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Dieses Buch untersucht die Bedeutung des Adels für den politischen Katholizismus an Hand der parlamentarischen Performanz der Reichstagsfraktion der Zentrumspartei zwischen 1871 und 1890. Auf der Grundlage umfangreicher Archivrecherchen beschreibt der Autor die materialen und habituellen Prägungen der Abgeordneten, ihre politischen Werte und Ziele, die soziale Praxis adliger Parlamentsarbeit; die Verteilung symbolischen Kapitals sowie die konkreten Gestaltungspielräume und die Wirksamkeit ihrer politischen Tätigkeit. Der Autor geht der Frage nach, warum sich Adelige in besonderem Maße für die…mehr

Produktbeschreibung
Dieses Buch untersucht die Bedeutung des Adels für den politischen Katholizismus an Hand der parlamentarischen Performanz der Reichstagsfraktion der Zentrumspartei zwischen 1871 und 1890. Auf der Grundlage umfangreicher Archivrecherchen beschreibt der Autor die materialen und habituellen Prägungen der Abgeordneten, ihre politischen Werte und Ziele, die soziale Praxis adliger Parlamentsarbeit; die Verteilung symbolischen Kapitals sowie die konkreten Gestaltungspielräume und die Wirksamkeit ihrer politischen Tätigkeit. Der Autor geht der Frage nach, warum sich Adelige in besonderem Maße für die erste konfessionelle Volkspartei engagierten, wie die Politik sie beeinflusste und umgekehrt. Er erörtert, weshalb sich adlige Politiker später zunehmend aus dem Parlament verabschiedeten und deutet diesen Rückzug im Kontext gesellschaftlicher Imaginationen von Männlichkeit.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Blaue Brücken, schwarze Rücken
Adelige in der Zentrumsfraktion des Reichstags 1871-1890

Unter den Mitgliedern der Reichstagsfraktion des "Zentrums" gehörten von 1871 bis 1890 immerhin 40 Prozent dem Adel an, und wenngleich die Adelsquote bei den Konservativen höher lag, so war sie in dieser bis 1933 bestehenden Partei des politischen Katholizismus doch dreimal so hoch wie bei den liberalen Parteien. Ohne papsttreue Adelige wäre schon die Parteigründung undenkbar gewesen, und bis 1912 besetzten Adelige zudem durchgehend den Fraktionsvorsitz.

Markus Raasch entlockt einem beachtlich breitgefächerten Dokumentenfundus - bestehend aus staatlichen, kirchlichen und privaten Quellen - neue grundlegende Erkenntnisse über die der Zentrumspartei zuzuordnenden, regional durchaus unterschiedlich konturierten "Adelslandschaften" in der Bismarckära. Sie reichen von quantifizierenden Informationen bis zur parlamentarischen Praxis. Behandelt werden geistige und ökonomische Ausstattung, soziokulturelle Prägungen, Binnen- und Außenwahrnehmung der adeligen Zentrumsparlamentarier sowie die politischen Gestaltungsmöglichkeiten, die sich aus einer teils internationalen familiären Vernetzung ergaben. Überzeugend legt er dar, dass die Zentrumsadeligen - die vor allem von den Liberalen als weltfremde, anachronistische Sonderlinge wahrgenommen wurden und sich überdies dem Vorwurf einer antideutschen, auch antiprotestantischen Speerspitze ausgesetzt sahen - ein erfolgreiches Milieumanagement nicht nur auf der Mikro-, sondern auch auf der Makroebene betrieben.

Charakteristisch für die adeligen Akteure auf dem neuen Feld der Reichspolitik war ein weltläufiger, heimatbewusster und kirchentreuer Auftritt. Verantwortlich hierfür war die Sozialisation in einem Umfeld, das sich durch eine graduell unterschiedliche, der Distinktion dienende Prachtentfaltung sowie einen adligen Männlichkeitskult auszeichnete, denen eine streng katholische Erziehung und religiöse Praxis nicht zuwiderliefen.

Im Parlament agierten diese adeligen Politiker als "hochkonservative Idealisten" - nicht im Sinne von Gegnern des Nationalstaats, vielmehr als dessen Verteidiger, sofern er zu konservieren schien, was sie als gottgegebene, an der Tradition orientierte Rechtsordnung erachteten. Wie etliche Honoratiorenpolitiker der anderen Parteien frequentierten sie den Reichstag unregelmäßig, gelangweilt von der Sitzungsarbeit, jedoch um Anwesenheit bemüht, wenn sie sie für geboten hielten. Bis in die achtziger Jahre blieb der Adel auf diese Weise bestimmend für das Fraktionsgeschehen des Zentrums, insbesondere auf zwei Politikfeldern: in der Sozialpolitik - dies nicht zuletzt in Abgrenzung zur Sozialdemokratie - sowie in der Kirchenpolitik. Zu Letzterem prädestinierten nicht allein die Kontakte zu Würdenträgern der katholischen Kirche, sondern allen voran die Nähe zum Vatikan.

Vielfach übernahmen Adelige eine Mittlerfunktion zwischen der Kurie und bürgerlichen Parteimitgliedern, wirkten desgleichen aber auch auf Reichsebene als Brücke zwischen Regierung und Zentrumspartei. Von Einfluss war der Adel im Zentrum personell wie inhaltlich außerdem auf den "Katholikentagen" und insbesondere für das Wahlgeschehen, etwa mittels starken Engagements im katholisch-konservativen Vereinswesen, in den Wahlkomitees, durch Presseaktivitäten, aber auch durch Lenkungsfunktionen im Wahlkampf, beispielsweise bei der Kandidatenaufstellung und Wahlorganisation.

Sich in der protestantisch geprägten Großstadt Berlin eher fremd fühlend, nutzten die adeligen Zentrumspolitiker gleichwohl die kulturellen Möglichkeiten der Stadt zu weiterer Vernetzung, allerdings vornehmlich im Standesrahmen und seltener zur Kontaktanknüpfung mit nichtadeligen Abgeordneten. Ludwig Windthorst als einer der unangefochtenen Wortführer der Partei bildete eine, freilich nicht ohne Ambivalenz beäugte, Ausnahme: Einerseits stießen seine rednerischen Fähigkeiten auf Anerkennung. Andererseits galt er als zu herrschsüchtig und intrigant und zudem als Exponent des bürgerlich-demokratischen Lagers. Dass im Gegensatz dazu Bismarck dem Zentrumsadel imponierte, zeigte sich verstärkt nach dem Kulturkampf. Die Verhandlungen mit Rom zu dessen Abbau sahen die adeligen Parlamentarier lieber in der Hand des als Garanten konservativer Verhältnisse angesehenen Reichskanzlers als in derjenigen "preußischer Demokraten". Auf Bismarcks Soireen und Frühschoppen waren die adeligen Zentrumsmitglieder daher häufig vertreten. Sie waren dort umgekehrt auch gern gesehen, vor allem in den achtziger Jahren, als Bismarck seinerseits daran gelegen war, adelskritische Stimmen im Zentrum zu reizen und dadurch parteiinterne Konflikte heraufzubeschwören.

Wurden innerhalb der Partei Adelige vor wie nach dem Kulturkampf bisweilen mit dem Vorwurf konfrontiert, bloße Standesinteressen zu vertreten, galten sie aufgrund ihrer ökonomischen Unabhängigkeit während des Kulturkampfs als besonders zuverlässige und heimatbewusste Vertreter der Zentrumsanliegen. Ihr bedeutendstes Wirken als wertkonservative Akteure fiel mithin in eine Phase des Umbruchs und Übergangs. Dass ihre Zeit mit dem Durchbruch der Moderne abzulaufen begann, bezeugt ihr signifikanter Rückzug aus der Politik nach dem Ende der Ära Bismarck.

ANDREA HOPP

Markus Raasch: Der Adel auf dem Feld der Politik. Das Beispiel der Zentrumspartei in der Bismarckära (1871-1890). Droste Verlag, Düsseldorf 2015. 486 S., 62,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Andrea Hopp liest die Studie von Markus Raasch über den Adel im Reichstag mit Interesse. Beachtlich findet sie den Dokumentenfundus aus staatlichen und privaten Quellen, auf dem der Autor aufbaut und aus dem er seine Erkenntnisse über den in der Zentrumspartei organisierten Adel zieht. Zahlen und Fakten sowie Details über die parlamentarische Praxis und die Prägungen der Zentrumsparlamentarier entnimmt die Rezensentin den Ausführungen des Autors ebenso wie Informationen über die Netzwerke und das Management der Adeligen im Großen und im Kleinen.

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