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Eine deutsch-deutsche Karriere: Vom verurteilten Republikflüchtling zum erfolgreichsten Fluchthelfer und verhaßten Staatsfeind Nummer 1. Die Lebensgeschichte von Wolfgang Welsch ist der authentische, ungemein dicht und packend geschriebebne Bericht eines Mannes, der auf der Todesliste der DDR-Staatssicherheit ganz oben stand - und überlebte.

Produktbeschreibung
Eine deutsch-deutsche Karriere: Vom verurteilten Republikflüchtling zum erfolgreichsten Fluchthelfer und verhaßten Staatsfeind Nummer 1. Die Lebensgeschichte von Wolfgang Welsch ist der authentische, ungemein dicht und packend geschriebebne Bericht eines Mannes, der auf der Todesliste der DDR-Staatssicherheit ganz oben stand - und überlebte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.05.2001

Mit Glaubwürdigkeitsproblemen
Der gelernte Schauspieler als Selbstdarsteller

Wolfgang Welsch: Ich war Staatsfeind Nr. 1. Als Fluchthelfer auf der Todesliste der Stasi. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2001. 445 Seiten, 49,80 Mark.

An Staatsfeinden fehlte es der DDR nicht. Zu den Feinden, die vom dortigen Regime mit besonderer Brutalität und Konsequenz verfolgt wurden, zählten die Fluchthelfer, vor allem die professionellen - im Stasi-Jargon: "Kriminelle Menschenhändlerbanden" (KMHB). Wolfgang Welsch und seine Helfer haben in den siebziger und Anfang der achtziger Jahre nach eigenen Angaben fast zweihundert Deutschen aus der DDR zur Flucht in den Westen verholfen. Dabei verwahrt er sich gegen die Unterstellung, Fluchthilfe sei für ihn ein Geschäft gewesen. Er habe nur aus patriotischen Motiven gehandelt.

Immerhin hat sich Welschs Lebensstandard in dieser Zeit deutlich gebessert. Entsprechend war die Reaktion des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS): Auf Welsch wurden in den Jahren 1979 bis 1981 drei Mordanschläge verübt, die auf das Konto der Staatssicherheit gehen und von denen vor allem der dritte - eine Vergiftung mittels Thallium - Welsch und seine Familie beinahe das Leben gekostet hätte. Der Haupttäter wurde wegen dieses Mordversuchs nach der Wende zu sechseinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Dies und manche Einzelheiten der Fluchthilfe-Aktionen schildert Welsch ausführlich. Die Sympathien des Lesers sind dabei im allgemeinen auf seiner Seite, weil die Flucht aus dem kommunistischen Zwangsstaat und deren Unterstützung natürlich im Westen Deutschlands nicht strafbar waren und als Reaktion auf den Mauerbau von 1961 damals wie heute mit Recht als legitim, ja verständlich angesehen wurde und wird.

Wenn man das Buch dennoch mit gemischten Gefühlen liest, so liegt das zum einen an dem Umgang des Autors mit manchen nicht unwichtigen Details, die oft so nicht stimmen oder jedenfalls sehr unwahrscheinlich sind. Zum anderen liegt es aber an seiner als peinlich zu bezeichnenden Selbstgefälligkeit. Vor seinem Engagement als Fluchthelfer hat Welsch insgesamt sechs Jahre und acht Monate in der DDR in Untersuchungs- und Strafhaft verbracht, bis er im März 1971 in den Westen Deutschlands entlassen wurde. Dieser Haftzeit lagen drei Verurteilungen zugrunde. Die erste betraf einen Fluchtversuch im Mai 1964 mit Hilfe eines auf seine Person ausgestellten, nicht gefälschten westdeutschen Personalausweises, den der damals 20jährige bekennende Antikommunist Welsch vor dem Mauerbau bei einem Aufenthalt in Westdeutschland erhalten haben will. Warum er damals in die DDR zurückgegangen ist, wüßte man schon gern.

Seine zweite Verurteilung erfolgte im April 1966, noch in der Haft, unter anderem wegen "staatsgefährdender Hetze" und "Verbindungsaufnahme zu verbrecherischen Organisationen". Er hatte versucht, Kassiber aus dem Gefängnis zu schmuggeln. In dieser Zeit habe ihn vor allem die Aussicht auf Freikauf aufrechterhalten. Um so mehr erstaunt, daß Welsch sich im September 1967, als die Entlassung in den Westen tatsächlich möglich wurde, für einen Verbleib in der DDR entschied. Warum? Er habe, so erzählt der gelernte Schauspieler jetzt, beschlossen, in der DDR weiterhin Widerstand zu leisten. In einem noch zu drehenden Dokumentarfilm wollte er die Verletzung des Potsdamer Abkommens durch den SED-Staat anprangern. Durfte ein Mann mit seinen Erfahrungen wirklich so naiv sein? Tatsächlich wurde Welsch nur zwei Monate später erneut verhaftet und diesmal zu fünf Jahren Freiheitsstrafe wegen staatsgefährdender Hetze durch Vorbereitung eines "hetzerischen Films" verurteilt. Was seine "wirklichen Aktivitäten" waren, die angeblich nicht entdeckt wurden, bleibt unklar.

Welsch wurde 1971 erneut entlassen - dieses Mal mit seinem Einverständnis in den Westen. Seine in der Bundesrepublik im Fernsehen und in Seminaren vorgetragenen Hafterlebnisse wurden von Fachleuten mit Skepsis aufgenommen. Walter Rosenthal vom Gesamtdeutschen Institut hielt Welschs Schilderungen zumindest für maßlos übertrieben und machte seine Bedenken aktenkundig. Rosenthal - und nicht der Präsident des Instituts, wie Welsch meint - war es auch, der die von Welsch behaupteten "Tigerzellen" in der Haftanstalt Brandenburg (nicht in anderen Gefängnissen) bezweifelte. Das kann einem Vorgang im Bundesarchiv entnommen werden.

Welsch gefällt sich in der Rolle des einsamen Kämpfers gegen den Kommunismus und gegen alle Behörden, die ihn dabei nach seinem Eindruck nicht genug unterstützten. Dazu zählen das Auswärtige Amt, aber auch Institutionen der Strafverfolgung, überhaupt alle Juristen, die er für "die pure Pest" hält. Noch schlimmer ist sein Urteil über seine Familie. Seine Frau habe ihn "verraten", als er sie zusammen mit der kleinen Tochter auf eine Kurierfahrt nach Sofia schickte, um gefälschte Pässe zu überbringen. Sie wurde vom bulgarischen Sicherheitsdienst festgenommen. Daß er selbst dabei unverantwortlich gehandelt haben könnte, kommt ihm nicht in den Sinn.

Seine Tochter stellte er zur Rede, warum sie nicht den Liebhaber ihrer Mutter am Betreten des Hauses gehindert habe. Sein Bruder "hatte sich früh mit der Diktatur arrangiert . . . wie schon unser Vater." Dem Vater macht er zum Vorwurf, er sei im "Unternehmen Barbarossa" 1941 bis kurz vor Moskau mitmarschiert. Kritik habe der Vater nicht ertragen; nur seine Meinung sei die richtige gewesen. Der Leser hat den Eindruck, das könnte in dieser Familie erblich sein.

Fazit: Welsch legt einen spannenden Politkrimi vor, der Einblicke in die Arbeitsweise der Fluchthelfer und des MfS, aber auch in den Charakter des Autors bietet. Der zeitgeschichtlich interessierte Leser sollte sich allerdings auf Einzelheiten der Darstellung nur dann verlassen, wenn sie durch andere Quellen bestätigt werden.

DETLEF KÜHN

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.05.2001

Die Buletten-Mörder
Mehrfach versuchte die Stasi, einen Fluchthelfer umzubringen, weil dieser rund 200 DDR-Bürger in den Westen schleuste
WOLFGANG WELSCH: Ich war Staatsfeind Nr. 1; Als Fluchthelfer auf der Todesliste der Stasi, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2001. 446 Seiten, 49,80 Mark.
„Ich werde Buletten machen, mit Salat', ruft Peter Haack seinem Freund Wolfgang Welsch hinterher, als sich dieser mit Frau und Kind in die Fluten des Roten Meeres stürzt, um sich von der brüllenden Hitze des Sinai abzukühlen. Man ist unterwegs auf einer Campingtour im südlichen Israel und hat in der Nähe von Eilat einen Rastplatz aufgetan, wo gepicknickt werden soll. Wenig später sitzen Haack, die Welschs und eine mitreisende Amerikanerin zusammen und verzehren Haacks Buletten. Auch zwei deutsche Motorradtouristen, die gerade auf der Durchreise nach Ägypten sind, lassen sich von dem leckeren Bratenduft anlocken und essen den gesamten Rest der Schüssel leer.
Was auf den ersten Blick wie ein harmloses Camperidyll fernab der Heimat wirkt, war in Wirklichkeit einer der perfidesten und raffiniertesten Mordanschläge der Stasi, der unter dem Stichwort „Bulettenmord' in das an Gewalt und Heimtücke wahrlich nicht arme Register der DDR- „Regierungskriminalität” eingegangen ist. Peter Haack alias „IM Alfons” hatte von seinem Ost-Berliner Führungsoffizier den Auftrag erhalten, sich dem bekannten Fluchthelfer Wolfgang Welsch freundschaftlich zu nähern, um ihn sodann unauffällig aus dem Weg zu räumen. Weil zwei vorherige Mordanschläge auf Welsch bereits gescheitert waren, wollte das MfS dieses Mal auf Nummer sicher gehen. Es fasste den Plan, Welsch mit Thallium – einem geruch- und geschmacklose Rattengift, das sich im Körper kaum nachweisen lässt – zu vergiften. Wie durch ein Wunder überlebten Welsch und dessen Familie den Anschlag; was aus den beiden Motorradfahrern wurde, ist bis heute ungeklärt.
Gefährliche Gegner
Dass der SED-Staat mitunter derart erbarmungslos gegen seine Gegner vorging, hing wohl auch mit der Ahnung der Partei- und Staatsführung zusammen, dass man sich seine gefährlichsten Gegner selbst herangezüchtet hatte. Am Beispiel des Lebensweges von Wolfgang Welsch lässt sich im Detail nachvollziehen, wie diese Produktion von „Staatsfeinden” konkret aussah: Als junger Mann, der sich in der Enge der hermetisch abgeriegelten DDR zwar unwohl fühlt, dessen Widerspruchpotential aber noch kaum ausgereift ist, wird Welsch bei einem Fluchtversuch festgenommen. Es folgen ein Geheimprozess und drei lange Haftjahre in Berlin-Rummelsburg und Bautzen. Als sich Rechtsanwalt Wolfgang Vogel für ihn einsetzt, erhält er die Möglichkeit, aus der Haft heraus in die Bundesrepublik auszureisen. Welsch schlägt das Angebot jedoch aus, weil sich sein zunächst nur diffuser Hass auf die DDR in der Haft zu einem radikalen Widerstandswillen verfestigt hat.
Zusammen mit Freunden beschließt er nach der Entlassung, einen geheimen Dokumentarfilm zu drehen, der sich mit der Situation politischer Häftlinge in der DDR beschäftigen soll. Das Projekt wird verraten, Welsch gerät erneut in Haft, wo eine Scheinhinrichtung an ihm vollzogen wird. Als er 1971 von der Brandt-Regierung freigekauft wird, verlässt er die DDR als äußerlich gebrochener Mann. Innerlich fühlt er sich hingegen gestärkt, hat ihn doch die Hafterfahrung trotz seelischer Verletzungen in seiner Überzeugung bekräftigt, der Einparteiendiktatur empfindlich zu schaden.
Von seinem Freund Dieter Voigt, einem ehemaligen Mithäftling, wird Welsch gefragt, ob er sich an einer Fluchthilfeaktion beteiligen wolle. Als ehemaliger „Republikflüchtling” ergreift Welsch die Chance und baut in den folgenden Jahren neben seinem Soziologiestudium das „Otto-Institut” Gießen, eine der effizientesten bundesdeutschen Fluchthelferorganisationen auf. In den folgenden Jahrzehnten gelingt es ihm, an die 200 Ausreisewillige aus der DDR herauszuschleusen. Mit seinem humanitären Idealismus und seiner kompromisslosen Ablehnung des ostdeutschen Realsozialismus macht sich Welsch auf beiden Seiten des „Eisernen Vorhangs” viele Feinde: Während die DDR- Staatssicherheit im Juli 1974 den Vorgang „Operation Skorpion” anlegt, der auf eine Bekämpfung der „Kriminellen Menschenhändlerbande Welsch” abzielt, beäugen bundesdeutsche Politik und Medien das Treiben der zahllosen Fluchthelferorganisationen, die im Gegensatz zu Welsch überwiegend kommerzielle Absichten verfolgen, mit zunehmendem Mißtrauen.
Dass dabei auch politischer Opportunismus im Spiel ist, wird Welsch spätestens im Jahre 1976 klar, als seine Frau während einer Fluchthilfeaktion in Bulgarien von einem MfS-Spitzel verraten wird und sich in die US- amerikanische Botschaft flüchten muss: Der bundesdeutsche Botschafter Fritz Menne hatte es abgelehnt, sie vor dem Zugriff des bulgarischen Geheimdienstes zu schützen.
Die notorische Unfähigkeit bundesdeutscher Behörden und Meinungsmacher, zwischen den oftmals kriminellen Machenschaften kommerzieller Fluchthilfeunternehmen und dem politisch legitimen Widerstand nichtkommerzieller Organisationen zu unterscheiden, wirkte noch bis in die neunziger Jahre nach, weil nach dem Mauerfall kaum jemand die in den MfS-Akten dokumentierten Mordpläne glauben wollte. Die Nichtanerkennung seiner gegen die „friedliche Koexistenz” gerichteten Widerstandsaktionen führte dazu, dass sich Welsch zunehmend isolierte und radikalisierte.
Sein latentes Gefühl einer doppelten Ausgrenzung drückt sich etwa darin aus, dass er bei der Beschreibung des DDR-Haftalltags immer wieder oberflächliche Analogien zur NS-Vergangenheit einflicht, wodurch er diese letztlich relativiert. Damit reagiert er ähnlich wie viele andere SED-Opfer, die zwar Gleichstellung gegenüber den NS-Opfern einfordern, diese Gleichstellung aber durch bewussten oder unbewussten Tabubruch selbst verhindern. Auch verweigert sich Welsch nach wie vor der Einsicht, dass die Entspannungspolitik gerade auf humanitärem Gebiet eine Vielzahl von Erleichterungen brachte, die seinen eingesperrten Landsleuten direkt zugute kamen. Dennoch können aber sein überwiegend klarer politischer Instinkt und seine unter höchstem Risiko erbrachten Leistungen für den Niedergang des SED- Regimes gar nicht hoch genug bewertet werden.
Insbesondere der Vergleich mit vielen anderen DDR-Oppositionellen, die bis zum Schluss an eine Reformierbarkeit ihres Staates glaubten, lässt sein politisches Urteilsvermögen in Bezug auf die DDR umso positiver hervortreten. Insofern ist es beschämend, dass Welschs Name in wissenschaftlichen Standardwerken zur DDR-Opposition nicht auftaucht. Hier besteht zweifelsohne Nachholbedarf, und der geplante Gedenkmarathon zum 40. Jahrestag des Mauerbaus wäre sicherlich ein guter Anlass, den aktiven politischen Widerstand durch Fluchthilfe vermehrt zu würdigen.
ANNETTE WEINKE
Die Rezensentin ist Historikerin an der Universität Potsdam.
Wolfgang Welsch und seine Familie überleben mehrere Mordanschläge der Stasi. Trotzdem verweigert der Fluchthelfer den Freikauf durch Bonn.
Foto: SZ-Archiv
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gut, die Rezensentin ist Historikerin, aber etwas mehr zur Art und Weise der Präsentation dieses Lebensweges, an dem sich ihrer Meinung nach im Detail nachvollziehen lässt, wie der SED-Staat sich seine Gegner selbst heranzüchtete, hätten wir von Annette Weinke doch wohl erwarten dürfen. Die Entwicklung des Republikflüchtlings Welsch zum Leiter einer der effizientesten bundesdeutschen Fluchthelferorganisationen und damit zum Staatsfeind Nr. 1 der DDR in Ehren, aber das geben die 450 Seiten des Bandes ja hoffentlich glänzender wieder als ein paar Zeitungsspalten. Informationen darüber, wie sich des Autors "latentes Gefühl einer doppelten Ausgrenzung" im Text niederschlägt (durch Vergleiche des DDR-Haftalltags mit der NS-Vergangenheit), darüber auch, was der Mann bis heute von der Entspannungspolitik hält (ganz wenig), sind dagegen Gold wert.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Sein Leben hat der Schauspieler, Lyriker, Fluchthelfer und Kleinverleger Welsch jetzt so hautnah nacherzählt, daß der Leser eines der finstersten Kapitel des Kalten Krieges in Deutschland nacherleben kann.« Stern