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Zeit seines Lebens fragt sich Gregor Liedmann, ob er der leibliche Sohn seiner Eltern ist oder eine Flüchtlingswaise, an Kindes statt angenommen in den Wirren des Zweiten Weltkriegs. Diese Unsicherheit hat sein Leben geprägt, ihn zum Einzelgänger gemacht, ihn von Frau und Kind fort- undin die Welt hinausgetrieben.

Produktbeschreibung
Zeit seines Lebens fragt sich Gregor Liedmann, ob er der leibliche Sohn seiner Eltern ist oder eine Flüchtlingswaise, an Kindes statt angenommen in den Wirren des Zweiten Weltkriegs. Diese Unsicherheit hat sein Leben geprägt, ihn zum Einzelgänger gemacht, ihn von Frau und Kind fort- undin die Welt hinausgetrieben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.11.2008

Kleider falten, Zähne putzen, Gebete sprechen, schlafen gehen

Von der Kunst der ständigen Gewichtsverlagerung: In seinem Roman "Legenden" erzählt Hugo Hamilton von einem, der lieber Opferkind als Tätersohn sein will.

Von Anja Hirsch

Der in Dublin und Berlin lebende Schriftsteller Hugo Hamilton, Sohn einer deutschen Mutter und eines irischen Vaters, gilt spätestens seit seinen autobiographisch gefärbten Romanen "Gescheckte Menschen" (2004) und "Der Matrose im Schrank" (2006) als Grenzgänger-Poet, der aus mindestens zwei Kulturen schöpft. Seiner neuen Romanfigur gönnt er nicht einmal mehr die Sicherheit der Herkunft. Er schneidet sie aus einem Vakuum heraus. Gregor wächst zwischen Geweihen und ausgestopften Tieren auf. Der Vater jagt gern, die Mutter schreibt ständig Listen. Aber sind dies überhaupt seine richtigen Eltern? Seit Onkel Max, ein Freund der Familie, bei Tisch einmal merkwürdige Andeutungen machte, glaubt Gregor Liedmann ein jüdisches Findelkind zu sein, das man seiner Mutter auf der Flucht in die Arme legte, kurz nachdem sie ihr eigenes, gleichaltriges Kind im Bombenhagel verloren hatte. Beweise aber fehlen, und die Mutter streitet alles ab. Doch das "Wechselbalg"-Gefühl bleibt, ein Leben lang. In der erzählten Gegenwart des Romans ist Gregor ein Musiker Anfang sechzig, der zum Apfelpflückfest auf einen Resthof nahe Berlin fährt, um seinen Sohn nach Afrika zu verabschieden und vorsichtig seine Beziehung zu Mara zu erneuern - womöglich ein Wendepunkt in beider Leben, hatten sie doch ihre ersten gemeinsamen Jahre damit zugebracht, Gregors Identität zu erfinden.

In Hamiltons Romanplan wird dieses Projekt regelrecht zur Obsession - vor allem von der übereifrigen Mara, die Gregors Geschichte am liebsten neu schreiben will "wie ein verlorenes Musikstück, das in einem Feuer verbrannt war". Mara, ein rebellisches Relikt der späten sechziger Jahre - man lernt sich beim Steinewerfen kennen -, nimmt hinter Gregors Rücken Kontakt zur Mutter auf. Sie gefällt sich in der Vorstellung, Frau eines Überlebenden zu sein, und tut alles, um an dieser Version festhalten zu können. Höhepunkt ihrer Familienrecherche ist die Präsentation eines Gedenkraums für Gregor mit Fundstücken seiner Kindheit. Krakelig geschriebene, wohl von der Mutter inspirierte Listen wie "Kleider zusammenfalten, Zähne putzen, Gebete sprechen, schlafen gehen, von Schiffen träumen" liegen neben der ersten Blechtrompete. Mara lässt keinen Zweifel daran, dass ihr Engagement nicht nur Gregor oder dem gemeinsamen Sohn Daniel, sondern einem ganzen Volk gilt. Die Überdimensioniertheit dieses Erlösungsanspruchs reflektiert der Roman mit.

Spannend wird es eben hier: "Legenden", weit mehr als ein bloßer Selbstfindungsroman, umspielt das Problem einer Generation, die sich, um die Schmach der Eltern zu kompensieren, in die Opferrolle hineinimaginiert. Vieles deutet darauf hin. Gregor wächst in Nürnberg auf; sein Vater ist Kriegsspätheimkehrer und entschlossen, einen "Heldensohn", keinen Schwächling zu haben. Geschichtslose Orte gibt es bei Hugo Hamilton nicht. Doch je mehr sich alles mit Bedeutung auflädt, desto mehr schwindet das Gefühl dafür, welche Version denn nun stimmt.

Um Gregors Geschichte im Mittelpunkt des Romans zu halten, bedient sich Hamilton einer unabhängigen Erzählerstimme, der man mehr Wissen zutraut als Gregor, der Mutter oder Max. Die Schilderung, wie eine Bombe den "originalen" dreijährigen Gregor ausgelöscht hat, setzt er suggestiv an den Anfang des Romans, wie eine unumstößliche Wahrheit. Nur Teile eines Buntstifts findet die Mutter nach sieben Tagen Umherirren in Trümmern. Mehr ist von Gregor Nr. 1 nicht mehr übrig. Vor dieser unheilvollen Kulisse entwirft Hamilton einen Roman, der zwischen den Zeiten changiert, ohne dass man je den Überblick verlieren würde. Immer wieder neu wird von der Flucht und dem bangen Warten am Bahnhof erzählt, wo die Mutter mit dem kleinen Gregor (welchem?) vergeblich auf die Rückkehr ihres Vaters Emil wartet.

Diese Erzählerstimme, die am Einzelfall Exemplarisches schildert, macht Hamilton so stark, dass man meint, sie entringe sich nach Jahren Gregor selbst: Mit der Überlegenheit dieses wissenden Erzählers scheint er sich stur der Geschichte zu versichern, die seine Mutter bis zu ihrem Tod so vehement von sich weist. Lange hält der Roman alles in Schwebe. Und wenn auf den letzten Seiten endlich Beweise enthüllt werden, ist die Suchbewegung selbst längst wichtiger als Fakten. "Vielleicht ist dies die höchste menschliche Leistung - in unserer Phantasie zu rekonstruieren, was fehlt." In unprätentiösen, von Henning Ahrens schmiegsam übertragenen Sätzen nähert sich Hugo Hamilton einem Kern, den zu fassen doch keiner seiner emsigen Figuren recht gelingen will. "Legenden" betreibt eine ständige Gewichtsverlagerung. Kein geringer Anspruch für einen Roman und kunstvoll eingelöst.

- Hugo Hamilton: "Legenden". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Henning Ahrens. Luchterhand Literaturverlag, München 2008. 304 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.07.2009

Nur das Geräusch eines Faustschlags
Vages und Schiefes im blühenden Phrasengarten: Hugo Hamilton hat sich mit „Legenden” leider an einem pädagogischen Bestseller versucht
Hugo Hamilton hatte schon einige Romane geschrieben, als ihm vor fünf Jahren mit „Speckled People” (Gescheckte Menschen), ein Überraschungserfolg gelang. Das Buch, eine sehr persönlich und sehr subtil als Roman geschriebene Autobiographie, wurde in immerhin fünfzehn Sprachen übersetzt. Der 1953 in Dublin geborene Hamilton erzählt darin eine ungewöhnliche Kindheit zwischen zwei verwandten Kulturen. Diesmal ist es nicht die strenge deutsche Mutter, die auf einen lebenslustig-unzuverlässigen Iren trifft. Hier ist der irische Vater ein autoritärer Puritaner in der Tradition der sinnenfeindlichen irisch-katholischen Kirche. Die Mutter hingegen eine deutsche Katholikin, die dabei aber, anders als bei Böll, dem Leben zugewandt bleibt.
Insofern hat es durchaus einen privaten Hintergrund, wenn drei der vor „Gescheckte Menschen” geschriebenen Romane Hamiltons sich mit deutscher Vergangenheit auseinandersetzten. „Kriegsliebe” spielt im Böhmen des Jahres 1945. Wenn es in „Legenden” jetzt wieder um den Krieg und seine Folgen geht, ist das also nichts wirklich Neues, wirkt aber nach „Speckled People” umso interessanter: Wie geht dieser so empfindsame und differenzierte Autobiograph mit fiktiven Figuren um? Was findet er, der eine Innen- und eine Außenansicht deutscher Befindlichkeiten hat, diesmal im fremdvertrauten Land?
Erzählt wird das Leben von Gregor Liedmann, von dem keiner weiß, wie er wirklich heißt. Er wird als Dreijähriger von seinem „Großvater” aufgelesen – nachdem die Tochter des Großvaters bei einem Bombenangriff ihren Sohn verloren hat. Aus der Unsicherheit über Gregors Herkunft gewinnt der Roman seine Spannung. Ist Gregor etwa„sogar” Jude? Durch die Geheimnistuerei der „Adoptiv”-Mutter gereizt und in seiner Unsicherheit alleine gelassen, beansprucht Gregor, der unter seinem strengen Kriegsheimkehrer-„Vater” leidet, tatsächlich eine jüdische Existenz und reißt aus.
Keine Rede davon, dass sich hier einer aus Täterkind-Problemen schleicht. Gregor weiß tatsächlich nicht, wer er ist. Er macht es sich in seiner Wahl- und Fluchtexistenz jedoch eine Weile lang bequem, und profitiert davon, dass Täterkinder dem jüdischen Musiker gern an den Saiten hängen. Auch die schöne Mara findet einen Opfersohn natürlich spannender als fade Deutsche. Und Jude sein schützt in der schuldbewussten BRD. Sogar als Gregor und ein Freund auf der Fahrt nach Berlin von DDR-Polizei brutal belästigt werden, meint Gregor nur, er sei „Jude”. Sofort lassen sie entsetzt die Finger von ihm. Eine vielversprechende Ausgangslage. Doch leider bleibt die DDR-Szene einer der wenigen Höhepunkte des Buchs. Was an Hamiltons Ziel eines pädagogischen Bestsellers liegt, das auch den Stil bestimmt.
Kriegsschauerdramatik
„Legenden” liest sich so, als wende sich der Roman von vornherein an ein vages internationales Publikum, das mit konventionellem human touch und Kriegs-Schauerdramatik auf deutsche Geschichte eingestimmt werden soll.
Eines Tages fährt der 17-jährige Gregor 100 Kilometer mit dem Fahrrad zu Onkel Max, weil dieser ihn über seine wahre Herkunft aufklären soll. Gregor kommt todmüde an, ist eben noch vom Fahrrad gefallen: „Onkel Max wollte wissen, wie lange er unterwegs gewesen sei und wo er übernachten wolle. Die Sprache des Krieges. Fragen aus einer Zeit tiefen Leids und großer Umbrüche.” Das ist beinahe unverständlich, aber kein Einzelfall. „Legenden” ist leider oft ein blühender Phrasengarten, in dem auch Geschmacklosigkeiten Platz haben: Onkel Max wird von der Gestapo verhört. Gregors Adoptivmutter lauscht: „(. . .) keine Antwort, sondern nur das Geräusch eines Faustschlags, hart und weich zugleich, wie das leise Klatschen, das von einem Sportplatz oder Spielplatz herüberdringt, wenn auch voll heimlicher, brutaler Gewalt. Wie zerbrechlich die Welt doch war. Wie ungerecht ihre Spielregeln waren.” Es liegt, abgesehen von der Titel-Wahl („Disguise” heißt, viel spannender, „Maske”, „Tarnung”) auch nicht an der Übersetzung.
Offenbar hat hingegen das Vage in Liedmanns Herkunft Hamiltons Stil unfreiwillig affiziert. Das Buch ist voller „man”, „manchmal” und „alle”, wo Genaueres interessant wäre. Englisch lesen sich „one”, „sometimes” und „everyone” nicht aufregender. Statt sich auf Einzelne einzulassen, wie er das in „Gescheckte Menschen” beispielhaft getan hat, weicht Hamilton Konturen aus, beschwört eine Stimmung, die an das weichzeichnerhafte Geschichtsverständnis neuerer Dokumentarfilme erinnert.
Das gilt nicht nur für die missratenen Kriegsszenen. Abgesehen von „Berlin” werden den Lesern kaum Ortsnamen zugemutet. Doch Vages verwandelt sich schnell in Schiefes. Gregors Wohnort – von der schönen Beschreibung gemäßigt alternativen, gemäßigt etablierten, etwas spießigen Lebens her deutlich Kreuzberg 61 – wird zweimal „Vorort” genannt (engl. „suburb”), was es nicht ist. Abgesehen davon, dass es Vororte, in denen es zugeht, wie von Hamilton entworfen, nicht gibt.
Nein: „Legenden” ist leider ein anderes Buch als erhofft: Alles Persönliche, Differenzierte aus „Speckled People” ist fast ganz verschwunden. Beinahe scheint es, als habe sich Hamilton, wie sein Held Gregor, in einer Story, die nicht die seine ist, zu wohl und zugleich zu unwohl gefühlt: Die Deutschen und ihre Probleme mit den Juden. Das wird schon klappen. Gut, dass man weiß, dass Hamilton auch anders kann. HANS-PETER KUNISCH
HUGO HAMILTON: Legenden. Roman. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Luchterhand Literaturverlag, München 2008. 304 Seiten. 19,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr beeindruckt zeigt sich Anja Hirsch von diesem Roman des deutsch-irischen Autors Hugo Hamilton. Die große Kunst Hamiltons bestehe in diesem Buch darin, zentrale Fragen der erzählten Geschichte fast bis zuletzt völlig "in der Schwebe" zu halten. Unklar bleibt vor allem, ob Gregor, der Held des Romans, der leibliche Sohn seiner Eltern oder nicht doch ein jüdisches Findelkind ist. Es ist diese Frage, der nicht nur Gregor, sondern auch - und intensiver als er - seine Frau Mara nachforscht. Dabei macht Hamilton klar, so die Rezensentin, dass es hier nicht um einen Einzelfall geht, sondern um das Problem einer Generation von Täterkindern, die sich "in die Opferrolle hinein imaginiert". Wie geschickt und nuanciert Hamilton bis zuletzt die verschiedenen Aspekte dieser Geschichte balanciert, das nötigt der Rezensentin großen Respekt ab.

© Perlentaucher Medien GmbH