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Das Abenteuerlichste am Essen ist, dass man es sich einverleibt. Ein weiterer Grund, darüber nachzudenken - womit die Gastrosophie ins Spiel kommt. Und ehe wir uns versehen, sitzen wir bei Kant am Mittagstisch.Harald Lemkes brillant geschriebener Essay wendet sich einer Philosophie des Essens zu; und mit ihr einigen äußerst wichtigen, aber fast immer unterschätzten Fragen unserer Lebenswelt: dem Einkaufen und Kochen, Genießen und Verdauen. Wer über solch vermeintliche Selbstverständlichkeiten erst einmal ins Nachdenken gerät, stellt schnell fest: In diesen alltäglichsten und allgemeinsten…mehr

Produktbeschreibung
Das Abenteuerlichste am Essen ist, dass man es sich einverleibt. Ein weiterer Grund, darüber nachzudenken - womit die Gastrosophie ins Spiel kommt. Und ehe wir uns versehen, sitzen wir bei Kant am Mittagstisch.Harald Lemkes brillant geschriebener Essay wendet sich einer Philosophie des Essens zu; und mit ihr einigen äußerst wichtigen, aber fast immer unterschätzten Fragen unserer Lebenswelt: dem Einkaufen und Kochen, Genießen und Verdauen. Wer über solch vermeintliche Selbstverständlichkeiten erst einmal ins Nachdenken gerät, stellt schnell fest: In diesen alltäglichsten und allgemeinsten Handlungen steckt eine bislang unterschätzte Sprengkraft. Das Denken über den Tellerrand hinaus eröffnet neue Blicke auf unser Leib- und Naturverhältnis, auf Hunger und Überfluss, die Nahrungsmittelindustrie ebenso wie Weltpolitik und Geschmacksfragen. Im Vorbeigehen lässt Lemke die Ansichten großer Philosophen wie Sokrates, Kant oder Nietzsche Revue passieren. Diese klugen Denker wussten bereits sehr gut, was die Gastrosophie erst ins kulturelle Bewusstsein zurückholen will: dass die Ethik, Ästhetik und Politik unserer Nahrung eine Angelegenheit höchsten Ranges ist.
Autorenporträt
Dr. phil. habil. Harald Lemke lehrt Philosophie an der Universität Lüneburg und am Interdisziplinären Zentrum für Gastrosophie in Salzburg. Forschungsschwerpunkte sind u.a. Ethik, Politik, Alltagskultur und eine kritische Theorie des guten Lebens.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Jakob Strobel Y Serra zeigt sich enttäuscht von Harald Lemkes Einlassungen zur Philosophie des Essens, oder: zur Gastrosophie. Zwar regt ihn das schmale Buch zum Nachdenken übers Essen an, aber das kann nicht alles sein, findet der Rezensent. Außer einem etwas pathetischen, mitunter auch kalauernden Ton und etwas zu vollmundigem Reden über die Gastrosophische Revolution bei Sokrates, Feuerbach und Nietzsche ("Wille zur Wurst"), bietet der Autor dem Rezensenten eher magere Kost. Erkenntnisgewinnbringend immerhin scheint ihm Lemkes ideengeschichtliche Einordnung der Slowfood-Bewegung. Die Botschaft des Ganzen, gut zu essen, um glücklich zu sein, hält der Rezensent aber eher für einen Kalenderspruch.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2014

Also sprach der Wurstologe
Harald Lemke ruft eine Revolution des Essens aus

Platon, der Schurke, ist an allem schuld. Er war der erste große Kostverächter der Philosophiegeschichte, hat das Kochen als niedere, weibische Tätigkeit verunglimpft, riet echten Männern, sich vom Herd fernzuhalten, indoktrinierte mit dieser Genussfeindlichkeit auch seinen treuen Schüler Aristoteles und hat so schrecklichen, irreparablen, bis in unsere Tage fortdauernden Schaden angerichtet: "Die Fastfood-Mentalität der platonisch-aristotelischen Tradition hat schließlich die Geschichte der abendländischen Esskultur geprägt", schreibt der Philosoph Harald Lemke in seinem neuen Buch, das sich zumindest um ein wenig Schadensbegrenzung bemüht.

Lemke streitet für die Ehrenrettung des Kochens und Essens auch in seiner Geistesdisziplin und will eine jahrtausendealte Paradoxie der westlichen Zivilisation beseitigen: Das Essen spielt in unserem Dasein eine fundamentale Rolle. Wir essen ständig, müssen dauernd Entscheidungen über unsere Ernährung treffen, spüren Tag und Nacht die Folgen unserer Nahrungsaufnahme. Herstellung, Verarbeitung, Transport und Handel von Lebensmitteln sind außerdem ein wesentlicher Teil der globalen Wirtschaft. Und trotzdem denken wir kaum über unser Essen nach - schon gar nicht philosophisch.

Mit kosmetischen Kurskorrekturen gibt sich Lemke dabei nicht zufrieden. Seine Bezugsgröße ist kein geringeres Ereignis als die Neolithische Revolution vor zehntausend Jahren. Damals erfanden die Menschen die Landwirtschaft, womit der Aufstieg des Homo sapiens zum Herrscher des Erdballs erst so richtig in Schwung kam. "Nun liegt wieder die Notwendigkeit eines derart epochalen Evolutionssprungs - einer Gastrosophischen Revolution - zu einer höheren Entwicklungsstufe der Menschheit vor uns." Und Harald Lemke stellt sich verwegen fahnenschwingend ganz oben auf die Philosophenbarrikade.

Aus seinem revolutionären Impetus wird allerdings schnell ein kleiner Streifzug durch die Gastrosophiegeschichte. Lemke stellt die wenigen Gastrosophen unter den Philosophen vor, allen voran Sokrates, der die geistige Genussverirrung seines Ziehsohns Platon nicht verhindern konnte. Dann ist Ludwig Feuerbach an der Reihe, dem wir den berühmten Satz "Der Mensch ist, was er isst" verdanken und der es ganz und gar nicht für unmoralisch hielt, Gutes zu sich zu nehmen.

Auch Friedrich Nietzsche wird ausführlich gewürdigt als philosophierender Feinschmecker, der scharfsinnig feststellte: "Durch den vollkommenen Mangel an Vernunft in der Küche ist die Entwicklung des Menschen am längsten aufgehalten, am schlimmsten beeinträchtigt worden." Nietzsches Leidenschaft für Wurstwaren wird mit seiner Philosophie verknüpft, wobei die Grenze des Kalauerns hart gestreift wird, wenn Lemke von der "Wurstologie unseres Wahrheitsbegriffs" oder dem "Willen zur Wurst" schwadroniert.

Der Erkenntnisgewinn dieses schmalen Bandes hält sich eher in Grenzen. Dass sich die Menschen gerne Kochshows im Fernsehen anschauen und darüber selbst das Kochen verlernen, ist nicht gerade eine revolutionäre Neuigkeit. Dass Fleisch ein "Relikt archaischer Herrschaftssymbolik" ist, weil es sich früher nur Reiche leisten konnten, wissen wir auch schon seit einiger Zeit. Und der steilen These, dass ein gutes Mahl in angenehmer Gesellschaft so inspirierend wie erfüllend ist, mag man gleichfalls nicht so recht widersprechen.

Seine besten Passagen hat das Buch, das eher eine Gedankensammlung als ein Grundsatzwerk ist, dann doch immer wieder, wenn es die Philosophiegeschichte streng gastrosophisch betrachtet und lauter verkannte Gourmets unter den berühmten Denkern jenseits der üblichen Verdächtigen wie Epikur findet - Kant und Hegel zum Beispiel sind zwei solche Kandidaten. Auch die ideengeschichtliche Einordnung von kulinarischen Bewegungen wie Slowfood, die nicht als plumper Hedonismus abgetan werden, ist Lemke gelungen.

Dennoch bleibt die Botschaft seines Buchs angesichts des eigenen Anspruchs recht schlicht: Esst gut, und habt Spaß dabei, lautet sie. Ernährt euch gesund, und stärkt dadurch euren Geist. Verzichtet auf Convenience Food, KZ-Hühner und Fastfood-Ferkeleien. Genießt also das Leben, dann werdet ihr glücklich sein. Solche Philosophie passt fast schon auf ein Kalenderblatt, und daran ändert der pathetische, manchmal sogar pamphletistische Ton Lemkes genauso wenig wie Satzdrechseleien von dieser Sorte: "Philosophische Erkundungen des Universums des Essens können uns helfen, den Homo sapiens in zukünftige Welten der eigenen Entwicklung vordringen zu lassen." Mit simpleren Worten: Aus dem Nachdenken übers Essen wird man klug. Dafür immerhin taugt Harald Lemkes gastrosophisches Revolutionsstreitschriftchen ganz gut.

JAKOB STROBEL Y SERRA

Harald Lemke: "Über das Essen". Philosophische Erkundungen. Wilhelm Fink Verlag, München 2014. 202 S., br., 19,90 [Euro].

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