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Mit dem Manierismus verbindet die Kunstgeschichte eine zwischen Renaissance und Barock liegende Stilepoche. Ein bizarrer, aus dem Gleichgewicht gebrachter Formenapparat steht für eine übertrieben artifizielle Haltung der Künstler dieser Zeit, die voller Weltangst und Zweifel an der harmonischen Weltordnung den Glauben an die Kraft ungebrochener Kreativität verloren haben. Für Achille Bonito Oliva bezeichnet die Haltung des manieristischen Künstlers, der sich "durch Eigensinn und Verbissenheit, durch überlegene Distanz und zwielichtiges Auftreten, durch verquere Eigenschaften" auszeichnet, den…mehr

Produktbeschreibung
Mit dem Manierismus verbindet die Kunstgeschichte eine zwischen Renaissance und Barock liegende Stilepoche. Ein bizarrer, aus dem Gleichgewicht gebrachter Formenapparat steht für eine übertrieben artifizielle Haltung der Künstler dieser Zeit, die voller Weltangst und Zweifel an der harmonischen Weltordnung den Glauben an die Kraft ungebrochener Kreativität verloren haben. Für Achille Bonito Oliva bezeichnet die Haltung des manieristischen Künstlers, der sich "durch Eigensinn und Verbissenheit, durch überlegene Distanz und zwielichtiges Auftreten, durch verquere Eigenschaften" auszeichnet, den Typus des Verräters, der in allen Epochen und Kunstgattungen auftaucht. In einem kulturgeschichtlichen Panorama, das von gelehrten Anmerkungen und Zitaten, von Fantasie und Originalität nur so sprüht, verfolgt Bonito Oliva manieristische Charaktere vom 16. Jahrhundert bis heute - ein Buch, das zur Reflexion über unsere Zeit verführt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.09.2001

Verluststil eines Überfliegers
Hier wurde französisch gedacht: Achille Benito Olivas manieristische Analyse des Manierismus

Wie bekommt man Geschichte und ihre Verwicklungen in den Griff? Der Rastelli-Typ unter den Historikern verteilt die signifikanten Ereignisse auf Spielbälle, die er nach einem bestimmten Muster durcheinanderwirft. Ein anderer bedient sich der Tugend der Langsamkeit und registriert die Veränderungen des Geschichtskörpers mit der Geduld eines Schlangenbeschwörers. Dort jäher Wechsel, hier allmähliche Übergänge. Beide, der Strukturalist und der bedächtige Hermeneutiker, benutzen die Ereignisse als Vorwände für ihre synchron angelegten Sinnfiguren, die der Zeitdimension aus dem Weg gehen. Beide Male ist die Versuchung groß, Geschichte kohärent zu machen und als Variation über ein Thema zu lesen.

Achille Benito Oliva, der ausgewiesene Theoretiker und Ausstellungskurator, ist dieser Versuchung erlegen. Ein ungeduldiger Rastelli, greift er so schnell nach seinen Einfällen, wie er sie untereinander austauscht. Eine solche Feder hat im Manierismus ihr angemessenes Thema. Für Oliva ist der Manierismus des sechzehnten Jahrhunderts, den er nur in einigen seiner italienischen Spielarten wahrnimmt, Anlaß für ein virtuoses Spiel mit vielen Bällen, die einander zum Verwechseln ähnlich sehen. Das Ergebnis sind vierzig meist knappe Kapitel, deren suggestive Titel jeweils drei Begriffe bündeln, zum Beispiel Lüge, Kritik, Lähmung - Spalt, Verbindung, Leere - Traum, Tortur, Betrug. Dieser Katalog von 120 Schlagwörtern läßt sich schütteln wie ein Kaleidoskop, immer tauchen dabei neue Verknüpfungen auf, keine ist endgültig, jede ein Transitorium. Desgleichen kann man das Buch von hinten nach vorne lesen oder in der Mitte beginnen.

Da Oliva die Zeit nicht als linearen Ablauf sieht, sondern ihr zwei gegenläufige, janusköpfige Richtungen entnimmt, scheint auch "die Sprache dazu genötigt, sich als Metapher der jeweils entgegengesetzten Richtung zu verstehen". Das ist seiner oszillierenden Argumentation anzumerken. Der Modus der Darstellung deckt sich mit dem des Themas: Nie ist der Manierismus manieristischer beschrieben worden. Dieser Manierismus ist eine Kopfgeburt, der kühnen Akrobatik eines spekulativen Denkers entsprungen. Wie der Jongleur seine Darbietung unvermutet beginnt und irgendwo abbricht, wird das Thema des Buches plötzlich hervorgezaubert und ist ebenso schnell wieder verschwunden, nachdem es ein Spektrum von experimentellen Möglichkeiten durchlief. Ein besessener Taschenspieler erfindet eine komplexe Stilfigur, doch breitet er ihre Widersprüche nur aus, um sie letztlich kohärent zu machen. Jedes der 120 Kennwörter ist eine paßgenaue Rippe in einem Gewölbe von Symptomen, aus dem alle Brüche und Dissonanzen getilgt sind. Olivas Manierismus stellt ein Konstrukt dar, das sich an keinerlei geschichtlichen oder gesellschaftlichen Faktoren zu bewähren hat. Wer die üblichen kunsthistorischen Informationen erwartet, wird enttäuscht. Nur einmal ist beiläufig von einer zweiten Generation des Manierismus die Rede. Wir erfahren nichts über die Spezifikation der einzelnen Kunstgattungen oder über bestimmte ikonographische Konstanten. Solcherart versagt der Überflieger sich und seinen Lesern eine seiner Stärken: die Untersuchung einzelner Werke. Nur ein halbes Dutzend der 33 Abbildungen wird für Werkanalysen genutzt. Schade, denn auf diesen Seiten vertauscht Oliva den deduktiven gegen den induktiven Blick, so daß seine abstrakten Kriterien - Verschrobenheit, lateraler Blick, Periphrase et cetera - Anschaubarkeit gewinnen.

Das bruchlos gefügte Denkgebäude hat die geschliffene Eleganz, mit der die französischen Moralisten über Gott und die Welt räsonierten: pointiert und niemals ermüdend. Daneben kommt auch der rhapsodische Blick Nietzsches zum Zug. Unterhalb dieser rhetorisch funkelnden Argumentationsebene legt Oliva eine zweite, ein düsteres Terrain, in dem Ängste und Verdrängungen hausen. Es wird von anderen Autoren bestritten und umfaßt dreiundzwanzig Seiten eng gedruckter, meist unkommentierter Anmerkungen und Exkurse. Die ersten Belegtexte stammen aus der älteren deutschen Kunstgeschichte - Pinder, Sedlmayr, Hocke, Hauser - und dienen der Beglaubigung der These, die der Titel des Buches plakativ vorträgt. Weitere Belege stammen von zeitgenössischen Philosophen vorzugsweise französischer Provenienz. Da gerät der Text oft ins Tiefgründeln. Plötzlich stehen wir vor dem apodiktischen Satz: "Wo etwas wächst, schreibt Heidegger in ,Sein und Zeit', gibt es auch Wurzeln, wo es Wurzeln gibt, kann sich etwas ausbreiten." Mit dieser Autorität wird dann Bronzino der Prozeß gemacht: Bei dem gebe es keinerlei Expansion, sondern nur Reduktion, keine Handlung, statt dessen aber Intentionalität. Mußte dafür Heidegger bemüht werden?

Im Souterrain hat Olivas Manierismus seinen verdrängten Unterbau, die Abgründe, nach denen sich der lateinische Geist des Autors offenbar sehnt. Der deutschen Ecke dieses Katastrophenbewußtseins entnimmt er die "melancholische Grundhaltung", die er für das "Bewußtsein eines Verlustes" verantwortlich macht, das die ganze Epoche kennzeichne. Kurzerhand wird der Manierismus zum "Verluststil", und von da ist es nur ein Schritt zur verlorenen Unschuld des Verräters. Oliva kostet ein altes Vorurteil aus: Kunstanalyse als moralische Instanz. Er tut es mit artistischem Geschick.

Der kriminalisierte Manierismus - das ist eine geistreiche, aphoristische Volte, aber kein Argument, das eine so vielschichtige kunsthistorische Gemengelage zu tragen vermöchte. Zweifellos kann man den Modus des Verrats auch auf die Kunstpraxis beziehen, wenn man ihn als Entwendung, raffiniertes Plagiat und meinetwegen als Etikettenschwindel versteht, aber dann ist er nur ein neues, effekthaschendes Wort für den längst bekannten Tatbestand, daß das Neue im Kunstgeschehen immer aus Altem, Vorhandenem und Verbrauchtem hervorgeht. Kunst wird nun einmal aus Kunst gemacht, und in ihrer Geschichte gibt es keinen Gewinn ohne Verlust. Das schließt respektlose Zitate ebenso ein wie Verfälschungen und produktive Mißverständnisse. Sind die Kubisten an Cézanne zu Verrätern geworden? Sind die Schüler, die eigene Wege gehen, die Verräter ihrer Lehrer?

Letztlich jedoch zweifelt und verzweifelt Oliva nicht nur am Freiheitsgewinn der manieristischen Kunstpraxis, er sieht diese moralisch und existentiell zum Scheitern verurteilt: Der Taschenspieler, seiner Geschicklichkeit überdrüssig, sieht sein Konstrukt zerbrechen: "Letztlich besteht die einzige Freiheit des Manierismus in seiner Fähigkeit, sich selbst zu kreuzigen, sich zum Tode zu verurteilen, sich der Tortur zu überantworten. Ausgeschlossen von dem Ort, an dem reale Veränderungen der Welt vorgenommen werden können, akzeptiert der Intellektuelle sogar die Herausforderung seiner Einsamkeit; die eigentliche Auseinandersetzung aber findet auf dem abgegrenzten Schlachtfeld der Subjektivität, des Narzißmus, der Manie statt." Noch einmal identifiziert sich der Autor mit seinem Gegenstand und spricht pro domo. Sein Verdikt trifft auch die schillernde Transavantgarde, die er vor zwei Jahrzehnten erfand.

Die erste italienische Ausgabe des Buches erschien 1976, die zweite, offenbar überarbeitete 1998. Da es den deutschen Leser mit Verspätung erreicht, liest sich der Text heute als klassisches Dokument eines Augenblicks, da Kunst noch für existentielle Verunsicherung stand und die "Veränderung der Welt" in Angriff nehmen sollte.

WERNER HOFMANN

Achille Benito Oliva: "Die Ideologie des Verräters". Manieristische Kunst - Kunst des Manierismus. Aus dem Italienischen von Heinz-Georg Held und Marion Steinicke, Dumont Buchverlag, Köln 2000. 264 S., 33 Abb., br., 69,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Achille Benito Oliva ist ein Kunsthistoriker und -theoretiker vom Schlage "Rastelli", stellt der Rezensent Werner Hofmann fest und meint es halb bewundernd und halb kritisch. Auf jeden Fall habe er im Manierismus das passende Thema gefunden: "Nie ist der Manierismus manieristischer beschrieben worden." Trotz der Aufsplitterung in 40 Kurzkapitel ergebe das Buch eine Einheit, vielleicht sogar allzu sehr, meint Hofmann, da "alle Brüche und Dissonanzen" daraus verschwunden seien. Der Text rundet sich zur These vom Manierismus als "Verluststil" - und der Rezensent merkt an, dass dabei die Analyse zum moralischen Urteil wird. Darüber hinaus ist der "Verrat", den Oliva als hervorstechendes Merkmal inkriminiert, nach Meinung Hoffmans keineswegs besonders spezifisch für den Manierismus. Wenn der Rezensent also im Sachlichen so seine Einwände hat, leugnet er doch die Qualitäten des Buches nicht: die "geschliffene Eleganz", das "artistische Geschick".

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