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Produktdetails
  • Verlag: Böhlaus Nachfolger
  • Seitenzahl: 126
  • Abmessung: 222mm x 138mm x 16mm
  • Gewicht: 283g
  • ISBN-13: 9783740011215
  • ISBN-10: 3740011211
  • Artikelnr.: 25259985
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.05.2000

Aber zu Tisch gehen ist besser
Eleganz der Wechselrede – fünf Versuche von Walter Jens über Fontane
„Wann kamen Sie das letzte Mal perfekt unterhalten von einer Einladung, Party, Vernissage zurück? Wo erlebten Sie das letzte Mal, dass man in Gesellschaft Konversation als schöne Kunst betrachtete? Viel spricht dafür, dass es im Theater war, bei einem Stück von Oscar Wilde oder Hugo von Hofmannsthal.
Wie elegant blinkt und blitzt dort das Redeflorett! In der Hand des Parliermeisters trifft es bald hier-, bald dorthin und wechselt flink von der Rechten in die Linke, das Thema wie die Tonart. In der Gesprächskunst gilt die alte Fechtregel: ,Halte die Waffe wie einen Vogel! Hältst du zu fest, erdrückst du ihn. Hältst du zu locker, fliegt er davon. ‘”
So ideal wie fast nirgends sonst kann der Leser auf Theodor Fontanes Sprachfechtboden Dialogduelle in höchster Eleganz erleben – im Brief, im Roman, in der Unterhaltung. Hier ist das Ziel das Sprechen, die Feier kultivierter Konversation als schönstes Zeugnis bürgerlicher Zivilisiertheit. Unglaublich erscheint uns Heutigen, dass nicht literarische Konstruktion, sondern lebendige Rede solche Formulierungskunst hervorzubringen in der Lage war. Wie es Fontane gelingt, diese Geläufigkeit in der Wechselrede und überhaupt im Stil zu erreichen, beschreibt Walter Jens beispielhaft in den fünf Essays seines Büchleins Wer am meisten redt, ist der reinste Mensch.
Zuerst bedarf es des Willens, human zu sein und Geselligkeit als hohen Wert zu schätzen, sodann aber und vor allem der Sprachdisziplin, die, ob gesprochenes, ob geschriebenes, ob gedrucktes Wort, stets die Nachlässigkeit meidet und zuvörderst beachtet, was der Situation und dem Gesprächspartner angemessen ist. Witz gehört dazu, doch nicht als alberner Jokus, sondern als ein schnelles, helles Mitdenken, eine stete Beweglichkeit mit nur einem Feind – der Langeweile – und einem Ziel – dem Interessanten. Nicht unbedingt muss es das Neue, das Unerhörte sein, so wie ja auch Jens nicht sensationelle Enthüllungen über Fontanes Schreibhandwerkskunst, seine „Shakespeareomanie” oder sein Eheleben präsentiert. Immer serviert er uns Kenntnisse, Erkenntnisse und treffliche Zitate zum Meister der Mark Brandenburg als Amuses-gueules angenehmster Art. Im besten Sinn triffts der alte Dubslav Stechlin, der nach einer Wahlniederlage meint: „Siegen ist gut, aber zu Tisch gehen ist noch besser. ”
Der Fontane-Vorspeisenteller à la maison, den Jens zubereitet hat, bietet nicht nur Leckerverehrliches, auch Herbes fehlt nicht. Antisemitismus des „entlaufenen Pillendrehers”, schwer verständlich und tief verwurzelt, wiewohl nicht militant, gehört dazu und Fontanes Verständnis-, wohl sogar Gefühllosigkeit den Sexual-, Geburts- und materiellen Ängsten seiner Frau gegenüber, weil sie eben „alltäglich” und also „nicht interessant” waren.
Ganz ungetrübt wäre der Genuss freilich, nähme sich Jens etwas mehr zurück; so sprechen die Wiederholungen glücklich gefundener Formeln nicht gerade für die Kunst der Invention; und „glänzend formuliert” als Signum der Fontaneschen Sprache, diese wie manch andere abgegriffene Wendung hätte man nicht bei dem Meister em. Momos aus Tübingen erwartet. Zudem und zuletzt: Wärs nicht dezenter, die Vornamensnennerei von Fontane nebst Frau zu unterlassen?
Man muss es aber nicht wie der Guide Michelin so strenge treiben und die fehlende Serviermöglichkeit von links mit Verlust eines Sterns bestrafen. Es spricht doch für den Maître Jens, dass ihm das Angerichtete selbst schmeckt und er es versteht, dessen Qualitäten gewählt zu würdigen, damit sie der Leser recht eigentlich und bewusst goutieren kann. Wer hätte sonst das vollkommene Plaudergenie Fontanes erkannt? Im Totengespräch müssen Lessing und Thomas Mann, denen nur auf dem Papier brillante Wechselrede gelang, neben ihm wie Stockfische wirken. Fünffältiges Fontane-Vergnügen, Gesprächsstoff vielleicht für die nächste Vernissage, Party, Einladung?
ROLF-BERNHARD ESSIG
WALTER JENS: Wer am meisten redt, ist der reinste Mensch. Über Fontane. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 2000. 160 Seiten, 32 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In den fünf Essays des Tübinger Rhetorikprofessors ist über Fontanes Redekunst nachzulesen. Selten habe der Leser die Möglichkeit "Dialogduelle" solcher Eleganz wie auf Fontanes "Fechtboden" zu erleben - Rezensent Rolf-Bernhard Essig gibt sich fasziniert von den Regeln der schönen Sprechens, die vom "Meister der Mark Brandenburg" aufgestellt und auf dem gesellschaftlichen Parkett angewandt wurden. Da wären "Sprachdisziplin", und "Witz", "helles Mitdenken" und Flexibilität gegenüber dem Gesprächspartner, um einige zu nenen. Der Autor von "Effi Briest" sei zugegenbenermaßen manchmal konservativ aufgetreten. Der Genuss dieses "Büchleins" wäre dennoch perfekt, so Rezensent Essig, würde sich Großmeister Jens in seinen Essays über Fontane hier und da bescheidener geben. Das Fazit fällt dennoch positiv aus: Vergnüglicher "Gesprächsstoff" für die nächste langweilige "Party".

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