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Der Aufbau des Organismus - Goldstein, Kurt
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Der Aufbau des Organismus ist das Hauptwerk des deutsch-amerikanischen Neurologen und Psychiaters Kurt Goldstein (1878-1965). Erstmals seit 1934 erscheint es nun in einer neuen deutschsprachigen Ausgabe.Im Spannungsfeld von Neurologie, Psychologie und Philosophie entwarf Kurt Goldstein im niederländischen Exil eine ganzheitliche Theorie des Aufbaus und der Funktion des menschlichen Organismus, die eine völlig neue Sicht auf die menschliche Psyche und die Funktionsweise des Gehirns ermöglichte.Sein Werk zählt nicht nur zu den Klassikern der modernen Neuropsychologie, sondern prägte auch so…mehr

Produktbeschreibung
Der Aufbau des Organismus ist das Hauptwerk des deutsch-amerikanischen Neurologen und Psychiaters Kurt Goldstein (1878-1965). Erstmals seit 1934 erscheint es nun in einer neuen deutschsprachigen Ausgabe.Im Spannungsfeld von Neurologie, Psychologie und Philosophie entwarf Kurt Goldstein im niederländischen Exil eine ganzheitliche Theorie des Aufbaus und der Funktion des menschlichen Organismus, die eine völlig neue Sicht auf die menschliche Psyche und die Funktionsweise des Gehirns ermöglichte.Sein Werk zählt nicht nur zu den Klassikern der modernen Neuropsychologie, sondern prägte auch so unterschiedliche Strömungen wie die Phänomenologie in Frankreich (Merleau- Ponty), die humanistische Psychologie in den USA (Maslow, Rogers) und die Kulturhistorische Schule der russischen Psychologie (Wygotski, Luria, Leontjew).In der Nachkriegszeit in Deutschland weitgehend verdrängt und vergessen, wartete dieses Buch lange auf seine Wiederentdeckung.Angesichts der aktuellen Diskussion des Leib-Seele-Problems in den Neurowissenschaften und der Philosophie ist Goldsteins Werk heute wieder hochaktuell.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Das Gehirn ist ein Organ, das sich einzupassen weiß
Eine Einführung in die Biologie, die immer noch wichtige methodische Winke gibt: Kurt Goldsteins "Der Aufbau des Organismus" neu ediert

Wer sich ein wenig mit der zeitgenössischen Philosophie der Biologie beschäftigt, wird schnell merken, dass es sich dabei fast ausschließlich um Philosophie der Evolution handelt. Bereiche wie Physiologie, Immunologie, Mikrobiologie oder Zellbiologie spielen kaum eine Rolle. Für die Pioniere der dominanten Version der Biologiephilosophie - wie Ernst Mayr, David Hull oder Michael Ruse - war das evolutionäre Wesen des Lebens die Eigenschaft, mit der sich die Biologie gegenüber Physik und Chemie als eigenständige Disziplin begründen. ließ. Biologischen Unterdisziplinen wurde dabei nur in dem Maß Aufmerksamkeit zuteil, wie sie zur Bestätigung der Evolutionstheorie beitragen konnten.

Dabei geriet jedoch eine ältere Spielart des Nachdenkens über die Biologie fast völlig in Vergessenheit: In den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts versuchten eine Reihe philosophisch versierter Biologen und Mediziner - unter ihnen etwa J.B.S Haldane, C. Lloyd Morgan und Jan Smuts - grundlegende Kategorien und Prinzipien der Biologie zu formulieren. Im deutschsprachigen Raum entwarfen Gestaltpsychologen, Psychosomatiker und Embryologien wie Wolfgang Köhler, Viktor von Weizsäcker und Hans Driesch Theorien, die sich explizit gegen die "mechanistischen" Grundlagen der Biologie und Medizin wandten.

Der jüdische Neurologe Kurt Goldstein trug in seinem Buch "Der Aufbau des Organismus" zu dieser Debatte die am stärksten von der Medizin geprägte Perspektive bei und gründete seine Ablehnung einer mechanistischen Konzeption des Organismus nicht auf philosophische Spekulation, sondern auf konkrete klinische Befunde. Das Buch erschien 1934 in Den Haag, während Goldsteins Exil in den Niederlanden, und hinterließ bei einer Reihe von prominenten Autoren seine Spuren: von Ernst Cassirer über Max Scheler und Roman Jakobson bis Maurice Merleau-Ponty und Georges Canguilhem. Auch deshalb ist die nun erschienene Neuausgabe sehr zu begrüßen.

Goldstein, ein Vetter Ernst Cassirers, leitete nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in Frankfurt das 1916 gegründete "Institut für die Erforschung der Folgeerscheinungen von Hirnverletzungen", in dem verwundete Soldaten behandelt wurden. Zusammen mit dem Psychologen Adhémar Gelb machte Goldstein einige bemerkenswerte Beobachtungen. Ein 1915 schwer hirnverletzter Soldat zeigte nach seiner Genesung in psychologischen Tests keine besonders auffälligen kognitiven Mängel. Goldstein und Gelb bemerkten aber, dass der Patient tatsächlich durchaus beeinträchtigt war, jedoch auf ausgeklügelte Weise seine Schwächen kompensierte. Lesen gelang ihm nur, wenn er seine Hand bewegen konnte - er "schrieb" mit seiner Hand, was er auf dem Blatt sah, und konnte auf diese Weise den Text verstehen. Wenn Hand und Kopf fixiert waren, gelang es ihm nicht, irgendetwas Lesbares zu erkennen. Der Patient war sich dieser Kompensation, zu der sein Gehirn gefunden hatte, nicht bewusst.

Diese und andere Fälle führten Goldstein zu seiner Konzeption des Gehirns. Er erkannte die Schwächen und Lücken der noch immer tiefverwurzelten "atomistischen" Prinzipien der Neurologie, die auf einfachen Korrelationen zwischen Gehirnarealen und kognitiven Leistungen beruhten. Goldstein fragte sich, ob diese Theorien nicht nur untauglich sind, Patienten und ihre Symptome zu verstehen, sondern auch einem allgemeinen Verständnis lebender Wesen im Wege stehen. Inspiriert von seinen klinischen Beobachtungen, nahm er sich im "Aufbau des Organismus" grundlegende physiologische und biologische Prinzipien vor. Er nutzte Grundsätze der Gestaltpsychologie, um die Ganzheitlichkeit des Organismus und seine flexible Einpassung in die Umwelt zu verstehen, ohne die methodologischen Ansprüche wissenschaftlichen Arbeitens zu schmälern. Die kompensatorische Leistung des hirnverletzten Kriegsveteranen waren ein herausragendes Beispiel für eine solche holistische Einpassung.

Es war unter Historikern lange üblich, den Holismus deutscher Prägung als vorrangig kulturelles Phänomen mit fataler politischer Schlagseite zu beschreiben. Wie bei dem Embryologen Hans Driesch war aber bei Goldstein der Holismus ein Ergebnis konkreter experimenteller Befunde. Seit Beginn der neunziger Jahre verschaffen sich holistische Theorien in der Biologie und Psychologie auch wieder verstärkt Gehör - häufig jedoch unter dem Banner der "Emergenz". Politisch-kulturelle Einflüsse mögen hier zwar eine Rolle spielen - so etwa die gegenkulturellen Bewegungen der sechziger und siebziger Jahre -, aber wissenschaftliche Befunde stellen tatsächlich eine ernsthafte Herausforderung für reduktionistische Methodologien dar.

Es ist mittlerweile klar geworden, dass die Kenntnis aller Gene eines Organismus nicht für ein vollständiges Verständnis von Merkmalen oder Erkrankungen ausreicht. Die angebliche Lokalisierung von kognitiven Fähigkeiten durch immer komplexere Scanner stößt ebenso an Grenzen. Der moderne Holismus unterscheidet sich deutlich vom ganzheitlichen Denken in der Weimarer Republik, aber Kurt Goldsteins Hauptwerk hat vor allem in methodologischer und erkenntnistheoretischer Hinsicht wenig von seiner Aktualität verloren.

THOMAS WEBER.

Kurt Goldstein: "Der Aufbau des Organismus". Einführung in die Biologie unter besonderer Berücksichtigung der Erfahrungen am kranken Menschen. Hrsg. und mit einer Einführung von Thomas Hoffmann und Frank W. Stahnisch. Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2014. 458 S., geb., 49,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kurt Goldstein trug 1934 mit seinem Buch "Der Aufbau des Organismus" zu einer wissenschaftlich-medizinischen Tradition im Nachdenken über die Biologie bei, weiß Thomas Weber, später griffen Autoren wie Cassirer, Scheler, Jakobson, Merleau-Ponty und Canguilhem Ideen Goldsteins auf, der aufgrund von Behandlungen von Kriegsversehrten eine harsche Kritik des damals noch sehr atomistischen Hirnmodells der Neurowissenschaften entwickelte. Viele der Positionen Goldsteins mögen inzwischen überholt sein, in methodologischer und epistemologischer Hinsicht ist dieses Buch aber nach wie vor hochaktuell, verspricht der Rezensent.

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