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Der Makel scheint ihm auf die Stirn geschrieben, sein Schicksal unausweichlich. Doch Chanwaz, Sohn einer muslimischen Tänzerin und Prostituierten in Lahore, wird der bekannteste Maler Pakistans. 'Hira Mandi' erzählt diese ungeheuerliche - auf einem wahren Leben beruhende - Geschichte und die Biographie eines unruhigen Landes.

Produktbeschreibung
Der Makel scheint ihm auf die Stirn geschrieben, sein Schicksal unausweichlich. Doch Chanwaz, Sohn einer muslimischen Tänzerin und Prostituierten in Lahore, wird der bekannteste Maler Pakistans. 'Hira Mandi' erzählt diese ungeheuerliche - auf einem wahren Leben beruhende - Geschichte und die Biographie eines unruhigen Landes.
Autorenporträt
Claudine Le Tourneur d' Ison studierte Literatur, Ägyptologie und Kunst in Paris. Sie hat neben mehreren Büchern über Ägypten auch Biographien und Reiseberichte veröffentlicht. Als weltreisende Journalistin schreibt sie für zahlreiche französische Medien.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2006

Traurige Tablas
„Hira Mandi” – eine Malerkarriere / Von Florian Welle
Ein kleiner Junge, vier, fünf Jahre alt, zerrt am Hosenbein eines Mannes und schreit „Nein!” Die Mutter liegt auf dem Bett, ihr Sari ist zerrissen. Sie blutet. Schließlich lässt der Mann von ihr ab und verschwindet: „Ich mach dich fertig, du dreckige Hure!”
Der Roman „Hira Mandi” der Französin Claudine Le Tourneur d’Ison entfaltet sich aus dieser Urszene, bereits in ihr sind Sexualität, Gewalt und Einsamkeit unheilvoll verschränkt. Chanwaz, so heißt der Junge, wird nach dieser Nacht krank. Seine gerade mal zwanzigjährige Mutter Naseem pflegt ihn gesund. Zwei Tage und zwei Nächte hat er sie für sich ganz allein, dann nimmt sie wieder ihre nächtliche Arbeit auf. Und Chanwaz ist erneut allein. Als einige Monate später seine Schwester Laila geboren wird, kümmert sich schließlich niemand mehr um ihn. „In diesem Viertel, wo die Kinder keinen Vater hatten, träumten die Frauen davon, so viele Mädchen wie möglich zur Welt zu bringen, damit das Geschlecht der Tänzerinnen fortbestehen konnte. Während die Geburt eines Mädchens wie ein wahres Wunder gefeiert wurde, gab die eines Jungen nur Anlass zur Klage. Das wurde Chanwaz allmählich bewusst. Die völlige Gleichgültigkeit, mit der man ihn seitdem behandelte, verbitterte ihn.”
Das Viertel, von dem hier die Rede ist und das den pittoresken Schauplatz für das Romandebüt der Reisejournalistin Le Tourneur d’Ison abgibt, ist das Vergnügungsviertel der pakistanischen Stadt Lahore. „Paris des Ostens” wurde Lahore einst genannt, wegen seiner prachtvollen Bauten aus der Zeit der Mogule sowie der britischen Kolonialherrschaft; aber eben auch wegen seiner Salons, in denen verführerisch gewandete Frauen ihrem Geschäft nachgingen – nicht als Prostituierte, sondern als Künstlerinnen der Liebe, begleitet von den Tönen des Harmoniums und einer Tabla. Verheißungsvoll klingen bereits die Namen des Quartiers in den Ohren seiner Besucher: Hira Mandi, Markt der Diamanten, Bazaar-e-Husn, Bazar der Schönheit.
„Hira Mandi” erzählt die Lebensgeschichte Chanwaz’ von seiner Geburt 1936 bis in die Gegenwart, begleitet ihn im Kampf um einen, seinen Platz in der pakistanischen Gesellschaft. Als Mann ist Chanwaz ein Außenseiter in der weiblich dominierten Welt Hira Mandis; und als Sohn einer Kurtisane gilt er jenseits der Altstadt als ungebildete Persona non grata, mit der man nicht redet und der man auf gar keinen Fall eine Arbeit gibt.
Chanwaz Perspektive ist die Perspektivlosigkeit. Oder eine Karriere als Drogensüchtiger. Sein Freund Omar verfällt dem Opium. Chanwaz jedoch gelingt es, seinem Leben aus eigener Kraft einen Sinn zu geben. Er entdeckt sein Talent für die Malerei, seine Rettung. Zunächst gibt ihm das Malen Halt und Stabilität, schließlich verschafft es ihm wachsende Anerkennung. Er lernt erst lesen und schreiben, dann Englisch, trifft seinen Mentor, den berühmten Maler Khalil Iqbal, und veranstaltet eigene Ausstellungen. Das Sujet der meisten seiner Arbeiten: die Frauen seines Viertels, „ihr Leben, ihr Leiden”.
Diese Frauenbilder fordern den
islamischen Staat heraus
Le Tourneur d’Ison hat einen orientalischen Bildungsroman geschrieben. Er beruht auf Tatsachen. Chanwaz hat sein reales Vorbild in dem Maler Iqbal Hussain. Während ihrer Aufenthalte in Pakistan hat sie das Enfant terrible der dortigen Kunstszene kennengelernt. Iqbal, der in Interviews kein Blatt vor den Mund nimmt, egal ob er die Zerstörung der Bausubstanz Lahores anprangert oder die schlechte Ausbildung der Künstler, Iqbal forderte den islamischen Staat vor allem mit seinen Frauenbildern heraus. Er schuf Porträts, die das Selbstbewusstsein der Tänzerinnen ebenso einfangen wie ihre müde Traurigkeit, ihren körperlichen und seelischen Zerfall. Das Geschäft der käuflichen Liebe ist ein schonungsloses, die jugendliche Schönheit gibt den Marktwert vor. Und wo es einst um die Kunst der Verführung ging, geht es heute um käuflichen Sex. Der Verfall Hira Mandis geht Hand in Hand mit dem Verfall der Liebesdienste.
In der Verschränkung von Iqbals/Chanwaz’ Leben mit der politischen Geschichte des Staates Pakistan liegt die Stärke des Buches. Die große Geschichte hat immer auch Auswirkungen auf die Geschichte der Individuen, die Gründung der Islamischen Republik Pakistan 1947 ebenso wie die Abspaltung Ostpakistans 1971, die Hinrichtung des einstigen Staatschefs Zulfikar Ali Bhutto 1979 ebenso wie der Prozess der Islamisierung durch General Zia-ul-Haq in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. In der überzeugenden Skizzierung der Zeitgeschichte erkennt man die erfahrene Journalistin.
Le Tourneur d’Ison hat allerdings keine Biographie geschrieben, sondern einen Roman, der sich an die Realität anlehnt. Als Roman jedoch hat „Hira Mandi” eindeutig Schwächen. Die Französin hat nicht nur ganz auf Dialoge verzichtet, sondern ebenso auf innere Monologe. Sie verlässt sich ganz auf ihre auktoriale Erzählhaltung. Dieser mangelt es jedoch an sprachlicher Kraft. Ihr immer gleiches Vokabular zur Schilderung von Menschen und Orten ermüdet, das Fehlen der Innenperspektive lässt viele ihrer Figuren leblos und die genauen Beweggründe ihres Handelns unverständlich erscheinen. Man vermisst sprachliche Opulenz und psychologische Tiefe. Endgültig wird wohl das zweite Buch, in Frankreich für Oktober angekündigt, über die Qualitäten der Erzählerin Le Tourneur d’Ison entscheiden.
Claudine Le Tourneur d’Ison
Hira Mandi
Roman. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2006. 192 Seiten, 18,50 Euro.
Claudine Le Tourneur d’Ison
Foto: Wagenbach
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In journalistischer Hinsicht ist Claudine Le Tourneur d'Ison ihr "orientalischer Bildungsroman" gelungen, befindet der Rezensent Florian Welle. "Hira Mandi" ist die auf Tatsachen beruhende Geschichte des jungen Chanwaz (Vorbild ist der regierungskritische pakistanische Maler Iqbal Hussain), der im Vergnügungsviertel von Lahore als Sohn einer Kurtisane aufwächst und sowohl innerhalb und außerhalb seines Viertels völlig perspektivlos ist, bis er die Malerei entdeckt, mit der sich ihm allmählich die Welt der Kunst eröffnet. Le Tourneur d'Isons Stärke liegt in den Augen des Rezensenten in der Verquickung von Chanwaz' Leben mit der pakistanischen Geschichte und in ihren gelungenen zeitgeschichtliche Skizzen. In literarischer Hinsicht sieht der Rezensent allerdings erhebliche Schwächen. Die Autorin verzichte ganz auf Dialoge und innere Monologe, könne dies aber durch ihre an "sprachlicher Kraft" mangelnde auktoriale Erzählweise nicht wettmachen. Auch angesichts des eintönigen Vokabulars wünscht sich der Rezensent von ihr mehr "sprachliche Opulenz" und "psychologische Tiefe".

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