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Ausgehend von der Diskussion um die Bildung in einer globalisierten Welt untersucht der bedeutende italienische Kunsthistoriker Salvatore Settis den Begriff des "Klassischen" in doppelter Hinsicht: mit Blick auf das "ewig Klassische", aber auch auf die "Klassik" der Antike.

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Produktbeschreibung
Ausgehend von der Diskussion um die Bildung in einer globalisierten Welt untersucht der bedeutende italienische Kunsthistoriker Salvatore Settis den Begriff des "Klassischen" in doppelter Hinsicht: mit Blick auf das "ewig Klassische", aber auch auf die "Klassik" der Antike.
Autorenporträt
Salvatore Settis wurde 1941 in Rosario / Kalabrien geboren. Von 1994 bis 1999 leitete er das Getty Research Institute for the History of Art in Los Angeles. Danach lehrte er an der Scuola Normale Superiore in Pisa klassische Archäologie. Von 1999 bis 2010 war er Direktor dieser Universität.

Friederike Hausmann, geboren 1945, Studium der Geschichte und Altphilologie in Berlin. Nach Promotion tätig als Lehrerin. Nach langjährigem Aufenthalt in Italien lebt sie heute als Autorin und Übersetzerin in München. Als Italien-Expertin schreibt sie für den Rundfunk sowie überregionale Tages- und Wochenzeitungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.2005

Eltern haften für unsere Griechen

Von etwas zu sagen, es sei "klassisch", kann verschiedenes bedeuten. Ursprünglich bezeichnete "classicus" einen römischen Bürger, der dem Spitzensteuersatz unterlag. Ein klassischer Schriftsteller war also einer, der für Gutverdiener schrieb. "Non proletarius", nichts für die Menge, nannte Aurelius Gallius diese Sorte Literatur. Seitdem sind andere Unterscheidungen hinzugekommen: Klassisch im Unterschied zu romantisch, im Unterschiede zu modern, im Unterschied zu zeitbedingt, oder im Unterschied zu christlich und archaisch. Zu christlich oder archaisch? Durchaus: Denn wovon grenzt sich die Bezeichnung "klassische Antike" ab, wenn nicht von der unklassischen Antike - also vom primitiven Altertum zum einen, dem jüdisch-christlichen der Spätantike zum anderen?

Seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts verliert die so verstandene klassische Antike an Bedeutung für das Bildungsbewußtsein. In den Lehrplänen wird auf die Geschichte Griechenlands und Roms immer weniger Zeit verwandt. Senecas Tragödien, die griechische Plastik oder die antiken Versmaße gehören in den Künsten so wenig mehr zum fraglos Vorausgesetzten wie Aristoteles oder Lukrez in den Geisteswissenschaften. Hieß der Philosoph Chrysipp oder Lysipp? Und wofür stand Perikles? Auch wenn gerade die Nachfrage nach Lateinlehrern zunimmt, dann geschieht das nicht, weil das Altertum an neuerlicher normativer Kraft gewonnen hätte, sondern weil Eltern Schulen vorziehen, die im Ruf stehen, Wert auf Anstrengung zu legen.

Tatsachen wie diese werde nie ohne den Ausdruck des Bedauerns mitgeteilt. Aber ist es ein aufrichtiges Bedauern? Sähen sich die Klagenden imstande, ihrer Klage über das Hinschwinden der klassischen Bildung auch noch hinzuzufügen, worin der Verpflichtungsgehalt dieser Tradition besteht? Der italienische Kunsthistoriker und Archäologe Salvatore Settis hegt den Verdacht, daß die Beschwörung der Antike als Quellgrund des Abendlandes und ihre Feier als klassischer Epoche mit der zunehmenden Unkenntnis dieser Zeit und ihrer Überlieferung einhergeht ("Die Zukunft des ,Klassischen'". Eine Idee im Wandel der Zeiten. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2005. 109 S., geb., 19,50 [Euro]). Je weniger die Griechen und Römer gekannt würden, desto entschiedener werde ihnen eine universalgeschichtliche Bedeutung als Maßstab und Herkunft unserer Zivilisation zugemessen. Im Begriff des Klassischen - Settis hält es für notwendig, ihn und Varianten wie "Klassik" oder "Klassizismus" etwa vierhundertmal in Anführungszeichen zu setzen - verdichtet sich für den Autor diese Scheinheiligung der Antike. Denn eine bestimmte Periode der alten Welt als klassisch zu bezeichnen, erscheint Settis heute nur noch möglich, wenn man wenig von ihr weiß.

Vergangenen Epochen macht Settis aus dieser Verbindung von selektiver Kenntnis und Höchstschätzung keinen Vorwurf. In gedankenreichen Skizzen schildert er, was alles an der Antike schon einmal für maßgebend gehalten wurde. Die anhaltende Faszination durch antike Ruinen, der dorische Stil des Ornamentenhassers Adolf Loos, Rilkes und Ernst Buschors Verehrung der Torsi anstatt der kompletten Körper und Picassos archaische Griechen werden herbeizitiert. Nachgezeichnet wird auch, wie die Frage nach dem Verhältnis der griechischen zu den römischern Kulturleistungen jahrhundertelang die ästhetische wie ethische Normbildung angeregt hat. Vor allem aber werden die großen Renaissancen der Antike, um 1500 und, ausgelöst durch Winckelmann, um 1800 beleuchtet. Was Settis an ihnen hervorhebt, ist ihre Fähigkeit, die Begeisterung durch Antikes in einem ganzen Wirklichkeitsentwurf, einer Ästhetik oder einer Geschichtsphilosophie zu begründen. Die Armseligkeit unserer Zeit gegenüber der Tradition liegt demgegenüber in einer bloß beschwörenden Geste. Das heißt: Auch Winckelmann täuschte sich, vom Standpunkt historischer Forschung aus betrachtet, über die Griechen. Aber seine Täuschungen waren gut begründet, sie dokumentierten eine Erfahrung, und sie geben darum etwas zu denken. Das Lob der abendländischen Wurzeln der Europäischen Union in Athen und Rom hingegen ist gedankenlos und kenntnisarm.

Wie ist es dazu gekommen? Im neunzehnten Jahrhundert trennte sich die antiquarisch-forschende von der ästhetischen Praxis, die bis zu Winckelmann noch eins waren. Die Künste bemühten sich nicht mehr um eine Wiederaneignung der Antike. Die Philologen ihrerseits finden immer mehr über die tatsächlichen Griechen und Römer heraus und treffen damit auch auf immer mehr Grenzen der Aneignung des Vergangenen. Allmählich wechselt das Interesse: Die Alten beeindrucken nicht mehr durch Vorbildlichkeit, sondern durch Fremdheit.

In groben Zügen entwirft Settis, was es unter diesen Umständen lohnend macht, auch heute noch alte Geschichte zu studieren: um Motive und Rezeptionslinien der europäischen Kulturhistorie zu verstehen, um einen Fall regionaler Zivilisationsentwicklung kennenzulernen, und schließlich auch, um den Vergleich mit anderen Hochkulturen vorzubereiten Diese Vorschläge beantworten allerdings die Frage, mit der Settis begann, nicht ganz. Denn sie liefern zwar Gründe für ein wissenschaftliches Studium der Antike. Wer also erwägt, sich der Altphilologie oder der Archäologie zu widmen, für den ist dieser Essay eine glänzende Handreichung. Die Bedeutung der Antike für den Bildungshorizont der Gegenwart wird damit aber nicht erklärt. Daß es sich auch für jene, die Thukydides und Ovid nicht studieren wollen, lohnen würde, sie zu lesen - den Nachweis also einer "Zukunft des Klassischen" außerhalb des akademischen Hains führt Settis nicht. Der schwierigere Teil seiner Aufgabe liegt also noch vor ihm.

JÜRGEN KAUBE

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.08.2005

Das geschlossene Ganze in Gänsefüßchen
Der Kunsthistoriker Salvatore Settis hat Angst, dass die Antike im Klassischen erstarrt, wenn keiner sie mehr genau kennt
So viel steht fest: Wer seinen Gegenstand in einem hundertseitigen Essay unablässig in Gänsefüßchen setzt, der hat ein Problem, scheint er doch selbst nicht mit festen Beinen auf dem Boden zu stehen. So geht es dem italienischen Archäologen und Kunsthistoriker Salvatore Settis mit dem Konzept des „Klassischen”. Zu wankend, zu wandelbar ist ihm die Grundlage, auf der zu stehen das Abendland entweder sich brüstet oder vergessen hat - zu unsicher, um noch eine verlässliche Entsprechung des Begriffs mit seinem Inhalt gewährleisten zu können. Die griechische und römische Antike, so Settis’ Sorge, droht durch eine Mischung von grundsätzlicher Bekanntheit und fortschreitender konkreter Unbekanntheit (wieder) klassischer gemacht zu werden, als sie es eigentlich war.
Es werde zunehmend „leichter, ungestraft das Stereotyp des ,klassischen‘ Altertums als Wiege und Autorisierung des Abendlands herunterzubeten, da die Zahl derer, die aus echter Kenntnis diese Behauptung in Zweifel ziehen könnten, drastisch abnimmt”. Während die verbleibenden Spezialisten, die Philologen, Historiker und Archäologen, in ihren genauen Forschungen immer mehr auf das blicken, was nicht zur klassizistischen Norm passt, während sie kulturvergleichend oder mediengeschichtlich arbeiten und beispielsweise geographische und zeitliche Ränder der Epoche untersuchen, passiert laut Settis in der allgemeineren Öffentlichkeit das Gegenteil: Die Antike erstarrt zu einem statischen Urgrund der europäischen Kultur und ihres Wertesystems, ohne auf ihre anregenden Widersprüche hin befragt zu werden. Noch zu wenig fremd, zu sehr als „geschlossenes Ganzes” werde das Altertum dargestellt, findet Settis, der einige Zeit das Getty Research Center für Kunstgeschichte geleitet hat und jetzt der Scuola Normale Superiore in Pisa vorsteht.
Das Büchlein, dass sich diesen Befürchtungen verdankt, ist skizzenhaft geschrieben und enthält eine ganze Reihe erhellender Miniaturen über Griechenkult, Wiedergeburtsideen und Ruinenseligkeit. Fruchtbar ist etwa, wie Settis in wenigen Strichen auf das Problem des Klassischen innerhalb der Antike selbst hinweist: Die Rede vom klassischen Altertum wird in Abgrenzung von Mittelalter und Neuzeit schnell zu dem, was man „Bindestrich-Antike” genannt hat; andererseits aber wird mit der Epochenbezeichnung der „klassischen” Zeit gearbeitet, etwa in Abgrenzung von der „archaischen” und „hellenistischen” Periode innerhalb der griechischen Geschichte. Die Renaissancen, Klassizismen und Nostalgien in der eigenen Mentalitätsgeschichte der Antike sind in der Tat ein schönes, zu selten verwendetes Mittel zur Behandlung der genannten rückblickenden Erstarrung; beispielsweise beginnt man schon Ende des fünften vorchristlichen Jahrhunderts in Athen, Aischylos’ Tragödien als Klassiker aufzuführen, während zuvor im Rahmen des Dionysosfestes nur Uraufführungen stattfanden.
Settis zitiert hier Aristoteles, der in der „Metaphysik” schreibt, es sei „wahrscheinlich, dass jede Kunst und jede Philosophie viele Male erfunden und zur höchsten Entwicklung geführt wurde, um sich dann wieder zu verlieren”.
Im Laufe der teils durchaus kurzweiligen Lektüre, die von Winckelmann über Adolf Loos bis zu Manga-Comics reicht, beschleicht uns der Verdacht, dass auch Settis sich verliert. Und rennt er nicht längst offene Türen ein, wenn er fordert, das Anthropologische, das „Andere” sei in der Sicht der Antike stärker zu berücksichtigen? Und - was folgt denn nun für die Zukunft aus diesem Text, der sich nicht entscheiden kann, ob er eine Beschreibung oder eine Forderung sein will?
JOHAN SCHLOEMANN
SALVATORE SETTIS: Die Zukunft des „Klassischen”. Eine Idee im Wandel der Zeiten. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2005. 108 Seiten, 19,50 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Heinz Schlaffer kann sich mit Salvatore Settis' Schrift über "Die Zukunft des 'Klassischen'" nicht anfreunden. Obzwar er dem Autor zugesteht, dass sein schmaler Band einen kompakten Überblick über die wechselvolle und widersprüchliche Rezeptionsgeschichte des Klassik-Begriffs zu geben vermag, ist die Mängelliste ungleich länger. So renne Settis beispielweise offene Türen ein, indem er gegen eine unkritische Indienstnahme der Antike für die Gegenwart anschreibe und einen Begriff entmystifizieren will, der seinen Zauber ohnehin längst verloren habe. Zumindest in Deutschland, so Schlaffer, habe jegliche "normative Vorstellung vom Klassischen" schon seit einem halben Jahrhundert ausgedient. "Man darf sich von Settis' Essay weder neues Material noch neue Einsichten zum Nachleben der Antike in der Moderne erwarten", lautet dann auch das ungnädige Rezensentenurteil. Richtig schlimm aber werde es dort, wo sich der "Historiker" Settis zum "Prognostiker" aufschwingt und über unser zukünftiges Verhältnis zum 'Klassischen' orakelt. Hier "verzichtet er auf das zuverlässige Werkzeug seines gelehrten Metiers und überlässt sich den Tagesmeinungen seiner ungelehrten Zeitgenossen", schimpft Schlaffer.

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