Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 12,00 €
  • Gebundenes Buch

Jacques Lacan gilt zu Recht als einer der schwierigsten Theoretiker der Psychoanalyse - welcher Leser wäre nicht schon einmal an einem seiner Texte gescheitert? Daß man trotzdem verständlich und nachvollziehbar über ihn schreiben kann, und zwar ohne unzulässige Vereinfachungen, will der vorliegende Band demonstrieren. Er versammelt Texte von Autoren, die in langjähriger eigener Arbeit mit dem Lacanschen Werk die Souveränität zu einer Darstellung gewonnen haben, die "Nichteingeweihten" Wege bahnt, aber auch den mit seinem Werk Vertrauten neue Aspekte aufzeigt. Das geschieht in Form eines…mehr

Produktbeschreibung
Jacques Lacan gilt zu Recht als einer der schwierigsten Theoretiker der Psychoanalyse - welcher Leser wäre nicht schon einmal an einem seiner Texte gescheitert? Daß man trotzdem verständlich und nachvollziehbar über ihn schreiben kann, und zwar ohne unzulässige Vereinfachungen, will der vorliegende Band demonstrieren. Er versammelt Texte von Autoren, die in langjähriger eigener Arbeit mit dem Lacanschen Werk die Souveränität zu einer Darstellung gewonnen haben, die "Nichteingeweihten" Wege bahnt, aber auch den mit seinem Werk Vertrauten neue Aspekte aufzeigt. Das geschieht in Form eines Überblicks über verschiedene Felder, auf denen der Lacansche Ansatz fruchtbar gemacht werden kann: Ausgehend von der psychoanalytischen Praxis, die natürlich im Mittelpunkt steht, wird das Wirken Lacans bis in die Philosophie, Gesellschaftsanalyse, Ästhetik sowie Literatur- und Medientheorie verfolgt. Ein historischer Teil resümiert zum einen die Geschichte des Lacanschen Seminars, zum anderen dieHauptlinien insbesondere der deutschsprachigen Rezeption.
Autorenporträt
Hans-Martin Lohmann lebt als freier Autor und Lektor in Heidelberg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.08.2001

Das Evangelium nach Lacan
Ein Sammelband zu Werk und Aura des großen Psychoanalytikers
Rückkehr zu Freud. Das Ich ist ein Anderer. Das Unbewusste ist strukturiert wie eine Sprache ... Die psychoanalytische Lehre von Jacques Lacan lässt sich, so scheint’s, am besten in griffigen Formeln fassen. Der Umgang mit Lacan trägt „immer noch Züge eines Arkanwissens”, „der Zugang zu Lacan den Charakter einer Initiation” (Gondek). So wird jeder Begriff zum Losungswort, an dem die Eingeweihten einander erkennen.
Zum 100. Geburtstag Lacans (er wurde am 13. April 1901 in eine streng katholische Familie hineingeboren) haben einige dieser Eingeweihten einen Aufsatzband herausgegeben, der Lacan in einen Raum profaner, zugänglicher Lesbarkeit holen will. „Wege zu seinem Werk” heißt das Unterfangen, und es geht Lacan von drei Seiten her an: aus der Perspektive der „Psychoanalytischen Praxis nach Lacan”, jener der „Wirkungsfelder der Lacanschen Psychoanalyse” und der „Geschichte der Psychoanalyse”. Wenngleich nicht alle Beiträge der Versuchung des Arkanen widerstehen können und in einem streng wissenschaftlichen Duktus – der für Uneingeweihte ja immer Züge von Geheimwissen trägt – verharren, bietet der Band dennoch verschiedene Interpretationen an, die dem Geheimnis Lacan seine Unnahbarkeit nehmen sollen.
Noch einmal das Objekt klein a
In fast allen Aufsätzen gibt es den Versuch, sich Schlüsselbegriffen Lacans – Ding, Akt, Wahrheit, die Trias des Imaginären, Realen und Symbolischen, Signifikant, Objekt klein a, Name-des-Vaters, désir – zu nähern und mit diesen sein Werk buchstäblich aufzuschließen. Dabei ist unausgesprochener Konsens, dass sich nichts, gemäß Lacan, wirklich aufschließen lässt. Im Zentrum der Überlegungen steht das Subjekt, der eigentliche Gegenstand der Psychoanalyse. Dabei ist Freud, zu dem Lacan bekanntlich zurückkehren wollte, der Basistext, der immer mitgelesen werden muss. So zeigt Peter Widmer, Psychoanalytiker und Autor einer Einführung in Lacan („Subversion des Begehrens”, 1997), wie Lacan anhand der Begriffe „Ding” und „Phallus” mit Freud über Freud hinausgeht und das Subjekt, anstatt es vom „Es zum Ich” zu führen, wie Freud es wollte, der Dreiteilung in das Symbolische, das Imaginäre und das Reale aussetzt. Auch Michael Schmid befasst sich mit der Spaltung des Subjekts, diesmal ausgehend von Freuds optimistisch besetzter Vorstellung von der Psychoanalyse als talking cure. Diese erzeugt bei Lacan nichts anderes als ein Subjekt, das zwischen Aussagen und Aussage zerrissen ist und weder weiß, was es sagt, noch, was es tut. Dabei schließt Schmid Lacans Theorie mit dessen Analyse von Poes „Der entwendete Brief” kurz, sodass man einem vergnüglichen Gedankenexperiment folgt, bei dem Detektiv und Psychoanalytiker als scharf denkendes Doppelgängerpaar auftreten.
In den Aufsätzen zur Wirkung interessiert der Subjektbegriff weniger im Kontext der Freud-Rezeption als im Rahmen der europäischen Geistes- und Philosophiegeschichte – Descartes, Hegel, Heidegger, Merleau-Ponty, Lévi- Strauss und Sartre erscheinen als Lacans Vor- und Mitdenker. Hans-Dieter Gondek zeigt, dass das cartesische, also das denkende Subjekt, das über die Wahrheit der Welt entscheidet, bei Lacan eine entscheidende Neudeutung erhalten hat: Lacan hat die Spannung zwischen Ich und Welt (Wahrheit, Sein) ins Subjekt selbst verlagert, wodurch der Mensch von vornherein auf das „Feld des Anderen” geworfen ist. Hier findet sich auch die Anbindung an Heidegger: Ist der Mensch bei Heidegger sich selbst in Bezug auf den Tod immer schon voraus, so ist er bei Lacan immer außer sich, nicht bei sich. Spannend ist Andreas Cremoninis Essay über den Blick bei Hegel, Sartre und Lacan – den er bei allen drei Denkern auf unterschiedliche Weise als Schaltstelle zwischen Subjektivität und Alterität deutet. Voyeurismus, Scham, Verlust und Phantasma sind Begleiterscheinungen des Blicks, in dem Subjekt und Objekt einander kreuzen und ein „Loch im geschlossenen Verweisungszusammenhang der Welt” des Subjekts erzeugen.
Im dritten Teil gerät der Meister selbst ins Blickfeld – sein Habitus als Begründer einer Schule, der bewahrende und beschützende Gestus seiner Erben: „Regelmäßig zur Mittagsstunde hält der Schwiegersohn nun selbst ein Seminar ab, in dem er die Seminare seines Schwiegervaters kommentiert und mimt. Dieser Messe wohnt eine freundlich gesonnene Zuhörerschaft bei”. Elisabeth Roudinesco, die eine Geschichte der Psychoanalyse und eine Biografie Lacans geschrieben hat, erzählt in ihrem „in der ersten Person gehaltenen” Beitrag von der Methode, die sie für diese Biografie verwendet hat. Da, anders als im Falle Freuds, kein schriftliches Archiv existiert, sondern Lacans überlassenes Werk ein mündliches ist, musste die Biografin die Figur Lacan hypothetisch rekonstruieren – das Ergebnis ist (fast) eine Romangestalt.
Dieses Verfolgen einer Spur, die keine schriftliche Grundlage hat, entspricht, so Roudinesco, Lacans ambivalenter Einstellung zur Geschichte. „Dieses Fehlen eines Archivs ist das Symptom einer ausgelöschten Geschichte, einer Auslöschung einer Spur, die es der lacanianischen Gemeinde erlaubt, an jede beliebige Legende zu glauben. Da keine Spur zugänglich ist, stellt es sich so dar, als ob das Lacansche Werk keine Quellen, keine Geschichte und keinen Ursprung habe, als ob das Subjekt Lacan nur durch Hörensagen, durch unzuverlässige und von Phantasmen durchsetzte Zeugnisse, die man darüber aufsammelt, existieren würde. Das Fehlen eines Archivs entspricht nicht nur der Ideologie des lacanianischen Legitimismus, sondern auch der Auffassung von Geschichte, die Lacan auf seine Erben übertrug, die ihn zu Lebzeiten vergötterten und es nicht schafften, die Trauer um seine Person abzuschließen. ” Das Geheimnis Lacan bleibt, die Aura des Arkanen, die nicht nur sein Werk, sondern auch die Person umgibt.
SCHAMMA SCHAHADAT
HANS-DIETER GONDEK, ROGER HOFMANN, HANS-MARTIN LOHMANN (Hrsg.): Jacques Lacan – Wege zu seinem Werk. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2001. 271 Seiten, 49 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Das Werk des Psychoanalytikers Jacques Lacan gilt vielen als Buch mit sieben Siegeln - ein Umstand, dem dieser Aufsatzband abhelfen soll. Zwar findet sich auch hier, wie die Rezensentin Schamma Schahadat anmerkt, esoterisches Geraune, alles in allem bieten die Texte ihrer Meinung nach jedoch immer wieder gute Interpretationshilfen. Der Band nähert sich dem Werk und dem Autor von drei Seiten: Zum einen geht es um die "psychoanalytische Praxis nach Lacan", zum anderen um die "Wirkungsfelder" und zum dritten um die "Geschichte der Psychoanalyse". Fast allen Texten gemeinsam, so Schahadat, ist der Versuch, sich Lacan über "Schlüsselbegriffe" seiner Theorie zu nähern - und sie so ansatzweise "aufzuschließen". Es bleibe freilich das Problem, "dass sich nichts, gemäß Lacan, wirklich aufschließen lässt". Ausführlicher geht die Rezension ein auf einen Aufsatz von Peter Widmer, der das Verhältnis Lacans zu Freud untersucht, eine Studie von Hans-Dieter Gondek über die Beziehung von Lacans Theorie zu Heideggers Philsophie und auf den Bericht der Lacan-Biografin Elisabeth Roudinesco über die Legendenbildung um den Psychoanalytiker.

© Perlentaucher Medien GmbH