass. In Wahrheit ist es, so von Rauchhaupt, kaum versteckt eine Hasserklärung an die Deutschen, die im Gegenzug das Elsass und die Franzosen nostalgisch verzeichnet. Einerseits geschehe das nicht explizit, andererseits aber sei die grundsätzliche Boshaftigkeit der Intention den leeren Blicken der Kinder dann doch, gegen den Willen des Zeichners, sehr wohl eingeschrieben. Deutlich herauszuhören sind Zweifel der Rezensentin an der Notwendigkeit, diese deutsche Version des Buchs nun zu veröffentlichen. Ausdrücklich problematisch findet sie, dass der Verlag auf ein erläuterndes Vorwort einfach verzichtet hat.

© Perlentaucher Medien GmbH