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Das Trauma des Versailler Vertrages, die hohen Reparationen, das Desaster der Inflation, die agitatorische Unausgewogenheit und bedenkliche Zersplitterung der Parteien, die zahllosen Regierungskrisen und rasch wechselnden Kabinette, die Weltwirtschaftskrise 1929 bis hin zur Präsidialdemokratie: Ursula Büttner vermeidet bewusst, dieses kaum 14 Jahre dauernde Stakkato dramatischer und traumatischer Ereignisse mit seinem Ende gleichzusetzen. Denn die Weimarer Republik, so ihre entschiedene These über die erste deutsche Demokratie, hätte nicht in den 30. Januar 1933 münden müssen.
Im Brennglas
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Produktbeschreibung
Das Trauma des Versailler Vertrages, die hohen Reparationen, das Desaster der Inflation, die agitatorische Unausgewogenheit und bedenkliche Zersplitterung der Parteien, die zahllosen Regierungskrisen und rasch wechselnden Kabinette, die Weltwirtschaftskrise 1929 bis hin zur Präsidialdemokratie: Ursula Büttner vermeidet bewusst, dieses kaum 14 Jahre dauernde Stakkato dramatischer und traumatischer Ereignisse mit seinem Ende gleichzusetzen.
Denn die Weimarer Republik, so ihre entschiedene These über die erste deutsche Demokratie, hätte nicht in den 30. Januar 1933 münden müssen.

Im Brennglas dieses einzigartigen Überblicks verdeutlichen Details und Zäsuren, wie sehr die erste deutsche Demokratie überfordert war: Von undemokratischen wie ideologischen, von konservativen wie revisionistischen Kräften, von links wie rechts missbraucht, wurde sie Beute der Skrupellosen.

Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.10.2008

Kurzes Friedensintermezzo
Unaufgeregt schildert Ursula Büttner die Weimarer Republik
„Der Krieg geht weiter”, notierte Thomas Mann Anfang März 1918 im Manuskript seiner „Betrachtungen eines Unpolitischen”. Russland hatte sich gerade, geschwächt von den revolutionären Umwälzungen, aus dem europäischen Waffengang zurückziehen müssen. Es sah so aus, als könnte das Deutsche Reich noch einmal den Vorstoß in Frankreich wagen, wo seit Jahren die Stellungen unverrückt standen. Durch die unerwartete Wende hatte sich der Krieg einen weltgeschichtlichen Rang erkämpft: „Der Krieg geht weiter; denn das ist kein Krieg. Das ist eine historische Periode, die währen mag wie von 1789 bis 1815 oder auch wie von 1618 bis 48”. Tatsächlich: der Krieg in Deutschland dauerte bis 1923. Nur, dass er sich ins Landesinnere verlagerte, in einen Kampf der Zivilisten, Parteien, Putschisten und Freischärler verwandelte. Fünf Jahre hatte die „Weimarer Republik” bereits existiert, als sich die inflationsgeschüttelte, kampfesmüde Gesellschaft erschöpft der Massenunterhaltung zuwandte.
Jene Frage, die Manns Prophezeiung aufruft, beschäftigt die historische Forschung bis heute. War „Weimar” nur die Fortsetzung einer gesamteuropäischen Umwälzung, die von 1914 bis 1945 reichte? Oder lässt sich die Republik als eigenständige Phase betrachten? Tatsächlich herrschen zuallererst Kontinuitäten. Die republikanische Idee entstand im Vormärz, wurde 1871 ausgestellt und 1918 reaktiviert. Die Eliten von „Weimar” waren schon vor der Republikgründung Teil der Politik gewesen: Rathenau, Heuss, Stresemann, Ebert, Hindenburg integrierten ihre persönlichen Vorgeschichten in das Engagement für oder wider die neue Ordnung. Ähnliches gilt für 1933. Die „Machtergreifung” – im Sinne einer Abschaffung demokratischer Mitbestimmung – war in der sogenannten „Präsidialdiktatur” seit 1930 vorgezeichnet. Mit Hitlers Aufstieg zum Kanzler ist sie längst nicht abgeschlossen.
Das inszenierte Chaos
Dieser Fluss der Geschichte steht dem Denken in Datumsgrenzen entgegen – aber die Sache lässt sich auch umdrehen. In der Negation wirkt „Weimar” einheitlich: in einer Republik wider Willen, ohne gesellschaftlichen Rückhalt und politischen Konsens, wird das Scheitern zum Leitmotiv. Nicht anders deutet es auch Ursula Büttner und nennt ihr Überblickswerk „Die überforderte Republik”. Noch einmal entfaltet sich hier das Panorama eines instrumentalisierten Systems, dessen Protagonisten die Freiheit der Demokratie nutzten, um Freiheit und Demokratie abzuschaffen.
Es dürfte nicht leicht sein, in einem Bücherherbst, der in der Sparte „historisches Sachbuch” einen Großteil der Aufmerksamkeit auf Hans-Ulrich Wehlers „Deutsche Sozialgeschichte” richtet, weitere gewichtige Veröffentlichungen zu lancieren. Dass Klett-Cotta es dennoch versucht, ist mehr als beachtlich, zumal die Hamburger Historikerin mit diesem Band die Summe ihrer Arbeit zur Weimarer Republik zieht, die bis in die siebziger Jahre zurückreicht. In der nuancierten Einleitung, die „Weimar” als Gegenstand der Forschung vorstellt, beweist Büttner stichhaltig die Aktualität ihres Grundlagenwerkes. In den neunziger Jahren verloren die Historiker die Deutungshoheit über die Weimarer Republik an Disziplinen, die im weitesten Sinne zu den Kulturwissenschaften gehören. Deren Erkenntnisse zusammenzufassen und wieder mit der politischen Geschichtsschreibung zu verbinden, ist wesentliches Anliegen des Buches.
Aber ganz einfach ist das nicht. Gerade in den letzten Jahren erschienen regelmäßig Übersichtsbände zu „Weimar” aus historischer Perspektive, in Deutschland etwa von Ernst Nolte und Ulrich Kluge, in Frankreich von Christian Baechler, in Amerika von Eric D. Weitz, der Kultur, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft gelehrig zusammendenkt. Der Konkurrenzdruck ist also groß. Hinzu kommt, dass Büttners Einlassungen zur Kulturgeschichte schon aus Platzgründen auf den summarischen Überblick beschränkt bleiben mussten. Das Phänomen „Moderne” ließ sich in seiner Komplexität auf diesem knappen Raum unmöglich bändigen und es steht weitgehend unverbunden neben anderen Themen des Buchs. Was die Einleitung dem Leser an substantieller Neuerung verspricht – Interdisziplinarität auf dem neuesten Forschungsstand –, findet man daher im Text nur eingeschränkt wieder.
Aufgewogen wird das Defizit durch material- und kenntnisreiche Schilderung politischer Zusammenhänge. Bewährt hat sich auch die Struktur: chronologische Darstellung der politischen Leitlinien und Querschnitte zu einzelnen Problemen ergänzen sich. Die beispielhaften Tiefenbohrungen – zu sozialen Milieus, Schichten, Parteien, Kirchen, Juden – weisen lexikonartige Kürze und Präzision auf. Auch jede Person, die im Text zum ersten Mal auftritt, wird mit einer Kurzbiographie vorgestellt, ehe Büttner sie bei ihren Handlungen beobachtet und interpretiert. Dabei hält sich die Autorin sprachlich fast über Gebühr zurück und verzichtet darauf, den andauernden Krisen und Konflikten erzählerische Dramatik zu verleihen. Wer kräftig konturierte Menschenbilder und packende Schilderung von Ereignissen liebt, sei auf zwei ältere Überblickswerke verwiesen, Heinrich August Winklers meinungsstarkes Buch von 1993 und Hagen Schulzes mitunter fast romanhafte Darstellung von 1982. Beide sind weiter gültig, auch wenn sie die Differenzierung bisweilen zugunsten der pointierten Schärfe hintanstellen. Büttner hingegen ist nüchtern, sachlich, unaufgeregt.
Am Ende des gewichtigen Bandes geht dann, auf mehr als hundert Seiten, die Republik allmählich unter. Büttner betrachtet genau, wie die politische Selbstlähmung in Folge der Weltwirtschaftskrise in eine Art Protofaschismus mündet. Jetzt kehrt das eherne Motiv zurück, das schon die Anfänge begleitet hatte. Diesmal aber ist das Chaos mit perfider Absicht inszeniert. Auch Büttners Republik erscheint als kurzes Friedensintermezzo in einer Zeit, die ganz auf Krieg gestimmt war, wie es Thomas Mann am Schluss seiner „Betrachtungen” befürchtet hatte: „Der Krieg geht weiter; und auch dies Buch, darin er sich im Kleinen abbildet, im Persönlichen wiederholte, könnte weitergehen mit ihm – und währt’ er dreißig Jahr.” CHRISTIAN WELZBACHER
URSULA BÜTTNER: Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933. Leistung und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008. 864 Seiten, 45 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nach Ursula Büttner nutzte die Weimarer Republik die "Freiheit der Demokratie" dazu, eben diese abzuschaffen, stellt Christian Welzbacher fest, der hier nicht zuletzt die Arbeit der Hamburger Historikerin zum Thema seit den 70er Jahren gebündelt sieht. An "Aktualität" fehlt es dem Werk freilich nicht, versichert der Rezensent, der lediglich den interdisziplinären Ansatz, der im Vorwort versprochen wird, etwas zu kurz gekommen sieht. So lässt sich einem komplexen Thema wie der "Moderne" auf so knappem Raum unmöglich beikommen, moniert Welzbach. Dafür lässt er sich durch die mit einzelnen Querschnitten und Detailschilderungen angereicherte differenzierte chronologische Darstellung der politischen Ereignisse überzeugen und findet auch die Kurzporträts, mit denen die einzelnen Protagonisten geschichtlicher Ereignisse vorgestellt werden, sehr nützlich. Sprachlich allerdings lasse die Autorin äußerste Nüchternheit walten und verzichte auf erzählerische Elemente, bemerkt der Rezensent, der für das Bedürfnis nach dramatischeren Schilderungen zur Weimarer Republik auf andere Autoren verweist.

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