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Zu Hitlers programmatischer Schrift Mein Kampf gab es bisher keinen analytischen Kommentar. Zwei Gründe mögen dafür ausschlagend gewesen sein: die Befürchtung, dass derjenige, der Hitler in theoretischer Hinsicht ernst nimmt, ihn unerträglich aufwertet; und der Verdacht, dass der Versuch, Hitler verstehen zu wollen, unausweichlich in einer Apologie Hitlers mündet. Doch diese eher emotionale Abwehr verhindert die sachliche Auseinandersetzung; und eine solche Auseinandersetzung ist unabdingbar, um die Dimension des nationalsozialistischen Rassenmordes, den Zusammenhang zwischen Ideologie und…mehr

Produktbeschreibung
Zu Hitlers programmatischer Schrift Mein Kampf gab es bisher keinen analytischen Kommentar. Zwei Gründe mögen dafür ausschlagend gewesen sein: die Befürchtung, dass derjenige, der Hitler in theoretischer Hinsicht ernst nimmt, ihn unerträglich aufwertet; und der Verdacht, dass der Versuch, Hitler verstehen zu wollen, unausweichlich in einer Apologie Hitlers mündet. Doch diese eher emotionale Abwehr verhindert die sachliche Auseinandersetzung; und eine solche Auseinandersetzung ist unabdingbar, um die Dimension des nationalsozialistischen Rassenmordes, den Zusammenhang zwischen Ideologie und Verbrechen zu verstehen. Dass dem Nationalsozialismus eine Ideologie zugrundelag, die diese Bezeichnung verdient, wurde immer bestritten. Doch der interpretierende Nachvollzug der Gedanken Hitlers macht deutlich: In Mein Kampf findet sich ein monistisch begründetes, mit großer Folgerichtigkeit abgeleitetes Gedankengebäude, das sowohl Hitlers innenpolitischen Fahrplan als auch seinem außenpolitischem Programm Grund und Ziel gab. Barbara Zehnpfennig kann zeigen, dass Hitlers Weltanschauung einer mörderischen Logik folgt - und dass ein genaueres Hinsehen auf Hitlers Bekenntnisschrift, dass sich von der abstoßenden Diktion und der Egomanie des Autors nicht abschrecken lässt, einen Zusammenhang zwischen Denk und Tun offenbart, der manches an der Politik Hitlers in neuem Licht erscheinen lässt.
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Autorenporträt
Barbara Zehnpfennig, geb. 1956; Studium der Philosophie, Soziologie, Germanistik und Geschichte in Berlin; 1983 Promotion; ab 1984 Lehrtätigkeit an der Freien Universität und der Hochschule der Künste in Berlin; ab 1991 wissenschaftliche Assistentin am Institut für Politikwissenschaft der Universität der Bundeswehr Hamburg, seit 1999 Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Passau. Arbeitsgebiete: politische Philosophie, antike Philosophie und deutscher Idealismus, amerikanische Verfassungstheorie, Nationalsozialismus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2001

Was Denken anrichten kann
Eine gehaltvolle Auseinandersetzung mit Hitlers "Mein Kampf"

Barbara Zehnpfennig: Hitlers "Mein Kampf". Eine Interpretation. Wilhelm Fink Verlag, München 2000. 348 Seiten, 48,- Mark.

Ideengeschichtlich ausgerichtete Interpretationen des Nationalsozialismus gehören zu den derzeit eher vernachlässigten historischen Arbeitsfeldern. Dies widerspricht der Bedeutung, die dem Faktor "Ideologie" für das Erscheinungsbild des "Dritten Reiches" wie auch für seinen säkularen Gegenpart, den sowjetischen Bolschewismus unter Lenin und Stalin, insgesamt zugekommen ist. Totalitäre Herrschaft im 20. Jahrhundert war wesentlich ideologisch motivierte Herrschaft. Dadurch unterschied sie sich von früheren Formen diktatorischer Machtausübung.

Barbara Zehnpfennigs Untersuchung trägt dieser Tatsache Rechnung, weil sie Hitlers Denken noch diesseits aller praktischen Umsetzung in den Blick nimmt. Denn dieses Denken ging der Entscheidung zum Tun und Handeln ganz offensichtlich voraus. Einer funktionalistischen Sichtweise, die Hitlers programmatische Intentionen herunterspielt und dadurch seine persönliche Verantwortung für den Holocaust zugunsten anonymer Prozesse verharmlost, wird somit eine klare Absage erteilt.

Die Autorin optiert dafür, sich auf Hitlers Denkweg einzulassen und die immanenten Konsequenzen seiner Weltanschauung ernst zu nehmen. Sie liefert in Form eines quellennahen Kommentars zu Hitlers Bekenntnisschrift "Mein Kampf" nicht nur die erste philosophisch-politiktheoretische Interpretation der Inhalte und Ziele Hitlerschen Denkens, sondern die wohl überhaupt gehaltvollste Auseinandersetzung mit den Intentionen des deutschen Diktators seit den Büchern von Eberhard Jäckel (1969) und Joachim Fest (1973). Dabei werden vor allem auf dem Gebiet der vergleichenden Ideologiegeschichte neuartige Einsichten zutage gefördert.

Wie bisher niemand sonst interpretiert die Autorin Hitlers Weltanschauung konsequent als Paradigma eines Denkens, das zeit- und personenunabhängig eine Grundmöglichkeit der Haltung zur Welt bezeichnet: des ideologischen Bewußtseins, dessen hervorstechendstes Merkmal in einer selektiv verzerrten Wirklichkeitswahrnehmung liegt. Die vorgegebene Realität wird nicht in ihrem Sosein zur Kenntnis genommen, sondern von vornherein als Projektionsfläche eigener Vorstellungsinhalte mißbraucht. Diesen selbstgesetzten Vorstellungen hat die Welt sich zu fügen, statt daß - wie es richtig und für ein "normales" Bewußtsein angemessen wäre - die subjektiven Setzungen an der Realität überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden.

Hitlers monströser Vernichtungsantisemitismus erscheint in dieser Perspektive als Frucht und Folge solch ideologischen Bewußtseins, das seine gesamte Welterklärungsstrategie aus einer einzigen "letzten Ursache" herleite: dem Streben des Judentums nach Zerstörung der Menschheitskultur als alleinigem Ursprung alles Bösen. Daß sich angesichts einer solchen selbstvorgenommenen Rollenzuweisung die Vernichtung des vermeintlichen Weltfeindes subjektiv als ein aus "Notwehr" geborener "Erlösungsakt" darstellt, macht das Jahrhundertverbrechen des Holocaust zwar nicht nachvollziehbarer, wirft aber ein helles Licht auf die Grundsatzfrage, wie ideologisches Denken funktioniert und was es anrichten kann.

Und dies um so mehr, als das bei Hitler geortete ideologische Denkschema in seiner prinzipiellen Fehlorientierung weitgehende Deckungsgleichheit mit entsprechenden Argumentationsmodellen des Marxismus aufweist. Auch Marx und seine sowjetischen Nachfolger lebten in der Überzeugung, mit dem "Kapitalisten" den alleinigen Verursacher der Abkehr vom "heilen" Urzustand dingfest gemacht zu haben. Und auch hier wurde die intendierte Vernichtung einer ganzen Kollektivexistenz - eben der kapitalistischen - zu einem Heilsakt im Dienst der Wiederherstellung wahren Menschseins umgelogen.

Man mag den Nachweis solch struktureller Gemeinsamkeiten zwischen rechts und links noch immer als Provokation empfinden - einfach abtun kann man ihn nach der stichhaltigen Argumentationsführung der Verfasserin nicht mehr, zumal sich ihre Forschungsergebnisse bruchlos in die Reihe neuerer Untersuchungen zur vergleichenden Totalitarismusforschung einfügen.

Schon die Bücher von François Furet (1995) und Gerd Koenen (1998) hatten deutlich gemacht, daß die Vernachlässigung entsprechender Vergleiche maßgeblich mit der Legitimation des "Antifa-Mythos" für die Aufrechterhaltung der kommunistischen Herrschaftssysteme in Osteuropa zusammenhing. Barbara Zehnpfennig präzisiert diese Untersuchungsergebnisse aus anderer Perspektive und veranschaulicht vor allem eines: Hitlers Weltanschauung war die falsche Alternative zu einem falschen Denken und zu einer falschen Praxis.

Kritik wird die Verfasserin vor allem aus methodischen Gründen auf sich ziehen. Das von ihr gewählte hermeneutische Verfahren, das historische Sachzusammenhänge ebenso vernachlässigt wie maßgebliche neuere Forschungsliteratur, zieht zur Erklärung Hitlerschen Denkens immer wieder philosophische Tradition heran. So erscheint etwa das als zentral herausgestellte Motiv des Selbstopfers als Reflex einer vermeintlich existentialistischen Haltung, die nach einer Entgrenzung des Ichs strebe und in der Erfahrung von Ausnahmesituationen eine "pervertierte Transzendenzsuche" betreibe. Es bleibt fraglich, ob solche Deutungen dem Denken des Diktators nicht ungewollt einen intellektuellen Rang zubilligen, den es tatsächlich nie besessen hat. Die Ergebnisse des Buches werden die Hitler-Forschung jedenfalls noch lange Zeit beschäftigen.

FRANK-LOTHAR KROLL

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Barbara Zehnpfennigs ideengeschichtliche Herangehensweise bei der Interpretation von Hitlers "Mein Kampf" offenbart dem Rezensenten Frank-Lothar Kroll wirklich neue Erkenntnisse: "Wie bisher niemand sonst interpretiert die Autorin Hitlers Weltanschauung konsequent als Paradigma eines Denkens (...), dessen hervorstechendes Merkmal in einer selektiven Wirklichkeitswahrnehmung liegt." Aber damit nicht genug. Das Buch führt den Rezensenten zur anerkennenden Hervorhebung des Schlussergebnisses: "Hitlers Weltanschauung war die falsche Alternative zu einem falschen Denken und zu einer falschen Praxis". Bei solchen fundamental neuen Erkenntnissen ist es dann verständlich, dass der Rezensent eher marginal die mangelnde Auseinandersetzung mit neuerer Forschungsliteratur und das nur auf den Text begrenzte hermeneutische Verfahren der Autorin bemängelt. Um die Beschäftigungslage in der Hitler-Forschung muss man sich jedenfalls nach Meinung des Rezensenten nach Erscheinen dieses Buches keine Sorge mehr machen, da "die Ergebnisse des Buches" sie "noch lange beschäftigen" werden.

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