Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 70,00 €
  • Gebundenes Buch

Der Friedhof der technologischen Welt
Auf einer Müllkippe in Ghana leben Menschen auf dem Friedhof unserer technologischen Welt. Hier werden Millionen Tonnen ausrangierter Computer deponiert und teilweise verbrannt, um wiederverwertbare Rohstoffe zu gewinnen. Eine verseuchte Ödnis, die die Luft verpestet und das Grundwasser vergiftet. In seinem eindringlichen, faszinierenden Foto-Essay entlarvt Hugo die verdrängte Kehrseite unseres schnelllebigen Konsums und erzählt die Geschichte einer von Armut geprägten Gemeinschaft, von menschlicher Stärke und dem Überlebenswillen jedes Einzelnen.

Produktbeschreibung
Der Friedhof der technologischen Welt

Auf einer Müllkippe in Ghana leben Menschen auf dem Friedhof unserer technologischen Welt. Hier werden Millionen Tonnen ausrangierter Computer deponiert und teilweise verbrannt, um wiederverwertbare Rohstoffe zu gewinnen. Eine verseuchte Ödnis, die die Luft verpestet und das Grundwasser vergiftet. In seinem eindringlichen, faszinierenden Foto-Essay entlarvt Hugo die verdrängte Kehrseite unseres schnelllebigen Konsums und erzählt die Geschichte einer von Armut geprägten Gemeinschaft, von menschlicher Stärke und dem Überlebenswillen jedes Einzelnen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.02.2011

Für eine Handvoll Blei

Handys, Computer, Laptops: Was im Westen ausrangiert wird, landet zum Großteil in Ghana. Der Fotograf Pieter Hugo hat in einem erschreckenden Buch die Auswirkungen dokumentiert.

Glaubt man den älteren Bewohnern von Agbogbloshie, dann glich das Sumpfland ihrer Heimat noch vor gar nicht langer Zeit einem Idyll. Fischer fuhren mit ihren Booten auf dem blauschimmernden Odaw hinaus in die Korle-Lagune, in der sie täglich einen guten Fang machten. Und Hirten trieben ihre Kühe über die saftig-grünen Weiden zu beiden Seiten des Flusses. Glaubt man dem Fotografen Pieter Hugo, sind davon heute nur noch die Kühe geblieben. Auf seinen Bildern stehen sie bis über die Hufe in Plastikmüll und Asche. Hinter ihnen brennt die Erde, und schwarze Giftwolken steigen in einen grauen Himmel. Bei Pieter Hugo ist Agbogbloshie die gelebte Endzeitvision.

Apokalytische Szenarien wurden in der Kunst nicht erst mit den frühen Illustrationen des Johannes-Evangeliums populär, auffällig jedoch ist ihre Häufung in jüngster Zeit: von den düsteren Liedertexten Bruce Springsteens, in denen die Straßen von Toten gesäumt sind, und dem Roman "The Road" von Cormac McCarthy, in dem ein Vater mit seinem Sohn durch ein komplett zerstörtes Land vagabundiert, bis zum Science-Fiction-Film "I am Legend" um den vermeintlich letzten Überlebenden einer weltweiten Katastrophe, gespielt von Will Smith, oder den inszenierten Aufnahmen von Gregory Crewdson, für die der Kunstfotograf beklemmende Momente in totenstillen Städten erdacht hat, mit brennenden Häusern und überfluteten Straßen, schockierend allesamt - aber geprägt von der betörenden Schönheit des Surrealismus. All das mag man als Reaktionen auf den Terroranschlag des 11. September lesen oder auf die geschürten Ängste vor Massenvernichtungswaffen, auf die Furcht vor realen Finanzkrisen oder der vorhergesagten Klimakatastrophe. Die Bilder Pieter Hugos jedoch, die sich nahtlos in diese moderne Ikonographie des Albtraums fügen, sind weder aus dem Unterbewusstsein hervorgezogene Phantastereien noch Interpretationen der Weltentwicklung. Sie sind Dokumente.

Daran, dass solche Arbeiten wie Kunst präsentiert werden, dass sie in Galerien verkauft werden und zusammengestellt sind in bibliophil gestalteten Büchern, hat man sich schon fast gewöhnt. Aufwendig erarbeitete Bildstrecken selbst der schockierendsten Themen hängen heute eher opulent gerahmt und im großen Format an Museumswänden, als dass sie über etliche Doppelseiten einer Illustrierten ausgebreitet würden. Welchen Einfluss das auf die Ästhetik nehmen wird, bleibt abzuwarten. Pieter Hugo jedenfalls, neben David Goldblatt und Roger Ballen der dritte große Fotograf aus Südafrika, vollführte mit seinen bisherigen Serien einen erstaunlichen Balanceakt zwischen einem plakativen Bildaufbau und gespenstischen Inhalten.

Mit seinen Porträts der sogenannten Hyänen-Männer wurde er vor vier Jahren über Nacht berühmt. Sie zeigten furchteinflößende Gestalten in den staubigen Straßen Nigerias, die Raubtiere an der Leine führen - Exzentriker die einen, Geldeintreiber, so hieß es, die anderen. Es waren bedrohliche Bilder, wie einem Fantasy-Roman entsprungen, die von einer ungezügelten, dämonischen Wildheit berichteten. Aus seiner Faszination machte Hugo keinen Hehl, auch nicht aus seiner Furcht vor diesen Männern. In "Nollywood" formulierte er zwei Jahre später mit Aufnahmen geschminkter Schauspieler aus drittklassigen Horrorfilmen seinen Kommentar zur afrikanischen Politik, deren Konflikte sich täglich irgendwo auf dem Kontinent auf brutalste Weise entladen. Aber nun ist er zurückhaltender; so zurückhaltend, dass man das jüngste Buch "Permanent Error" fast schon als lebensweises Alterswerk betrachten könnte. Dabei ist Pieter Hugo erst fünfunddreißig Jahre alt.

Die Müllhalde von Agbogbloshie, der er sich in seinem Bildband "Permanent Error" ausschließlich widmet, liegt am Stadtrand von Accra, der Hauptstadt Ghanas. Es ist verwüstetes Land, seit dort Monat für Monat vierhundert Container mit insgesamt sechseinhalbtausend Tonnen Elektromüll abgeladen werden. Als gebrauchte Computer deklariert, landet das Material zunächst bei Werkstätten und Händlern nahe dem Hafen von Tema, nimmt dann aber zum größten Teil seinen Weg auf den Schrottplatz, auf dem mittlerweile Tausende Menschen ihr Auskommen suchen, indem sie Metallteile zusammenklauben, die sie wiederum an Schrotthändler verkaufen. Dazu verbrennen sie die Geräte, bis die Drähte der Kabel freigelegt sind, oder auch die wertvolleren Rohstoffe der Chips und Platinen. Kaum etwas davon ist ungiftig, die schier endlose Liste dessen, was dort in Wasser, Luft und Menschenhände gerät, reicht von Blei und Cadmium bis Quecksilber und Chrom. Dennoch gibt es keinerlei Schutzkleidung, genaugenommen nicht einmal Werkzeuge. Informationszeitalter und Steinzeit prallen ungehemmt aufeinander.

Die Situation zu beschönigen verbietet sich. Und Pieter Hugo geht entsprechend uneitel mit dem Thema um. Er hält Distanz, sucht ausgewogene Kompositionen, und wenn er Menschen porträtiert, fließen in dem beißenden Qualm nur einmal ein paar Tränen über ein Gesicht, sonst aber bleibt die Mimik der Menschen erschütternd ernst und neutral.

"Permanent Error" ist eine Anklage, die dem diffusen Irgendwo der fernen Friedhöfe für unseren Zivilisationsmüll ein sehr konkretes Bild entgegensetzt. Ebenso mit weiten Panoramen wie mit eng gewählten Ausschnitten verkohlter Walkmen und Diskettenlaufwerke illustiert Hugo die letzte Stufe einer geplanten Veralterung der Elektro- und Unterhaltungsindustrie, die ihren Kunden jedes Jahr neue Geräte aufdrängt - und sich nicht scheut, die Lebenszeit dieser Geräte schon bei der Herstellung auf einen überschaubaren Zeitraum zu begrenzen. Und sie zeigen, wie wenig jene Gesetze und Konventionen nutzen, die den Müllexport reglementieren, solange sich niemand darum schert. Es sind Bilder, die frösteln machen. Es wird nicht schaden, wenn sie demnächst an Museumswänden hängen. Zu wünschen ist ihnen, dass sie in Schulbüchern landen.

FREDDY LANGER

Pieter Hugo: "Permanent Error".

Prestel Verlag, München 2011. 128 S., geb., 39,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.05.2011

Unser Müll
in Afrika
Mit seinem neuen Fotoband wagt
Pieter Hugo Sozialkritik
Unter den afrikanischen Fotografen, die seit gut eineinhalb Jahrzehnten in den europäischen und amerikanischen Kunstmetropolen gefeiert werden, ist der Südafrikaner Pieter Hugo derzeit sicher der bekannteste. Das liegt nicht zuletzt daran, dass er seine Porträtstudien mit einem formal anachronistischen europäischen Gestus inszeniert. Egal, ob er Gaukler fotografiert, die mit gezähmten Hyänen durch Lagos ziehen, Schauspieler aus Nigerias Filmfabriken oder Behinderte, mit seinen klassischen Bildschnitten und dem unjournalistischen Blick des Porträtisten verlieh er seinen Subjekten eine altertümliche Würde, die den konservativen Erwartungshaltungen des europäischen und amerikanischen Publikums entgegenkam.
Sieht man genau hin, hat es Hugo seinen Betrachtern nie so leicht gemacht. Letztlich sind seine Porträts in mehreren Ebenen gebrochene Studien eben dieser Erwartungshaltungen. Dass sich ein weißer südafrikanischer Fotograf, der bei Nelson Mandelas Amtsantritt im Jahre 1994 18 Jahre alt war, nicht einfach darauf einlassen würde, Erwartungshaltungen zu bedienen, die letztlich im neokolonialen Moralgeheuchel liberaler Schuldgefühle in den Wohlstandsländern wurzeln, war zu erwarten. So deutlich wie mit seinem neuen Band „Permanent Error“ hat Hugo diese Erwartungen allerdings noch nie angegriffen.
Die Bilder entstanden auf der Mülldeponie Agbogbloshie Market in Accra, der Hauptstadt von Ghana. Auf Agbogbloshie landet all jener Wohlstandsmüll, der das Wirtschaftswunder der digitalen Revolution antreibt, all jene Produkte also, deren Haltbarkeit mit Systemerneuerungen und Sollbruchstellen auf wenige Jahre begrenzt wird – Handies, Computer, Unterhaltungselektronik. Zwischen den giftigen Schwaden der Müllfeuer versuchen die Lumpensammler von Agbogbloshie, Rohstoffe aus dem verseuchten Müll zu retten. Eine dreiseitige Liste mit den chemischen Kürzeln dieser Gifte und Rohstoffe schafft zu Beginn des Buches den Kontext der Anklage.
Hugo kehrt mit dieser Arbeit zu seinen Wurzeln zurück. In seinen ersten Studien über Opfer der Aids-Seuche und über Behinderte hinterfragte er ganz direkt die Gesellschaft seiner eigenen Heimat. Dann erst entwickelte er jenen Blick, der die eigentliche Qualität und die Vielschichtigkeit seiner Arbeit ausmacht. Als weißer Südafrikaner, für den der Kampf gegen die Apartheid vor allem eine Kindheitserinnerung ist, gehört Pieter Hugo jener Zwischengeneration an, die zu Beginn der Ära Mandela erstmals den Blick aus dem einst hermetischen Schurkenstaat am Kap auf den eigenen Kontinent zu richten begann.
Dieser Blick war eigen, weil er eine Außenansicht des Kontinents zeigte, die eben nicht aus der kolonialen Perspektive hervorgeht, sondern auf der einzigartigen Geschichte Südafrikas fußt. Das liefert auch die komplexen Ebenen, hinter der Sozialkritik der Müllkippenbilder. Doch bleibt letztlich die Sozialkritik der Kern der Arbeit. Und gerade in der politischen Direktheit entwickelt Pieter Hugo neue Wucht.
ANDRIAN KREYE
PIETER HUGO: Permanent Error. Prestel Verlag, München, 2011. 128 Seiten, 39,95 Euro.
Sein Blick ist eigen, weil er eine
Außenansicht des Kontinents ist,
die nicht im Kolonialismus fußt
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Pieter Hugos Bildband "Permanent Error" hat Freddy Langer sichtlich fasziniert. Hugo, der als einer der bedeutendsten Fotografen Südafrikas gilt, dokumentiert für ihn in eindringlichen Bildern das Leben auf einer riesigen Müllhalde in Ghana, wo Tausende von Menschen im ausrangierten Elektromüll der westlichen Welt ihr Auskommen suchen. Die Bilder einer vergifteten, verwüsteten, endzeitlichen Landschaft, in der Menschen ohne Schutzkleidung und Werkzeuge den Müll nach Verwertbarem durchforsten, findet er erschreckend. Er attestiert dem Fotografen, "uneitel" mit dem Thema umzugehen und Distanz zu wahren. Gleichwohl sieht er in dem Band auch eine Anklage wider den schnellen Konsum des Westens, dessen Auswirkungen auf die Ärmsten hier verstörend festgehalten sind.

© Perlentaucher Medien GmbH