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Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten: Das wahre Gesicht des Tschetschenien-Kriegs Der russische Major Schilin hat sich in den Tschetschenienkriegen eingerichtet: Er ist der "Benzinkönig", der Profiteur, der einen einträglichen Handel mit dem Benzin, das er eigentlich bewachen soll, installiert. Gegen Geld beliefert er jeden - auch den Feind. Aber er ist auch ein Garant von Zivilisation, von Verlässlichkeit, von Ordnung inmitten kriegerischer Anarchie. Am Leben und Sterben von Schilin entwirft der Altmeister der russischen Literatur ein gewaltiges Epos über die Menschlichkeit in…mehr

Produktbeschreibung
Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten: Das wahre Gesicht des Tschetschenien-Kriegs
Der russische Major Schilin hat sich in den Tschetschenienkriegen eingerichtet: Er ist der "Benzinkönig", der Profiteur, der einen einträglichen Handel mit dem Benzin, das er eigentlich bewachen soll, installiert. Gegen Geld beliefert er jeden - auch den Feind. Aber er ist auch ein Garant von Zivilisation, von Verlässlichkeit, von Ordnung inmitten kriegerischer Anarchie. Am Leben und Sterben von Schilin entwirft der Altmeister der russischen Literatur ein gewaltiges Epos über die Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten.

Irgendwann während des zweiten Tschetschenienkrieges: Der "faule" Krieg hat die Moral der russischen Offiziere und Soldaten so zerstört, dass sie sich alle abgesetzt haben. Zurück bleibt Major Schilin, der allein die Benzinlager beaufsichtigen muss. Er überlebt durch einen heroischen Trick und beginnt, sein "business" zu entwickeln: Jedes zehnte Fass Benzin verkauft er von nun andie tschetschenischen Rebellen und steckt das Geld in die eigene Tasche. Er wird zum geachteten "Benzinkönig", denn durch den Handel errichtet er eine ordnende Instanz mitten im Chaos des Krieges. Schilin weiß: 2Es gibt keine Regeln in diesem Krieg, außer einem Gesetz der Gesetze: Schuldest du Geld? Dann gib es her." Und doch wird am Ende auch Schilin zum Opfer sinnloser Gewalt. Nur die Schönheit der Berge übersteht den kriegerischen Konflikt, den am Ende längst keiner mehr genau versteht.
Autorenporträt
Wladimir Makanin, geb. 1937 in Orsk, war Mathematiker und Filmemacher, bevor er 1965 literarisch debütierte. Makanin gilt heute als »Klassiker« unter den gegenwärtigen russischen Schriftstellern. 1993 erhielt er den Booker-Preis, 1998 den Puschkin Preis für das Gesamtwerk, 1999 den russischen Staatspreis, 2001 den italienischen Penne-Preis und 2012 den Europäischen Preis für Literatur der Stadt Straßburg.

Annelore Nitschke lebt in Feldafing bei München. Übersetzungen u.a. von Boris Chasanow, Warlam Schalamow, Alexej Remisow, Nina Berberova, Valeria Narbikova, Alan Tschertschessow, Alexander Ikonnikow.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2011

Korruption ist viel besser als Chaos

Der russische Schriftsteller Wladimir Makanin hat einen Roman über den Konflikt in Tschetschenien geschrieben. "Benzinkönig" ist die subversive Darstellung einer Welt, in der Krieg nur als Fortsetzung des Handels mit anderen Mitteln gilt.

Du sollst nicht kämpfen ... Verkaufe. Anders überlebst du nicht. Biete an und verkaufe." Denn "Korruption" ist "hundertmal besser als das Chaos", "Korruption bedeutet bereits ein gewisses Niveau", Korruption ist "schon irgendwie Kultur". Diese Sätze stammen nicht etwa aus einem Handbuch für angewandten Zynismus. Sie finden sich in Wladimir Makanins Tschetschenien-Roman "Benzinkönig", mit dem sich der Autor des postmodernen, postsowjetischen Epos "Underground oder Ein Held unserer Zeit" (F.A.Z. vom 7. Oktober 2003) nun endgültig unter die russischen Kriegsschriftsteller einreiht.

Eine solche Mission könnte leicht zum literarischen Himmelfahrtskommando werden. Wo in Teufels Namen gibt es da noch ein Stückchen Terrain, das nicht von einem Riesen der Prosa verteidigt wird? Nikolai Gogol hat sich als Homer des Kosakengemetzels versucht, Michail Lermontow den Kugelhagel als Mittel gegen Weltschmerz erprobt. Auch die Enttarnung der Kriegskunst als Illusion der Generäle, die lediglich blanke Zerstörung und kollektiven Wahnsinn kaschiert, ist längst geleistet. Ein dreiköpfiger Stoßtrupp - Leo Tolstoi, Wsewolod Garschin, Leonid Andrejew - hat das Militär nachhaltig aus seiner Deckung hinter Begriffen wie Heroismus und Vaterlandsliebe getrieben. Ein bebrillter Jude aus Odessa, Isaak Babel, zeigte schließlich, wie unwiderstehlich jeder Krieg, ob gerecht oder ungerecht, unsereinen zum Pogrom einlädt.

Was hat ein russischer Schriftsteller heute, nach zwölf Jahren Tschetschenien-Krieg, dem noch hinzuzufügen? Wladimir Makanin wartet mit einer Einsicht auf, die zwar an sich kaum originell ist, aber in seiner Darbietung dem Fleischwolf der Geschichte doch eine faszinierende neue Drehung verleiht. Krieg, so lehrt es der "Benzinkönig", ist die Fortsetzung des Handels mit anderen Mitteln. Das klingt nun in der Tat nach Zynismus. Und die Bilanz des Mordens im Kaukasus, die Makanin präsentiert, erschreckt tatsächlich durch ihre Kälte. Ein Gefecht, bei dem ein erblindeter MG-Schütze die bereits triumphierenden Tschetschenen dutzendweise niedermäht, weil er immer genau dorthin zielt, wo sein Ohr menschliche Schmerzenslaute erhascht, kommentiert der Erzähler: "So hinterließ der Soldat ein erfreuliches Bild. Leichnam an Leichnam. Er glich die Verlustrechnung aus." Umgekehrt wird ein harmloser, zum Büchernarren bekehrter russischer General einzig aus dem Grund in die Luft gejagt, weil den Kaukasiern in ihrer Buchhaltung des Todes noch ein hoher Rang fehlt: "Wir brauchen ihn nur für die Abrechnung. Hauptsache, er ist General." Wenn so der Siegeszug des ökonomischen Denkens aussieht, wer wünschte sich da nicht den Kommunismus zurück? "Völkerfreundschaft", die alte sowjetische Losung, prangt aber nur noch auf einer Tür des Leichenschauhauses: Sie bezeichnet den Gemeinschaftsblock, wo die bis zur Unkenntlichkeit Entstellten liegen, die niemand mehr einer Kriegspartei zuordnen kann. Erst hier, im Kühlraum, kommt man sich offenbar näher; die Kühlung erzielt sinnigerweise auch gleich die ideale Trinktemperatur für den Wodka.

Makanins Ich-Erzähler, der dem Leser immer wieder auch in der dritten Person entgegentritt, begreift rasch das Gesetz des Überlebens in dieser frostigen Welt, wo alles zur Ware geworden ist: Stiefel, Waffen, Geiseln, Treibstoff, soldatische Arbeitssklaven. Anstatt sich als Bauernopfer bei einem Deal seiner Vorgesetzten verheizen zu lassen, wird er lieber selbst zum Businessman und eröffnet einen blühenden Benzinhandel mit Freund und Feind. Hier bohrt Makanin symbolisch an der Quelle des Konflikts, der von Beginn an als "Krieg ums Öl" Schlagzeilen machte. Entsprechend kontrovers war die Debatte um sein Buch, als es 2008 in Moskau erschien, ein Jahr vor dem offiziellen Ende des zweiten Tschetschenien-Krieges. Dabei ist der Roman viel zu klug und differenziert, als dass ihn eine tagespolitische Feuilletonschlacht erschöpfen könnte.

Wie in all seinen Werken führt Makanin auch im "Benzinkönig" wieder einen lebhaften Dialog mit der Klassikern der russischen Literatur - diesmal zum Thema Geiselnahme im Kaukasus. Ja, er verwickelt sich dabei sogar in ein Selbstgespräch. Puschkin, Lermontow, Tolstoi und Makanin: alle vier haben sie Texte unter dem Titel "Der kaukasische Gefangene" (F.A.Z. vom 21. April 2005) verfasst. Makanins Benzinkönig, Major Alexander Sergejewitsch Schilin, weist sich durch seinen Nachnamen als direkter Abkömmling von Tolstois fiktiver Kriegsgeisel aus. Den Vornamen wiederum teilt er mit dem Ahnherrn der russischen Kaukasusliteratur, mit Puschkin. Zwar gerät Major Schilin nie in die Hand des Feindes; zum Gefangenen im Kaukasus wird er gleichwohl. Ebendas ist die Pointe von Makanins Roman: Die Situation der Geisel, die jäh vom Subjekt des Handelns zum Handelsobjekt wird, teilen im Tschetschenien-Konflikt alle. Russische Soldatenmütter, eine Journalistin, ja sogar der tote Rebellenführer im Kühlhaus, den nur noch sein kleiner Sohn identifizieren kann: allen bleibt nur die Hoffnung, dass es irgendwann zur Auslösung kommt. Es ist die Initiationserfahrung dieses Krieges. Gleich im ersten Kapitel fällt ein ganzer Zug frischgebackener russischer Soldaten, voll wie die Haubitzen, dem Gegner zur Beute und muss von Schilin freigekauft werden.

Und Schilin kauft. Bietet an und verkauft. Und rettet damit Menschenleben. Sein Geschäftssinn, so zynisch er sich auch an der Oberfläche gibt, stellt sich zusehends in den Dienst derer, die nichts weiter als ihr Feld bestellen, ein Haus bauen oder heimfahren wollen. Darin besteht die verblüffende Paradoxie dieses Buches. Die russische Kritik hat das offenbar verwirrt. Einer Rezensentin war Makanin nicht zynisch genug, sie fand, er bleibe auf halbem Weg stehen. In der Tat: Genau das tut er, und er weiß genau, was er tut! Er treibt seinem Major Schilin (dessen Name sich, nicht anders als "Doktor Schiwago", vom russischen Verb für "leben" herleitet) den Zynismus nämlich Stück für Stück, Geisel für Geisel, aus. Wie schon Puschkins und Tolstois kaukasische Gefangene vor ihm entdeckt der Major auf dem großen Basar hinter den Mauern der tschetschenischen Berge seine Menschlichkeit. Für seine literarischen Vorgänger zahlt sich das aus, beiden gelingt dank weiblicher Hilfe die Flucht. Für den Romantiker wie für den Pazifisten macht menschliches Gefühl der Abrechnungslogik einen Strich durchs Kalkül.

Makanin hingegen verweigert solchen Trost. Zwar entdeckt Major Schilin, dieser Picaro des Tschetschenien-Krieges, der den Aufstieg vom verlorenen Posten zum Benzinkönig geschafft hat, zuletzt sein Gewissen - auch darin der Tradition des Schelmenromans getreu. Doch das kommt ihn teuer zu stehen. Er setzt seine Handelsbeziehungen ein, um zwei versprengten Soldaten, die sich zu ihm verirrt haben, den Rücktransport zu ermöglichen. Die beiden "Spinner" sind schwersttraumatisiert und wachsen ihm gerade deshalb an Herz. Forsch redet Schilin sich und dem Leser ein, er sei imstande, den Mitfühlenden und den Geschäftsmann in sich zu vereinen. Doch der Widerspruch klafft als Riss immer tiefer zwischen den beiden Erzählinstanzen, dem Ich und dem Er, bis er sich schließlich tragisch auflöst - ein ingeniöses Spiel mit den Möglichkeiten der Narration, das Makanin als Meister seines Faches ausweist. Just bei der letzten Geldübergabe verliert einer der "beiden Spinner" die Nerven und gibt einen Feuerstoß aus seiner Kalaschnikow ab. Auf den restlichen Seiten ist von Major Schilin nur noch in der dritten Person die Rede.

Wladimir Makanins Blick in eine Welt, wo wenig geblieben ist, dessen Marktwert nicht bezifferbar wäre, wo Blinde und Traumatisierte den Finger am Abzug haben, wo Mitleid tötet und Schmerzensschreie die Zielerfassung erleichtern - dieser Blick wäre unerträglich, würde er nicht durch die Optik eines derart erfahrenen Erzählers gebrochen. So aber mildert die Analyse den Schrecken, Nachdenklichkeit dämpft den Schock. Makanin hat eine gültige Formel für die universale Geiselnahme namens Krieg gefunden.

URS HEFTRICH.

Wladimir Makanin: "Benzinkönig". Roman.

Aus dem Russischen von Annelore Nitschke. Luchterhand Literaturverlag, München 2011. 480 S., geb., 22,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als "Fortsetzung des Handels mit anderen Mitteln" wird der Krieg in Wladimir Makanins "Benzinkönig" dargestellt, schreibt Rezensent Urs Heftrich. Das Wesen des Tschetschenienkrieges jedenfalls, bei dem es letztlich auch ums Öl gehe und in dem "alles zur Ware geworden ist", ist laut Rezension mit dieser Formel treffend erfasst. Der Protagonist des Romans, der auf russischer Seite kämpfende Major Schilin, überlebt allein aufgrund seiner florierenden Benzingeschäfte mit Freund und Feind, wie wir erfahren. Blanker Zynismus sei dies, meint Heftrich, aber darin erschöpfe sich der Roman mitnichten. Seine "verblüffende Paradoxie" bestehe darin, dass Schilin mehr und mehr zum Lebensretter werde - ein Menschenfreund, der ein solcher eben nur unter der harten Schale des Zynikers zu werden vermag. Der Kritiker ist begeistert von diesem "klugen und differenzierten" Wurf Makanins. Und es ist nicht allein die "ingeniöse" Erzählweise, die Heftrich bewundert, sondern gleichfalls Makanins Bezugnahme auf zahlreiche Klassiker der russischen Literatur.

© Perlentaucher Medien GmbH