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Die Memoiren eines Unbeugsamen: Im Februar 1974 wurde der Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn vom KGB verhaftet, in ein Flugzeug gesetzt und nach Deutschland ausgewiesen. Die sowjetischen Machthaber wollten so ihren schärfsten Kritiker außer Gefecht setzen. Doch Solschenizyn, Autor des "Archipel Gulag", führte seinen Kampf gegen die Lüge auch im Ausland weiter. In den Erinnerungen an seine ersten Jahre im Exil legt er ein literarisches Zeugnis jener Herausforderung ab, der er im Westen begegnete. Wie sollte er hier leben, gejagt vom KGB und ständig verfolgt von der Presse, die…mehr

Produktbeschreibung
Die Memoiren eines Unbeugsamen: Im Februar 1974 wurde der Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn vom KGB verhaftet, in ein Flugzeug gesetzt und nach Deutschland ausgewiesen. Die sowjetischen Machthaber wollten so ihren schärfsten Kritiker außer Gefecht setzen. Doch Solschenizyn, Autor des "Archipel Gulag", führte seinen Kampf gegen die Lüge auch im Ausland weiter. In den Erinnerungen an seine ersten Jahre im Exil legt er ein literarisches Zeugnis jener Herausforderung ab, der er im Westen begegnete. Wie sollte er hier leben, gejagt vom KGB und ständig verfolgt von der Presse, die Stellungnahmen von ihm verlangte? Wie sollte er sich orientieren inmitten von Verleumdungen, finanziellen Problemen, unbekannten Gesetzen und gesellschaftlichen Regeln? In "Die Eiche und das Kalb" berichtete Solschenizyn über seinen 20-jährigen Kampf gegen die sowjetische Staatsmacht, die er durch seinen Entschluss, die Wahrheit über Russland zu schreiben, herausgefordert hatte. In diesem Folgeband beschreibt er die Zeit nach Verhaftung und Ausweisung, als er zunächst bei Heinrich Böll Aufnahme fand, dann nach Zürich zog und sich schließlich im amerikanischen Cavendish in Vermont niederließ, wo er seine großen Werke vollenden konnte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.05.2006

Moralischer Röntgenblick
Alexander Solschenizyns Erinnerungen an die Exilzeit

Auch Europa hat seine Fundamentalisten. Für die Lehre, daß mit der Wahrheit Kompromisse machen muß, wer sich in der Welt durchsetzen will, liefert die politische Technik Rußlands, die unkontrollierbare Räume und eine zentrifugale Völkervielfalt verwaltet, ein Paradebeispiel. Zugleich erzeugen die Tiefen des Landes und der sozialen Gräben zähe Zivilisationskritiker. Wie den einstigen Provinzschullehrer Alexander Solschenizyn, der die Herkules-Mission auf sich nahm, die Untaten seines Staates im zwanzigsten Jahrhundert zu dokumentieren, weil es sonst keiner getan hätte. Solschenizyns kolossale Lebensleistung, von seiner Lagerprosa über das Archipel-GULag-Dossier bis zur Geschichtsobduktion im Roten Rad machte ihn zur einsamen moralischen Autorität, zum Sprecher eines Heeres von Mißhandelten und zum unverdaulichen Reizkörper im Sowjetstaat, der ihn 1974 ausspie. Die folgenden zwanzig Jahre im Exil gaben dem Wahrheitsfanatiker Gelegenheit, obendrein die Heucheleien des Westens zu katalogisieren. Diesem Lebensabschnitt widmete Solschenizyn die soeben auf deutsch herausgekommene Autobiographie "Zwischen zwei Mühlsteinen", die auf vierhundert Seiten ausmalt, wie die langen KGB-Fangarme, aber auch westliche Medien, Rechtsverdreher und Geldschinder ihm überall nachstellten.

Als gelegentlicher Kulturtourist erklärt der Russe dem unerschöpflichen, tiefverwurzelten Europa, wie er es nennt, seine Liebe. Doch vor allem beklagt er, wie erschlafft und alarmierend kurzsichtig die Europäer seien, eine Folgekrankheit des europäischen Wohlstandes. Heimisch fühlt sich der Prophet nur in kernbeißigen Randprovinzen. Etwa in Norwegen, wo Minister zu Fuß gehen und die Menschen sich einen aufrichtigen Geist bewahrt hätten. Oder im urigen Schweizer Kanton Appenzell, dessen jahrhundertealte Basisdemokratie Solschenizyn oft als Muster für ein sich selbst organisierendes Gemeinwesen angepriesen hat. Demokratie ohne Aufklärung, lautet die Schweizer Qualitätsformel für den Geschichtsdeuter, der überall die Abzweigung sucht, wo die Menschheitsentwicklung falsch abgebogen ist.

Die europäische Aufklärung setzte den Menschen zum Maß aller Dinge ein und öffnete dem Übermut des Individuums Tür und Tor. Daher der frivole Spieltrieb der Bildungsschicht, so Solschenizyns Jeremias-Lamento, welche die öffentlichen Debatten im Westen beherrsche und die Interessen von Gemeinschaft und Normalbevölkerung ignoriert. Daher das Desinteresse der europäischen Presse am echten Elend des russischen Volkes, wie es Solschenizyn und seine Mitstreiter noch in den siebziger Jahren in den "Stimmen aus dem Untergrund" schilderten, an zugrundegerichteten Dörfern und zerstörter Natur. Die westliche Journaille fragte nur, ob er links stehe oder rechts. Auf das Sündenkonto der Egoismusermächtigung schreibt der Autor ferner die Gewinnsucht der Verlage, etwa des britischen Bodley Head und seiner Entsandten Olga Carlisle, über deren Machenschaften auf Kosten des gefährdeten GULag-Chronisten das Buch detailliert abrechnet.

Solschenizyn erkennt, daß er seine Wahrheit nicht nur vor dem sowjetischen, sondern auch vor dem westlichen Establishment schützen muß. Seine Predigten gegen Kommerz und Juristerei wissen auch in Amerika nur bodenständige Provinzler zu würdigen. Sein Herz gehöre der Literatur, bekennt Solschenizyn, zum Historiker habe ihn seine Epoche gemacht.

Rußlands letzter Großschriftsteller, der ein langes Leben und kolossale Arbeitskraft dazu verwandte, Millionen unschuldig Zermalmten ein literarisches Denkmal zu setzen, zeichnet sich wie einen lanzenbewehrten Ritter Georg, der gegen den Sowjet-Drachen streitet. Unter seinem moralischen Röntgenblick zerfällt die Welt in Gerechte und Gerichtete, wird aber auch farblos und flach. Nicht von ungefähr gibt der Prophet nur seinen unsichtbaren Helfern wirklich gute Noten. An Solschenizyns Exil-Erinnerungen beeindruckt nicht zuletzt, daß so viele bewegte Jahre kein einziges einprägsames Porträt hinterlassen haben. Etwa der hilfreiche Heinrich Böll erscheint nur als Randfigur, selbst Gattin und Söhne bleiben Schemen. Einem verstorbenen Kindheitsfreund, der in KGB-Dienste trat, widmet der Autor eine "Wie konntest du nur"-Ansprache an dessen abwesende Seele. Der Schweizer Anwalt Heeb, der sich für die Solschenizyns ins Zeug legte, tritt zeitungskarikaturhaft auf als äußerlich imposant, aber in der Sache überfordert. Eine historische Figur wie Lenin schnurrt vollends zum Abziehbild des Satans zusammen. Was Leo Tolstoi vor allem im Alter versucht hat, den Künstler in sich abzutöten, um den Moralisten durchzusetzen, Solschenizyn scheint dieses ehrenvoll freudlose Ziel erlangt zu haben.

Der große Mahner, der Wert darauf legt, nur praktische Kleidung zu tragen und für genußvolles Essen keine Zeit zu verschwenden, mußte feststellen, daß die flatterhafte Leserschaft nach zwei Bänden Archipel GULag genug hatte und den dritten liegenließ. Das lag vielleicht nicht nur am Übermaß des Horrors, wie Solschenizyn vermutet, sondern auch daran, daß die Stimme dieses Autors, der Berge versetzt hat, sich anhörte wie tönendes Erz oder eine klingende Schelle.

KERSTIN HOLM

Alexander Solschenizyn: "Zwischen zwei Mühlsteinen". Mein Leben im Exil. Aus dem Russischen übersetzt von Fedor B. Poljakov. Herbig Verlag, München 2005. 429 S., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Deutlich schwankt Kerstin Holm zwischen der Bewunderung für die Lebensleistung und die "moralische Autorität" Solschenizyns und der Enttäuschung angesichts der Flachheit und Farblosigkeit dieser Exil-Erinnerungen. Über das Wettern des großen alten Mannes gegen die Aufklärung als Urquell menschlicher Hybris scheint sie milde zu lächeln, ohne allerdings Solschenizyns Fähigkeit in Zweifel zu ziehen, die Welt in Gerichtete und Gerechte zu teilen. Was Holm einerseits treffend als "ehrenvoll freudloses" Werk bezeichnet, ist ihr zumindest in einem Punkt doch nicht ganz so ehrenvoll vorgekommen: Dass die Erinnerungen aus dem Exil kein einziges "einprägsames" Porträt eines Freundes oder Helfers enthalten, kommt der Rezensentin doch mehr als nur blass vor.

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