Marktplatzangebote
4 Angebote ab € 8,00 €
  • Gebundenes Buch

Der fremde Blick - das ist das Thema dieses Buches. Wie nahm die Außenwelt dieses entfesselte, der Katastrophe entgegentaumelnde Deutschland wahr? Was fiel Schriftstellern, Journalisten und anderen Augenzeugen auf?Es ist ein höchst widersprüchliches Bild, das diese bisher kaum genutzten Quellen zeichnen. Nicht die politische Analyse steht dabei im Vordergrund, sondern die unmittelbare Alltagserfahrung. Manche Besucher waren anfangs von der Dynamik des "Dritten Reichen" fasziniert. Einige blieben bis zum Ende Sympathisanten des Regimes; andere schildern den Prozeß ihrer allmählichen…mehr

Produktbeschreibung
Der fremde Blick - das ist das Thema dieses Buches. Wie nahm die Außenwelt dieses entfesselte, der Katastrophe entgegentaumelnde Deutschland wahr? Was fiel Schriftstellern, Journalisten und anderen Augenzeugen auf?Es ist ein höchst widersprüchliches Bild, das diese bisher kaum genutzten Quellen zeichnen. Nicht die politische Analyse steht dabei im Vordergrund, sondern die unmittelbare Alltagserfahrung. Manche Besucher waren anfangs von der Dynamik des "Dritten Reichen" fasziniert. Einige blieben bis zum Ende Sympathisanten des Regimes; andere schildern den Prozeß ihrer allmählichen Desillusionierung. Dagegen legten die kühleren Köpfe von Anfang an eine Hellsicht an den Tag, die beeindruckend ist. (So sah der schwedische Dichter Gunnar Ekelöf schon kurz nach der Machtergreifung den Zivilisationsbruch voraus, und die Amerikanerin Martha Dodd kam bereits 1938 zu dem Schluß, daß die Verfolgung der Juden in einer planmäßigen Vernichtungspolitik gipfeln würde.) Die Liste der Zeugen ist
eindrucksvoll: Samuel Beckett, Vladimir Nabokov, Jean Genet, Max Frisch, Jean-Paul Sartre, Karen Blixen, Georges Simenon, Virginia Woolf und Albert Camus waren in Deutschland; aber nicht weniger aufschlußreich sind die Beobachtungen von Vergessenen, von Unbekannten und von Exoten wie Shi Min, Arvi Kivimaa oder Lörinc Szabó, die hier - meist zum ersten Mal - in deutscher Sprache erscheinen.

Autorenporträt
Oliver Lubrich, geboren 1970 in Berlin, ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik an der Universität Bern.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.03.2005

Mit Hitler im Fahrstuhl
Ausländische Schriftsteller reisen ins Deutschland der Nazizeit
Der Berliner Literaturwissenschaftler Oliver Lubrich hatte eine verblüffende Idee, als er eine Anthologie ausländischer Reiseberichte zusammenstellte, die die Jahre der NS-Herrschaft betreffen. Die aufgenommenen Zeugnisse gelten je zur Hälfte den Jahren 1933 bis 1939 und 1939 bis 1945. Die Auszüge werden von diesem chronologischen Raster bestimmt, denn die einschneidenden politischen Ereignisse der Vorkriegszeit und des Zweiten Weltkriegs wie Machtergreifung, Reichstagsbrand, Röhmputsch, Anschluss Österreichs, Reichskristallnacht, Kriegsausbruch, Bombenangriffe, Widerstand oder Kriegsende finden ihren Niederschlag. Doch auch der deutsche Alltag wird beleuchtet.
Insgesamt kommen dreiunddreißig Autoren zu Wort, darunter einige mehrmals (Theo Findahl, Jacob Kronika, Martha Dodd, René Juvet, William Shirer, Sven Hedin, Konrad Warner, Wiking Jerk). In einer ausführlichen Einleitung begründet der Herausgeber seine Auswahl, legt die editorischen Kriterien offen und skizziert das Deutschlandbild, das sich aus den einzelnen Texten ergibt. Diese Angaben werden durch die Einleitungen der Texte und eine Abschlussbibliografie ergänzt.
Wachsende Befremdung
Lubrichs Auswahl beschränkt sich auf literarische Texte im weitesten Sinn. Wissenschaftliche Texte, journalistische Arbeiten oder pragmatische Reiseführer werden nicht berücksichtigt. Die Berichte sollten zeitnah, nicht rein fiktiv und möglichst bereits publiziert sein. Rein private oder ideologische Werke sollten ebenfalls nicht zu Wort kommen, wie auch die Shoah-Literatur, die eine eigene Gattung konstituiert, ausgelassen wird. Das klingt einleuchtend, und das Inhaltsverzeichnis glänzt mit erlauchten Namen: Christopher Isherwood, Georges Simenon, Jean-Paul Sartre, Max Frisch, Virginia Woolf, Thomas Wolfe, Albert Camus, Samuel Beckett, Jean Genet, Sven Hedin, Karen Blixen, Meinrad Inglin oder József Nyírö. Da nimmt der Leser die Namen, die allenfalls Spezialisten bekannt sind, gerne dazu – Maria Leitner, René Juvet, Howard Smith oder Theo Findahl –, zumal diese Autoren nicht die schlechtesten Beobachter sind.
Gattungsmäßig handelt es sich um höchst disparate Zeugnisse: Tagebücher, Briefe, Erinnerungen, Reportagen oder Mischformen. Die einzelnen Schriftsteller bedienen sich unterschiedlicher Aneignungsmittel, führen Interviews, lesen oder besuchen deutsche Autoren, verfolgen das kulturelle Leben (Kunstausstellungen, Theaterinszenierungen, Filme), hören den Reichsrundfunk und studieren die Presse, soweit sie der deutschen Sprache mächtig sind; dies ist nicht immer der Fall und müsste bei den jeweiligen Einschätzungen stärker berücksichtigt werden. Die Urteile über NS-Deutschland sind gemäß der politischen Orientierungen der Verfasser sympathisierend, kritisch oder neutral.
Je länger der Nationalsozialismus herrschte, umso befremdlicher wirkte er auf Ausländer. Wie mehrere Zeitzeugen berichten, kamen sie mit der Neugier von Ethnologen, die einen exotischen Volksstamm erforschen wollen, ins Land. Wenngleich die Reisenden kreuz und quer durch Deutschland fuhren, überwiegen Berichte aus der Hauptstadt. Die einzelnen Textproben sind, je nach Gattungsform, unterschiedlich lang.
Den Mörder wittern
Da es Lubrich um namhafte Autoren zu tun ist, muss er sich häufig mit Kurztexten begnügen, die wenig aussagekräftig sind. Dies gilt insbesondere für Sartre, Camus, Beckett und Genet, bei denen die Einleitung des Herausgebers länger ist als der Reiseeindruck selber, letztlich aber auch für Simenon, Virginia Woolf, Sven Hedin und Jacques Chardonne. Allerdings ist Simenons Begegnung mit Hitler im Fahrstuhl des Berliner Hotels Kaiserhof ein Höhepunkt der vorliegenden Sammlung, zumal der Belgier ihn später in einem Zeitungsbericht mit schriftstellerischer Intuition mit dem Massenmörder Peter Kürten verglich.
Der Buchtitel spricht korrekterweise von Reisen, nicht von Reiseberichten. Denn literarische Reiseberichte im Sinne einer strengen Gattungspoetik hat keiner der aufgenommenen Autoren verfasst. So schwankt auch der Grad der Literarizität oder Poetizität der einzelnen Stücke: Ihre Bedeutung resultiert eher aus der Persönlichkeit der Verfasser als aus ihrem Informationsgehalt. Der sorgfältig lektorierte Band bietet mancherlei Einsichten und macht Lust auf mehr, zumal einige Nationen (etwa Italien, Spanien, Finnland, die Niederlande) und bestimmte autorbedingte Textsorten (Erinnerungen von Diplomaten, Kulturfunktionären, alliierten Soldaten, die vor Kriegsende ins Land kamen, oder Kollaborateuren, die 1944 auf das Territorium des Reichs flüchteten) nicht berücksichtigt wurden, obwohl sie das Spektrum der Reiseeindrücke noch erheblich erweitert hätten. Die Galerie der Namen reicht dabei von André François-Poncet und Carl Jakob Burckhardt über Giaime Pintor, Pedro Llaín Entralgo und Arvi Kivimaa bis hin zu Hubert Renfro Knickerbocker, Janet Flanner, Saul Padover, Osmar White und Lev Kopelev.
FRANK-RUTGER HAUSMANN
OLIVER LUBRICH (Hrsg.): Reisen ins Reich 1933 bis 1945. Ausländische Autoren berichten aus Deutschland. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2004. 427 Seiten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2005

Wacher Blick der Gäste
Ausländische Autoren erleben Deutschland von 1933 bis 1945

Wir sind nicht die letzte Generation, die gerne wüßte, wie es denn in Nazideutschland eigentlich gewesen ist und wem man eher vertrauen darf: den unmittelbar in die Geschichte Verstrickten oder den distanzierteren Beobachtern, die von draußen kamen. Es war Montesquieu, der seine freundlichen Perser nach Paris auf Reisen schickte, um herauszufinden, wie die Franzosen wirklich lebten, und auch wir neigen aus guten Gründen dazu, den schärferen Augen der Außenseiter besonderen Glauben zu schenken. Durchaus nicht abwegig, zeitgenössische Berichte über "Reisen ins Reich 1933-1945" in einem besonderen Band zu sammeln und zu kommentieren, und ich rechne es dem Herausgeber Oliver Lubrich hoch an, daß er uns im Vorwort seine methodologischen Selbstzweifel nicht ganz verschweigt - wenn es nur die richtigen wären!

Lubrich hat Jacques Derrida und die Dekonstruktivisten studiert, zweifelt "genaugenommen" am dokumentarischen Wert der gesammelten Prosastücke und proklamiert frank und frei: "Jeder Text ist fiktional." Aber wozu dann das ganze Unternehmen? Alles nur luftige Geschichtchen, von denen die Geschichte (von deren Nichtfiktionalität wir uns ja leider alle, so oder so, überzeugt haben) ganz unberührt bleibt?

Zu unserem Glück - und zu unserem Vergnügen als neugierige Leserschaft - verfährt Lubrich in seiner Praxis ganz und gar nicht dogmatisch, korrigiert sich gleich selber, empfiehlt uns die ausgewählten Texte als "zeitnahe Konstruktionen" oder "authentische Repräsentationen" und überläßt es dann mehr oder minder uns, zwischen politischen Einsichten oder ihrem Gegenteil (wie in den Briefen der nordischen SS-Freiwilligen) zu unterscheiden. Hier kommen mehr als 35 Autoren, Schriftstellerinnen und Amateure zusammen, eine merkwürdige, wunderbare und gelegentlich auch skurrile Schar, darunter Martha Dodd, die gescheite Tochter eines amerikanischen Botschafters in Berlin (später als entlarvte Sowjetspionin in Havanna und lange in Prag lebend), Heinrich Hauser, bald rechts, bald links, oder der schreibende Landstreicher Jean Genet, der gesteht, in Deutschland nur ungern gestohlen zu haben, weil er dort, unter einem "Volk von Dieben" lebend, nicht konform gehen wollte. Die französischen Existentialisten, die es damals noch nicht gewesen sind, haben weniger zu sagen. Jean-Paul Sartre, in jenen Tagen ein philosophierender Stipendiat, bedenkt eine bayrische Trachtenkapelle, und Albert Camus, quer durch Europa reisend, rühmt die Schönheit der mährischen Pflaumenbäume.

Leider entzieht sich, wie es gar nicht anders sein kann, eine ganze Klasse von (zumindest) Möchtegernreisenden der Aufmerksamkeit des Herausgebers, und das sind die im Dritten Reich "total eingesetzten" Arbeiter, wie Ludvik Kundera (ein Cousin Milans), der in Potsdam Deutsch lernte, um später deutsche Lyrik zu übersetzen, oder ich, der als Student ohne Universität für drei Monate 1941 in einem Berliner Großbetrieb festgefahren war und in der Kantine immer mit den persischen Ingenieuren über die tägliche "Zitterspeise" lachte. Die Perser (meine wirklichen, nicht die Montesquieus) glaubten, die Mehrzahl der Deutschen heiße Herr oder Frau Mahlzeit, weil man ihnen dieses Wort jeden Tag über die Tische zurief.

In Lubrichs Sammlung hören wir Belgier, Ungarn und Chinesen und, vor allen anderen, Skandinavier, Schweizer und Amerikaner, die sich nach 1933 durch Deutschland bewegten oder dort arbeiteten. Die Skandinavier waren auf beiden Seiten zu finden. Der schwedische Dichter Gunnar Ekelöf schrieb im Dezember 1933 nach Hause, Deutschland sei "innerlich krank, ein unbefriedigter, zerbrochener Sadist, der um sich schlägt und die Zweifel mit Selbstverherrlichung betäubt". Er schweigt über seinen Landsmann Sven Hedin, der sich in Karinhall und von Hitler bewirten läßt, und ahnt noch nichts von den schwedischen SS-Freiwilligen, die bis zum letzten Augenblick ausharren, wie Wiking Jerk, der den Leichnam des Propagandaministers von einem Galgen vor der Reichskanzlei baumeln sieht und die lachenden Rotarmisten dabei. Ich lese die Reportagen der Dänin Karen Blixen (Isak Dinesen) mit besonderer Aufmerksamkeit, denn sie genießt ihre Privilegien, einschließlich der Gemächer im Hotel Adlon, ohne das geringste an Urteilskraft einzubüßen. Im NS-Frauenbund sitzt sie mit Hausfrauen zusammen, die "etwas merkwürdig Kindliches in ihrem Blick hatten", begreift in Babelsberg die Propagandamission des deutschen Films und sieht genau, daß das Blut-und-Boden-Bildnis des Volkes, Schwert und Pflug und volle Mutterbrust, gar nicht dem Volke entstammt, sondern dem "Wunsch und den Träumen der Mittelklasse".

Die vielen Schweizer sind zurückhaltend in ihrer Diagnose, und ich muß gestehen, daß ich den Schriftsteller Meinrad Inglin mit mehr Zustimmung lese als den jungen Max Frisch, der im Stuttgarter Schloßpark versucht, wie Rilke zu schreiben, "ein dunkelgrüner Teich, darin die Schwäne schwimmen, und im weißen Wasser spiegeln ihre Hälse wie lange, gerade und weiße Kerzen". Meinrad Inglin wehrt sich allergisch und mit steigendem Fieber gegen das Nebelland, wo ihn die Fremdenpolizei schikaniert, und fragt fünf Jahre vor Kriegsende, wer einmal über dieses Volk zu Gericht sitzen wird und wie: "Die Einsichtigen und Widerstrebenden mußten schweigen oder verderben, die anfänglich Schwankenden wurden mitgerissen." Die amerikanischen Starreporter, die bis Dezember 1941 in Berlin arbeiteten und später allesamt Bestseller über ihre deutschen Tage publizierten, verloren nie das ausgeprägte Bewußtsein, zu ihrer ganzen transatlantischen Gesellschaft zu sprechen. Oliver Lubrich hat zwar William Shirer ("Chicago Tribune") einiges am Zeug zu flicken - Shirer hatte die Neigung, auf die Goebbelssche Propaganda selbst mit Kollektivbegriffen vom deutschen Volke zu antworten -, aber ich lese auch, wie genau Shirer über die Berliner Bevölkerung berichtete, als ob sie im Augenblick des Polenfeldzugs wahrhaftig mit "tödlichem Ernst gegen den Krieg" gewesen wäre.

Howard Smith, zwei Jahre lang in Diensten der "New York Times", ist zweifelsohne der analytischere Kopf, und aus seinem Bericht über die Stimmungsumschwünge der deutschen Bevölkerung, auf und ab und ab und auf, dürften die Historiker lernen und nicht weniger aus seinem Bericht über eine Gala-Pressekonferenz im Oktober 1941, bei der sich die Kriegspropaganda selbst torpedierte, weil eine versteckte Nachricht zugleich meldete, die Stadt Rostow sei wieder von sowjetischen Truppen eingenommen worden: der Beginn der ersten russischen Gegenoffensive.

Oliver Lubrich hat Zeugnisse und Berichte mit kritischem Spürgeist gesammelt und entdeckt, und ich stelle seinen Band gleich unter jene, die ich bestimmt wiederlesen werde. Man grüßt alte Bekannte wie Christopher Isherwood, auf dem Weg zurück ins kriegerische England, aber die Mehrzahl der Texte ist zum ersten Male ins Deutsche übersetzt, auch Thomas Wolfes Novelle "Nun will ich Ihnen was sagen", in welcher er seinen Sympathien für das teutonische Deutschland entsagt, und die Auszüge aus Becketts "Deutschen Tagebüchern", hier zum ersten Male überhaupt publiziert, in denen wir lesen, was Beckett über die neue Volkskunst zu sagen hat - "jetzt werde ich bald zu kotzen beginnen". Das erstaunlichste ist die entsetzliche Gleichzeitigkeit: In der Berliner Jockey Bar spielt man "amerikanische Tanzmusik" für die Gäste, bei Aschinger kann man ein markenfreies "Stammgericht" bestellen, und der Schweizer Konrad Warner berichtet im Herbst 1943, was er über die Massenhinrichtungen und den Gastod der Juden erfährt. Er hat genauer hingehört als andere.

PETER DEMETZ

Oliver Lubrich (Hrsg.): "Reisen ins Reich 1933-1945". Ausländische Autoren berichten aus Deutschland. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2004. 427 S., geb., 30,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr