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Noch bevor die "Großen Drei", Truman, Stalin und Churchill bzw. Attlee, in Potsdam über die Nachkriegsordnung Europas zu verhandeln begannen und schließlich auch den "ordnungsgemäßen Transfer" der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei und Polen beschlossen, waren bereits Zehntausende der Bewohner über die böhmisch-sächsische Grenze gejagt worden.
Am 31. Juli 1945 kam es in der nordböhmischen Industriestadt Aussig zu einer gewaltigen Explosion in einem Munitionslager mit anschließenden pogromartigen Ausschreitungen gegen Deutsche.
Erstmals publizierte Dokumente eröffnen eine
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Produktbeschreibung
Noch bevor die "Großen Drei", Truman, Stalin und Churchill bzw. Attlee, in Potsdam über die Nachkriegsordnung Europas zu verhandeln begannen und schließlich auch den "ordnungsgemäßen Transfer" der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei und Polen beschlossen, waren bereits Zehntausende der Bewohner über die böhmisch-sächsische Grenze gejagt worden.

Am 31. Juli 1945 kam es in der nordböhmischen Industriestadt Aussig zu einer gewaltigen Explosion in einem Munitionslager mit anschließenden pogromartigen Ausschreitungen gegen Deutsche.

Erstmals publizierte Dokumente eröffnen eine grundlegende Korrektur der Vorgänge der tschechoslowakischen Nachkriegsentwicklung und beschreiben ein noch nicht aufgearbeitetes Kapitel der Zeitgeschichte.
Autorenporträt
Otfrid Pustejovsky, Jahrgang 1934, Studium in München, Wien und Chicago, Promotion bei Georg Stadtmüller, Alois Schmaus und Karl Bosl. Osteuropahistoriker, Germanist und katholischer Theologe. Zahlreiche Fachpublikationen zur Geschichte der CSR, CSSR und der böhmischen Länder.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2002

Aussig und Potsdam 1945
Gab es einen Zusammenhang zwischen den brutalen Ausschreitungen und den Konferenzbeschlüssen?

Otfried Pustejovsky: Die Konferenz von Potsdam und das Massaker von Aussig am 31. Juli 1945. Untersuchung und Dokumentation. F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 2001. 575 Seiten, 39,90 Euro.

Milan Churan: Postupim a Ceskoslovensko. Mýtus a skutecnost (Potsdam und die Tschechoslowakei. Mythos und Wirklichkeit). Verlag Nakladatelství libri, Prag 2001. 157 Seiten, 195,- tschechische Kronen.

Über die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei gibt es zwar eine Fülle von Einzelstudien, aber bis heute keine Gesamtdarstellung, die wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werden könnte. Gut erforscht und aufgearbeitet sind die Vorgeschichte und die Entscheidungsprozesse, die zur Vertreibung führten, wobei hier vor allem die Arbeiten von Detlef Brandes zu erwähnen sind. Mit den Vorgängen in Mähren, eingebettet in eine Analyse des Verhältnisses zwischen den "spontanen" und den "planmäßigen" Elementen im Vertreibungsprozeß, hat sich die Wiener Historikerin Emilia Hrabovec in ihrer Monographie "Vertreibung und Abschub" befaßt. Die für die tschechische Historiographie bahnbrechenden Studien Tomás Staneks liegen bis heute nicht auf deutsch vor, ebensowenig wie die zahlreichen lokalen und regionalen Studien, die in den vergangenen zehn Jahren in der Tschechischen Republik erschienen sind.

Otfried Pustejovsky, der in seinem Buch sehr ausführlich aus tschechischen Arbeiten zitiert, kommt zu dem Schluß, daß "es nicht mehr an der tschechischen Seite (liegt), daß ihr fundamentaler Beitrag zur Neubearbeitung der Geschichte der Böhmischen Länder und Mitteleuropas so wenig oder gar nicht zur Kenntnis genommen wird". Deutsche Leser, die sich über den Verlauf der Vertreibung von nahezu drei Millionen Deutschen aus Böhmen, Mähren und der Slowakei informieren wollen, werden bei deutschen Historikern nicht fündig - jedenfalls nicht mehr oder noch nicht. Die 1957 von Theodor Schieder herausgegebene exzellente "Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa" (Bände IV/1 und IV/2: Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei), die eine Fülle von Erlebnisberichten und Zeugenaussagen enthält, wurde zuletzt 1995 neu aufgelegt und ist längst wieder vergriffen. Die deutsche Geschichtswissenschaft hat dieses Forschungsfeld seit den sechziger Jahren kaum mehr betreten und es bis heute fast ausschließlich der sudetendeutschen Publizistik überlassen.

Pustejovsky, geboren in Mährisch-Ostrau, im Alter von sieben Jahren 1945 "abgeschoben" und an diesem Trauma leidend, Historiker und Slawist, steht zwischen diesen beiden Lagern, den Fachhistorikern und den sudetendeutschen Publizisten. Sein umfangreiches Buch stellt sich das ambitionierte Ziel, an einem zeitlich engbegrenzten lokalen Ereignis, nämlich der Explosion eines Munitionslagers in einer Fabrik im Aussiger Stadtteil Schönpriesen am Nachmittag des 31. Juli 1945 und den anschließenden pogromartigen Ausschreitungen gegen die Deutschen in Aussig, nicht nur Ursachen und Folgen der ethnischen "Säuberung" der Tschechoslowakei zu beschreiben, sondern auch einen geschichtlichen "Sinn" zu erhellen.

Zugleich wollte er die Frage klären, ob und in welcher Weise die Ereignisse von Aussig die Entscheidungen der Konferenz von Potsdam beeinflußt haben, die am 2. August 1945 zu Ende ging, "Weltpolitik folglich von der Region mitbeeinflußt oder mitbestimmt wurde". Der Autor gesteht, dieses Vorhaben nicht sine ira et studio angegangen zu sein: "Es ist mir bewußt, daß ich mich mit dieser Untersuchung und ihrem formalen Aufbau an der Nahtstelle zwischen Geschichte und Politik, zwischen historischer und politischer, im engeren Sinne wissenschaftlicher und im weiteren Sinne populärer Analyse bewege." Anders aber werde sich "nicht viel oder nur schwer etwas bewegen lassen". Die Verflechtung von Geschichte, Geschichtsphilosophie und Politik macht die Lektüre dieses Buches nicht einfach. Vorweg gesagt: Pustejovsky ist an den beiden gewaltigen Aufgaben, die er sich gestellt hat, dramatisch und mit Methode gescheitert. Er hat dennoch ein interessantes Buch geschrieben, dessen Stärken dort am deutlichsten werden, wo er die unterschiedlichen und widersprüchlichen Splitter an Fakten und Interpretationen zu einem mikrohistorischen Mosaik der Ereignisse in Aussig zusammenfügt.

Detonationen in Schönpriesen

Versuche, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Aussig und Potsdam herzustellen, hat es in der sudetendeutschen Publizistik immer wieder gegeben. Um - wie es tatsächlich geschah - die Schuld deutschen "Werwolf"-Saboteuren geben zu können, in der Annahme, damit der Konferenz von Potsdam einen letzten Beweis für die Unmöglichkeit des Zusammenlebens von Tschechen und Deutschen zu liefern, sei die Schönpriesener Fabrik von Agenten in die Luft gesprengt worden, so lautet der Verdacht. Pustejovsky läßt diese Frage offen, denn "ob es sich in Aussig um eine tatsächlich geplante und zielgerichtet durchgeführte Aktion gehandelt hat oder ob ein Unglück oder gar eine tragische Verquickung unterschiedlicher Ereignisse zur Katastrophe führten, ist letzten Endes nicht so entscheidend wie die gleichzeitig eingebrachte Begründung für den längst ablaufenden Prozeß einer ,ethnischen Säuberung' umfassenden kollektiven Charakters".

Am 31. Juli 1945, zwischen 15.09 und 15.38 Uhr, erschütterte eine Serie von Detonationen die ehemalige Zuckerfabrik von Schönpriesen, in der die tschechoslowakische Armee Kriegswaffen untergebracht hatte. Das Fabrikgebäude und die umstehenden Gebäude wurden bis auf die Grundmauern zerstört, in den Trümmern kamen nach unterschiedlichen Angaben fünf Soldaten und rund 60 Arbeiter ums Leben, zur Hälfte Tschechen, zur Hälfte deutsche Zwangsarbeiter. An die 300 Personen wurden verletzt. Ein Großbrand brach aus, etwa tausend Bewohner von Schönpriesen wurden obdachlos. Unmittelbar nach den Explosionen begannen Angehörige der Revolutionsgarden (tschechische Soldaten und eben erst angereiste Zivilisten - ortsansässige Tschechen haben sich an den Ausschreitungen nicht beteiligt), an mehreren Stellen der Stadt eine Hetzjagd auf Deutsche. Auf dem Bahnhofvorplatz und auf dem Ringplatz wurde mit Knüppeln und Stangen auf Passanten eingeschlagen und auf sie geschossen, einige wurden in einem Feuerlöschteich ertränkt.

Die folgenschwersten Ausschreitungen ereigneten sich vor und auf der Brücke bei Schreckenstein über die Elbe, die schon damals den Namen des tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Benes trug. Deutsche Arbeiter auf dem Heimweg nach Schichtende, aber auch eine Frau, die einen Säugling im Kinderwagen mit sich führte, wurden auf der 13 Meter hohen Brücke abgefangen und in den Fluß geworfen. Auf die im Wasser Treibenden wurde geschossen. Wie fast immer bei Vertreibungsverbrechen gehen die Schätzungen der Zahl der Opfer weit auseinander. Sudetendeutsche Publikationen sprechen von 3000 und mehr Toten, die tschechischen Schätzungen sprechen von 40 bis 100 Toten, Pustejovsky nennt 220 eine realistische Zahl.

Zum Leiter der amtlichen Untersuchung wurde Hauptmann Bedrich Pokorný vom Prager Innenministerium bestellt, der bereits die Durchführung des "Brünner Todesmarsches" beaufsichtigt hatte. Pokorný sprach als erster von einem Sabotageakt der Werwolf-Organisation. Am Tag nach dem Massaker sagte General Ludvík Svoboda, damals Verteidigungsminister, auf einer Pressekonferenz in Aussig: "Es ist erforderlich, ein für allemal mit der Fünften Kolonne abzurechnen, und wir können uns hierbei die Sowjetunion als Musterbeispiel nehmen, die als einzige in diesem Krieg dies verläßlich bewiesen hat. Als Beispiel führe ich den Fall der deutschen Wolga-Republik an, wohin eines Nachts einige Dutzend deutscher Fallschirmspringer abgesetzt wurden. Als diese sämtlich von den dortigen Deutschen verborgen . . . wurden, kam es dazu, daß diese deutsche Wolga-Republik 48 Stunden nach dem letzten Aufruf zu existieren aufhörte und nie wieder existieren wird." Wer Belegstellen mit Quellenangaben für die genozidalen Intentionen der Vertreibung sucht, wird sie bei Pustejovsky finden. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die 60 Dokumente im Anhang des Buchs.

Idee von der "Entmischung"

Der Potsdamer Konferenz selbst und ihrer Vorgeschichte widmet Pustejovsky nur ein Kapitel. Sie steht hingegen im Mittelpunkt der Untersuchung des Prager Historikers Milan Churan, die das Ziel verfolgt, einige Mißverständnisse in der tschechischen Öffentlichkeit zu klären. Die aktuelle politische Debatte wird nämlich nicht nur vom Mythos der "Unaufhebbarkeit" der Benes-Dekrete dominiert, sondern auch von jenem der "Unverletzlichkeit der Potsdamer Ergebnisse": in Potsdam sei der Beschluß der Alliierten zur Aussiedlung der Deutschen gefallen, den die tschechoslowakische Regierung lediglich exekutiert habe.

Spiegelverkehrt dazu pflegt ein Teil der sudetendeutschen Publizistik den Mythos von der Vertreibung als einem Verbrechen, das ausschließlich auf Benes und seinen Kreis zurückgehe und schon lange vor 1938 geplant worden sei. Die Historiker sind sich heute weitgehend darin einig, monokausale Interpretationen der Vertreibung zurückzuweisen. Die Vertreibungspläne wären kaum realisierbar gewesen, wenn die Idee von der nationalen "Entmischung" als friedenssichernder Maßnahme nicht auch die Politik der Westmächte beeinflußt hätte.

Churan argumentiert, daß sich der tschechische Nationalismus während des Zweiten Weltkrieges mit dem tschechischen und dem sowjetischen Kommunismus verbündet habe, um sein "Langzeitziel" der Schaffung eines ausschließlich "slawischen" Staates zu schaffen. Während bei den Westalliierten der Widerstand gegen einen großen "Transfer" der deutschen Bevölkerung gegen Kriegsende stärker geworden sei, habe die nationalistisch-kommunistische Allianz in Potsdam die Unterstützung Stalins gefunden. Die Westmächte hätten gegen die bereits stattfindenden Vertreibungen nichts mehr ausrichten können und angesichts dieser Lage befürchtet, sich durch ein Veto jede Möglichkeit einer künftigen Einflußnahme auf die Geschehnisse in Mitteleuropa zu verbauen. Deshalb hätten sie sich dafür entschieden, wenigstens auf einer "humanen" Durchführung des Transfers zu bestehen. Von einem Potsdamer "Auftrag", der die politische Führung der tschechoslowakischen Republik politisch entlasten würde, könne nicht die Rede sein.

KARL-PETER SCHWARZ

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei 1945 ist laut Rezensent Karl-Peter Schwarz für die deutsche Geschichtswissenschaft schon lange kein Thema mehr. Die Vorgeschichte und die Entscheidungsprozesse der Vertreibung sind zwar durch Detlef Brandes und Emilia Hrabovec "gut erforscht", doch wichtige tschechoslowakische Veröffentlichungen wie die Studien von Tomas Stanek sind nicht übersetzt, klagt Schwarz. Mangelndes Interesse der Deutschen sei es nicht, so Schwarz, denn die Neuauflage (1995) von Theodor Schieders 1957 erschienener "Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa" war schnell vergriffen. Der Autor Otfried Pustejovsky, Historiker und Slawist, erlebte die Vertreibung als Siebenjähriger mit und leide heute noch an diesem "Trauma". In seinem Buch versuche er der ethnischen Säuberung, die der Explosion eines Munitionslagers in der Stadt Aussig folgte, einen "geschichtlichen Sinn" zu geben. An diesem Anspruch scheitert der Autor zwar, doch ist ein "interessantes Buch" herausgekommen: ein "mikrohistorisches Mosaik der Ereignisse", lobt Schwarz. Der Frage nach den Auswirkungen der Ausschreitungen auf die Konferenz in Potsdam gibt Pustejovsky nicht so viel Gewicht wie dem offenkundig "kollektiven Charakter" der Entwicklungen. Der Rezensent verweist auf einen großen Nutzen durch die wertvollen "Belegstellen mit Quellenangaben für die genozidalen Intentionen der Vertreibung" und die 60 Dokumente im Anhang und empfiehlt, zur Potsdamer Konferenz die leider nicht übersetzte Studie des Prager Historikers Milan Churan zu lesen.

© Perlentaucher Medien GmbH
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