Marktplatzangebote
4 Angebote ab € 75,00 €
  • Gebundenes Buch

Mit dem Begriff des habitus (hexis) kritisiert die aristotelische Ethik den Intellektualismus des platonischen Sokrates: Um richtig zu handeln, bedarf es nicht nur der richtigen Einsicht, sondern auch der richtigen affektiven Disposition. Dieser Ansatz ist im Unterschied zu modernen Theorien (Utilitarismus, Diskurs-Ethik, Kant) anthropologisch reflektiert und verdient in Zeiten, da das menschliche Selbstverständnis als Wesen reiner Vernunft längst an Glaubwürdigkeit verloren hat, neue Beachtung.
Die Arbeit entwickelt anhand von Aristoteles und Thomas von Aquin die konstitutiven Elemente des
…mehr

Produktbeschreibung
Mit dem Begriff des habitus (hexis) kritisiert die aristotelische Ethik den Intellektualismus des platonischen Sokrates: Um richtig zu handeln, bedarf es nicht nur der richtigen Einsicht, sondern auch der richtigen affektiven Disposition. Dieser Ansatz ist im Unterschied zu modernen Theorien (Utilitarismus, Diskurs-Ethik, Kant) anthropologisch reflektiert und verdient in Zeiten, da das menschliche Selbstverständnis als Wesen reiner Vernunft längst an Glaubwürdigkeit verloren hat, neue Beachtung.
Die Arbeit entwickelt anhand von Aristoteles und Thomas von Aquin die konstitutiven Elemente des habitus-Begriffs und zeigt, wie es schon im Mittelalter bei Scotus und Ockham zu einer Marginalisierung und schließlich bei Luther und Descartes - wenigstens versuchsweise - zu einer Abschaffung des habitus-Begriffs kommt. Die Sache des habitus taucht aber gleichwohl in der Moderne wieder auf - etwa in Schillers Konzept der "schönen Seele" oder in Kierkegaards Rehabilitation ästhetischer Kategorien innerhalb der Ethik. Abschließend wird ein Blick auf Positionen des 20. Jahrhunderts geworfen: Die Institutionenlehre Arnold Gehlens sowie auf Pierre Bourdieu, der mit dem habitus-Begriff dessen ethische Implikationen wiederentdeckt.
Autorenporträt
Peter Nickl, geboren 1958 in München, Studium der Philosophie in München und in Pavia, 1991-1999 wissenschaftlicher Assistent am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover, Habilitation mit vorliegender Arbeit an der Universität Regensburg; Privatdozent
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.09.2002

Haltet die Haltung
Ordnungsversuche: Peter Nickls Probe auf den Habitus-Begriff

Wenn Jacques Maritain gelegentlich bemerkt, man könne "eine merkwürdige Geschichte der fortschreitenden Vertreibung des Habitus durch die moderne Zivilisation" schreiben, so will Peter Nickl den Habitusbegriff rehabilitieren, indem er zeigt, daß "das von ihm Intendierte auch noch zu denken gibt in einer Zeit, die nicht mehr in der aristotelisch-thomistischen Tradition steht". Für Nickl ist Bourdieus Diktum "Keine Praxis ohne Habitus" plausibel und grundlegend, weil die ethisch qualifizierte Handlung nur vollständig beschrieben wird, wenn neben der Handlungsfolge und dem Pflichtaspekt auch die "Güte der handelnden Person" erfaßt wird. Die Identität und Kontinuität der handelnden Person zu denken, verlangt aber, so Nickl, den Rekurs auf den Habitus als Vermögen des inneren Menschen, als "supplément d'âme", wie Bergson es nannte. Denn der Habitus ist diejenige Form der Seele, die erworben werden muß, damit dauerhaft die ethisch qualifizierte Herrschaft der Rationalität über den irrationalen Seelenteil, die Affektivität, etabliert werden kann.

Aristoteles und Thomas von Aquin interpretieren den Habitus in einer einheitlichen Tradition, wenn sie ihn als Form des inneren Menschen deuten, die die praktische Vernunft mit der gelebten Sinnlichkeit vermittelt. Diese Tradition bricht im Spätmittelalter ab, und Nickl deutet die Krise des Habitusbegriffs als eine Umformung ihrer anthropologischen Grundlagen. Durch Duns Scotus und Wilhelm von Ockham vorbereitet, wird von Luther und Descartes aus unterschiedlichen Motiven dem Habitusbegriff die Basis einer aristotelischen Anthropologie entzogen. Bei Luther kann aus theologischen Gründen die Gerechtigkeit nicht als Ergebnis der Taten des ethischen Subjektes gedacht werden. Bei Descartes wird die Lehre vom Habitus dadurch eskamotiert, daß seine Funktion für den Geist die mathesis universalis einnimmt, mittels derer die Welterkenntnis geschieht: "Die radikale Entgegensetzung ,esprit' - ,corps' läßt im Geist keine Veränderlichkeit, keine Passivität, keine Potentialität und eben damit keinen Habitus zu." Zwar gebe es im neunzehnten Jahrhundert mit Schillers Begriff der "schönen Seele" und Kierkegaards Theorem der "getauften Leidenschaften" der Sache nach noch einmal eine Renaissance der Habitusvorstellung, aber faktisch ist dieses alteuropäische Theorem bedeutungslos gewesen, bis es von Bourdieu reaktualisiert wurde.

Nickl ist im Genre der philosophiehistorischen Darstellung ein Kabinettstück gelungen. Damit ist aber auch die Grenze seiner Studie bezeichnet. Denn er löst seinen eigenen Anspruch nicht ein, den Beitrag der Habituskonzeption für die Entfaltung einer zeitgenössischen Anthropologie plausibel zu machen. So bleibt sein Buch eine Vorstudie zum Thema, allerdings eine äußerst lesenswerte.

HENNING ZIEBRITZKI

Peter Nickl: "Ordnung der Gefühle". Studien zum Begriff des Habitus. Meiner Verlag, Hamburg 2001. 247 S., geb., 39,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Autor versucht sich an einer Rehabilitation des Habitus-Begriffs, den Pierre Bourdieu vor einiger Zeit wieder ausgegraben hat, wie Rezensent Henning Ziebritzki berichtet. Er bleibt Nickls Studie gegenüber etwas zwiegespalten: einerseits sei seine philosophiegeschichtliche Darstellung des Habitus-Begriffs - angefangen bei Aristoteles und Thomas von Aquin bis hin zu seiner Entwertung bei Luther und Descartes - ein Kabinettstück, womit aber andererseits auch seine Grenze bezeichnet sei. Nickls "Ordnung der Gefühle" bleibt für ihn im Rahmen einer philosophiegeschichtlichen Darstellung, löst aber den eigenen Anspruch, einen Beitrag zur modernen Habituskonzeption und -anthropologie zu leisten, nicht ein. Das verleihe Nickls Arbeit den Rang einer - doch äußerst lesenswerten - Vorstudie, so Ziebritzki.

© Perlentaucher Medien GmbH